In »Elle« von Paul Verhoeven erscheint die Perversion allgemeingültig. Isabelle Huppert macht das Ganze erträglicher
Von Peer Schmitt
Die Vergewaltigung wird mehrmals von ihr reinszeniert (Laurent Lafitte und Isabelle Huppert)
Foto: © 2016 SBS Productions, Twenty Twenty Vision Filmproduktion, France 2 Cinéma & Entre Chien et Loup
|
»Elle«, Regie: Paul Verhoeven, F/D 2016, 130 min, bereits angelaufen
Da
die Berlinale des 90er-Jahre-Revivals glücklich überstanden ist, soll
nicht verschwiegen werden, dass in der zweiten Woche des Festivaltumults
die aktuelle Regiearbeit des genialischen Chefs der Internationalen
Jury in den deutschen Kinos anlief. Und mit glücklicher Wendung ist
»Elle« tatsächlich Paul Verhoevens bester Film seit … ja, genau ….
»Starship Troopers« (1997). Die luzide Trashigkeit dieses Films des
größten holländischen Filmemachers aller Zeiten, das Oszillieren
zwischen herben Geschmacklosigkeiten und dem Sublimen, die Vorliebe für
sexistischen Schmock und Techno-Fetisch-Perversion, das alles hat noch
einmal kräftig Fahrt aufgenommen für ein reifes Alterswerk.Kalkuliert
skandalträchtig beginnt die Farce mit der recht expliziten Darstellung
der Vergewaltigung von Isabelle Huppert durch einen schwarz maskierten
Mann. Sie nimmt das alles in allem verdächtig gelassen hin, »wie eine
wahre Frau«, mit allgemeinem Verderben im Hintersinn, aber nicht ohne
fortan mit einer Axt neben sich auf dem Kopfkissen zu schlafen. Isabelle
Huppert ist natürlich auch nicht irgendwer, sondern beinahe schon so
etwas wie ein Symbol, letzte Vertreterin eines Filmstartyps
alteuropäisch intellektualistischer Schule. Wo immer die Sachen
anbrannten, war sie irgendwie dabei. Sei es das Ausfaden der Libertinage
in den 70ern – »Glissements progressifs du plaisir« (Alain
Robbe-Grillet, 1974) und »Les valseuses« (Bertrand Blier, 1974) – oder
die großen Krisenbestandsaufnahmen der 80er: »Sauve qui peut (la vie)«
und »Passion« (1980 bzw. 1982) von Jean-Luc Godard, »Coup de torchon –
Der Saustall« (Bertrand Tavernier, 1981), »Heaven’s Gate« (Michael
Cimino, 1980) … Allein was Huppert in den frühen 80ern gemacht hat,
reichte für die Aufnahme in den ewigen Kanon. Zudem können nicht
allzuviele von sich behaupten, sowohl Anne Bontë, die Kameliendame, Emma
Bovary, die Charlotte aus den »Wahlverwandtschaften« als auch Marie
Curie und Elfriede Jelineks »Klavierspielerin« in Filmen dargestellt zu
haben.
Verhoeven wiederum ist Miterfinder eines Trash, dessen
Intellektualismus nicht von außen herangetragen oder hineingeschmuggelt,
sondern in der Sache selbst angelegt ist. Vielleicht ist er deshalb so
häufig missverstanden worden. Selbst seine ganz großen Pleiten wie
»Showgirls« (1995) gelten mittlerweile manchen als verkannte satirische
Meisterwerke. Maßgeblich aber bleibt seine Sci-Fi-Trilogie »RoboCop«
(1987), »Total Recall« (1990) und eben »Starship Troopers«; vornehmlich
parodistische, »karnevaleske« Filme, in denen es von grotesken Körpern
nur so wimmelt. Cartoons.
Darf nun eine Farce in einer
Vergewaltigung ihren Ausgang nehmen? Eine schwarze Katze faucht in die
Kamera, bevor auf Isabelle Huppert geschnitten wird, die, mit dem Rücken
zur Kamera, Zeitung lesend und Barock-Muzak aus dem Radio hörend, ein
gesundes Frühstück (Obst und Mineralwasser) einnimmt, dann besagte
ausgesperrte Katze aus dem Garten ins Zimmer lässt und mit ihr den
maskierten Vergewaltiger. Später schimpft sie ein bisschen mit der
Katze: »Du hättest ihm ja nicht gleich mit den Krallen die Augen
rausreißen müssen, aber ein paar Kratzer hätten schon sein dürfen.«
Die Vergewaltigungsszene wird zum Ausgangspunkt eines mörderischen
Plans der von Huppert gespielten »Femme Fatale«. Ein Plan, der Chiffre
für die auffällig weit verbreitete Perversion ist. Perversion, zunächst
als die sexuelle Handlung, die nach einem Programm/Skript ausgeführt
wird, das für den Blick und die Zufriedenheit einer äußeren Autorität
geschrieben ist. Die Perversion gefällt sich als Instrument dieser
zweiten Ordnung (die hier mit der generellen zweiten Ordnung der Ironie
zusammenfällt).
