Revolution in den USA? Ein Amerikaner, ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat, hält sie für erforderlich. Er schreibt auf mehr als 400 von Frank Born, Karen Genschow und Klaus-Dieter Schmidt übersetzten Seiten, warum eine Revolution erfolgen müsste, er nennt sich Sozialist. Ich halte das für eine Sensation. Und wir haben ähnliche Persönlichkeiten in anderen Teilen der westlichen Welt, zum Beispiel Jeremy Corbyn in Großbritannien oder Alexis Tsipras in Griechenland, vielleicht auch Jean-Luc Mélenchon in Frankreich. Heißt das ex occidente lux?
Sanders schildert zunächst seinen Lebenslauf und dann in zehn Kapiteln seine »Agenda für ein neues Amerika«. Da liest man Erstaunliches.
Zunächst geht es um die »Überwindung der Oligarchie«. Bisher hatte ich von Oligarchie und Oligarchen nur im Zusammenhang mit Russland und der Ukraine gelesen. Sanders bringt zu Papier: »Die politische Macht der [US-]Oligarchen beschränkt sich keineswegs auf Wahlkampfspenden und die Möglichkeit, Wahlen zu beeinflussen. Als Eigentümer von Medien, Thinktanks, Lehrstühlen und politischen Tarnorganisationen beeinflussen sie die öffentliche Meinung, die Innen- und Außenpolitik der USA in einer Weise, die nur von wenigen erkannt wird« (S. 96). Erschreckend ist die geringe Wahlbeteiligung in den USA. So heißt es von den Zwischenwahlen 2014, dass »erstaunliche 63 Prozent der US-Bevölkerung nicht zur Wahl« gingen (S.98).
Im zweiten Kapitel wird »der Niedergang der amerikanischen Mittelschicht« geschildert: »In meinen Augen ist die Bekämpfung der Vermögens- und Einkommensungleichheit die große moralische Aufgabe unserer Zeit, sie ist dir große ökonomische Aufgabe unserer Zeit, sie ist die große politische Aufgabe unserer Zeit« (S. 120). Der Leser erfährt auch, dass »mehr als die Hälfte der älteren Arbeitnehmer« in den USA »keine Rücklagen für ihren Ruhestand gebildet hat … Mehr als die Hälfte aller älteren Arbeitnehmer hat überhaupt keine Altersvorsorge. Nichts.« (S. 130)
Unter der Überschrift: »Der manipulierten Wirtschaft ein Ende machen« heißt es in Kapitel drei zum Beispiel: »Es geht um Firmen im ganzen Land, die horrende Gewinne machen, weil sie ihren Angestellten ungenügende Löhne zahlen und sich darauf verlassen, dass der Steuerzahler in die Bresche springt und sie subventioniert« (S. 143). Kommt mir bekannt vor. Sanders spricht aus, was andere verschweigen: »Man muss kein Soziologe sein, um den Zusammenhang zwischen Armut, Verzweiflung und Verbrechen zu verstehen« (S. 148). Der Leser erfährt über die USA viel, was er bisher nicht kannte, ja wovon er nicht geglaubt hätte, dass es dies im Mutterland der Demokratie gibt. Dazu gehört, dass nach dem Börsenkrach 2008 »Tausende Amerikaner in Sacramento, Fresno, Tampa Bay und Reno Zeltstädte errichteten, weil sie keinen anderen Platz zum Leben hatten. Weitere Millionen Menschen wohnten in ihren Autos oder bei einem Freund auf der Couch« (S. 249).
Kapitel vier ist der Forderung nach Gesundheitsversorgung für alle gewidmet. Sanders plädiert für eine »Einheitskasse«. In der DDR gab es sie.
Unter der Überschrift: »Höhere Bildung bezahlbar machen« sagt Sanders einleitend in Kapitel fünf: »Wenn wir in der wettbewerbsintensiven Weltwirtschaft bestehen und die am besten ausgebildeten Arbeitskräfte wollen, müssen öffentliche Hochschulen und Universitäten gebührenfrei werden« (S. 305) – so etwas gab es in der DDR.
Selbstverständlich sagt Sanders dem Klimawandel den Kampf an.
