Die Kunst aus der DDR sei ein »hässlicher Regentropfen der Geschichte, der schnell verdunstet«, verkündete der Kurator der Ausstellung »60 Jahre – 60 Werke«, die anlässlich des 60. Geburtstages des Grundgesetzes der BRD im Berliner Gropiusbau stattfand und in der DDR entstandene Kunst vollkommen ausschloss. Wenn man sich dieser rüden Wortwahl anschließt, könnten wohl eher fragwürdige Schöpfungen des hochbezahlten Gerhard Richter »verdunsten«. Vielen Dresdenern gefiel überhaupt nicht, dass man ihm im Albertinum zwei ganze Säle eingeräumt hatte. Sie vermissten Arbeiten von Künstlern aus der DDR und forderten auf einer Versammlung am 6. November 2017 im Albertinum vehement dazu auf, sie aus dem Depot zu holen. Die Leitung des Museums musste sich den Einwurf anhören, sie sei fehl am Platze, wenn sie nicht begreife, welchen Reichtum sie weggeschlossen hatte.
Wenig später erschien in der Sächsischen Zeitung ein Artikel der US-amerikanischen Kunstwissenschaftlerin April A. Eisman, die über Bernhard Heisig und die Kulturpolitik in der DDR promoviert hatte und an der Iowa State University lehrt. Sie urteilte, es sei schlichtweg ein Irrtum zu meinen, ostdeutsche Kunst sei nicht so gut wie die westdeutsche. Sie kritisierte, dass Museen wie das Albertinum »ihre Säle oft mit zweitklassiger ›Siegerkunst‹ des Westens füllen, während etliche erstklassige Werke ostdeutscher Kunst im Depot verschwinden«.
Am 15. Juni 2018 wurde nun in Dresden eine Ausstellung mit dem einfallslosen Titel »Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949–1990« eröffnet. Sie wurde »ertrotzt, nicht geplant«, schrieb der Kulturwissenschaftler Paul Kaiser in der Sächsischen Zeitung. Deshalb gibt es keinen Katalog, nur einige Faltblätter. Die Museumsleitung versteckt sich hinter dem Ausdruck »Bestandspräsentation«. Die Schau zeigt 114 Gemälde und 33 Skulpturen und fand sofort im In- und Ausland großen Anklang. Für viele Besucher war die Wiederbegegnung mit den Werken wie ein Nachhausekommen. Sie fanden ihr Leben in der DDR wieder, ihren Alltag, ihre Freuden und Sorgen – in Landschaften, Porträts, Allegorien, metaphorischen und mythologischen Darstellungen. Allen bekannt sind zum Beispiel Willi Neuberts »Schachspieler«, Harald Hakenbecks »Peter im Tierpark«, Wolfgang Mattheuers »Flucht des Sisyphos« und natürlich Walter Womackas »Paar am Strand«. Waldemar Grzimek porträtierte Bertolt Brecht in einer Kleinplastik, Wieland Förster schuf ein ebenso beeindruckendes Porträt des Schriftstellers Franz Fühmann. Werke von Werner Tübke, Angela Hampel, Konrad Knebel und vielen anderen sind zu sehen. Sie alle sind uns lieb und teuer geworden und erinnern an ein Miteinander, Nebeneinander und auch Gegeneinander, wie es unsere Vergangenheit prägte, an ein Lebensgefühl, an dem wir die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse messen. Filmausschnitte zeigen unter anderem die Arbeit der Jury unter Leitung von Lea Grundig zu den großen Kunstausstellungen in Dresden. Kunst war ein Lebensbedürfnis. Wie steht es heute damit? Und was geschieht mit diesen Werken, wenn die Ausstellung schließt?
Das Schweriner Staatliche Museum eröffnete am 6. Juli 2018 ebenfalls eine Ausstellung mit Arbeiten von Künstlern aus der DDR. Sie wurde langfristig geplant und vorbereitet. Angeboten wird ein zweisprachiger Katalog (28 €). Der Titel »Hinter dem Horizont« ist klug gewählt. Man wird zum Beispiel an die Bilder »Horizont« oder »Hinter den sieben Bergen« von Wolfgang Mattheuer erinnert. Sein »Schwebendes Liebespaar« von 1970 eröffnet denn auch den Rundgang. Diese Ausstellung präsentiert alle Bereiche: Gemälde, Zeichnungen, Plastiken, Collagen, Mail Art und Aktionskunst. Man kann Niemeyer-Holsteins Stillleben und Landschaften bewundern, Werke von Künstlern aus Mecklenburg-Vorpommern wie Susanne-Kandt-Horn, Otto Manigk oder Vera Kopetz, auch Clemens Gröszers »Bildnis Andrea« und beeindruckende Arbeiten von Ulrich Hachulla und Wolfgang Peuker, die vom Museum erworben wurden. Die Museumspädagogen ließen sich etwas Besonderes einfallen: Auf Extra-Tafeln führt ein Wurm namens Lineata die Kinder auf lobenswerte Weise durch die Bilderschau. Ein in den Rundgang integriertes Atrium ist Thomas Zieglers Mehrtafel-Gemälde »Sowjetsoldaten« und Heidrun Hegewalds Ganzkörperporträt »Die Rosa« vorbehalten. Hier finden vor den Kunstwerken Diskussionen statt. Auch in der ständigen Sammlung der Gegenwartskunst gibt es Arbeiten von Bernhard Heisig, Gudrun Brüne, Wieland Förster und vielen anderen Künstlern aus der DDR. Sie gehören selbstverständlich dazu und werden nicht schamhaft im Depot versteckt. Im Schweriner Museum geht man selbstbewusster und selbstverständlicher mit dieser Kunst um als in Dresden.
Schon früher waren Ausstellungen wie »Lebenswerke« und »Hinter der Maske« in Potsdam, »bildersuchlauf« in Cottbus, »Sonnensucher« in Gera und an anderen Stationen auf einem guten Weg der Annäherung, des Aufeinanderzugehens, des Abtauens bösartiger Vorurteile. Der Karikaturist Harald Kretzschmar brachte es auf den Punkt und schrieb im neuen deutschland: »Die Vorstellung von einem Ost-West-Einheitsmenschen ohne Erinnerung an Gewesenes ist ein Phantom.« Es ist etwas in Gang gekommen. Hoffen wir weiter.
Die Ausstellung »Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949–1990« im Dresdener Albertinum ist bis zum 7. Januar 2019 dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr geöffnet. Besuchereingänge: Georg-Treu-Platz und Brühlsche Terrasse. – Die Ausstellung »Hinter dem Horizont« schließt am 7. Oktober 2018. Staatliches Museum Schwerin, Alter Garten 3, geöffnet dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr.
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