Donnerstag, 10. November 2016

Links ist jetzt rechts?

Auslöser seines Rauswurfes beim öffentlich-rechtlichen Radio Ende 2011 ist dann eine vermeintlich „antisemitische Mail“, die von einem Chatpartner Jebsens an den Journalisten Henryk M. Broder weitergeleitet wird, der daraufhin die Leitung des RBB informiert. Dort zuckt man umgehend zusammen, weiß man doch um Broders guten Draht in diverse Redaktionen und seine Fähigkeit, öffentlichen Druck aufzubauen.

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Quelle: Nachdenkseiten vom 8. November 2016

Verantwortlich: Jens Berger

Der Fall Ken Jebsen:

Ein journalistisches Lehrstück

Fällt der Name Ken Jebsen, dann schrillen bei vielen Menschen die Alarmglocken. Ist das nicht dieser „nach Antisemitismusvorwürfen entlassene frühere RBB-Moderator“ und „neurechte Demagoge“, der „Verschwörungstheorien zum 11. September vertritt“? So oder ähnlich lauten zumindest einige medial häufig verbreitete Einschätzungen. Was ist dran an den Vorwürfen? Fest steht: Mit KenFM betreibt Jebsen eines der mittlerweile erfolgreichsten crowdfinanzierten Medienportale Deutschlands – sein Youtube-Kanal hat mehr Zuschauer als der des WDR, auf Facebook hat sein Portal mehr Likes als die ARD.

Von Paul Schreyer[*].

