Über die Naziverstrickungen des frühen Bundesnachrichtendienstes
unter Reinhard Gehlen wird mittlerweile in aller Öffentlichkeit
gesprochen – das »Stay-behind«-Netzwerk aber bleibt weiter außen vor
Von Wolf Wetzel
Beim Anschlag auf das Oktoberfest am 26. September
1980 starben 13 Menschen. Ob der Täter, der Verbindungen zur
faschistischen ›Wehrsportgruppe Hoffmann« unterhielt, zum
»Stay-behind«-Netzwerk der NATO zählte, ist bis heute unklar (München am
Tag des Attentats)
Foto: Istvan Bajzat/dpa
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Wolf Wetzel schrieb an dieser Stelle zuletzt am 31. August 2017 über den NSU-Prozess.
Wenn ein Nachrichtendienst, der eigentlich als Auslandsgeheimdienst
fungieren soll, Kriegsverbrecher deckt, weil seine Mitarbeiter am
»Dritten Reich« nichts auszusetzen haben (bis auf dessen Zusammenbruch),
wenn er bereit ist, im eigenen Land einen »illegalen Apparat« zu
etablieren, »um alle Elemente zu bekämpfen, die eine pro-sowjetische
Politik befürworten«1, wenn er den Außenminister der eigenen Regierung
»beobachtet wie einen Staatsfeind«2 und Spitzel im Umfeld der eigenen
Regierung, diverser Ministerien, den Parteien und den großen Medien
unterhält, wenn er den »Parteigeheimdienst«3 der regierenden Partei mit
Dossiers über politische Konkurrenten versorgt, dann nennt man das
dahinter stehende System einen »tiefen Staat«. In der Bundesrepublik
Deutschland aber wird der Hinweis darauf zunächst als
»Verschwörungsphantasie« denunziert und wenn es sich nicht mehr
widerlegen lässt, achselzuckend zur Kenntnis genommen.
Der Geheimdienst, von dem hier die Rede ist, nennt sich
Bundesnachrichtendienst (BND) und ist, zumindest dem Gesetz nach, im
Ausland tätig. Sein Vorläufer wurde bereits 1946 aufgebaut und trug den
Namen »Organisation Gehlen«. Reinhard Gehlen (1902–1979) war
Generalmajor der Naziwehrmacht und Leiter des Armeegeheimdienstes
»Abteilung Fremde Heere Ost«. Kurz vor der Niederlage des Faschismus
ergab er sich und bot den Vereinigten Staaten seine Dienste an. So
entstand, kontrolliert von den US-amerikanischen Besatzungsbehörden die
»Organisation Gehlen«, für die das ehemalige NSDAP-Mitglied auf manche
seiner ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter zurückgreifen konnte. Damit
wurde, wie eine interne Studie der CIA 1954 freimütig einräumte, »ein
braunes Sammelbecken« geschaffen. Zu den Mitarbeitern des westdeutschen
Nachrichtendienstes zählten u. a.: Klaus Barbie, der berüchtigte
Gestapo-Chef von Lyon, Alois Brunner, ein führender Mitarbeiter Adolf
Eichmanns, Franz Rademacher, Leiter des sogenannten Judenreferats im
Auswärtigen Amt, Walther Rauff, auf den die Verwendung mobiler Gaswagen
zurückgeht, sowie viele andere »ehemalige« Nazis. Der neue Geheimdienst,
so könnte man sagen, bestand aus Nazizellen. Die Mehrheit derer, die zu
Beginn der 1950er Jahre in Westdeutschland politische Verantwortung
innehatten, störte das nicht. Die »Organisation Gehlen« ging 1956
komplett im neu gegründeten BND auf. Und der Chef dieses
Auslandsgeheimdienstes wurde – Reinhard Gehlen.
Faschistische Spezialtruppe
In seine Amtszeit fällt der
Aufbau und die Führung einer staatsterroristischen Vereinigung namens
»Stay-behind«. Unter konspirativen Umständen und Ausschaltung aller
demokratischen Kontrollgremien wurden ab den 1950er Jahren in vielen
NATO-Staaten unter Führung des Militärbündnisses neonazistische Gruppen
angeworben und bewaffnet. In Deutschland war damit die »Organisation
Gehlen« beauftragt. Das auf NATO-Ebene angesiedelte Stay-behind-Programm
diente der Abwehr der »roten Gefahr«. Im Fall einer »sowjetischen
Invasion« sollten Faschisten als irreguläre Truppen hinter den
feindlichen Linien Aufklärung betreiben und Sabotageaktionen
durchführen, daher die Bezeichnung Stay-behind. Zu ihrer Aufgabe zählte
auch das Ausschalten von »Kollaborateuren«, die man bis in linke
SPD-Kreise hinein sowie in der Friedensbewegung vermutete. Doch der »Tag
X«, die militärische Invasion der Sowjetunion, blieb aus.
