Freitag, 28. Juni 2013
Deutschland in Europa: Verquere Hegemonie-Debatte
IMI-Standpunkt 2013/028
von: Jürgen Wagner | Veröffentlicht am: 28. Juni 2013
Im Economist erschien unlängst ein viel beachteter Artikel, der Deutschland unter dem Titel „Europe’s reluctant hegemon“ dazu aufforderte, mehr Führungsstärke zu zeigen. Ganz ähnlich hatte auch der polnische Außenminister Radolsav Sikorski Berlin wiederholt dazu aufgefordert, die Führungsrolle in Europa anzunehmen: “Ich bin wahrscheinlich der erste polnische Außenminister in der Geschichte, der das sagt, aber hier ist es: Ich habe weniger Angst vor deutscher Macht, als ich anfange, mich vor deutscher Inaktivität zu fürchten.”
Solche Forderungen sind natürlich Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die ohnehin eine deutsche Führungsrolle in Europa einfordern. So forderte etwa der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, letztes Jahr eine offene Debatte über „die Frage nach der neuen deutschen Verantwortung, nach der neuen deutschen Führungsstärke und Führungskraft.“ Aus Ischingers Sicht falle es Deutschland zu, „die Rolle des – es gibt diesen wunderbaren englischen Begriff vom ‚benign hegemon‘, – des gutmütigen Hegemon zu spielen.“ (siehe IMI-Analyse 2012/01) Viele EU-Länder dürften angesichts der knallharten Vormachtpolitik, die Deutschland im Zuge der Eurokrise aktuell durchzieht, allerdings große Zweifel an der deutschen Gutmütigkeit haben – nichtsdestotrotz verweisen Befürworter einer deutscher Führungsrolle stets auf Veröffentlichungen wie nun vom Economist, um ihre Forderungen zu rechtfertigen.
Ganz anders – aber auch verquer – argumentiert der Online-Chefredakteur des Handelsblattes, Oliver Stock. Die Realpolitik im Zeichen der Eurokrise geflissentlich ignorierend, fabuliert er ein Deutschland zusammen, dass keinerlei Vormachtambitionen hätte. Deshalb liege der Economist mit seiner Forderung nach einer deutschen Führungsrolle daneben, weil hierfür kein williger Adressat vorhanden sei: „Wir Deutschen glauben, dass wir Fragen dort beantworten, wo sie gestellt werden. Dass wir Probleme dort lösen, wo sie auftauchen. Uns sind zentrale Aufmarschplätze der Macht zuwider. In der Vielfalt liegt die Kraft – wir hatten das zwischendurch einmal vergessen und unsere Nachbarn haben uns unter Schmerzen daran erinnern müssen. Es ist komisch, wenn die, die uns daran erinnert haben, uns jetzt Führungsunlust vorwerfen. Unser Mut besteht darin, das Prinzip der Vielfalt und des Föderalismus zu verteidigen. Es ist langsam, langweilig und harmoniebedürftig, aber unglaublich erfolgreich. Wenn das alles selbstgefällig klingt – dann soll es das von mir aus.“ Von welchem Land auch immer Herr Stock hier spricht, dem die „Aufmarschplätze der Macht zuwider“ seien, um es mit Ton Steine Scherben zu sagen: „Dieses Land ist es nicht.“
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