Freitag, 30. November 2012
Euro - um jeden Preis ?
Euro - bis zum bitteren Ende? - Teil I
Von Hans Fricke
Quelle: NRhZ
Auf Kommunisten-online am 27. November 2012 – Je offensichtlicher es wird, dass der Euro ein misslungenes Experiment und die sogenannte Euro-Rettung ein Faß ohne Boden ist, umso mehr lobpreisen Konzernmedien, Politiker der Berliner Regierungskoalition, regierungsfreundliche Ökonomen und „Finanzexperten“ in Talk-Shows oder Interviews den Euro. Er sei gut für Deutschland, denn ohne ihn würde es unserer Industrie viel schlechter gehen. Ohne die Gemeinschaftswährung wäre die D-Mark so stark geworden, dass unsere Exporteure große Schwierigkeiten hätten, ihre Produkte ins Ausland zu verkaufen. Deutschland sei deshalb ein Profiteur des Euro. Zudem bringe er Preistransparenz und planbare Handelsbeziehungen.
Für den freien Journalisten, Autor der Bücher „Der Staatsbankrott kommt“ sowie „Der Crash der Lebensversicherung“ und Fachberater (Wirtschaft & Finanzen), Dr. hc. Michael Grandt, ist das jedoch Schönfärberei und pure Volksverdummung, denn vergleicht man diese Aussagen mit den ökonomischen Realitäten, kommt man zu ganz anderen Ergebnissen.
Die Fakten:
1. Die Börsen in der Eurozone haben sich in diesem Jahr schlechter entwickelt als die übrigen Märkte weltweit.
2. Der EuroStoxx 50 stieg seit Einführung des Euro um 56 Prozent (3,2 Prozent Jahresertrag); der Jahresertrag des DAX lag bei 6,2 Prozent; der Schweizer SMI stieg aber im gleichen Zeitraum um 172 Prozent (7,5 Prozent Jahresertrag) und der schwedische OMX erzielte ein Plus von 234 Prozent (9,1 Prozent Jahresertrag).
3. Auf der Liste der 20 finanzschwächsten Nationen der Welt stehen schon sechs von 16 Staaten aus der Europäischen Währungsunion.
4. Die Nicht-Euro-Währungen blieben stabiler: Die Schwedische Krone notiert zum Euro fast auf dem gleichen Stand wie 1997 und der Schweizer Franken hat sich sogar um 28 Prozent gegenüber der Gemeinschaftswährung verteuert.
5. Dass eine starke Währung ein Problem für den Export darstellt, stimmt nicht. Beispiele Schweden und Schweiz: Trotz auffallend starker Währungen erzielen beide Länder große Erfolge im Außenhandel, ihre Exportüberschüsse sind sogar noch höher als die Deutschlands.
6. Das Wirtschaftswachstum des Euro-Verweigerungslandes Schweden stieg seit 1997 im Durchschnitt um 2,5 Prozent, beim Nicht-EU-Mitglied Norwegen waren dies 2,2 Prozent.
Deutschland als größte Ökonomie und als Wirtschaftsmotor der EU kam gerade mal auf kümmerliche 1,3 Prozent.
7. Obwohl die Zinsen in der Europäischen Währungsunion immer wieder gesunken sind und damit auch die Finanzierungskosten für die einzelnen EU-Staaten, ist deren Schuldenquote seit 1997 nie merklich zurückgegangen. Hingegen reduzierte die Schweiz ihre Schuldenlast auf 40 Prozent, die Schweden ebenfalls von 70 auf 40 Prozent; für Deutschland wurde für 2011 eine Schuldenquote von knapp 80 Prozent prognostiziert.
Fazit:
Die Europäische Währungsunion lädt dazu ein, höhere Schulden zu machen und erweist sich immer mehr als Risikogemeinschaft.
„Lügen mit Zahlen“
Obwohl diese Fakten der Bundesregierung bekannt und allen Mitgliedern des Bundestages zugänglich sind, werden sie der Bevölkerung verschwiegen, um deren Vertrauen in den Euro und in die angebliche Notwendigkeit, ihn mit Hilfe immer neuer Milliarden zu retten, nicht zu erschüttern.
Mehr noch, Gerd Bosbach, Prof. für Statstik, Mathematik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz, zufolge wird gelogen, was das Zeug hält. In seinem Buch „Lügen mit Zahlen“ weist er an konkreten Beispielen nach, dass viele Politiker bewusst mit Zahlen lügen, um das durchzusetzen, was sonst nicht durchsetzbar wäre.
Eine beliebte Lüge sei zum Beispiel das Hochrechnen kleiner Zahlen über viele Jahre hinweg. Angela Merkel hatte zum Beispiel gelobt, 18 Milliarden Euro mehr in die Bildung zu stecken. Sie erwähnte jedoch nicht, dass das Bildungswesen sich diese Summe mit der Forschung teilen muss. Und sie erklärte auch nicht, dass die genannte Summe sich nicht auf das kommende Jahr bezieht, sondern über neun Jahre gestreckt wird. Unter dem Strich kommt für das Bildungswesen deutlich weniger als zwei Milliarden Euro pro Jahr heraus.
Der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, steht ihr beim Lügen mit Zahlen in nichts nach. Auf einer früheren Kundgebung, damals noch Regierungschef in NRW, schwärmte er davon, dass in NRW 2 000 Lehrer neu eingestellt wurden, der Jugend also die angemessene Aufmerksamkeit geschenkt werde. Das war laut Prof. Gerd Bosbach „zweifelos richtig - richtig war aber auch, dass im selben Jahr 2 200 Lehrer pensioniert wurden. Auch wenn es formal nicht stimmt, ich nenne das Lügen mit Zahlen“.