Als in den 1960er und 1970er Jahren die außerparlamentarische
Opposition wuchs, und sich europaweit die politischen Kräfteverhältnisse
nach links verschoben, veränderte sich auch der operative Auftrag
dieses staatsterroristischen Netzes: Der Feind wurde fortan nicht mehr
außen, sondern innen verortet. An die Stelle der Sowjetunion traten
linke und kommunistische Parteien sowie militante Gruppen außerhalb des
parlamentarischen Parteienspektrums. Zahlreiche Angriffe auf linke
Zentren und Morde an Linken in verschiedenen Ländern, die
selbstverständlich nie aufgeklärt werden konnten, gehen mutmaßlich auf
das Konto der Stay-behind-Truppe.
Gleichzeitig orientierten die Verantwortlichen auf eine »Strategie
der Spannung«: Mit Terroranschlägen, die auf den ersten Blick wahllos
und sinnlos erschienen (wie der Bombenanschlag in Bologna am 2. August
1980 oder der auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980),
sollte ein Klima der Angst erzeugt werden, in dem die Bevölkerung
bereitwillig weitere Einschränkungen von Freiheits- und Schutzrechten
bis hin zur Ausrufung des Staatsnotstandes hinnehmen würde. Gleichzeitig
nutzte man diese verheerenden Attentate, indem man linke Gruppierungen
(in Italien die Roten Brigaden, in Deutschland die Rote Armee Fraktion)
dafür verantwortlich machte, um so weitere repressive Maßnahmen gegen
diese bewaffneten Organisationen zu legitimieren. Im Prinzip ging es
darum, militante linke Gruppen mit extralegalem Terror zu bekämpfen. In
Italien trug diese Verbindung von neofaschistischen Kadern,
militärischen Führungsstäben und Geheimdiensten den Namen »Gladio«. Der
Staat legte sich auf diese Weise, neben dem existierenden Gewaltapparat,
eine Struktur zu, die von Gerichten ungestört operieren konnte.
Das schier Unvorstellbare, dass nach der militärischen Niederlage
des Faschismus Regierungen in Europa und militärische Kommandostellen
der NATO mit neofaschistischen Gruppierungen zusammenarbeiteten, war
über 30 Jahre ein gutgehütetes Geheimnis. Die Aufklärung wurde
behindert, wo es nur ging: Akten verschwanden, Beweismittel wurden
vernichtet, Zeugen verstarben, und Aussagewillige nahmen sich das Leben.
Bis heute wird behauptet, es habe sich bei den Terroranschlägen um
Einzeltäter gehandelt. Dass es eine deutsche Stay-behind-Truppe gegeben
hat, ist aber zumindest seit dem Jahr 2013 offiziell bekannt. Auf eine
parlamentarische Anfrage des Linkspartei-Abgeordneten Andrej Hunko
antwortete der Staatsminister Eckart von Klaeden: »Infolge der
weltpolitischen Veränderungen hat der Bundesnachrichtendienst in
Abstimmung mit seinen alliierten Partnern zum Ende des 3. Quartals 1991
die Stay-behind-Organisation vollständig aufgelöst.«4
Schwierige Reform
In letzter Zeit schreibt die
Süddeutsche Zeitung (
SZ)
auffallend oft über den BND – und das äußerst kritisch. Da ist
ungeschönt von faschistischen Kontinuitäten die Rede. Man nennt den BND
ein »Schattenreich«, in dem Nazis Zuflucht, Anstellung und Schutz
gefunden haben und dessen Mitarbeiter »außerhalb jeder parlamentarischen
Kontrolle« agierten. Auch wird bemerkt, dass die parlamentarische
Kontrolle des Nachrichtendienstes bis heute ein Witz ist und dass eine
»Reform« her müsse. Der Ruf nach einer solchen wurde besonders laut, als
der BND erst bestritt, dann log und schließlich zu dem Vorwurf schwieg,
er sei Teil des globalen Überwachungssystems des
US-Auslandsgeheimdienstes National Security Agency (NSA).
