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Montag,25.September2017
In
Mexiko schwindet die Hoffnung
Neues Erdbeben erschwert die Suche in den Trümmerhaufen / Seit Freitag keine Überlebenden mehr geborgen
Neues Erdbeben erschwert die Suche in den Trümmerhaufen / Seit Freitag keine Überlebenden mehr geborgen
In
Mexiko hat ein neues Beben für Panik und eine Zwangspause
bei den
Sucharbeiten gesorgt. Fünf Tage nach dem verheerenden
Erdbeben
schwindet die Hoffnung, noch wei- tere Überlebende zu
finden.
Von
Timo Dorsch, Mexiko-Stadt
Neuer
Schock für die Menschen in Mexiko: Ein Erdbeben der Stärke
6,1
hat wenige Tage nach dem Beben mit über 300 Toten das Land am
Samstag erneut erschüttert. Das Zentrum lag im Süden des
Landes im
Bundes- staat Oaxaca, teilte das Seismologi- sche Institut
mit.
Dabei
ist nicht nur bei den 50 Familien im nachbarschaftlichen Wohn
komplex mit der Nummer 98 in der Straße Puccini das Grauen
durch das
verheerende Erdbeben vom 19. Sep- tember noch vollkommen
präsent.
Das Gebäude liegt im nördlichen und är- meren Viertel
Vallejo.
Die Menschen hier kennen zwar solche Momente nur zu gut, an
dem
Schrecken ändert das nichts. Sie alle haben während des Be-
bens
vor 32 Jahren ihr Zuhause ver- loren. Das Trauma sitzt tief.
Mit
Spen- dengeldern des deutschen und schweizerischen Roten
Kreuzes
konn- te vor drei Jahrzehnten das Viertel wieder aufgebaut
werden.
Am
19. September fielen in Valle- jo Strom und alle digitalen
Kommu-
nikationswege aus. Mancherorts bis zum nächsten Tag. An jenem
Schre- ckenstag zittern vielen Menschen noch 20 Minuten nach
dem
Beben die Beine. Viele Gesichter sind angster- füllt. In
diesem
Bereich der Stadt ist zwar niemand zu Schaden gekommen, doch
die
Ungewissheit über das Schicksal von Angehörigen und Freunden
nagt
erbarmungslos: »Die Viertel Tlalpan und Xochimilco im Süden
wurden
schwer getroffen hieß es gerade im Radio.« »Mein Neffe ar-
beitet
am Fußballstadium Azteca, das zum Teil eingestürzt ist. Ich
erreiche ihn nicht.« Nicht alle Nachrichten, die anfangs über
Radio vermittelt wer- den, erweisen sich als wahr. Es herrscht
ein
Informationschaos.
In
den Stunden und Tagen danach ist es vor allem ein Akteur, der
wie vor
32 Jahren zum Leben erwacht und Schlimmeres verhindert: Die
unor-
ganisierte Zivilgesellschaft verwan- delt sich in ein sich
koordinierendes Kollektiv. Es klingt plakativ, doch sind es
normale
Leute, Arbeitende, Ange- stellte, ungemein viele Studierende
und
junge Leute, die mit Mund- schutz, Handschuhen und Stiefeln
ausgerüstet erste Rettungsarbeiten leisten und Brigaden
bilden. Die
aus ihrem eigenen Geldbeutel Medika- mente, Wasser, Essen,
Benzin,
Lam- pen kaufen. Und es sind Bundespoli- zisten sowie Soldaten
der
Armee und der Marine, die statt Schaufeln schwere Waffen in
den
Händen hal- ten und zum Teil die Anstrengungen behindern, die
in
den ersten Stunden lebensrettend sein können. Eine zentrale
Informationsstelle der Re- gierung bleibt auch Tage danach
aus; dies
übernehmen stattdessen Men- schen wie Ángel González, 29
Jahre
alt,
der aufgrund einer körperlichen Einschränkung nicht direkt
bei
den Bergungsarbeiten beteiligt sein kann: »Also habe ich mich
hingesetzt zum Organisieren und Koordinieren. Ich habe die
Orte, an
denen es zu Ein- stürzen kam, überprüft und dann die
Information über Twitter und Face- book verbreitet.«
In
der Straße Chimalpopoca im Stadtteil Oberera (Arbeiterin) ist
ei- ne
Textilfabrik eingestürzt und hat Näherinnen unter sich
begraben,
vie- le von ihnen Migrantinnen aus China und Mittelamerika. An
dieser
Stelle wiederholt sich Geschichte: Auch vor 32 Jahren brachen
mehrere
Textil- fabriken zusammen, viele davon il- legale Betriebe.