In einem anderen aktuellen Fall werde behauptet, in der Geschichte der BRD habe es noch nie so hohe Gewerbesteuereinnahmen gegeben wie heute. Der Trick ist, dass die Preise in den vier Jahren, die zum Vergleich herangezogen wurden, um gut sechs Prozent gestiegen sind. Und wenn man diese sechs Prozent abzieht, kommt wiederum das Gegenteil heraus. Die Einnahmen durch die Gewerbesteuer sind gegenüber dem Jahr vor der Finanzkrise real zurückgegangen. Und bei Statistiken über die Geldentwicklung werde einfach die Inflationsrate unterschlagen und vieles andere mehr. Das führe dazu, dass uns zum Beispiel weisgemacht wird, die Renten seien gestiegen - wenn man die Preissteigerungen abziehe, komme aber das Gegenteil heraus. Sie seien gesunken!
„Banken sind die Feudalherren unserer Zeit“
Zu den Warnern vor den Gefahren der Fortsetzung der Politik zur Rettung des Euro, deren Zahl immer größer wird, gehört Ludwig Poullain, einst Vorstandsvorsitzender der WestLB und Präsident des deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Er traut der Politik kein weitsichtiges Management der Finanzkrise zu. „Ich glaube nicht, dass uns die Regierenden durch kluges Handeln und radikale Sparprogramme aus der Krise führen“, sagte er im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Capital (Ausgabe 05/2012, EVZ 19. April)
Aus der Sicht des 92jährigen wird es den politischen Akteuren nicht gelingen, die Finanzbranche zu regulieren. „Das ist hilflos“, stellte der ehemalige Bankier fest. Europas Regie-rungen würden nie zu einer einheitlichen Meinung kommen, etwa was die Beschneidung von Größe und Geschäft der Banken angehe. „Banken sind die Feudalherren unserer Zeit - sie bedienen sich auf Kosten des Volkes.“
Während er sich noch gut an einen respektvollen Austausch mit Willy Bandt erinnern kann, hält er Angela Merkel für keine gute Zuhöherin. Bei einem Auftritt Merkels in einer Diskussionsrunde sei er „aus dem Sessel aufgesprungen und brauchte erst mal einen Whisky“, erzählte Poullain. Ihre Art habe ihn verärgert. „Die Frau ist mir zu geschickt - sie gibt auf keine Frage eine konkrete Antwort.
Rückblickend auf sein langes Leben bedauert er, dass in unserem Land die Debattenkultur gestorben sei. Diskussionen, die per Definition ein Austausch von Intelligenz sein sollen, sind verpönt. Falls sich einer der Wortführer der Politik einmal eine eigene Meinung gebildet haben sollte, werde sie kein noch so überzeugendes Argument jemals ändern können.
„Erst etwa ein Jahr nach ihrem Amtsantritt“, sagte Poullain, „ist mir die Art der Bundeskanzlerin Merkel, durch Verschweigen ihrer Absichten und durch verstecktes Tun zu herrschen, aufgestoßen. Wenn sie es für unumgänglich hält, die Meinungsbildung der Bürger in eine ihr genehme Richtung zu lenken, so geschieht dies nicht etwa durch eine klare Vorgabe und die Darlegung der Gründe. Vielmehr pflegt sie, uns nur etwas kurz zu verkünden, die Energieerzeugung sei auf den Kopf zu stellen, oder auch, dem notleidenden Griechenland sei Hilfe zu gewähren, um dann anstelle einer fälligen Begründung den Nachsatz anzuhängen, dies sei alternativlos. Mit diesem Hinweis errichtet sie offenkundig Verbotsschilder für Andersdenkende. Nachdem mir dieses Taktieren bewusst geworden ist, lehne ich mich dagegen auf und zwinge mich dazu, das mir von ihr Vorgesetzte nicht mehr als gegeben hinzunehmen und das von ihr zum Tabu Erklärte besonders sorgfältig durch meine Hirnwindungen zu drehen.“
Ich meine, es ist allerhöchste Zeit, dass die Bundesbürger in Ost und West es in dieser Beziehung Ludwig Poullain gleichtun.
Ein moralischer Zerfallsprozess
Aber auch an Bankkollegen lässt der hoch betagte ehemalige Bankier kein gutes Haar: „Sie sind oberflächlich und haben weniger Fachwissen als ein Ingenieur.“ Bei der Vorbereitung des Festaktes zur Verabschiedung des langjährigen NordLB-Chefs Manfred Bodin kam es im Juli 2004 zum Eklat. Als einer der Festredner sollte Ex-WestLB-Chef Ludwig Poullain über „Bank und Ethos? Maxime oder Lästigkeit“ sprechen. Doch nach Lektüre der Rede rief Bodin Poullain an und zeigte sich entsetzt über dessen offene Worte. Der Grandseigneur der Finanzindustrie hatte sich mit der Moral der Banker auseinandergesetzt und - ausgehend von den hohen moralischen Ansprüchen des Philosophen Immanuel Kant - „einen moralischen Zerfallsprozess“ konstatiert.
Insbesondere beim Führungspersonal der Deutschen Bank vermisste Poullain den Wertekanon der früheren Banker. „Nenne ich heute den Namen Ackermann“, heißt es im Manuskript zu Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, „fallen mir nur Globalisierungswut und schwyzerischer Erwerbssinn ein. Letzterer jedoch nur in verfremdeter Form.“ In Düsseldorf stünden einige Herren der Wirtschaft „vor einem fremden Gericht“; das Strafgesetzbuch könne den Kern der Handlungen nicht werten. Doch wie die Manager mit ihren vor der Brust verschränkten Armen den Einzug der Richter erwarteten - „dieses Bild zu betrachten tut weh“. Eine weniger deutliche Rede wollte Poullain nicht halten und sagte sein Erscheinen bei dem Festakt ab: „Ich kann mich nicht verleugnen.“
Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Mannes
Selbst während seiner Zeit bei der WestLB in einen Skandal um einen Beratervertrag verstrickt, hat Poullain sich nach seinem Abschied aus der Welt der Banker zu deren schärfstem Kritiker entwickelt. Berühmt geworden ist seine für einen kleineren Kreis geschriebene Rede, die unter der Überschrift „Ungehaltene Rede eines ungehaltenen Mannes“ am 16. Juli 2004 in voller Länge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde. Die Schelte, die man unterdrücken wollte, entfaltete so eine viel größere Wirkung.