Nachdem der »NSA-Skandal« im Jahr 2013 für einigen Unmut und
»verfassungsrechtliche« Bedenken sorgte, wollte man den Geheimdienst
fortan an die kurze Leine nehmen und aus der rechtsfreien Zone
herausholen – hieß es. Im Oktober 2016 kam dann die Reform – und wie!
Was früher nicht explizit verboten war, wurde jetzt ausdrücklich
erlaubt: »An diesem Freitag hat der Bundestag nun die größte BND-Reform
aller Zeiten verabschiedet. Das Gesetz verpasst dem Dienst neue Regeln.
Regeln, die für Transparenz und Klarheit sorgen, schwärmt die große
Koalition. Kritiker schimpfen: Das Gegenteil ist der Fall, frühere
Rechtsbrüche werden für die Zukunft legitimiert«, hieß es in einem
Kommentar im
Spiegel.5 Sicher ist jedenfalls eines: Die über
6.000 Arbeitsplätze beim BND sind gerettet, die Mitarbeiter können
wieder ruhig schlafen: »Die frühere Rechtsgrundlage, die fast nichts
verboten habe, habe die BND-Mitarbeiter verunsichert«, so der damalige
Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Clemens Binninger
(CDU).
Auch die
SZ zeigte sich empört und ließ nicht locker. In
der Ausgabe vom 8. Dezember 2017 war zu lesen: »Die Kontrolle des
Bundesnachrichtendienstes (BND) gestaltet sich trotz aller Reformen
weiter sehr schwierig. Ein erst im Frühjahr installiertes neues
›Unabhängiges Gremium‹, das aus zwei Bundesrichtern und einem
Bundesanwalt besteht, kommt in seinem ersten geheimen Bericht zu einem
für Befürworter von Kontrollen des Bundesnachrichtendienstes
deprimierenden Ergebnis.«6 Wie das Blatt weiter berichtet, hatte die
Datenschutzbeauftragte des Bundes, Andrea Voßhoff, bereits im September
2016 massive Vorwürfe gegen den Auslandsnachrichtendienst erhoben und
von »systematischen Gesetzesverstößen« gesprochen. Der BND habe ihre
»Kontrolle rechtswidrig mehrmals beschränkt. Eine umfassende, effiziente
Kontrolle« sei ihr nicht möglich gewesen. Die Schlussfolgerung in der
SZ:
»Im Grunde macht das neue Gremium die Erfahrungen, die schon die
früheren Kontrolleure gemacht haben. Was wirklich wichtig sein kann, ist
von irgend jemand geschwärzt worden. Vier Jahre ist es her, dass der
Whistleblower Edward Snowden die Massenausspähung der amerikanischen
National Security Agency (NSA) enthüllt hat. Dann kam heraus, dass BND
und NSA eng zusammengearbeitet hatten und schließlich stand fest, dass
auch der BND Ausländer wie Freiwild behandelte und sie kräftig
ausspionierte. Schärfere, strengere Kontrollen wurden gefordert. Ein
neues BND-Gesetz wurde verabschiedet. So wurde auch das neue Unabhängige
Gremium geschaffen. Aber es scheint so zu sein, wie es immer war.«
Gehlens Archiv
Auch mit Blick auf die Geschichte des BND
blieb die Zeitung aus München kritisch. Im Laufe des Jahres 2017 wurde
der Redaktion Reinhard Gehlens Geheimarchiv zugespielt. In einer
Reportage von Uwe Ritzer und Willi Winkler heißt es: »Die Vergangenheit
kommt in zwei Pappkartons. Schmale Ordner, ein paar Schnellhefter,
Stapel eng mit Maschine beschriebenes Papier (…). 46 Blechdosen, in
Leinensäckchen oder gelben Kodak-Schachteln, in jeder Filmdose eine
Spule mit meterlangem Zelluloidstreifen (…). Mehr als 100.000 Dokumente,
sauber abfotografiert, systematisch auf Zelluloid archiviert, oft
›geheim‹ oder ›streng geheim‹ gestempelt.«7 Über die Herkunft des
Materials schweigt die
SZ sich aus, »aus vertraulicher Quelle
zugespielt«, schreiben die beiden Journalisten. Inhaltlich findet sich