Auch ich war schon bei KenFM als Interviewgast eingeladen – und registrierte bei dieser Gelegenheit zunächst einmal die immens gründliche inhaltliche Vorbereitung des Gastgebers auf das Gespräch, was im journalistischen Geschäft keineswegs die Regel ist. Alles zusammen Grund genug, ein in diesen Tagen erschienenes Buch unter die Lupe zu nehmen, in dem Jebsen nun auf gut 250 Seiten ausführlich vom Kollegen Mathias Bröckers interviewt wird.
Vorab: Das Buch ist spannend. Die wesentlichen Kontroversen zur Person werden erörtert, außerdem das facettenreiche Leben des 50-jährigen geschildert. Jebsen hat nicht nur über zehn Jahre für den RBB gearbeitet und dort eine der populärsten Radiosendungen verantwortet, außerdem bei ZDF und Pro7 moderiert, sondern war vorher zunächst so medienfern, wie man es sich nur denken kann: als Seemann bei der Handelsmarine und dann als Niedriglohnjobber in verschiedenen Firmen, zum Beispiel auch an einer Stanze für Gussteile eines Automobilzulieferers. Dazu sagt er im Interview:
„Es ging mir weniger um den schmalen Lohn, sondern mehr darum, vor mir selber sagen zu können, ich komm alleine durch. Seit ich ein Teenie war, hatte ich Jobs angenommen. Oft welche, die man eigentlich erst ab sechzehn machen durfte. Aber man beschäftigte mich schwarz und ging davon aus, dass ich bei meinem iranischen Namen meine Rechte sowieso nicht kennen würde, falls etwas passiert. Als ich später das Buch von Wallraff „Ganz unten“ in die Finger bekam, dachte ich, das kenn ich, in dem Milieu habe ich gearbeitet.“
Später zog ihn die Bundeswehr ein – setzte ihn allerdings bald wieder vor die Tür, wie er im Buch schildert: „`Mit Ihnen kann man keinen Krieg gewinnen´, sagte mein Vorgesetzter schnippisch. `Korrekt´, sagte ich, »`aber auch keinen anfangen – Peace!´“
Jebsen ist offenbar sein Leben lang vor allem eines: unangepasst und kein Leisetreter. Die meiste Zeit gefällt dieses Bunte und Anregende auch vielen im Medienbetrieb. 2007 etwa bekommt er für eine seiner Reportagen den renommierten und von der ARD mitgetragenen Europäischen Civis Hörfunkpreis. Und 2004 schrieb die „taz“ über seine damals noch vom RBB ausgestrahlte Radiosendung KenFM lobend: „Das ist das Schöne und Außergewöhnliche an Ken FM, der Sound ist schräg, aber er baut sein Spiel auf Wissenschaft, auf Geschichte, Philosophie, Technik. Hirnforschung und Atomphysik statt Supergewinnspiel und sinnlosem Werbeclaim. (…) Als Gast eingeladen wird nur, wer wirklich etwas zu erzählen hat oder zumindest ungewöhnlich ist. (…) Man fragt sich, warum der RBB die Ken-FM-Show nicht längst ins Fernsehen transferiert hat.“
Die Antwort auf diese Frage könnte man im Politischen finden. Denn Jebsen macht beim RBB nicht nur originelles, unterhaltsames und lehrreiches Radio, sondern rührt auch heiße Eisen an, von denen die meisten Kollegen aus guten (Karriere-)Gründen die Finger lassen. So produziert er etwa 2011 eine lange und gründlich recherchierte Sendung, in der die offizielle Darstellung von 9/11 umfassend hinterfragt wird. Nach den Bombardements in Gaza wiederum kritisiert er die Politik der israelischen Regierung als „zionistischen Rassismus“. Beides, so schreibt es Mathias Bröckers nun im Vorwort des Buches, „ist in Deutschland verboten und wird von den Inquisitoren des politischen Diskurses mit Verbannung in die Schmuddelecke des Verschwörungswahns bestraft“.
Auslöser seines Rauswurfes beim öffentlich-rechtlichen Radio Ende 2011 ist dann eine vermeintlich „antisemitische Mail“, die von einem Chatpartner Jebsens an den Journalisten Henryk M. Broder weitergeleitet wird, der daraufhin die Leitung des RBB informiert. Dort zuckt man umgehend zusammen, weiß man doch um Broders guten Draht in diverse Redaktionen und seine Fähigkeit, öffentlichen Druck aufzubauen. Jebsens Sendung wird abgesetzt. Aber, und das ist der Clou, nicht etwa wegen des Antisemitismus-Vorwurfs, der sich offenbar nicht nachvollziehbar belegen lässt. Die RBB-Programmchefin Claudia Nothelle meinte dazu 2011: „Der Sender hat Herrn Jebsen gegen den Vorwurf verteidigt, er sei Antisemit und Holocaust-Leugner. Allerdings mussten wir feststellen, dass zahlreiche seiner Beiträge nicht den journalistischen Standards des RBB entsprachen.“ Doch was war damit gemeint? Um welche „Standards“ ging es? Und welcher konkrete Beitrag hatte diesen Standards nicht genügt? Dazu schwieg der Sender skandalöserweise. Die „taz“ hatte 2011 nachgehakt und berichtete: „Details wurden vom Sender auch auf Nachfrage nicht genannt.“
Offenbar handelte es sich also um eine politische Entscheidung. Man fürchtete wohl schlicht weiteren öffentlichen Ärger mit diesem unangepassten Mitarbeiter. Auf Wikipedia sind die Details der Affäre mittlerweile einigermaßen sachlich zusammengetragen. Der Vorwurf der rechten Gesinnung bleibt in jedem Fall absurd, wenn man denn Jebsens Sendungen und Reden tatsächlich einmal umfassend zur Kenntnis nimmt. Mathias Bröckers hat das getan und begründet den Publikumserfolg Jebsens so:
„Nicht, weil er `rechts´ ist, sondern weil er echt ist. Als Kriegsgegner und Antimilitarist, als extremer Vertreter sozialer Gerechtigkeit und scharfer Kritiker des neoliberalen `Jeder gegen jeden´, als Antirassist und strikter `Anti-Antisemit´, der Israel oft bereist und seine Verwandten dort besucht – und mit 545 Folgen `RückblickKEN´ den ARD-Rekord im Warnen vor Faschismus und Holocaust hält. Als einer, der weiß, wovon er spricht, wenn es um Rassismus geht, der im niederrheinischen Krefeld geboren ist und den iranischen Namen seines Vaters abgelegt hat, weil er nicht immer gefragt werden wollte, wann er denn wieder zurückgeht. Und der sich, eben weil er für dieses Thema von klein auf sensibilisiert ist, das Recht nimmt, die rassistische Politik Israels als solche zu benennen und zu kritisieren. Nicht weil er Juden hasst, sondern weil ihm diese Politik zutiefst zuwider ist, wie übrigens auch vielen jüdischen Menschen innerhalb und außerhalb Israels. Und weil er in Israel einen Freund sieht, an dem ihm etwas liegt. Dass er seine Empörung darüber nicht vornehm zurückhält, wie es die hiesigen Diskurskonventionen (und NATO-Interessen) vorschreiben, auch das ist nicht `rechts´, sondern echt – humanistisch nämlich.“
Der Rauswurf beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk markierte dennoch den Beginn einer allgemeinen medialen Ausgrenzung Jebsens. Zwar durfte er sich 2012 noch in einem Interview mit der „taz“ äußern, doch ab Frühjahr 2014 traf ihn dann auch der Bannstrahl dieser Zeitung. Was war passiert? Jebsen hatte sich wieder politisch geäußert, diesmal als Redner auf den sogenannten „Montagsmahnwachen“, die im Zuge des Ukrainekonflikts an vielen Orten in Deutschland entstanden und wo tausende Menschen unterschiedlicher Coleur gegen den Krieg und eine allgemeine geistige Mobilmachung gegen den neuen Feind Russland demonstrierten. Fortan hieß es in den Medien – immer mit knappem Verweis auf die RBB-Affäre – Jebsen falle „durch seine mangelnde Abgrenzung nach rechts außen und seinen Hang zu Verschwörungstheorien“ auf.
Dass er sich schon im Frühjahr 2014 in einem offenen Brief „für einen humanistischen Grundkonsens“ gemeinsam mit anderen etwa von der Reizfigur Jürgen Elsässer distanziert hatte, wird bis heute von Medienvertretern kaum zur Kenntnis genommen. Jebsen bleibt in deren Darstellung (die auf weitere Recherchen im Zweifel gern verzichtet) der „neurechte Verschwörungstheoretiker“, zu dem schon Henryk M. Broder ihn – freilich ohne triftige Belege – erklären wollte.
Was bleibt, ist eine Art Rufmordkampagne, gegen die das vorliegende Buch nun mit vielen Fakten und Analysen antritt, welche letztlich weit über die Person Jebsens hinausreichen. Und so ist auch der Untertitel des Buches „Wie Journalismus im Netz seine Unabhängigkeit zurückgewinnen kann“ durchaus berechtigt. Denn genau darum geht es: Was macht ein Ken Jebsen als Journalist beispielhaft anders als viele Kollegen bei den etablierten Medien? Woher rührt sein erstaunlicher Erfolg, abseits sowohl des stetigen Geldstroms der öffentlich-rechtlichen Gebührenfinanzierung als auch jeglicher Werbegelder der Privatwirtschaft? Wie kann, wie muss Journalismus heute aussehen, wenn er weder die zweifelhafte Nähe von einflussreichen Eliten suchen, noch sich im Seichten und Belanglosen verlieren will? Der Fall Ken Jebsen ist ein journalistisches Lehrstück, sowohl zur Beantwortung dieser Fragen, als auch zum Zustand der heutigen Medien. Jebsen selbst sagt dazu im Interview:
„Da sind wir bei dem Punkt, dass man als Journalist mit einem ethischen und moralischen Werkzeug ausgestattet sein sollte. Ich habe schon auf dem Schulhof Prügeleien stellvertretend für andere angefangen, wenn drei Typen immer die `richtigen´ Opfer aufmischten, also Kids, die von vornherein absolut unterlegen waren. Da konnte ich nicht anders und hab das schon damals zu meiner Sache gemacht. Und hier ist es eben genauso. 9/11, die Geldpolitik, Uranmunition, PTBS – überall finden sich Opfer. Menschen, die einem terroristischen Willkürsystem ausgesetzt sind. Das schaue ich mir nicht tatenlos an. Als überzeugter Journalist geht es einem doch auch in etwa so wie einem Seelsorger oder Arzt: Man ist immer in Betrieb, immer wachsam, immer auf Draht. Man hat ja als Journalist eine wesentliche Aufgabe in der Demokratie, man soll dafür sorgen, dass Demokratie nicht korrumpiert wird, oder wenn dies geschieht, darauf hinweisen.“
Der Fall Ken Jebsen oder Wie Journalismus im Netz seine Unabhängigkeit zurückgewinnen kann. Der Macher von KenFM im Gespräch mit Mathias Bröckers“, Verlag fifty-fifty, 256 Seiten, 18,00 Euro
[«*] Paul Schreyer ist freier Journalist, Autor, Mitarbeiter und regelmäßiger Autor der NachDenkSeiten. Sein Buch „Wir sind die Guten – Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren“ (mit Mathias Bröckers) wurde ein Spiegel-Bestseller.

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