Zusammengefasst lautet das Ergebnis seines „ungebührlichen“ Denkens: Alle bisherigen Hilfsmaßnahmen für den Euro waren nutzlos und sie werden es auch weiterhin sein. Das geflossene Geld sei weg und die Euro-Rettung ein einziges Fiasko. Nicht nur Griechenland und Portugal kranken an der mangelhaften Wettbewerbsfähigkeit ihrer Wirtschaft, Spanien und Italien plagen dieselben Symptome und ganz offensichtlich leide auch Europas sogenannter Industriestaat Nummer zwei, Frankreich, hieran.
Seiner Auffassung nach waren die Initiatoren des Euro der Wahnvorstellung unterlegen, die Gemeinschaftswährung würde die ihr angehörigen Länder zu einer mächtigen Wirtschaftsmacht zusammenfügen, die den beiden anderen Monolithen, den USA und China, Paroli bieten würde. Doch der Homonkulus Europa hat das genaue Gegenteil bewirkt. Er hat die Wettbewerbsfähigkeit der Schwächeren weiterhin eingeschränkt und damit eine Machtblockbildung unmöglich gemacht. Von den vermeintlichen Industrienationen Frankreich, Italien und Spanien im globalen Wettbewerb im Stich gelassen, tummelt sich Deutschland allein auf den globalen Märkten.
Frust über die Kanzlerin
Im Cicero ONLINE, Magazin für politische Kultur, vom 8. Oktober 2012, schreibt Poullain sich seinen Frust über Kanzlerin Angela Merkel von der Seele und plädiert für einen Austritt aus der Euro-Zone. Merkel hätte Griechenland von Anfang an keine finanzielle Unterstützung gewähren sollen, dann ginge es den Griechen heute bereits besser. Und auch der Bundestag bekommt bei Poullain sein Fett weg: Er sei auf zustimmenes Kopfnicken getrimmt. Poullain bezeichnet Griechenland jedoch als eher kleines Problem im Vergleich zu Frankreich, Italien und Spanien. Er erklärt, es sei Zeit für einen Schlussstrich bei der Euro-Rettung und fährt in der genannten Ausgabe des Cicero fort:
„Was also folgere ich aus dem bislang in diesem Beitrag Aufgereihten? Die Strukturprobleme werden Spanien, Italien und Frankreich, einen nach den anderen, an die Wand drücken. Sie werden, wahrscheinlich in dieser Reihenfolge, Hilfe erbitten müssen. Frau Merkel mit ihren blinden Terrakottasoldaten im Gefolge, nicht nur aus ihrer Partei, wird sie solange gewähren lassen, bis Deutschland selbst am Ende sein wird. Und welche andere Rettungsstation bliebe uns dann wohl noch außer China?
Doch gemach ! So weit wird es nicht kommen. Noch bevor es eine Rettungsaktion für Italien gibt, werden wir einen gewaltigen Knall, so etwas wie einen währungspolitischen Urknall erleben, mit dem das Eurokartenhaus in sich zusammenfällt. Doch zur großen Verwunderung aller wird sich bei der Sichtung der Reste ergeben, dass die im Tresor gelagerten Werte und Substanzen erhalten sind, und dass sich aus ihnen gesundes Neues gestalten lässt.
Aus dieser Erkenntnis schöpfend entwickle ich den verwegen klingenden Vorschlag, dass das nach Größe und Struktur am besten ausgestattete Land, und das ist in Europa nun einmal Deutschland, nicht länger auf Godot, also darauf warten sollte, bis sich Griechenland und dann peu a' peu, auch weitere Staaten aus dem Euro verabschieden müssen. Stattdessen sollten wir uns selbst aus dem Gewürge lösen, eine neue Währung kreieren und hierzu die Staaten und Völker gleicher Struktur und Gesinnung einladen. Zu diesen zähle ich die skandinavischen Länder, die Niederlande, Österreich selbstredend, aber auch die Schweiz würde unter diesen Umständen daran Gefallen finden, sich solch einem Gebilde anzuschließen, denken und handeln doch die alten Eidgenossen ebenso stabilitätsorientiert und industriepolitisch wie wir und bewegen sich dabei auf höchstem Niveau. Ja, und die Franzosen, bitte schön, auch, aber nur dann, wenn sie sich den stringenten Regeln der neuen Gemeinschaft unterwerfen.
Um Deutschland ist mir dabei nicht bange. Eine neue Währung, wie immer sie auch aussehen oder heißen mag, wird zwar die während der Euroherrschaft unterbliebene Aufwertung gegenüber den anderen, im Euroverbund verbleibenden Ländern nachholen müssen. In dieser Phase wird die deutsche Industrie hart zu kämpfen haben, doch sie wird sich durchbeißen und diese Belastung wie weiland zu Bretton-Woods-Zeiten, auch als Chance nutzen, ihre Produkte zu modernisieren, ihre Qualität zu verbessern und dabei gleichzeitig ihre Produktivität zu erhöhen. Ein solcher Gang würde auch nicht nationaler Überheblichkeit entsprießen, sondern wäre zunächst ohnehin nur ein Notausstieg.
Das sogenannte 'Vereinte' Europa oder gar die Vereinigten Staaten von Europa bleiben dabei auf der Strecke. Aber was für ein Europa wäre ein solches Gebilde überhaupt? Das Europa der Brüsseler Technokraten, die aus einem Gewirr endloser Knäuel ein Europa hunderttausendfacher Reglements stricken? Oder das Europa, dessen Interessen von den in erster Linie auf die Wahrung nationaler Belange bedachten Regierungsschefs immer erst dann in Betracht gezogen werden, nachdem sie sich gegenseitig über den Tisch gezogen haben? Oder das Europa der Wunsch- und Wahnvorstellungen, die sich in den Köpfen der Bürger nach den Feiertagsreden der Berufseuropäer gebildet haben? (...)