manches Neue in dem Material, aber doch nichts Sensationelles. Das
Gehlen-Archiv enthält die Lebensläufe zahlreicher Nazis, die in der BRD
neben und mit Ex-Generalmajor Gehlen eine »demokratische« Karriere
machen: den des Mitverfassers und Kommentators der »Nürnberger
Rassengesetze«, Staatssekretär Hans Globke, Adenauers rechte Hand. Man
erfährt, was auch nicht besonders neu ist, dass der BND alle
bespitzelte, die man für »links« hielt, was damals noch die SPD
einschloss. So wurde auch der Politologe Wolfgang Abendroth überwacht,
weil er sich gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands ausgesprochen
hatte. Er war dem BND ein eigenes Dossier wert. Und der Geheimdienst
verfügte über einen Spitzel »ganz oben an der Spitze der SPD«, den
Informationsdirektor Fried Wesemann. Die Reportage endet mit den Worten
Gehlens, der bis zum letzten Atemzug ein Antikommunist und Nazi blieb:
»Hitlers Entschluss, in die Sowjetunion einzufallen, war militärisch und
politisch richtig, nur die Art, wie er den Feldzug führte, war
falsch.«8
Das von der
SZ über mehrere Artikel verteilte Material aus
dem Privatarchiv zeigt, dass der BND tatsächlich ein eigenes
»Schattenreich« aufgebaut hat, dass also in der BRD eine Form des
»tiefen Staates« existiert. Es zeigt auch, dass all dies bis heute nicht
aufgearbeitet, geschweige denn aufgelöst wurde. Man sollte sich fragen:
Warum lassen Parlament und Regierung dies zu? Warum stärken sie dieses
»Schattenreich« noch? Und eine weitere Frage stellt sich: Warum bekommt
ausgerechnet die
SZ das Privatarchiv Gehlens zugespielt?
Wer die Geschichte des BND kennt, und die kennt natürlich auch die
SZ,
wundert sich, dass in den Dokumenten aus Gehlens Privatarchiv über das
Mitte der 1950er Jahre aufgebaute »Stay-behind«-Netzwerk nichts zu
finden ist. Oder berichtete das Blatt nur nicht darüber? Schließlich
erscheint es mehr als unwahrscheinlich, dass Gehlen darüber nichts
archiviert hat. Und selbst wenn, warum erwähnt die
SZ nicht
wenigstens, dass Gehlen ein Gründungsvater dieses staatlichen
Terrornetzes war? Warum verliert sie darüber kein einziges Wort?
Ein Dilettantenverein?
Wenn es nach dem Blatt aus
München geht, so ist der BND bei keiner im Bundestag vertretenen Partei
wohlgelitten – bis auf die CSU. Hans Leyendecker schreibt in der Ausgabe
vom 1. Juni 2017: »Mit Verachtung, Spott und Misstrauen reagierte viele
Jahre die Politik außerhalb Bayerns auf Aktivitäten des
Bundesnachrichtendienstes (…). CDU-Kanzler Ludwig Erhard verwies den
Verbindungsstab der Geheimen aus der Dachstube des Kanzleramts, weil er
›mit solchen Leuten‹ nichts zu tun haben wollte. Der SPD-Kanzler Helmut
Schmidt höhnte über den ›Dilettantenverein‹«. In den 1990er Jahren soll
der BND dann im Zuge der sogenannten Plutonium-Affäre auch »die letzten
Getreuen« aus den Reihen der bayrischen Christsozialen verloren haben.9
Sollte all das stimmen, bliebe die Frage, warum dann der BND nach
wie vor »unkontrollierbar« sein soll. Wenn das Parlament wollen würde,
hätte es die Macht im Handumdrehen: Es müsste nur ein Gesetz
verabschieden, das den BND dazu verpflichtet, das zu tun, was er bis
heute torpediert. Die Rede vom zahnlosen Parlament, von hintergangenen
Parlamentariern ist mehr als verschleiernd. Es handelt sich um eine
falsch gelegte Fährte. Wer 60 Jahre vom Geheimdienst »hintergangen«
wird, ist nicht hilflos, sondern Pate, Partner und Komplize.