Weniger Selbstverständlich wird für viele Leser sein, dass Sanders im siebten Kapitel »eine echte Strafrechtsreform« fordert (S.357). Allein im Jahr 2015 haben »Polizisten … mindestens 102 unbewaffnete Schwarze erschossen« (S. 360). »Die Zahl erwachsener Häftlinge in privaten Gefängnissen [ist] im Zuge des Trends zur Privatisierung, der einen Sektor nach dem anderen erfasst hat, seit 1990 um fast 1600 Prozent gestiegen« (S. 366). Auch das sollte uns eine Warnung sein.
»Einwanderungsreform jetzt!« fordert Sanders im achten Kapitel. Dort ist zu erfahren: »… zwischen der Lebenserwartung der reichsten Amerikaner und derjenigen der ärmsten Amerikaner besteht ein Unterschied von 15 Jahren bei den Männer und 10 Jahren bei Frauen« (S. 403).
Das Schlusskapitel ist einem Thema gewidmet, das viel zu selten und zu nebensächlich behandelt wird: »Die Medienkonzerne und die Bedrohung unserer Demokratie«. Sanders berichtet, dass im Jahr 1983 die größten fünfzig Unternehmen neunzig Prozent der Medien kontrollierten. »Infolge einer Vielzahl von Fusionen und Übernahmen kontrollieren heute aber nur noch sechs Konzerne neunzig Prozent dessen, was wir zu sehen, hören und lesen bekommen. Das ist empörend und stellt eine reale Gefahr für unsere Demokratie dar« (S. 444).
Soweit ein kleiner Auszug aus Sanders Revolutionsbuch. Selbstverständlich gibt es auch etwas zu kritisieren. Ich hätte mir für den Leser, der so wie ich mit den Verhältnissen in den USA nicht bewandert ist, einige aufklärende Anmerkungen gewünscht. Manches könnte aus meiner Sicht kürzer sein, manches interessiert vielleicht den deutschen Leser nicht, so habe ich einige Seiten überschlagen. Auf Sanders Revolutionsagenda findet sich auch keine Forderung nach Vergesellschaftung. Wäre wohl auch zu utopisch. Aber alles in allem und kurz gesagt: Unbedingt lesen und überdenken!
Bernie Sanders: »Unsere Revolution. Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft«, übersetzt von Frank Born, Karen Genschow und Klaus-Dieter Schmidt, Ullstein, 464 Seiten, 24 €
Sanders schildert zunächst seinen Lebenslauf und dann in zehn Kapiteln seine »Agenda für ein neues Amerika«. Da liest man Erstaunliches.
Zunächst geht es um die »Überwindung der Oligarchie«. Bisher hatte ich von Oligarchie und Oligarchen nur im Zusammenhang mit Russland und der Ukraine gelesen. Sanders bringt zu Papier: »Die politische Macht der [US-]Oligarchen beschränkt sich keineswegs auf Wahlkampfspenden und die Möglichkeit, Wahlen zu beeinflussen. Als Eigentümer von Medien, Thinktanks, Lehrstühlen und politischen Tarnorganisationen beeinflussen sie die öffentliche Meinung, die Innen- und Außenpolitik der USA in einer Weise, die nur von wenigen erkannt wird« (S. 96). Erschreckend ist die geringe Wahlbeteiligung in den USA. So heißt es von den Zwischenwahlen 2014, dass »erstaunliche 63 Prozent der US-Bevölkerung nicht zur Wahl« gingen (S.98).
