In der Zeit der positiv verstandenen Wende brachen sich Ideen Bahn, in die Buchproduktion kulturelle Träume einzubringen. Buchkünstlerische Werte wurden neu ausgegraben, trotzig bewahrt, um in der massenhaften Buchproduktion dem Verfall der Qualitätsansprüche entgegenzutreten. Wie einst der barocke Dichter Martin Opitz vor der doppelten Gelegenheit stehend, die Gutes vernichten und Gutes errichten kann.
Wilde Stuten, von Winden besprungen, sagen bildhaft, dass zur Zeugung auch der Wind gehört. Der Wind der Gedanken und des Formwillens weht mit dem Ausdruck von der Beherrschung der Mittel, zeugt aus substantieller Kunst und Literatur menschliche Kommunikation. Das dürfte der Grundgedanke von Detlef Ignasiak, Günter Schmidt, Jens-Fietje Dwars und anderen gewesen sein, die 1992 in Jena, vom Thüringer Wissenschaftsministeriums gefördert, die thüringische literaturhistorische Gesellschaft »Palmbaum« gründeten.
Ihre Liebe zur Thüringer Barockliteratur führte sie zur Tradition der »Fruchtbringenden Gesellschaft«. Ein Jahr vor dem Dreißigjährigen Krieg richteten adlige und bürgerliche gelehrte Mitglieder, vor allem Fürst Ludwig zu Anhalt-Köthen in Weimar, Andreas Gryphius, Martin Opitz und Friedrich von Logau, das Zeichen des Palmenbaumes auf. Von der Sehnsucht nach Frieden und nach einer entwickelten deutsche Sprache und Literatur bestimmt, wollten sie »gütig/ frölig/ lustig und erträglich in worten und wercken sein«. Das Palmbaum-Projekt trägt, zudem der Romantik und dem Expressionismus ähnlich, die Hoffnung auf die Segnungen des Schrifttums. Seine Literaturzeitschrift soll den gegenwärtigen »deutschen hoch-prächtigen zungen« eine Stimme geben, mit einem Journal, das aus Thüringen kommt, dessen Literatur aber nicht auf die Topografie Thüringen beschränkt bleibt. Zu den Stammautoren gehören Landolf Scherzer, Wulf Kirsten, Wilhelm Bartsch, Kerstin Hensel, Daniela Danz, Peter Gosse, Nancy Hünger, Annerose Kirchner, Steffen Mensching, Andreas Reimann, B. K. Tragelehn, Hans-Dieter Schütt, Rolf Schneider, Reiner Kunze und andere, von denen unermüdlich quicklebendige Texte im »Winzig-Blatt Palmbaum« erscheinen, wie das Journal vom Autor Matthias Biskupek, der seit dem ersten Heft ständig präsent ist, abwiegelnd benannt wurde. Der etwas andere Ton überdeckt nicht den Stolz auf das Journal. Der Suche nach sprachlichen Begabungen verpflichtet, bringt das Heft seit 25 Jahren zweimal im Jahr (Auflage: 500 im quartus-Verlag Bucha bei Jena) immer neue Lyrik, Roman-Auszüge, Film- oder Theater-Projekte und Einblicke in Werk-entstehungen durch Spurensuche (Briefwechsel Gerhard Altenbourg und Horst Hussel).
Es deckt Hintergründe für Literatur auf, erforscht Literaturgeschichte, so »den allmählichen Übergang von der Marginalisierung zur Archäologisierung der DDR in der deutschen Literatur nach 1990« (von Dietmar Jacobsen) oder die extraordinär geschriebene und illustrierte Literatur der Edition »Herzattacke«. Biografien, Bibliografien und Rezensionen ergänzen und überblicken weitgehend die Thüringer Buchproduktion. Mit Erstaunen berührt den Leser im sensiblen »Rummelplatz«-Gedicht der älteren Autorin Christa Cibulka das stille Bleiben eines vergangenen Lebens. In seiner grandiosen Dichtung »Der Untergang Europas« werden Sprache und antike Bilderwahl Joachim Werneburgs von den elegischen Dichtungen Erich Arendts getragen. Mit köstlicher Ironie erzählt Steffen Mensching »Eine Episode/ der ostdeutschen Literaturgeschichte«, in welcher der Dichter Heiner Müller, der gerade das Fenster putzt, vom Nachwuchsautor Peter Brasch, der die Absicht eines Sturzes aus dem Fenster vermutete, inständig aufgefordert wird: »TUS NICHT, HEINER, DIE WELT BRAUCHT DICH«.