Kehren wir also zur EWG, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, zurück. Das war die richtige Einrichtung, weil sie es den einzelnen Ländern ermöglichte, freien und friedlichen Handel miteinander zu treiben und ein jedes Volk nach seiner Fasson glücklich werden zu lassen. Und dies jeweils auf eigene Kosten (...)
Ist das, was ich mir zusammengedacht habe, nur ein Hirngespinst? Sicherlich ist der Gedanke insoweit eine Utopie, unsere Regierung vermöchte die Initiative entwickeln und die Tatkraft aufbringen, eine solche Lösung anzustreben. Darum also wird das Spektakel - so wie bislang geübt, aber noch zusätzlich durch wachsende feindselige Emotionen angeheizt - weitergehen, bis es zu dem von mir genannten Knall kommt. Das sich danach entwickelnde Gebilde wird zwar eher von Zufälligkeiten gestaltet sein, aber es wird um ein Vielfaches besser werden, als das vom unglückseligen Homonkulus Euro geprägte jemals werden kann.“ (PK)
Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches „Eine feine Gesellschaft“ - Jubiläumsjahre und ihre Tücken - 1949 bis 2010, 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2
Euro - bis zum bitteren Ende? - Teil II
Von Hans Fricke
Quelle: NRhZ
Auf Kommunisten-online am 27. November 2012 – Dem finnischen Minister Tuomioja ist zuzustimmen, wenn er erklärt:“ Die Gemeinschaftswährung ist wie eine Zwangsjacke, die Millionen Menschen in Not bringt und die Zukunft Europas zerstört. Aber niemand in Europa will der erste sein, der aus dem Euro aussteigt und die ganz Schuld auf sich zieht.“
Sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung spricht sich dafür aus, das Faß ohne Boden für die deutschen Steuerzahler endlich zu schließen.
Auch Prof. Dr. Wilhelm Hankel, einer der Karlsruher Kläger gegen den Euro, sagt: „Wenn man eine neue Währung einführt, die nichts taugt, dann kann man sie auch wieder abschaffen. Die ganze Geldgeschichte ist voll von liquidierten Währungen, die nichts getaugt haben. (...) Deutschland kann nicht weiter fortfahren für bail-outs zu bezahlen, ohne selbst bankrott zu werden.“
Weltweit steht Angela Merkels Rolle in der Eurokrise unter wachsender Kritik, wobei unterschiedliche Meinungen aufeinander prallen. Die Aufregung kommt nicht von ungefähr. Lange war die europäische Schuldenkrise eine Krise der sogenannten Peripheriestaaten wie Griechenland, Spanien oder Portugal. Dieser Gedanke ist aber spätestens nicht mehr haltbar seit Italien unter seinem Schuldenberg zu ersticken droht und auch Frankreich ins Visier von Ratingagenturen geraten ist. Die Alarmzeichen häufen sich: So kündigte die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit OECD für dieses Jahr eine europäische Rezession an und bezeichnete die Eurozone als das größte Schlüsselrisiko für die Weltwirtschaft. Die amerikanische Ratingagentur Moodys drohte bereits, kein EU-Staat sei mehr vor einer Herabstufung seiner Top-Bonität gefeit.
Das beunruhigt auch die Amerikaner. „Aus einer kleinen griechischen Schuldenkrise ist eine vollwertige europäische Seuche geworden“, formuliert Joe Nocera, Kolumnist der New York Times. „Verstehen die Deutschen nicht, dass ein Zusammenbruch der Eurozone, der vor einem Jahr undenkbar war und jetzt vielleicht unvermeidbar ist, die Deutschen mehr treffen wird als Griechenland?“ Er plädiert dafür, hochverschuldete Länder zu retten. Das sieht auch Polens Außenminister Sikorski so: Deutschland sei der größte Profiteur des Euro und kein unschuldiges Opfer der derzeitigen Schuldenkrise.
Altbundeskanzler Helmut Kohl soll angeblich den Kurs seiner Nachfolgerin als „sehr gefährlich“ bezeichnet haben. Das berichtet der Spiegel unter Berufung auf ein Gespräch Kohls mit einem Vertrauten. Dabei habe der frühere CDU-Vorsitzende mit Blick auf Merkel auch gesagt: „Die macht mir mein Europa kaputt.“ Kohl selbst dementierte den Bericht als „frei erfunden“.
Zugleich sagte er der Bild-Zeitung, er sei „besorgt über die Entwicklung in Europa und des Euro“. Es sei dringend notwendig, dass die derzeitige Lage nicht als Strukturkrise des Euro verstanden und diskutiert werde, sondern als „Ergebnis hausgemachter Fehler“ Europas und der Nationalstaaten.
Nach Tagesspiegel-Informationen übt Kohl bei seinen Unterredungen mit Besuchern regelmäßig und oftmals in scharfer Form Kritik an Merkels europapolitischem Kurs. Für ihn sei nicht ersichtlich, wohin Merkel mit Europa wolle, berichten Eingeweihte. Außerdem werfe der Altkanzler Merkel vor, das deutsch-französische Verhältnis als „Schlüssel für alle Weichenstellungen in Europa“ zu vernachlässigen.
