Der Ökonom Enrique Dussel Peters im Gespräch über die Herausforderung durch den US-Präsidenten für Mexiko
Neues Deutschland v. 15.2.2017
Vor Monaten sagte Mexikos Präsident Peña Nieto, die Transpazifische Partnerschaft (TPP) werde notfalls auch ohne die USA fortbestehen. Macht die TPP ohne die USA Sinn?
Die TPP ist tot. Die TPP macht ohne die USA überhaupt keinen Sinn. Sie umfasst(e) zwölf Länder, davon wollen elf in die USA exportieren. Niemand will nach Australien, Vietnam oder Mexiko exportieren. Ein TPP-Vertrag ohne den wichtigsten Konsumenten ist für keine der elf Nationen von wirklichem Interesse.
Was bedeutet Trump für Mexiko?
Es ist ganz wichtig, Trump viel ernster zu nehmen, als das bisher geschehen ist. Es gibt Leute, die in den vergangenen Monaten gesagt haben: Da ist der Kandidat Trump, der Präsident Trump wird anders sein. Dahinter steht die Idee, der Präsident wird sich beruhigen, normalisieren. Aber Trump ist bisher sehr kohärent gewesen. Seit Juni des vergangenen Jahres hat er beständig über eine Palette von etwa 20 Themen gesprochen: Themen, die Mexiko, das nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, China betreffen. Trump bedeutet eine enorme Herausforderung. Er stellt eine politische Rationalität in den Vordergrund, keine ökonomische. Viele Leute verstehen das nicht, es irritiert sie.
Gilt das auch für Mexikos Politiker?
Ja. Noch vor einigen Tagen erklärte Mexikos Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, er wolle Trump von den Vorteilen NAFTAS überzeugen. Aber die Argumentation von Trump ist nicht technisch-ökonomischer Art. Darum verstehen ihn die mexikanischen und lateinamerikanischen Technokraten nicht. Und umgekehrt versteht Trump sie nicht. Es geht nicht um verhandeln. Für Trump ist nicht relevant, ob aus NAFTA etwas entstehen könnte. Das ist nicht seine Diskussion, nicht sein Interesse. Er stellt das politische Urteil vor das ökonomische. Ein interessanter Aspekt: die Rückgewinnung des politischen Primats. Nach Jahrzehnten, in denen ein fünfjähriges Kind aufsagen konnte – ich meine das sarkastisch – dass der Globalisierungsprozess etwas Gutes für die Welt sei.
Wie realistisch ist angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen Trumps Aussage, den Freihandelsvertag NAFTA mit Kanada und Mexiko eventuell sogar aufzulösen?
Aus der politischen Perspektive hat natürlich jedes der drei NAFTA-Länder zu jedem Zeitpunkt das Recht zu sagen, ich will nicht mehr, das interessiert mich nicht. Es gibt viele technische Optionen, NAFTA unmöglich zu machen, wenn ein Land kein Mitglied mehr sein will. Ich glaube, der NAFTA-Artikel 2205 besagt, jeder der drei Vertragsstaaten kann seinen Austrittswunsch aus NAFTA erklären und hat dann sechs Monate Zeit für diesen Schritt. Trump kann also nicht nur drohen, sondern ein Schreiben an NAFTA richten und sagen, die USA treten aus. Das muss über die Legislative in den USA laufen, wo die Republikaner die Mehrheit haben. Da sie nicht mit Trump gleichzusetzen sind, könnte das dort möglicherweise scheitern.
Aber die politische Entschlossenheit der Trump-Administration ist viel relevanter. In diesen sechs Monaten kann NAFTA auseinanderfallen. Trump kann Steuern, Zölle erheben oder beispielsweise die Überprüfung der von Mexiko in die USA exportierten Avocados anordnen. Wenn Tonnen über Tonnen Avocados dann eine Woche an der Grenze geprüft werden, kommen sie nie in den USA an. Das sind relativ einfache Vorgehen, NAFTA zu unterminieren. Und das könnte schnell vonstatten gehen.
Welche Folgen wären für Mexiko zu erwarten, wenn es dazu käme? Im Moment sind ja noch Neuverhandlungen wahrscheinlicher.