Es gibt für diese Annahme keinen besseren Zeugen als Klaus-Dieter
Fritsche (CSU). Ein Mann, dessen »Laufbahn« für sich spricht: Von 1996
bis 2005 war er Vizechef des Inlandsgeheimdienstes, genannt
Verfassungsschutz. Um zu klären, wie versehentlich wichtige Akten von
V-Leuten im Nahbereich des NSU vernichtet werden konnten, wurde er am
18. Oktober 2012 als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des
Bundestages befragt. Im Gegensatz zu vielen anderen Bediensteten seiner
ehemaligen Behörde war von ihm kein Bedauern zu hören und er täuschte
auch keine Erinnerungslücken vor. Er machte vielmehr klar, warum die
Behörde so gehandelt hat und warum dies richtig war: »Es dürfen keine
Staatsgeheimnisse bekannt werden, die ein Regierungshandeln
unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder
Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie
Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten
Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz
›Kenntnis nur wenn nötig‹. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn
die Bundesregierung oder eine Landesregierung daher in den von mir
genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht
oder nur geschwärzt diesem Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das
kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer
Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein.«10
Er baute im Auftrag der USA die
Vorläuferorganisation des BND auf – Reinhard Gehlen (1902–1979),
Generalmajor der Naziwehrmacht und Leiter des Armeegeheimdienstes
»Abteilung Fremde Heere Ost« (Aufnahme aus dem Jahr 1944)
Foto: picture-alliance / dpa
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Nach seiner Tätigkeit beim Inlandsgeheimdienst arbeitete Fritsche
von 2005 bis 2009 als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt. Von
Dezember 2009 bis 2013 war er Staatssekretär im Bundesinnenministerium.
Im Januar 2014 stieg er zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt und zum
Beauftragten für die Nachrichtendienste des Bundes auf. Er wurde damit
zum ranghöchsten Beamten im Bereich »Innere Sicherheit«. Eine
Traumkarriere. In dieser Funktion zeigte er Ende des vergangenen Jahres
auch den Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums ihre Grenzen
auf. In der
SZ war zu lesen, er habe die Kontrolleure des
Parlamentarischen Kontrollgremiums zu absoluter Vertraulichkeit im
Zusammenhang mit dem Bericht des Unabhängigen Gremiums ermahnt (…).
Sollte der Bericht an die Öffentlichkeit dringen, könne dies auch
strafrechtliche Konsequenzen haben«.11
Kein Vertrauensverlust
Der immer wieder behauptete
Vertrauensverlust zwischen Geheimdienst und politischer Führung
existiert im Kern nicht. Sonst wäre Klaus-Dieter Fritsche nicht da, wo
er heute ist. Tatsächlich schweißen die von ihm angesprochenen
»Staatsgeheimnisse« alle zusammen: die Parteien und die Medien, die sich
um sie scharen. Das betrifft ganz besonders die »Staatsgeheimnisse« in
den Zuständigkeitsbereichen des BND und des Verfassungsschutzes. Denn
wer möchte ernsthaft als regierungsbereite Partei das Fass »Stay-behind«
aufmachen und sich damit möglicherweise selbst belasten? Wer will die
»Staatsgeheimnisse« im Kontext der NSU-Terror- und Mordserie lüften, die
dann nicht nur den Verfassungsschutz belasten würden, sondern auch all
jene, die diesen politisch und dienstrechtlich führen? Wenn also die
SZ
über das, wofür »Gehlen« steht, nur die halbe Wahrheit schreibt, dann
tut sie den Geheimdiensten trotz aller anderen Enthüllungen einen großen
Gefallen. Und genau hier, bei den Geheimdiensten, darf man wohl auch
die »vertrauliche Quelle« vermuten, die die
SZ so reichlich beschenkt hat.
Anmerkungen:
1 Uwe Ritzer/Willi Winkler: »Jäger, Sammler, Vogelfreund. Blick ins Schattenreich des berüchtigten BND-Chefs Reinhard Gehlen«,
Süddeutsche Zeitung, 2.12.2017
2 Ebd.
3 »Kanzler Adenauer ließ Willy Brandt bespitzeln«,
Der Spiegel 15/2017
4 Stenografischer Bericht der 236. Bundestagssitzung vom 24.4.2013 (Plenarprotokoll 17/236, S. 29.634),
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17236
5 Annett Meiritz: »Spionage-Affäre bequem abgeräumt«,
Spiegel online, 21.10.2016
6 Hans Leyendecker/Reiko Pinkert: »BND behindert Kontrollgremium bei der Arbeit«,
Süddeutsche Zeitung, 8.12.2017
7 Uwe Ritzer/Willi Winkler: »Jäger, Sammler, Vogelfreund, a. a. O.
8 Ebd.
9 Hans Leyendecker: »Ein Geheimdienst wie aus einem schlechten Agentenfilm«,
Süddeutsche Zeitung, 1.6.2017
10 Hans Leyendecker/Reiko Pinkert, a. a. O.
11 Ebd.