Kohls früherer außenpolitischer Berater Horst Teltschik ging ebenfalls mit der Kanzlerin ins Gericht. Dem Tagesspiegel sagte Teltschik: „Sie entwickelt keine Vorstellung von der Zukunft Europas, obwohl das gerade jetzt notwendig wäre. Auf die systemische Krise muss Europa eine systemische Antwort finden. Es ist doch offensichtlich, dass wir eine gemeinsame europäische Haushalts-, Schulden- und Finanzpolitik brauchen.“
Auch der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer mißbilligt Merkels Europa-Politik. Er wirft der Kanzlerin vor, europafeindliche Tendenzen zu schüren. In der Schuldenkrise fahre die Kanzlerin auf Sicht - ohne zu sagen, wohin die Reise gehen soll, sagte Fischer der Zeitung Bild am Sonntag. „Das verunsichert das Volk und schürt sehr gefährliche antieuropäische Stimmungen…. Die Verantwortung dafür trägt zu einem erheblichen Teil die Kanzlerin.“
Der Bundesregierung hielt er vor, in der Krise zu unentschlossen und rein nach nationalen Interessen zu agieren. „Die Regierung läuft der Entwicklung hinterher, sie handelt krisen- und nicht strategiegetrieben. Am Ende kommt dann meist die teuerste Variante heraus“, sagte Fischer. Zugleich warnte er vor einer Isolation Deutschlands in Europa. „Wer meint, Deutschland könne eine große Schweiz abgeben, steht wie der träumende Ochse vor der verschlossenen Tür, bis er zum Metzger geführt wird.“ Seinen Worten zufolge droht Merkel mit ihrer Europa-Politik auch im Inland ins Abseits zu geraten. „Mit ihrer Politik des Nichterklärens und der Strategie der Hintertür gefährdet sie ihre Mehrheit im Bundestag. Das trägt nicht mehr lange.“
Nun hat auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt im Handelsblatt mit Angela Merkel und ihrem Versagen bei der Eurokrise abgerechnet. Er geht mit ihr hart ins Gericht und wirft ihr Unfähigkeit vor: „Wir brauchen Personen in den Spitzenämtern, die ein Verständnis von der heutigen Wirtschaft haben.“
Ebenso aufschlußreich wie zutreffend ist der Beitrag von Thilo Bode „Wir sollten die Wahl haben dürfen“ in der FAZ vom 2.9.2012, in dem es u.a. heißt: „Wer den Austritt aus der Währungsunion will, wird als Europagegner, gar als Reaktionär, beschimpft. Das trifft vor allem Politiker - was aber ihre Wähler wirklich wollen, kümmert keinen.“
Für Angela Merkel und die CDU/CSU geht es zuvorderst um den Machterhalt und den Gewinn der nächsten Wahl. Schon aus diesem Grund ist ihre Strategie optimal. Die Kanzlerin präsentiert sich als Beschützerin des deutschen Steuerzahlers und wehrt sich verbal gegen die Versuche seitens der Mehrheit der Eurozonen-Mitglieder, noch mehr deutsches Geld für Rettungsschirme auszugeben. Gleichzeitig signalisiert sie, alles zu tun - das heißt eben auch koste es, was es wolle - um den Euro zu retten. Warum sollte Angela Merkel diese Strategie ändern? Warum sollte sie beispielsweise für eine Insolvenz Griechenlands plädieren, obgleich dieses kleine Land wohl niemals in der Lage sein wird, den gewaltigen Schuldenstand von 180 Prozent des gesamten Volkseinkommens aus eigener Kraft abzubauen? Diese schlichte Wahrheit zuzugeben wäre politischer Selbstmord für die Kanzlerin. Mit einem Schlage würde offensichtlich, dass die öffentlichen Beschwichtigungen, das Geld für die Rettungsschirme würde nur als Garantie gegeben, die Wähler getäuscht haben. Wolfgang Schäubles großspurig verkündete Haushaltskonsolidierung würde sich als Luftbuchung erweisen, die Staatsverschuldung in die Höhe schnellen und die Bürger wären um neunzig Milliarden ärmer.“
Erstmals meldete sich auch das Deutsche Handwerk in der Euro-Debatte zu Wort und appellierte an die Bundesregierung, für die Rettung nicht jeden Preis zu zahlen. „Die Stabilisierung der Währungsunion ist kein Ziel an sich, das ungeachtet aller damit verbundenen Kosten verfolgt werden kann und darf „, schrieb Verbandspräsident Otto Kenzler in einem Positionspapier, das dem Handelsblattvorliegt. Und weiter: „Es ist den Bürgern und Unternehmen nicht zuzumuten, im Ergebnis staatlicher Garantien, im Rahmen von Euro-Bonds oder Altschuldentilgungsfonds, für die politischen Fehlentscheidungen anderer Staaten haften zu müssen - ohne Hoffnung auf tatsächliche Besserung.“ Die Refinanzierung des dauerhaften Rettungsschirmes ESM durch die EZB birgt laut diesem Papier „massive Gefahren für die Funktionsfähigkeit der Währungsunion insgesamt.“
SPD und Grüne kritisieren die Politik der Kanzlerin in der Eurokrise zwar pro forma. In Wahrheit unterstützen sie jedoch das unbegrenzte Schuldenmachen. Und die deutsche Großindustrie will die Eurozone um jeden Preis in ihrem jetzigen Umfang erhalten. Die unveränderbaren Wechselkurse haben ihr bei deutscher Lohnzurückhaltung einen Wettbewerbsvorteil in der Währungsunion und permanente Exportüberschüsse beschert.
Der bereits begonnene Wahlkampf ähnelt deshalb eher einer Posse. Regierung und Opposition werden die gleiche Politik in unterschiedlicher Verpackung und wechselseitiger Beschimpfung des politischen Gegners zu verkaufen suchen. Das bedeutet aber auch, dass sich die Demokratie bei der Lösung des wichtigsten politischen Problems der Gegenwart außen vor befindet. Denn es gibt nichts mehr zu wählen. Wahltaktik und Machtstreben verhindern die Wahl zwischen echten Alternativen. Der Bürger wird nicht nur enteignet, er wird auch noch entmachtet.