Die kurz- und mittelfristige Auswirkung auf Mexiko, wir sprechen von mehreren Jahren, wird sehr negativ sein. Denn die Strategie der Regierung Peña Nieto war sehr eindeutig. Sie setzte darauf, Mexiko in die TPP zu integrieren und NAFTA explizit nicht in Frage zu stellen. Schon vor 20 Jahren wäre es absolut wichtig gewesen, NAFTA in bestimmten Bereichen neu zu verhandeln und zu überdenken. Dies ist eine der großen Schwächen Mexikos und Peña Nietos ab dem 20. Januar. Mexiko hat nicht eine einzige öffentliche Auswertung von NAFTA vorgenommen, nicht eine. Die USA machen dies periodisch, zum Beispiel in Veröffentlichungen des United States International Trade Comission, der United States Trade Representative (USTR), auch die US-Legislative wertet NAFTA regelmäßig aus. Aber es gibt keine Diskussion, kein Dokument, wo jemand sagen könnte, das ist die Haltung der mexikanischen Regierung. Heute weiß Mexiko nicht, das meine ich ganz ernst, was das Land vor 23 Jahren verhandelt hat. Es gibt keine Klarheit: Was sollte verhandelt werden? Was hat gut funktioniert, was nicht? Welche Sektoren haben profitiert, welche verschwanden? Welche Regionen profitierten? Die Position bei Verhandlungen wird daher zu 100 Prozent defensiv sein.
Die kurz- und mittelfristige Auswirkung auf Mexiko, wir sprechen von mehreren Jahren, wird sehr negativ sein. Denn die Strategie der Regierung Peña Nieto war sehr eindeutig. Sie setzte darauf, Mexiko in die TPP zu integrieren und NAFTA explizit nicht in Frage zu stellen. Schon vor 20 Jahren wäre es absolut wichtig gewesen, NAFTA in bestimmten Bereichen neu zu verhandeln und zu überdenken. Dies ist eine der großen Schwächen Mexikos und Peña Nietos ab dem 20. Januar. Mexiko hat nicht eine einzige öffentliche Auswertung von NAFTA vorgenommen, nicht eine. Die USA machen dies periodisch, zum Beispiel in Veröffentlichungen des United States International Trade Comission, der United States Trade Representative (USTR), auch die US-Legislative wertet NAFTA regelmäßig aus. Aber es gibt keine Diskussion, kein Dokument, wo jemand sagen könnte, das ist die Haltung der mexikanischen Regierung. Heute weiß Mexiko nicht, das meine ich ganz ernst, was das Land vor 23 Jahren verhandelt hat. Es gibt keine Klarheit: Was sollte verhandelt werden? Was hat gut funktioniert, was nicht? Welche Sektoren haben profitiert, welche verschwanden? Welche Regionen profitierten? Die Position bei Verhandlungen wird daher zu 100 Prozent defensiv sein.
In Mexiko sind die NAFTA-Auswirkungen beispielsweise auf die Landwirtschaft häufig kritisiert worden. Könnte eine mögliche Neuverhandlung von Teilaspekten eine Chance für Mexiko sein?
NAFTA hat das Land polarisiert. Es gibt eine kleine Gruppe von Unternehmen, Sektoren, Regionen, die sehr großen Nutzen daraus gezogen haben. Die anderen 99 Prozent nicht. Beispielsweise im Spielzeugsektor, in der Textil- und Schuhbranche, in der Landwirtschaft sind ganze Bereiche verschwunden. Es gibt sie nicht mehr, das ist bereits Arbeit für die Historiker. Der TPP hätte die Polarisierung übrigens weiter verschärft.
Wie steht Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto zu Trump?
Peña Nieto hat einen Aufruf zur nationalen Einheit gemacht. Alle zusammen gegen die USA, gegen Trump und für NAFTA. Das ist ein inhalts- und strategieloser Aufruf. So als ob auf einmal alle, Rechte, Zentrum, Linke, alle, die vorher für und gegen NAFTA waren, den Freihandelsvertrag und vor allem den Automobilsektor nun geschlossen unterstützen müssten. So als ob NAFTA aus dem Automobilsektor bestünde. Die dort geschaffene Beschäftigung macht 1,3 oder 1,4 Prozent der Beschäftigung in Mexiko aus. Vielleicht sollten wir auch auf die anderen 99 Prozent gucken. Es kann nicht sein, dass wir nun alle notgedrungen für NAFTA sind, damit Ford nach Mexiko kommt und die Arbeiter in San Luis Potosí ausbeutet.