Im zweiten Kapitel wird »der Niedergang der amerikanischen Mittelschicht« geschildert: »In meinen Augen ist die Bekämpfung der Vermögens- und Einkommensungleichheit die große moralische Aufgabe unserer Zeit, sie ist dir große ökonomische Aufgabe unserer Zeit, sie ist die große politische Aufgabe unserer Zeit« (S. 120). Der Leser erfährt auch, dass »mehr als die Hälfte der älteren Arbeitnehmer« in den USA »keine Rücklagen für ihren Ruhestand gebildet hat … Mehr als die Hälfte aller älteren Arbeitnehmer hat überhaupt keine Altersvorsorge. Nichts.« (S. 130)
Unter der Überschrift: »Der manipulierten Wirtschaft ein Ende machen« heißt es in Kapitel drei zum Beispiel: »Es geht um Firmen im ganzen Land, die horrende Gewinne machen, weil sie ihren Angestellten ungenügende Löhne zahlen und sich darauf verlassen, dass der Steuerzahler in die Bresche springt und sie subventioniert« (S. 143). Kommt mir bekannt vor. Sanders spricht aus, was andere verschweigen: »Man muss kein Soziologe sein, um den Zusammenhang zwischen Armut, Verzweiflung und Verbrechen zu verstehen« (S. 148). Der Leser erfährt über die USA viel, was er bisher nicht kannte, ja wovon er nicht geglaubt hätte, dass es dies im Mutterland der Demokratie gibt. Dazu gehört, dass nach dem Börsenkrach 2008 »Tausende Amerikaner in Sacramento, Fresno, Tampa Bay und Reno Zeltstädte errichteten, weil sie keinen anderen Platz zum Leben hatten. Weitere Millionen Menschen wohnten in ihren Autos oder bei einem Freund auf der Couch« (S. 249).
Kapitel vier ist der Forderung nach Gesundheitsversorgung für alle gewidmet. Sanders plädiert für eine »Einheitskasse«. In der DDR gab es sie.
Unter der Überschrift: »Höhere Bildung bezahlbar machen« sagt Sanders einleitend in Kapitel fünf: »Wenn wir in der wettbewerbsintensiven Weltwirtschaft bestehen und die am besten ausgebildeten Arbeitskräfte wollen, müssen öffentliche Hochschulen und Universitäten gebührenfrei werden« (S. 305) – so etwas gab es in der DDR.
Selbstverständlich sagt Sanders dem Klimawandel den Kampf an.
Weniger Selbstverständlich wird für viele Leser sein, dass Sanders im siebten Kapitel »eine echte Strafrechtsreform« fordert (S.357). Allein im Jahr 2015 haben »Polizisten … mindestens 102 unbewaffnete Schwarze erschossen« (S. 360). »Die Zahl erwachsener Häftlinge in privaten Gefängnissen [ist] im Zuge des Trends zur Privatisierung, der einen Sektor nach dem anderen erfasst hat, seit 1990 um fast 1600 Prozent gestiegen« (S. 366). Auch das sollte uns eine Warnung sein.
»Einwanderungsreform jetzt!« fordert Sanders im achten Kapitel. Dort ist zu erfahren: »… zwischen der Lebenserwartung der reichsten Amerikaner und derjenigen der ärmsten Amerikaner besteht ein Unterschied von 15 Jahren bei den Männer und 10 Jahren bei Frauen« (S. 403).
Das Schlusskapitel ist einem Thema gewidmet, das viel zu selten und zu nebensächlich behandelt wird: »Die Medienkonzerne und die Bedrohung unserer Demokratie«. Sanders berichtet, dass im Jahr 1983 die größten fünfzig Unternehmen neunzig Prozent der Medien kontrollierten. »Infolge einer Vielzahl von Fusionen und Übernahmen kontrollieren heute aber nur noch sechs Konzerne neunzig Prozent dessen, was wir zu sehen, hören und lesen bekommen. Das ist empörend und stellt eine reale Gefahr für unsere Demokratie dar« (S. 444).
Soweit ein kleiner Auszug aus Sanders Revolutionsbuch. Selbstverständlich gibt es auch etwas zu kritisieren. Ich hätte mir für den Leser, der so wie ich mit den Verhältnissen in den USA nicht bewandert ist, einige aufklärende Anmerkungen gewünscht. Manches könnte aus meiner Sicht kürzer sein, manches interessiert vielleicht den deutschen Leser nicht, so habe ich einige Seiten überschlagen. Auf Sanders Revolutionsagenda findet sich auch keine Forderung nach Vergesellschaftung. Wäre wohl auch zu utopisch. Aber alles in allem und kurz gesagt: Unbedingt lesen und überdenken!
Bernie Sanders: »Unsere Revolution. Wir brauchen eine gerechte Gesellschaft«, übersetzt von Frank Born, Karen Genschow und Klaus-Dieter Schmidt, Ullstein, 464 Seiten, 24 €
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