Den britischen Europa-Abgeordneten und Parteivorsitzenden der UKIP, Nigel Farage, bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, erinnert die Euro-Rettung an einen britischen Comedy-Klassiker „Carry On Up The Khyber“ (deutsch: „Alles unter Kontrolle - keiner blickt durch“). In einer kürzlichen Wortmeldung vor dem Europa- Parlament sagte er: „Sie sind entschlossen aber wahnsinnig in Ihrem Versuch, den Euro weiter am Leben zu erhalten. Und während sie Ihr Abendessen genießen, fliegen Ihnen die Kugeln nur so um die Ohren.“
In einer Fernseh-Diskussion mit Oscar Lafontaine am Swiss Economic Forumam 11. Juni 2012 stimmten beide darin überein, dass es mit der Europa-Politik so nicht weitergehen darf.(1) Lafontaine erklärte, dass man von den Menschen in Griechenland und Spanien zu hören bekäme, sie wollten nicht, dass Deutschland diktiert, was in Europa passiert. Ausdrücklich begrüßte er, dass der französische Präsident sich gegen die deutsche Politik stellt und sagte: „Wir können diesen Weg nicht weitergehen, sonst werden wir in Europa Revolutionen haben.“
Lafontaine wies darauf hin, dass in Griechenland und in Spanien 50 Prozent der jungen Menschen arbeitslos seien. „Wenn die Jugend keine Zukunft hat, dann musssie das System, welches dafür verantwortlich ist, infrage stellen.“ (PK)
(1) http://www.youtube.com/watch?v=rdQwX8LGyyM
Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches „Eine feine Gesellschaft“ - Jubiläumsjahre und ihre Tücken - 1949 bis 2010, 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2
Euro - bis zum bitteren Ende? - Teil III
Von Hans Fricke
Quelle: NRhZ
Auf Kommunisten-online am 27. November 2012 – Die letzten Wochen und Monate zeigen eindrucksvoll, dass die sozialen Unruhen in der Euro-Zone dramatisch zunehmen und bereits die Besorgnis geäußert wird, es bestehe die Gefahr von Bürgerkriegen. Innerhalb einer Woche erlebten wir zornige Griechen, Portugiesen und Spanier in heftigen Gefechten mit Polizeieinheiten. Auffallend an der aktuellen Situation ist, dass es sich dabei zunehmend um „normale“, aber verzweifelte und bis aufs Blut gereizte Bürgerinnen und Bürger handelt, darunter besonders viele junge Menschen, die sich zu Recht um ihre Zukunft betrogen fühlen.
Sarah Nagel, Mitglied im Bundesvorstand von DIE LINKE.SDS, erklärte dazu: „In Südeuropa hat sich eine 'Generation Widerstand' entwickelt, die um ihre Zukunft kämpft.“ - Erinnern wir uns: In Italien hatten am 27.Oktober nach Angaben der Organisatoren 150.000 Menschen gegen die Kürzungspolitik der Regierung Mario Monti und gegen die von Kanzlerin Merkel und der Troika weitgehend bestimmte EU-Politik protestiert. „Vereint mit einem rebellischen Europa - jagen wir die Regierung Monti davon“, skandierten die Teilnehmer. Auch am 14.November, dem Tag des ersten länderübergreifenden Generalstreiks in Südeuropa, demonstrierten in allen italienischen Großstädten Zehntausende Menschen mit Streiks, Protestaktionen und Großkundgebungen gegen die Kürzungspolitik der EU und der Regierung in Rom.
Als historischen Moment in der europäischen Gewerkschaftsbewegung hat der Europäische Gewerkschaftsbund (EWB) die jüngsten Proteste von Millionen Beschäftigten in Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Belgien gegen die EU und den Internationalen Währungsfonds bezeichnet. In Frankreich gingen mehr als zehntausend Menschen ebenfalls gegen die Kürzungsmaßnahmen auf die Straße. Auch in der Bundesrepublik Deutschland fanden an diesem geschichtsträchtigen Tag vielerorts kleinere Demonstrationen zur Unterstützung der politischen Streiks in den o.g. Ländern statt. Linksparteichef Bernd Riexinger begrüßte die Streiks als „Signal der europäischen Einigung von unten“ und meinte, dieser erste internationale Streik gegen die Euro-Politik werde nicht der letzte sein. Er sei „froh und stolz, dass sich auch in Deutschland die Gewerkschaften den Protesten anschließen und solidarisch mit den europaweiten sozialen Kämpfen sind“. Auf den südeuropäischen Generalstreik „muss und wird eines Tages ein europäischer Generalstreik folgen“.
Der Bürgermeister der sizilianischen Hauptstadt Palermo erklärte, seine Stadt sei de facto bankrott. Wegen der explosiven Mischung aus der Verzweiflung vieler Familien und dem Würgegriff der organisierten Kriminalität könnte sogar ein Bürgerkrieg ausbrechen, erklärte er im Wirtschaftsblatt. Was der Bürgermeister von Palermo für Süditalien befürchtet, prognostiziert der Zukunftsforscher Klaus F. Zimmermann nicht nur für ganz Südeuropa.
Noch vor ein paar Jahren hätte man nicht im Traum an einen Bürgerkrieg in Ländern wie Italien, Griechenland oder Spanien gedacht. Jetzt aber kämen auf einmal solche Warnungen aus mehreren Quellen, und sie erschüttern den festen Glauben an eine friedliche Zukunft Europas. Nach Meinung von Experten stünden wir kurz davor, dass es in den genannten Ländern zum Bürgerkrieg kommt.
Klaus F. Zimmermann ist Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn und Berater der Europäischen Kommission und der Weltbank zu Beschäftigungsfragen. Er hält soziale Unruhen infolge einer weiteren Zuspitzung der Euro-Krise für ein realistisches Szenario. Im Interview mit Handelsblatt-Online teilte er ausdrücklich die Einschätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (Ilo), dass eine womöglich steigende Erwerbslosigkeit, Unruhen in der Euro-Zone auslösen könne.
