Mittwoch, 26. September 2018

Bildhaftes Erinnern (Harald Kretzschmar)


Ein Buch. Künstlerische Lebensläufe erinnern. Immer wieder Leben, das nicht einfach läuft. Es ist oft eher ein Hindernislauf, eine Klettertour, ein Kraftakt als etwas, was nur so dahingeht. Von wem ist da die Rede? Ist es überhaupt der Rede wert, Bildhaftes über die schöpferisch damit befassten Personen zu erinnern? Spricht da jemand über sie, der etwas zu sagen hat? Ganz entschieden: zwei Mal ja.

Peter Michel ist nicht irgendwer. Der Mitte Oktober 80-Jährige war und ist mittendrin in einer im weitesten und tiefsten Sinn bildenden Kunst. Einer Kunst, die der Menschenbildung verbunden ist. Man scheut sich, ein »verpflichtet« zu schreiben. Denn das klingt zu sehr nach Pflichtprogramm, wo es sich um eine Herzensangelegenheit handelt. Vom Bildungsweg des aus dem Unstruttal von Freyburg Stammenden her war das Fach Kunsterziehung vorgegeben. Der sich aus dem Engagement für Jugendorganisation und Arbeiterpartei ergebende politische Auftrag hätte ihn zu einem makellos funktionierenden Apparatschik machen können. Den aber gibt es nur im Bilderbuch böswilliger Aufarbeitung.

Michel wurde ein echter Kunstkenner und Kunstmittler. Das auf vitale Zukunftsprojekte für die bildende und angewandte Kunst programmierte reichliche Jahrzehnt seit 1974 baute auf Phantasie und Wagemut bei den Kunst Schaffenden. Und auf der Leitungsebene brauchte der Verband Bildender Künstler, zu dem der als Kunstpädagoge bereits erfahrene theoretische Kader stieß, ebenfalls vor allem Eines: ideologische Hürden abbauen und ungewohnte Wege bereiten. Als Chefredakteur der Monatszeitschrift Bildende Kunst schuf er sich mit einem kundigen Beirat und zunehmend jüngeren Redakteuren zusammen einen Spielraum zum Sichtbarmachen vielfältig differenzierender Kunstäußerungen.

Das lässt sich ja so schön erzählen. Wer es glaubt, wird selig. Der Zeitgeist weiß: Agitieren statt Informieren war doch die Devise. Im Rückblick gilt Gedrucktes von damals nichts mehr. Wir sind mit der überrumpelnd verführerischen Hochglanzeinöde unserer Printmedien ja so überglücklich. Da ist es gut, dass Peter Michel nun schon zum zweiten Mal in die Tasten seines PC gegriffen hat, etwas Wichtiges aufzuschreiben: Wen er im Dienst der produktiv wirkenden Künstlervereinigung kennengelernt hat. Wer ihm da so imponierte. Welche Namen Kunstprozesse erhellen. Was ihnen im Danach geschah. Und welche im Dunkel des Verdrängens verschwinden, weil sie heute selbst zu wenig zu Geltung in Wort und Bild kommen.

Dabei notiert er einfach nur, was er mit wem erlebt hat. Ab und zu eine Bildbeschreibung, eine Anekdote, ein Wort oder ein Blick, wie man so miteinander umging. so dass ein Wir entstand, dessen man sich womöglich heute erst bewusst wird, wo alles anders ist. »Künstler in der Zeitenwende« nennt der Verlag Wiljo Heinen, Einmannbetrieb der Sondersorte, das. Dickes Quadratformat und farbige Abbildungen wie der Vorgängerband von 2016. Durchweg persönliche Aussagen von und zu den Porträtierten sind versammelt. Was besonders wichtig wie zu selten ist – ein Register erfasst alle vorkommenden Namen.

Zeitenwende. Wer sich passgerecht wendete, ist hier nicht das Thema. Kaum einer der hier Versammelten überstand den tiefgreifenden Kulissenwechsel unbeschadet. Es geht darum, ein heute als Randerscheinung abqualifiziertes geistiges Milieu sichtbar und nachlesbar zu machen. Was erlebte Peter Michel mit Malern wie Clemens Gröszer, Peter Hoppe oder Wolfgang Wegener? Gerhard Kettners oder Klaus Ensikats grafischer Strich ist genauso wichtig wie Heinrich Apels oder Werner Stötzers skulpturale Formgebung. Peter H. Feist, Richard Hiepe oder Friedrich Möbius sind ihm als Theoretiker nahe. Der pfiffige Ottokar Domma darf in der Person des Nachbars Otto Häuser dabei sein. Unter den leider zu wenigen Frauen in dem Ensemble glänzt die Schauspielerin Inge Keller. Letztere wurde erst 2013 von Ronald Paris porträtiert. Das im Buch abgebildete Ölbild hat eine erwähnenswerte zeichnerische Entsprechung in einer aktuellen Ausstellung.

Diese ist noch bis 22. September beim Kunsthandel Dr. Wilfried Karger im Stilwerk Berlin Kantstraße in Zwiesprache mit Skulpturen der Anna Franziska Schwarzbach zu erleben. Kohlezeichnungen können selbständige Bildnisse werden. Wenn einer wie dieser Maler seit den 60er Jahren die Gesichter ihm bekannter Künstler und Wissenschaftler auf dem weißen Zeichenpapier festhält – dann ist das optisches Deuten von Biografie. Günter Kunert und Karl Mickel, die Dichter, treten gegen Dieter Mann und Emil Schumacher vom Theater an. Und der Bildhauerin furiose Formsprache setzt eins drauf, wenn sie Mstyslaw Rostropowitsch und Friedrich Jung Inge Hunzinger und Marie Curie gegenüberstellt. Gut, dass es diese Chance gibt, Menschenleben so oder so nachzuerleben.

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