Samstag, 15. September 2018

»Kleinfamilie ist Kernthema der Rechten«


Protest gegen »Marsch für das Leben« in Berlin: »What the fuck«-Bündnis plant verschiedene Aktionen. Ein Gespräch mit Sarah Bach

Interview: Jan Greve
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Mit dem weißen Kreuz gegen Abtreibungen: »Marsch für das Leben« in Berlin
Sarah Bach ist Sprecherin des Berliner »What the fuck«-Bündnisses
Infos: whatthefuck.noblogs.org
Gegen den alljährlichen »Marsch für das Leben« von Abtreibungsgegnern wird am kommenden Sonnabend protestiert. In einer Mitteilung des »What the fuck«-Bündnisses ist die Rede davon, das mittlerweile zehnjährige Bestehen der Proteste gegen die selbsternannten »Lebensschützer« feiern zu wollen. Ist dieses Jubiläum ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Damit treffen Sie einen wunden Punkt. Unser Bündnis gibt es nur, weil es den »Marsch für das Leben« gibt. Insofern gibt eine gewissen Ambivalenz. Auf der einen Seite sind wir stolz darauf, dass wir unseren Protest so kontinuierlich aufrechterhalten konnten und uns feministisch und antifaschistisch organisieren. Auf der anderen Seite ist es natürlich ein Trauerspiel, dass der »Marsch« immer noch soviel Zulauf erhält und jedes Jahr stattfinden kann.
Bereits am Freitag abend soll eine Demonstration in Berlin stattfinden, am Sonnabend sind »kreative Störaktionen« geplant. Was kann man sich darunter vorstellen?
Eine der Aktionen, zu der wir bereits öffentlich aufgerufen haben, ist »Singen für das Leben«. Mehrere Berliner Chöre haben sich zusammengefunden, die mit feministischen Liedern den »Marsch« stören wollen. Eine Chorprobe wird am kommenden Donnerstag um 18 Uhr im Körnerpark in Neukölln stattfinden. Am Sonnabend wird es einen Treffpunkt um 12.30 Uhr geben. Erkennungszeichen sind pinke Accessoires. Bei den anderen Aktionen wird man sich überraschen lassen.
In den vergangenen Jahren haben sich viele reaktionäre Kräfte angewöhnt, ihr Anliegen positiv zu formulieren – indem sie etwa stets für, nicht gegen etwas eintreten. Anstatt sich Abtreibungsgegner zu nennen, ist von »Lebensschützern« die Rede. Was setzen Sie dem entgegen?
Ein Teil unserer Arbeit besteht in dem Entlarven solcher irreführenden Begriffe. Da wird von »Lebensschutz« gesprochen, während gleichzeitig 47.000 Frauen jährlich weltweit sterben, weil ihnen der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen fehlt. Diese Zahl hat das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte vor zwei Jahren veröffentlicht.
Zudem versuchen wir durch Vorträge und Informationsarbeit über die »Lebensschutz«-Bewegung aufzuklären. Wir haben es mit einem Bündnis zu tun, in dem sich Rechte und christliche Fundamentalisten wiederfinden. Jedes Jahr weisen wir auf die Verbindungen zur rechten Szene hin. Früher waren die noch sehr viel offensichtlicher. Beatrix von Storch, die heute für die AfD im Bundestag sitzt, lief vor drei Jahren noch in der ersten Reihe beim »Marsch für das Leben« mit. Auch wenn sie dort heute nicht mehr zu finden ist, gibt es weiterhin personelle Überschneidungen mit rechten Gruppen. Die bekannte Rechtspopulistin Birgit Kelle etwa spielt eine große Rolle.
In Zeiten vermehrter Aufmärsche von Rechten: Welche Rolle spielt die »Lebensschutz«-Bewegung?
Nach unserer Analyse profitieren die Abtreibungsgegner von der erstarkenden Mobilisierungsfähigkeit der Rechten. Dinge, die im öffentlichen Raum wieder sagbar zu sein scheinen, werden heutzutage offen auf die Straße getragen. Ich denke da etwa an die proklamierte »Willkommenskultur für Ungeborene« – eine eindeutige Verknüpfung der Flüchtlingsabwehr mit der »Lebensschutz«-Bewegung.
Zudem ist die heterosexuelle Kleinfamilie ein Kernthema der Rechten. Dieses Thema vereint unterschiedliche Akteure und ist auch in den familienpolitischen Vorstellungen der AfD von zentraler Bedeutung.
An den Gegenprotesten wird sich auch das Bündnis »Reclaim Club Culture« beteiligen. In Ihrer Mitteilung heißt es, es solle die Möglichkeit geboten werden, »tanzend für einen freien Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu protestieren«. Angesichts einer erstarkenden Rechten: Ist das ein angemessener Umgang mit dem Thema?
Dem wäre nicht so, wenn das die einzige Reaktion unsererseits wäre. In den Gegenprotesten wird ja nicht nur getanzt. Ein hedonistischer Ansatz hilft bei der Mobilisierung, das konnte man auch vergangene Woche beim Solikonzert in Chemnitz sehen, zu dem 65.000 Menschen kamen. Wir brauchen »Empowerment« und wollen uns auch ein Stück selbst feiern – bevor dann am Sonnabend unser Protest auch andere Formen annehmen wird.

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