Auch der griechische Ministerpräsident Samaras zeichnet im Falle eines Ausscheidens seines Landes aus der Euro-Zone ein Szenario, wie es düsterer nicht sein kann. Der griechische Lebensstandard sei in den vergangenen drei Jahren um etwa 35 Prozent gesunken und eine Rückkehr zur Drachme würde diesen sogar noch um weitere 70 Prozent herabsetzen. Dies würde die griechische Demokratie vor eine Zerrreisprobe stellen. „Am Ende wäre es wie in der Weimarer Republik“, sagte er.
In dem am 31.10. im Athener Parlament eingereichten Haushalt für 2013 rechnete das Kabinett mit einem Staatsdefizit von 5,2 Prozent. Im vorläufigen Budgetentwurf war die Regierung noch von einem Fehlbetrag von 4,2 Prozent ausgegangen. Angesichts der revidierten Zahlen dürfte die Gesamtverschuldung im kommenden Jahr von 175,6 Prozent auf 189,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) steigen. Damit erhöht sich der Schuldenstand auf 346,2 Milliarden Euro - und das BIP schrumpft stärker als zunächst prognostiziert.
„Was derzeit in Südeuropa passiert, geht uns alle an“, erklärte Sahra Wagenknecht, erste Stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Insbe-sondere Griechen- land werde als Versuchskaninchen benutzt, um zu testen, wie weit man bei der Zer- störung sozialer und demokratischer Rechte gehen kann. Die Palette des von der EU geforderten und von der Regierung in Athen gehorsam befolgten sozialen Kahlschlags sei breit: Kürzung der Renten und Löhne um ein Drittel und mehr, Sechstagewoche und Rente erst mit 67, Vernichtung von Hunderttausenden Arbeitsplätzen bei Halbierung der Abfindungszahlungen, Reduzierung der Gesundheitsausgaben um zwölf Prozent jährlich, Entmachtung der Gewerkschaften durch Vorrang betrieblicher Tarifvereinbarungen, Schleifung des Kündigungsschutzes und Förderung prekärer Beschäftigung, Anhebung der Mehrwertsteuer um vier Prozentpunkte und Erhöhung weiterer Verbrauchssteuern um 33 Prozent. „Diese und weitere Maßnahmen“, so Sahra Wagenknecht weiter, „haben der griechischen Wirtschaft das Rückgrat gebrochen und zu einer humanitären Katastrophe geführt. Es glaubt niemand mehr ernsthaft, dass Griechenland seine Verschuldungsquote aus eigener Kraft bis zum Jahr 2020 auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung drücken kann. Doch Schäuble und Merkel wollen die Öffentlichkeit für dumm verkaufen. Dabei ist auch ihnen klar, dass Athen weitere Schuldenerlasse braucht und auf deutsche Steuerzahler Milliardenverluste zukommen. Doch das will man erst nach der nächsten Wahl zugeben.“
Die im Euro-Raum laut Statistik bereits zweithöchste Arbeitslosigkeit nimmt weiter zu. Erst im Juli hatte deren offizielle Quote in Griechenland mit 25,1 Prozent einen neuen Höchststand erreicht. Informationen zufolge formieren sich in Griechenland bereits erste bewaffnete Bürgerwehren. Einige wollen die Bekämpfung der dramatisch steigenden Kriminalität in die eigenen Hände nehmen, wozu auch die Anschaffung automatischer Waffen durch besorgte Hauseigentümer gehört. Andere sprechen ganz offen davon, dass ihr Ziel der gewaltsame Aufstand gegen die Regierung ist.
In diesem Zusammenhang verdienen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 17. August über die Zulassung von Kampfeinsätzen der Bundeswehr im Inland sowie der Artikel bei euro-police vom 25.Oktober, wonach das in Ulm stationierte Bundeswehrkommando in Potsdam den Ernstfall einer EU-Militärmission trainiert, besondere Aufmerksamkeit und Wachsamkeit aller Demokraten. (1) Dieses Bundeswehrkommando ist als Führungsmannschaft vorgesehen und spielt im Auftrag der EU die Krisenreaktionsübung „Multi Layer 2012“ durch. Die Ulmer Truppe bildet das einzige Kommando in Europa, das voll besetzt auf einen Einsatzbefehl wartet, von der EU, vielleicht auch bald von der NATO, und abgesegnet vom Bundestag. Lange war hinter den Kulissen darüber nachgedacht worden, ob ein solches Hauptquartier nicht zentral bei der EU in Brüssel angesiedelt werden müsste. Darauf konnten sich die Staaten nicht einigen. Deshalb steht das Kommando Gewehr bei Fuß in Ulm für den Fall, dass die EU ruft.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, Kampfeinsätze der Bundeswehr im Inland zuzulassen, kennzeichnet einen Wendepunkt in der Geschichte der BRD, vergleichbar mit der Verabschiedung der Notstandsgesetze im Mai 1968. Nach dem Karlsruher Urteil darf die Bundeswehr schon im Inland eingesetzt werden, wenn ein „Schadenseintritt von katastrophischen Dimensionen“ droht. Dieses Kriterium ist derart schwammig, dass es sich von der Exekutive beliebig dehnen und auf jeden sozialen und politischen Protest anwenden lässt. Das Urteil öffnet die Tür für blutige Militäreinssätze gegen die eigene Bevölkerung, wie sie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik stattgefunden haben.
