Was die angekündigte Lieferung russischer »S-300«-Raketen an die Regierung in Damaskus militärisch bedeutet
Von Reinhard Lauterbach
Zündung einer »S-300«-Rakete bei den »Internationalen Armeespielen« am 5. August 2017 im russischen Astrachan
Foto: Maxim Shemetov/REUTERS
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Russland ist offenbar entschlossen, der israelischen De-facto-Luftherrschaft über Syrien ein Ende zu machen. Dies ist die Botschaft, die russische Politiker mit der Entscheidung kommunizieren, innerhalb der nächsten zwei Wochen mehrere Batterien des Raketensystems »S-300« an Syrien zu liefern und hochmoderne Mittel der elektronischen Kriegführung im Lande zu stationieren. Gleichzeitig behält sich Russland offenbar die operative Kontrolle über den Einsatz dieser Raketen vor.
Pläne, die syrische Armee mit »S- 300« auszustatten, gab es bereits vor Jahren einmal. Sie ist nicht das Neueste vom Neuen, aber mit einer Reichweite von 250 Kilometern und der Fähigkeit, bis zu 65 Objekte gleichzeitig zu verfolgen, auch nicht zu unterschätzen.
2013 hatte Russland auf israelische Bitten hin den Liefervertrag mit Syrien annulliert. Jetzt fühlt sich Moskau offensichtlich an die damalige Zusage nicht mehr gebunden. Der Vorwurf des russischen Verteidigungsministeriums über die »verbrecherische Schlamperei«, die zum mindesten auf israelischer Seite herrsche, macht deutlich, dass Moskau den Israelis Vorsatz unterstellt.
Israelische Bedenken, mit den Raketen könne der Flughafen Ben-Gurion oder Tel Aviv angegriffen werden, wischte Verteidungsministeriumssprecher Igor Konoschenkow beiseite: »Die Rechnung ist ganz einfach: Ihr fliegt keine Angriffe auf Syrien, dann besteht auch keine Gefahr für Tel Aviv und den Flughafen.« Die Systeme seien rein defensiv, betonte der General. Gleichzeitig warnte er, Israel solle nicht glauben, die Waffen während der Entladung in einem syrischen Hafen oder auf dem Transport angreifen zu können, diese Orte würden »zuverlässig geschützt« sein.
Tatsächlich ist die Zeit zwischen der Lieferung und dem Aufbau der Raketenstellungen der wunde Punkt der ganzen Operation, wobei sich auch Israel gut überlegen muss, ob es riskiert, russische Truppen gezielt anzugreifen. Hier dürften den syrischen und den russischen Einheiten einige angespannte Tage bevorstehen.
Geplant ist offenbar, die »S-300« so weit im Inneren Syriens zu stationieren, dass israelische Kampfflieger bei ihrer Bekämpfung nicht mehr aus eigenem, libanesischem oder internationalem Luftraum heraus zuschlagen könnten, sondern in den syrischen eindringen müssten. Damit aber wären sie legitime Ziele der syrischen Flugabwehr.
Da die »S-300« auf kurze Distanz (etwa 20 Kilometer) auch ballistische Raketen abschießen können, wäre es Israel auch nicht mehr so leicht möglich, eventuell wieder ins Grenzgebiet vorrückende iranische Einheiten zu beschießen. Russland hatte zuvor auf israelische Aufforderung vermittelt, dass diese ins Landesinnere zurückgezogen wurden.
Gleichzeitig sichert sich Russland offenbar gegen Eigenmächtigkeiten der syrischen Bedienmannschaften der »S-300« ab. Denn gemeinsam mit den Raketenkomplexen wird auch ein modernes elektronisches Feuerleitsystem geliefert, wie es nach den Worten des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu derzeit nur die eigenen Streitkräfte haben. Dieses System erlaube eine zuverlässige Identifikation aller Flugzeuge im abgedeckten Luftraum, so dass irrtümliche Abschüsse wie der der Transportmaschine »IL- 20« nicht mehr vorkommen könnten.
Was Schoigu nicht so deutlich sagte: Damit haben die russischen Spezialisten, die diese Feuerleitsysteme bedienen, auch das letzte Wort über den Abschuss der Raketen. Eine von Russland nicht gewollte Eskalation kann damit vermieden werden. Im übrigen plant Moskau nach den Worten Schoigus auch, über Syrien und dem angrenzenden Luftraum alle Signale der (nichtrussischen) Satellitennavigation und sonstige elektronische Führungsmittel zu unterdrücken.
Was Schoigu und sein Sprecher Konaschenkow mit Bezug auf Israel formulierten, gilt im technischen Sinne ebenso für sonstige westliche Luftwaffen, die über Syrien operieren. Wenn die Stationierung der Systeme gelingt, wird Russland damit eine faktische Flugverbotszone über Syrien etabliert haben. Die Frage ist, ob der Westen diese Einschränkung seines Anspruchs auf weltweite Interventionsmöglichkeit hinzunehmen bereit ist.
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