Die Hefte besitzen Titelthemen, wie »SPRACHE MACHT POLITIK MACHT SPRACHE«, »Zum Lachen«, »Buchkunst« oder »Beiträge zur Literaturgeschichte«, so zum 200. Geburtstag von Gustav Freytag mit erstmals gedruckten Auszügen aus dem Drehbuch einer geplanten und 1977 verbotenen Verfilmung von »Soll und Haben« durch die Regie-Legende Fassbinder.
Besonders wichtig die Sparte »Zum Palmbaum-Umschlag« und Dwars‘ Gespräche mit den Malern und Grafikern, deren Arbeiten das Heftäußere seit 2005 als Augenlust prägen. Dwars ist zuzustimmen, dass »sie Zeitzeichen [sind], verdichtete Augenblicke der sich mit uns vollziehenden Geschichte«. Deshalb lebt die Hoffnung des Chefredakteurs: »Wer in 25 oder 50 Jahren wissen möchte, worüber man um die Jahrtausendwende in Thüringen schrieb, […] der wird aus den Heften dieser Zeitschrift einiges erfahren«, auch auf bildkünstlerischem Gebiet, denn der Palmbaum verschafft auch einen Überblick über Vielfalt und Qualität der bildenden Kunst in Thüringen und ganz Mittel- und Ostdeutschland.
Eine umfangreiche Ausstellung in Erfurt breitet aus, wie phantasievoll die Hefte von ihren Umschlägen bekleidet werden. Die Buchkünstler Dwars und Jo Fried verarbeiten die originalgrafischen Vorlagen zu Titelblättern, die in der als Wanderausstellung konzipierten Schau neben den Originalen als Andruck präsentiert werden und zeigen, wie bei Großformaten Ausschnitte gewählt oder kleine Motive vergrößert wurden. Karl-Georg Hirsch aus Leipzig, der im Gespräch die Ausbildung in grundlegenden Genres und Techniken in der DDR lobt, schuf eine antiidyllische Illustration zum Gedicht »Todin« seines Dichterfreundes Peter Gosse. Mit subtiler, eigenständiger Zeichenkunst und grafischer Ausführung in Holz- und Linolschnitten, Radierungen erstaunen immer wieder die Einbände der Geraer Gerda Lepke, Erik Buchholz und Kay Voigtmann, des Weidaers Horst Sakulowski, ebenso der Weimarer Ulrike Theusner, Ullrich Panndorf, Walter Sachs, Roger Bonnard, Martin Max und Horst Peter Meyer, des Sondershäusers Gerd Mackensen, der Erfurterin Sabine Sauermilch, des Altenburgers Peter Schnürpel oder des Hallensers Moritz Götze, des Chemnitzers Klaus Süß und des Berliner Malers und Grafikers Strawalde/Jürgen Böttcher, der keine Illustrationen, nur frei schwingende Zeichnungen macht. Dies zur unbedingten Begeisterung von Jens-Fietje Dwars, der dafür sorgt, dass aus dem Palmbaum-Journal gleichnishaft ein frischer geistiger Wind über schöne Gestaltung herüberweht, uns bespringt und Überlegungen gebiert.
Erfurt, Haus Dacheröden, Anger 37. Zur Finissage am 10. Oktober: eine Lesung des Lyrikers Wulf Kirsten und ein Gespräch mit dem Palmbaum-Chefredakteur und Ausstellungsmacher Jens-Fietje Dwars
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