Peter Schwarz wies auf den Unterschied der Verhältnisse von 1968 zu heute hin und schrieb am 23. August auf der World Sozialist Web Site: „Diesmal stehen die Dinge anders. Die Gesellschaft ist heute weit tiefer gespalten als 1968. Damals waren in der Bundesrepublik durchschnittlich 323.000 Menschen arbeitslos und die Wirtschaft wuchs um 7,2 Prozent. Heute sind in Deutschland 2.876.000 Menschen ohne Arbeit und die Wirtschaft stagniert. Zu den offiziellen Arbeitslosen kommen viele Millionen, die aus der Statistik herausgefallen sind oder in prekären Arbeitsverhältnissen am Rand des Existenzminimums leben. Anders als 1968 lässt die internationale Wirtschaftslage auch keine sozialen Zugeständnisse mehr zu, um die sozialen Spannungen zu dämpfen. Die gesellschaftlichen Gegensätze sind zum Zerreißen gespannt und werden nur deshalb nicht offen ausgetragen, weil ihnen keine große Partei oder Gewerkschaft politisch Ausdruck verleiht.
In Griechenland statuiert die Europäische Union unter deutscher Federführung ein Exempel und wirft den Lebensstandard der Arbeiterklasse um Jahrzehnte zurück. Sie setzt damit Maßstäbe für ganz Europa. In Portugal, Irland, Spanien und Italien sind bereits ähnliche Sparprogramme in Kraft. Auch Deutschland bildet keine Ausnahme. Trotz boomender Exportindustrie hat sich hier ein gewaltiger Niedriglohnsektor entwickelt. Gleichzeitig ist die Exportabhängigkeit die Achillesferse der deutschen Wirtschaft. Die sich abzeichnende Rezession der Weltwirtschaft zieht unweigerlich weitere Angriffe auf Einkommen und Arbeitsplätze nach sich. In diesen Zusammenhang muss das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gesehen werden. Es dient der Vorbereitung zukünftiger Klassenkämpfe. Wie die Notstandsgesetze von 1968 richtet es sich gegen rebelliernde Arbeiter und Jugendliche... Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Schritt zu einer Militarisierung der Innenpolitik, die im Kaiserreich und in der Weimarer Republik katastrophale Folgen hatte. Es zeigt, dass die Verteidigung demokratischer Rechte nicht auf den Staat und seine Institutionen gestützt werden kann. Sie erfordert die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms, das die Abschaffung des Kapitalismus, der Ursache der gesellschaftlichen Krise, zum Ziel hat.“(2)
Auf noch etwas Wesentliches weisen Experten heute schon hin: Wenn in Südeuropa Unruhen ausbrechen, würden sie über ganz Europa hinwegfegen wie ein Feuer-Tornado. Die kleinen Brutherde würden zuerst durch die vielen Migranten aus dem afrikanischen Magreb mit dem Brandbeschleuniger des „Arabischen Frühlings“ zum Lodern gebracht. Dann springen sie auf Frankreich hinüber und von dort weiter. Angesichts der Starrköpfigkeit europäischer Politiker, die auch weiterhin genau das Gegenteil von dem tun, was sie tun müssten, um die Krise hinter sich lassen zu können, würden die sozialen Unruhen noch viel heftiger werden. Und sie würden sich dann wie ein Ölteppich in Richtung Norden ausbreiten.
Dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, ist zuzustimmen, wenn er sagt: „Unruhen sehe ich nicht.“ Wenn es der Bundesregierung aber nicht gelinge, mit ihrem Konjunkturprogramm zugleich ein deutliches Zeichen für soziale Gerechtigkeit zu setzen, werde Politikverdrossenheit einsetzen. In diesem Fall würden sich die Menschen vom demokratischen System abwenden und sich von radikalen Kräften einfangen lassen. Dann könne es zu einer politischen Krise kommen. „Diese Gefahr ist weitaus größer und gefährlicher, als Unruhen auf den Straßen“, sagte Schneider. (Es ist nicht zu übersehen, dass die Neo-Nazis und ihre Hintermänner in Nadelstreifen sich systematisch und planmäßig auf eine solche innenpolitische Entwicklung vorbereiten.)
Auch wenn es in der BRD derzeit noch keine konkreten Anzeichen für soziale Unruhen gibt, mehren sich die Widerstandsaktionen der deutschen Bevölkerung gegen die Regierungspolitik in fast schon dramatischer Weise. Streiks, Demonstrationen, entschlossene Gegenwehr von Demonstranten gegen eingesetzte Polizeieinheiten, Unterschriftensammlungen, Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht und Kampagnen der verschiedensten Art zeugen von der wachsenden Unzufriedenheit und Wut sehr vieler Bundesbürger.
Wenn wir, wie beispielsweise in Frankreich, kämpferische Gewerkschaften hätten, deren führende Funktionäre als Mitglieder von Aufsichtsräten und Geschäftsleitungen von Konzernen und Betrieben nicht immer wieder beruhigend auf die Stimmung in den Betrieben einwirken würden, dann hätten sich bestimmt schon Millionen Bundesbürger an einem Generalstreik beteiligt.
Der Sprecher des Berliner Griechenland-Solidaritätskomitees, Michael Prütz, bringt die Sache auf den Punkt, indem er in einem Gespräch mit der Zeitung junge Welt am 14.November dazu kritisch feststellte, dass die deutschen Gewerkschaften voll auf Sozialpartnerschaft orientieren. Erst kürzlich habe der Vorsitzende der IG-Metall, Bertold Huber, die Kolleginnen und Kollegen im Süden öffentlich wegen zu hoher Lohnabschlüsse kritisiert und sich gegen ihre Aufrufe zum Generalstreik gestellt. Durch jahrzehntelanges Paktieren mit dem Kapital sei in Deutschland eine Situation entstanden, in der die Gewerkschaften erst wieder lernen müssten zu kämpfen. Es fehle eine Kultur des Widerstands. (PK)
(1) http://euro-police.noblogs.org/
ulmer-bundeswehrkommando/trainiert/in/potsdam/den/ernstfall
(2) http://www.wsws.org/de/articles/2012/aug2012/pers-a23.shtml
Hans Fricke ist Autor des 2010 im GNN-Verlag erschienenen Buches „Eine feine Gesellschaft“ - Jubiläumsjahre und ihre Tücken - 1949 bis 2010, 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2
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