Sonntag, 16. Juni 2013

Sozialabbau 2013, Folge 4 (Franziska Walt und Tilo Gräser)

25. März: In Nordrhein-Westfalen stehen rund 3.800 Referendare nach ihrem Ausbildungsende am 30. April vor einer ungewissen Zukunft, meldet die Rheinische Post online. Trotz angeblichen Lehrermangels gibt es für die meisten von ihnen keine offenen Stellen in diesem Jahr. Sie bekommen nicht einmal Arbeitslosengeld, so die Zeitung. Viele müßten »Hartz IV« beziehen, weil sie als Referendare Beamte auf Widerruf sind und deswegen nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. »In manchen Fällen beträgt der Satz nur 120 Euro«, wird Peter Silbernagel, Vorsitzender des Philologenverbandes in NRW, zitiert. 27. März: Die Krise in Europa fordert Menschenleben, faßt Spiegel online das Ergebnis einer Studie aus Großbritannien drastisch zusammen. Das britische Gesundheits-Fachmagazin The Lancet stellt fest: Die Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal aufgezwungenen strikten Sparmaßnahmen auch im Gesundheitswesen habe die Zahl der Fälle von Infektionskrankheiten ebenso wie die der Selbstmorde steigen lassen. So seien in Europa zum ersten Mal Epidemien wie Malaria ausgebrochen. Die tiefen Haushaltseinschnitte und steigende Arbeitslosigkeit führten unter anderem zu fallenden Einkommen und einer Verschlechterung der Gesundheitssysteme. Immer mehr Menschen gingen infolge dessen nicht mehr zum Arzt und blieben ohne Medikamente. Budgetkürzungen hätten für viele Menschen den Zugang zur Gesundheitsversorgung beschränkt. Die politischen Entscheidungen hätten deutliche Folgen für die Gesundheit der Menschen, was aber öffentlich kaum beachtet werde. 28. März: Das Bundessozialgericht in Kassel entscheidet, daß der Regelsatz für Kinder angemessen ist (Az.: B4 AS 12/12 R). »Regelbedarf und Bedarfe für Bildung und Teilhabe zusammengenommen decken den grundsicherungsrelevanten Bedarf von Kindern und Jugendlichen«, zitiert Das Handelsblatt am Tag darauf das Gericht. Der Gesetzgeber habe bei der Festlegung der Regelsätze auch nicht gegen das Grundrecht der Menschenwürde verstoßen, erklärten die Richter laut der Zeitung. Geklagt hatte ein Paar, Eltern eines Kleinkindes, gegen das Jobcenter Delmenhorst. Der aktuelle Regelsatz beträgt für ein in einem Haushalt zusammenlebendes Paar pro Person 345 Euro (plus Erstattung der Miet- und Heizkosten). Kinder bis zum Alter von fünf Jahren haben Anspruch auf 224 Euro. 30. März: »Von 2011 bis Ende 2015 wollen wir 17.000 Stellen abbauen. Bis Ende des Jahres werden wir 10.000 Stellen abgebaut haben, ohne betriebsbedingte Kündigungen.« Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit, erklärt in einem Interview mit der Rheinischen Post, weshalb er Personal in den Jobcentern kürzen will. Seiner Meinung nach wird 2013 die Zahl der Arbeitslosen im Schnitt stabil bei 2,9 Millionen bleiben, im günstigeren Fall auf 2,86 Millionen sinken. Daß auch mit einer »stabilen« Arbeitslosenzahl viele Fallbearbeiter in den Jobcentern überfordert sind, kam im Interview nicht zur Sprache. 2. April: Die 52jährige Gisela S. aus Aue-Schwarzenberg hat von ihrer vor einem Jahr verstorbenen Mutter rund 1000 Euro geerbt. Da ihre alte Waschmaschine kaputt gewesen sei, habe sie sich von dem Geld eine neue gekauft. Ebenso ein paar Töpfe Farbe, um ihre kleine Parterrewohnung neu zu streichen. Die Freie Presse berichtet weiter, daß Frau S. als »Hartz IV«-Bezieherin nicht bedacht habe, die Erbschaft als erstes dem Jobcenter zu melden. Als die ARGE nämlich von den zusätzlichen 1000 Euro erfuhr, hat sie sofort Maßnahmen ergriffen. »Man hat mir die Zuwendung um 174 Euro gekürzt. Nun habe ich noch 199 Euro im Monat, und davon muß ich Festausgaben wie Versicherung, Strom und Zuschuß für die Heizung begleichen. Mir bleiben also gut 85 Euro pro Monat zum Leben und das auf Monate«, zitiert die Freie Presse die Frau. Eine Verhandlung über die Höhe der Kürzung habe es nicht gegeben. Deshalb schalte Gisela S. nun einen Rechtsanwalt ein, um monatlich weniger abstottern zu müssen. 5. April: Ein zu einer provisorischen Schlafstätte umgebauter und als Stauraum genutzter VW-Bus stellt keine Unterkunft dar, da darin keine Privatsphäre gewährleistet ist. Somit muß das Jobcenter nicht für den Unterhalt des Fahrzeuges aufkommen. Zu diesem Schluß kommt laut n-tv.de das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (L 3 AS 69/13 B ER). Verhandelt wurde der Antrag eines »Hartz IV«-Beziehers ohne festen Wohnsitz, aber im Besitz eines VW-Busses. Diesen benutzte er als Schlafstätte. Der Antragsteller habe vom zuständigen Jobcenter die Übernahme der Kosten für verschiedene Ersatzteile für das Fahrzeug, die Kraftfahrzeugsteuer und eine Pauschale für die Heizung beantragt, heißt es auf n-tv.de. Wie viele »Hartz IV«-Empfänger in Deutschland wegen hoher Miet- und Nebenkosten auf Campingplätzen leben, sei nicht bekannt. – Rund 50 Prozent der »Hartz IV«-Empfänger aus dem Hochtaunuskreis haben vergangenes Jahr Beschwerde gegen einen Bescheid vom Jobcenter eingelegt, schreibt die Frankfurter Rundschau online. Damit weise die Region den zweithöchsten Wert in der Republik auf. Deutschland- und hessenweit läge die Quote bei rund fünf Prozent, so das Blatt. Kreissprecher Markus Koob (CDU) sagte der Zeitung, daß er keine Erklärung habe, warum die Ergebnisse so viel schlechter seien als in anderen Kreisen, man wolle der Sache aber nachgehen. 8. April: Seit dem 1. April müssen Fallmanager im Jobcenter prüfen, ob es »Blaumacher« unter den als krank gemeldeten »Hartz IV«-Beziehern gibt, schreibt die Zeit online. Bei einer Häufung von Kurzerkrankungen seien die Jobcenter angewiesen, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten. Grundlage dafür sei eine Vereinbarung zwischen der Bundesagentur für Arbeit, den Kommunen und den gesetzlichen Krankenkassen, sagte eine Sprecherin der Bundesagentur. Überführten »Blaumachern« sollen die Leistungen gekürzt werden.

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