Sonntag, 16. Juni 2013
Der neue Heimatschutz der Bundeswehr
IMI-Studie 2013/08a - in: AUSDRUCK (Juni 2013)
Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte und das Kommando Territoriale Aufgaben als neue Instrumente für den Inlandseinsatz
von: Martin Kirsch | Veröffentlicht am: 5. Juni 2013
Seit 2003 ist die Bundeswehr auf Transformation ausgelegt. Darunter wird nicht eine Reform mit klar definiertem Start und Ziel, sondern eine ständige Anpassung an die vermeintliche strategische Lage verstanden. Laut Verteidigungsminister Thomas de Maizière ist der aktuelle Umstrukturierungsprozess der Bundeswehr seit 2011 der letzte Schritt, um sich von den alten Strukturen aus dem Kalten Krieg zu trennen(1) und eine international einsetzbare Armee für das 21. Jahrhundert zu schaffen.
Deutschland wird nicht mehr an der Elbe gegen den Warschauer Pakt, sondern am Hindukusch und am Golf von Aden verteidigt. Nicht feindliche Soldaten in Uniform, sondern Terroristen, Aufständische und Piraten sind das Ziel einer modernisierten deutschen Armee. Dieses Ungleichgewicht wird als asymmetrische Kriegsführung bezeichnet. Gefahren können im asymmetrischen Krieg überall lauern: ein Anschlag auf ein Feldlager, auf eine Regierungseinrichtung, eine Entführung – auch die eines Handelsschiffes – oder eine Patrouille, die in einen Hinterhalt gerät. Die alten Konzepte der Landesverteidigung mit einer flächendeckenden Verteidigungsarmee werden damit hinfällig. Die neue Priorität heißt Einsatz. Dafür werden Heer, Luftwaffe und Marine zu kleineren, spezialisierten, mobilen Verbänden umstrukturiert.
In diesen neuen Einsätzen spielt der Schutz kritischer Infrastruktur eine zentrale Rolle. Darunter versteht die Regierung „Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“(2) Während die Ausgangssituation in Afghanistan offensichtlich nicht mit der in Deutschland zu vergleichen ist, gilt der Gedanke der asymmetrischen Bedrohung offensichtlich dennoch nicht nur am Hindukusch. Auch hier machen sich die Sicherheitsstrategen Gedanken, wie ein so genannter „vernetzter Sicherheitsansatz“ die Heimat schützen kann. Eine Verbindung zu Afghanistan entsteht, weil die Architekten der neuen Sicherheitsstrategien wissen, dass die zunehmenden diplomatischen und militärischen Interventionen Deutschlands weit außerhalb des NATO-Gebietes auch ein Risiko für die Heimat darstellen. Nach ihren Analysen steigt auch hier die Gefahr von Angriffen und Terroranschlägen, aber auch ein großer Streik oder eine entschlossene Protestbewegung, die der Armee im Einsatz zusetzen könnte, wird demnach zu einem ernsten Problem.
Für die Überlegungen, wie „Sicherheit“ hier – an der „Heimatfront“ – hergestellt werden kann, wird auch in Deutschland der Schutz Kritischer Infrastruktur ins Feld geführt. Die strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit, Armee und Polizei wird dabei als zu überwindendes Problem angesehen. Alle Behörden, Institutionen, Organisationen und Geheimdienste, die kritische Infrastrukturen schützen können, darunter auch die Bundeswehr, sollen zur Verfügung stehen, falls es für nötig erachtet wird. Ob die Situation, in der der Staat nicht mehr vollends Herr der Lage ist, nun von Terroristen oder Naturgewalten ausgeht, spielt dabei zunächst eine untergeordnete Rolle. In welcher Form die jeweiligen Akteure an- und abrufbar sein, koordiniert und kontaktiert werden sollen, ist Gegenstand umfassender und integrativer Reformen, die auf die Schaffung einer neuen „Sicherheitsarchitektur“ abzielen. In dieser Transformation kämpft auch die Bundeswehr um ihre Rolle als Ordnungsfaktor im Inland.
Zwei entscheidende Umstrukturierungsprozesse, welche den Einsatz der Bundeswehr im Inneren erleichtern und auch jenseits des Verteidigungsfalles zum Normalzustand machen sollen, werden in dieser Studie beschrieben: Die Aufstellung auch für militärische Aufgaben im Inland vorgesehener und aus Reservisten zusammengestellter Regionaler Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) und das neue Kommando Territoriale Aufgaben (KTA) sowie die ihm zugeordneten Aufgabenbereiche.
Dabei wird klar, dass sich die Bundeswehr nicht nur zur international einsetzbaren Interventionsarmee transformiert, sondern auch versucht, die „Sicherheitslücke“ in der Heimat zu schließen und sich hierfür neu aufzustellen. Zwischen 2003 und 2013 wurden die alten Strukturen zur Landesverteidigung, die noch aus Zeiten des Kalten Kriegs stammten, schrittweise eingemottet. Die vier Wehrbereichskommandos Küste, Ost, West und Süd und die ihnen unterstellten Verteidigungskreis- und Verteidigungsbezirkskommandos wurden in den letzten Jahren außer Dienst gestellt. Auch die Heimatschutzkompanien, die größtenteils aus Reservisten bestanden und der Kampftruppe im Kriegsfall den Rücken freihalten sollten, wurden aufgelöst.