Ein
Massengrab für über 1000 Arbeiterinnen. Beim bis- her
verheerendsten Beben 1985 ebenfalls an einem 19. September
lie- ßen
inoffiziellen Schätzungen zufol- ge über 20 000 Mexikaner
ihr
Leben.
Am
19. September 2017 half José Luis Garcia Hernández bis zum
nächs- ten Tag um drei Uhr früh bei den Ret- tungsarbeiten:
»Es
kam jemand von der Armee und sagte uns, dass dem- nächst 100
Soldaten kommen zum
Helfen.
Es ist nie jemand gekommen. Die Bundespolizei kam, aber sie
ha- ben
nur den Zugang behindert. Die Leute haben zu einem Polizisten
ge-
sagt ›Los, pack mit an, den Schutt wegzuräumen!‹, aber dieser
antwor- tete nur ›Wir haben Befehl, nieman- den
durchzulassen.‹«
Am Morgen nach dem Unglück haben Polizei und Mili- tär die
Zone
umstellt und abgesi- chert. Doch es sind fast nur Zivilisten,
die den
Schutt wegräumen und sich auf den Trümmern der
Unglücksstelle
befinden. Plötzlich recken sich meh- rere ausgestreckte Arme
mit
geball- ten Fäusten in die Luft. Stille tritt ein. Ein
Krankenwagen
mit Blaulicht bahnt sich den Weg. Eine verschüttete Per- son
konnte
just lebend geborgen wer- den. Bewegende Augenblicke, in de-
nen alle
allen nahe sind.
An
einer anderen Stelle, zwischen den Vierteln Amores und
Viaducto,
wurden zwar Bagger von der Regie- rung geschickt, diese hatten
jedoch
nach kurzer Zeit kein Benzin mehr. »Außerdem haben sie uns um
Lam-
pen gebeten«, berichtet Sandra Sofía Sánchez Calderón. Für
die 25-Jähri- ge ist die Situation eindeutig: »Die
Regierenden
haben sich niemals um ihre Gesellschaft gesorgt.«
Auch
eingestürzte Neubauten tau- chen in den Listen auf und
verdeut-
lichen einmal mehr, dass nach 1985 nicht überall die
verstärkten
Sicher- heitsstandards eingehalten wurden. Lasche Kontrollen
und
korrupte Re- gierungsstrukturen tragen eine Mit- schuld an den
Ausmaßen.
Vor
der Textilfabrik trafen kontro- verse Haltungen aufeinander:
Wäh-
rend der Besitzer und offizielle Stel- len den Einsatz von
schwerem
Gerät befürworteten und vorantrieben, ver- muteten Helfende,
allen voran eine feministische Brigade, noch Überle- bende
unter
den Trümmern. Die Eile interpretierten sie als Sorge um Ma-
terial
und Produktionsmittel. Alles keine Einmaligkeit, sondern eine
erneute
Wiederholung von 1985. Im Morgengrauen auf Samstag wurden alle
Arbeiten beendet. Keine weitere Arbeiterin wurde entdeckt.
Stattdes-
sen erfolgte ein neues Erdbeben, um 7.53 Uhr Ortszeit mit
einer
Stärke von 6.1 auf der Richterskala im südlichen Bundesstaat
Oaxaca, woraufhin in Mexiko-Stadt zwei Frauen einem
Herzinfarkt
erlagen. Neue physische Schäden blieben dort jedoch aus.
Auf
Drängen der Angehörigen von Vermissten setzten die
Bergungskräf-
te in Mexiko-Stadt auch am Sonntag ihre Suche fort, seit
Freitag
bargen sie jedoch nur noch Leichen. Die Zahl der Todesopfer
stieg auf
307, neben Me- xiko-Stadt hat das Beben auch in den
Bundesstaaten
Puebla, Morelos, Gu- errero und Estado de México Tote ge-
fordert.
Unterdessen
begannen die ersten Trauerfeiern für die Todesopfer. Zu den
ersten
Opfern, die bestattet wur- den, zählten Gabriel Morales und
Agueda
Mendoza. Bergungskräfte hatten das Ehepaar in enger Umar-
mung
unter den Trümmern gefun- den, gemeinsam mit ihrem Hund
Quino.
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