Verhoeven wäre nicht Verhoeven, wenn er dabei
nicht genüsslich übertreiben, anhäufen, das »Zuviel« zelebrieren würde.
Nicht nur, dass die Huppert-Figur ihre eigene Vergewaltigung wiederholt
reinszeniert und rollenkonform in jeder Lebenslage schamlos lügt und
betrügt, sie ist auch von einem ganzen Haufen hinreichend dankbar
perverser Leute umgeben (sorgfältig am Esstisch der weihnachtlichen
Familienfeier gewissermaßen thematisch gruppiert) und nicht zuletzt die
Tochter eines zu lebenslanger Haft verurteilten Amokläufers und
Serienmörders.
Die Anhäufung gibt der Perversion den Anschein
katastrophaler Selbstverständlichkeit, unhintergehbarer
Allgemeingültigkeit. Das störrisch Distanzierte von Isabelle Huppert
individualisiert diese Selbstverständlichkeit wieder, verleiht ihr eine
groteske Komik, die das Ganze erträglicher macht. Ihre konsequent
amoralischen Handlungen tragen dabei natürlich das Warnmerkmal des
»Professionals«: »Zu eventueller Nachahmung daheim unter keinen
Umständen empfohlen«.
»Elle« ist zunächst einmal so was wie die
farcenhafte Zuspitzung eines ohnehin schon farcenhaften Chabrol-Films.
Karikatur der Karikatur. Die »Femme fatale«-Figur ist bereits glücklich
geschieden, frischgebackene Großmutter und nicht zuletzt erfolgreiche
Unternehmerin. Zusammen mit ihrer besten Freundin (Anne Consigny), die
von ihr selbstverständlich betrogen wird, leitet sie eine Firma, die
Computerspiele designt und produziert. Die Endphase der Produktion eines
semipornographischen Fantasy-Computerspiels (routinemäßige
Vergewaltigung als Rollenspiel) zieht sich als roter Faden durch »Elle«.
Verhoeven
lässt es sich nicht nehmen, Sequenzen aus dem blutrünstigen Spiel
ausführlich zu zelebrieren. Zum einen als Reminiszenzen auf die
grotesken Körper seiner eigenen maßgeblichen Filme, zum anderen als
seine Sicht auf das im wesentlichen programmierte und nicht mehr
fotografierte Postcinema der Gegenwart.
Der Programmierstar der
Firma bezichtigt in einer Szene seine Chefin (Huppert), deren
vornehmlich literarisch-verlegerischer Hintergrund beeinträchtige ihre
professionelle Urteilskraft (sie ist auf Zeichenhaftigkeit des Produktes
fixiert und nicht auf seine praktische Anwendung, seine
»Spielbarkeit«). Das lässt sie sich natürlich nicht zweimal sagen.
Angreifer
zerschlagen die Fenster einer Flüchtlingsunterkunft am Berliner
Tierheim. Brandstifter legen Feuer in einem Flüchtlingsheim in Buch. Ein
Waffenbesitzer schießt mit seiner Luftdruckpistole auf die Fenster
eines Asylbewerberheims in Neukölln. Das alles sind Fälle aus einer
Statistik des Berliner Senats, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Demnach
gab es im Jahr 2016 insgesamt 50 Übergriffe auf Berliner Einrichtungen,
in denen Geflüchtete untergebracht sind. Ein Großteil der Taten fand
in den Ostbezirken statt.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25779524 ©2017
Angreifer
zerschlagen die Fenster einer Flüchtlingsunterkunft am Berliner
Tierheim. Brandstifter legen Feuer in einem Flüchtlingsheim in Buch. Ein
Waffenbesitzer schießt mit seiner Luftdruckpistole auf die Fenster
eines Asylbewerberheims in Neukölln. Das alles sind Fälle aus einer
Statistik des Berliner Senats, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Demnach
gab es im Jahr 2016 insgesamt 50 Übergriffe auf Berliner Einrichtungen,
in denen Geflüchtete untergebracht sind. Ein Großteil der Taten fand
in den Ostbezirken statt.
– Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/25779524 ©2017