Seit 2011 ist mit der Aussetzung der Wehrpflicht, aber auch konzeptionell mit den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien, ein neuer Schritt der Transformation im Gange. Ein neuer Heimatschutz wurde definiert und die Aufgaben im Inland umgestaltet. Mit dem neuen Kommando Territoriale Aufgaben werden die Entscheidungen über Inlandseinsätze und deren Koordination unter ein zentralisiertes Kommando in der Hauptstadt Berlin gestellt. Die Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSUKr) als neue Heimatschutztruppe stehen jetzt im Gegensatz zu ihren Vorgängern, den Heimatschutzkompanien, per Definition auch in „Friedenszeiten“ zur Verfügung.
Zuvor wurde im Weißbuch der Bundeswehr von 2006(3) der Ausbau der Zivil-Militärischen-Zusammenarbeit im Inland (ZMZ-I) eingeleitet. In diesem Rahmen wurde seit 2007 ein neues territoriales Netz geschaffen. Die neue Territorialstruktur der Bundeswehr passt sich jetzt an die föderale Struktur der Bundesländer sowie der Regierungsbezirke und Kreise an, um dort den Kontakt zu lokalen Behörden und Organisationen wie Polizei, Feuerwehr, THW, Rotem Kreuz und Ähnlichen zu halten. Falls etwas passiert, sitzt die Bundeswehr nicht mehr in ihren Kasernen, sondern in Form von extra dafür geschulten Reservisten in den Katastrophenstäben selbst oder zumindest nah dran. Den zivilen Behörden wird es erleichtert, so genannte Amtshilfe von der Bundeswehr anzufordern, wenn Großgerät, Soldaten, oder aber 10.000 Stück Blechkuchen(4) gebraucht werden. Dabei wächst das Führungspersonal von zivilen Behörden und Bundeswehr zusammen, durchläuft gemeinsame Lehrgänge und steht in regem Austausch. Die Bundeswehr, ihre Soldaten und Reservisten werden zu unverzichtbaren Helfern bei Großeinsätzen von Polizei und Rettungskräften.
Trotz aller Umstrukturierungsmaßnahmen bleibt die Rechtsgrundlage für einen Einsatz im Inneren, je nach Standpunkt, unklar oder stark beschränkt. Die Erfahrung mit Einsätzen der Bundeswehr zur Überwachung von Demonstranten beim G8-Gipfel oder der Schutz der Münchner Sicherheitskonferenz durch Feldjäger, jeweils organisiert über die neu geschaffenen Verbindungskommandos, lässt allerdings vermuten, dass Strukturen, die jetzt aufgebaut werden, früher oder später auch ohne klare Rechtsgrundlage für repressive Zwecke zum Einsatz kommen werden. Forderungen nach einer Legalisierung von Repressiveinsätzen der Bundeswehr im Inneren begleiten die Umstrukturierungsprozesse der Armee bereits seit den 1990er Jahren(5). Vorerst werden die juristischen Grauzonen des vom Grundgesetz erlaubten Inlandseinsatzes bis ins Unendliche ausgedehnt. Letztendlich muss klar sein, dass die Gesetzeslage zwar den offiziellen Rahmen für Bundeswehreinsätze im Inneren bildet, in konkreten Fällen aber politisch und nicht juristisch über einen Einsatz entschieden wird.
Weiter als PDF: http://www.imi-online.de/download/juni2013_01kirsch.pdf
(1) De Maiziere, Thomas: Neuausrichtung der Bundeswehr – Stand und Perspektiven, Regierungserklärung vom 16.05.2013, BT-Protokoll 17/240.
(2) BMI: Nationale Strategie zum Schutz zur Kritischen Infrastrukturen (KRITIS-Strategie), 17.09.2009, S.4.
(3) BMVg: Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, 2006, S.67f..
(4) Anstelle eines Partyservice oder einer Bäckerei wurde die Bundeswehr auf dem Weg der Amtshilfe beauftragt, die besagten 10.000 Stück Blechkuchen für ein Bürgerfest des Bundespräsidenten im Schoß Bellvue zu backen. (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die LINKE „Stattgefundene und geplante Amtshilfe- und Unterstützungsleistung der Bundeswehr im Innern“, BT-Drs: 17/11246, 29.10.2012, S.16).
(5) Bereits 1993 forderte Wolfgang Schäuble den Einsatz der Bundeswehr gegen kurdische DemonstrantInnen. 2004 gab es einen massiven Vorstoß von CDU und CSU regierten Bundesländern, das Grundgesetz zu ändern, um den Einsatz der Bundeswehr zum Schutz der Heimat weiträumig zu ermöglichen.
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