Ist Peña Nieto quasi eine mexikanische lame duck (lahme Ente)?
Sozusagen. Ein konjunkturelles und zugleich zyklisches Problem kommt aktuell dazu: Die sechsjährige Amtszeit der mexikanischen Regierung neigt sich dem Ende zu. Alles spricht dafür, dass es für Mexiko in Verhandlungen keinen Blumentopf zu gewinnen gibt. Mexiko ist konjunkturell und strukturell ein sehr schwacher Handelspartner. Ich befürchte, Trump wird auf seinen Themen vom ersten Tag an bis zum Ende seiner Administration bestehen.
Was bedeutet das für das Exportmodell Mexikos?
Seit 1989 ist Mexiko eines der erfolgreichsten Vorbilder einer an Exporten ausgerichteten Entwicklung gewesen. Der Automobilsektor ist das Beispiel schlechthin dieses Strukturwandels. 80 Prozent der Produktion von Autoteilen und Autos in Mexiko gehen in den Export und zwar fast komplett in die USA. Ist ein Automobilsektor ohne Export in die USA denkbar? Nein. 80 Prozent sind dann überflüssig. In der Elektronikbranche, in einem Dutzend anderer Sektoren, ist Mexiko eine Exportplattform. Da ist nichts für den internen Konsum bestimmt. Nun gibt es eine enorme Unsicherheit für mexikanische und ausländische Investoren. Die Ausländer investieren in Mexiko, um zu exportieren. Warum soll ich in Mexiko investieren, wenn ich nicht exportieren kann, vor allem in die USA?
Kann China den Platz der USA einnehmen? Wäre das für Mexiko sinnvoll?
Strategisch und in allgemeiner Perspektive kann China eine stärkere Rollen spielen, Ja. China und Xi Jinping sind sehr intelligent vorgegangen. Im November gab es ein Treffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) in Lima. Und mit Xi Jinping war erstmals ein chinesischer Präsident in Davos. Aber Vorsicht. Es ist Mode zu sagen, Trump wird China viel Spielraum überlassen und China wird sofort strategisch diesen Raum besetzen. In der Praxis wird das wesentlich schwieriger sein. China ist ein am Handel, an Investitionen interessiertes Land. Es hat aber eine spezifisch chinesische Globalisierungsstrategie, die von den meisten Ländern nicht verstanden wird.
Können Sie das erläutern?
Du kannst nicht einfach sagen, gestern habe ich nach Houston exportiert und übermorgen exportiere ich nach Shenzhen. China hat eine bestimmte Entwicklungsvision, einen allgegenwärtigen öffentlichen Sektor. Aus lateinamerikanischer Perspektive lässt China den Subkontinent vielfach auf eine Produktionsstruktur von vor 50 Jahren zurückfallen. Lateinamerika exportiert Soja, Minerale, Fleisch, noch ein paar andere Produkte. Ohne Wertschöpfung, ohne implizierte Technologie. Und China selbst exportiert Autos, Telekommunikation, Leiterplatten (PCB). Es gibt eine enorme technologische Kluft, die Lateinamerika und Mexiko so nicht mit den USA oder der EU haben. Daher geht das nicht einfach, Herrn Trump nach New York zu verabschieden und Herzlich Willkommen Herr Xi Jinping zu sagen.
Könnte die Europäische Union eine bessere Option für Mexiko und Lateinamerika sein?
Der politische, ökonomische, kulturelle Aufstieg Chinas bringt die historischen Beziehungen zwischen beispielsweise den USA und Mexiko, Brasilien und Argentinien oder auch die Guatemalas mit El Salvador durcheinander beziehungsweise hinterfragt sie. Die Präsenz Chinas hat zu einer zunehmenden Desintegration Lateinamerikas geführt. Die EU gehört zu den Blöcken, die angesichts der chinesischen Präsenz am meisten verloren haben, auch strategische Präsenz. Von einem relevanten Dialog EU – Lateinamerika ist nicht viel zu bemerken. Nicht für Brasilien, Argentinien, nicht für Mexiko. Das hat natürlich auch mit dem internen Prozess der EU zu tun. Freundlich gesprochen kann von einer relativ konstanten und stabilen Beziehung Lateinamerika-EU gesprochen werden – mit abnehmender Tendenz.
Das Gespräch führte Gerold Schmidt
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