In einem Fachgespräch der Linken-Bundestagsfraktion ging es um die Finanzkrise von 2008 und ihre Nachwirkungen bis heute
Von Milan Nowak
Ein Aktienhändler an der Frankfurter Börse am 16. September 2008. Ohne wirksame Finanzmarktregulierung könnte er bald wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlagen
Foto: Alex Grimm/REUTERS
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Am 15. September 2008 löste der Bankrott der US-Investmentbank Lehman Brothers eine globale Finanzkrise aus. Zum zehnjährigen Jubiläum dieser Pleite lud die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke am Donnerstag zum öffentlichen Fachgespräch ein. Im Paul-Löbe-Haus in Berlin wurden die Ursachen der Krise, der heutige Stand der Dinge sowie Regulierungsmöglichkeiten für den Finanzsektor diskutiert. Durch den Tag führten Jörg Cezanne (MdB) und Fabio De Masi (MdB). Die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht hielt einen Impulsvortrag. Als weitere Referenten waren Stephan Schulmeister, ehemaliger Wirtschaftsforscher des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), Wolfram Morales, Leiter des Präsidialbüros des Ostdeutschen Sparkassenverbands, und Christian M. Stiefmüller, Mitglied der Nichtregierungsorganisation Finance Watch, anwesend.
Wagenknecht begann mit den Worten, Krisen gehörten zwar zum Kapitalismus wie das Unwetter zum Hochsommer, doch 2008 sei schier ein Tsunami gewesen. Mindestens 40 Billionen Dollar seien vernichtet worden, Millionen Menschen arbeits- und obdachlos geworden. Krisengrund sei, dass die neoliberale Deregulierung des Finanzmarktes das Korsett vernünftiger Regelungen gesprengt habe. Die Linke habe in der Krise von 2008 »Sparkassen statt Zockerbuden« gefordert. Doch der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) habe – auf Anraten der britischen Wirtschaftskanzlei Freshfields – die Brandstifter zum Feuerlöschen beauftragt. Seitdem sei im Bankensektor durch Fusionen wie die von Deutscher Bank und Postbank eine immer größere Konzentration zu verzeichnen, und es entstünden neue Spekulationsblasen, in der BRD vor allem im Wohnsektor. Zur Regulierung schlug Wagenknecht vor, den realen Nutzen von Finanzprodukten vor deren Zulassung zu prüfen und Vermögensanhäufung durch eine Millionärssteuer zu bekämpfen. Finanzstabilität sei ein öffentliches Gut, weshalb Sparkassen und Volksbanken gestärkt werden sollten. Sie verabschiedete sich mit der Mahnung, dass die Demokratie noch eine Finanzkrise vielleicht nicht überleben werde.
Der ehemalige WIFO-Ökonom Schulmeister ermutigte in seinem Vortrag dazu, die Systemfrage zu stellen, anstatt nur Schuldige zu suchen. Die Finanzkrise von 2008 sei durch »Business as usual« – das übliche Tagesgeschäft, von dem man glaubte, dass es schon seinen Gang geht – entstanden. Der gleichzeitige Verfall der Immobilien-, Aktien- und Rohstoffpreise habe Vermögenswerte in Dimensionen wie zuletzt 1929 zerstört. Begünstigt hätten dies technische Spekulationssysteme, mit deren Hilfe »Trader« (Aktienhändler) die Trägheitsmomente des Marktes ausnutzen. Leider sei daraus keine wirkliche Konsequenz gezogen worden: In Europa seien die Finanztransaktionen seit 2008 wieder angestiegen, in den USA seien sie leicht rückläufig. Die Gefahr der nächsten Krise sei größer, weil die Immobilienpreise und die Staatsverschuldungen heute höher seien als 2008. Schulmeister empfahl, sich mit Gegenkonzepten vorzubereiten. Als Zwischenlösung könnten rasante Aktienverkäufe durch ein Auktionssystem mit festen Verkaufszeitpunkten gebremst werden.
Anschließend diskutierten die Gesprächsteilnehmer die Frage: »Kann es Finanzstabilität ohne Umverteilung geben?« Der Exbankier Stiefmüller erklärte, dass in der EU keine wirksame Regulierung stattfinde. Er forderte eine ausreichende Haftung von Kapitaleignern für ihre Investitionen. Sparkassenvertreter Morales machte die Umverteilung des Wohlstands von unten nach oben für die zunehmenden Krisen verantwortlich. Der Abgeordnete Cezanne forderte, durch Umverteilung den Finanzsektor gesundzuschrumpfen. Löhne müssten gesteigert, Umlageversicherungen gestärkt, und eine Finanztransaktionssteuer müsse eingeführt werden.
Morales erklärte, dass die gleichartige Regulierung von Groß- und Kleinbanken durch die EU den Sparkassen schade, weil sie inkompatibel mit deren Geschäftsmodellen sei. Das Hauptproblem sei jedoch, dass in einer Rezession weniger Kredite nachgefragt würden. Eine Bank vergebe keine Kredite, wenn sie das besonders leicht könne, sondern wenn jemand einen Kredit brauche. Zur Frage, ob die Finanzmärkte zu stark für den Staat seien, meinte Cezanne, dass demokratische Gegenwehr vor allem auf der Straße, in den Betrieben und in der Zivilgesellschaft stattfinden müsse. Die Fraktion könne hierbei nur unterstützen.
»Will Die Linke den Kapitalismus überhaupt noch abschaffen?« fragte ein Diskussionsteilnehmer. Cezanne bejahte die Frage unter Verweis aufs Parteiprogramm. Jetzt gehe es zwar um das Zurückdrängen der Finanzialisierung, aber irgendwann könne der Punkt kommen, wo das im Kapitalismus nicht mehr gehe. De Masi meinte, dass es ihm nicht um Biegen oder Brechen gehe: Er wolle den Kapitalismus biegen, bis er bricht.
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