Donnerstag, 15. Dezember 2016

Kein Frieden mit der Europäischen Union


IMI-Standpunkt 2016/038

Bericht vom 20. Kongress der Informationsstelle Militarisierung
http://www.imi-online.de/2016/11/28/kein-frieden-mit-der-europaeischen-union/

IMI (28. November 2016)

Vom 18. bis zum 20. November 2016 lud die Informationsstelle
Militarisierung (IMI) zu ihrem inzwischen zwanzigsten jährlichen
Kongress nach Tübingen ein. Insgesamt nahmen über 150 Interessierte an
dem Kongress mit dem Titel „Kein Frieden mit der Europäischen Union“
teil, der sich intensiv mit verschiedensten Aspekten der EU-Außen- und
Militärpolitik beschäftigte. Einigkeit bestand dabei vor allem in drei
Dingen, die gleichzeitig auch wesentliche Schlussfolgerungen des
Kongresses darstellen: Erstens, dass sich der bevorstehende britische
Austritt aus der EU in Kombination mit der Wahl Donald Trumps als
Brandbeschleuniger auswirken werden, da beide Ereignisse genutzt werden
sollen, um die Militarisierung der Europäischen Union und ihr Aufstieg
zu einer „Supermacht“ in bislang ungekanntem Ausmaß voranzutreiben.
Zweitens, dass eine grundsätzliche EU-Kritik auch nicht davor halt
machen darf, die Organisation selbst in Frage zu stellen. Und
schließlich drittens, dass alle wesentlichen linken alternativen
Europakonzeptionen daran kranken, auf dem „Militärauge“ blind zu sein.
Die Aufgabe der Friedens- und Antikriegsbewegung besteht deshalb
unmittelbar auch darin, diese Lücke zu schließen und antimilitaristische
Fragen aktiv in die linke EU-Debatte hineinzutragen.

Der Auftakt des IMI-Kongress am Freitagabend startete in bester
Tradition im Wohnprojekt Schellingstraße, einer ehemaligen Kaserne, in
entspannter Atmosphäre. Bei gemeinsamen Essen lud dies zu Diskussionen
als Einstimmung auf die kommenden zwei Tage ein. Begleitet wurde der
erste Abend von einem zumeist nicht ganz so ernst gemeinten Programm,
das aber neben einigen scharfen Seitenhieben auch nachdenkliche Momente
mit sich brachte: Ein Zusammenschnitt mit zahllosen prominenten
politischen Stimmen aus dem Off zur Rolle der EU nach der Wahl von Trump
zeigte gleich zu Beginn, zu welchem neuen Militarisierungsschub dieses
politische Ereignis instrumentalisiert werden soll. Christoph Marischka
führte dann in das Programm ein. Im Anschluss ging es amüsanter und
beschaulicher mit einem Vortrag zur Ideologie Europas „auf
Postwertzeichen unter besonderer Berücksichtigung der Michelnummer 2113“
durch Thomas Mickan weiter. Anhand einer bestimmten Europabriefmarke
zeichnete er dabei die Idee Europas nach und wie diese ganz
unterschiedlich verstanden werden kann. Vera Lebedeva offerierte dem
Publikum einen differenzierten Blick von Russland auf die EU und den
krönenden Abschluss lieferte ein musikalisches Duett über die „normative
Macht EUropa“.

EUropa und die Neusortierung der Welt

Am Samstag startete der Kongress mit dem Panel „Europa und die
Neusortierung der Welt“, wobei der erste Beitrag von Erhard Crome
(Berlin) die Auswirkungen der Wahl von Donald Trumps zum US-Präsidenten
auf die internationale Politik und das künftige transatlantische
Verhältnis in den Blick nahm. Mit dessen Wahl werde deutlich, dass drei,
viele Jahre prägende Tendenzen in den internationalen Beziehungen ihrem
Ende zu gehen: Erstens werde durch die zunehmende Verlagerung des
weltwirtschaftlichen Zentrums nach Ostasien die lang anhaltende
Vorherrschaft des Westens zu einem Ende kommen. Zweitens habe sich der
spätestens seit der Zeit Reagans und Thatchers Anfang der 1980er Jahre
dominierende Neoliberalismus weitgehend diskreditiert: „Nichts von dem,
was versprochen wurde, hat sich für die abhängigen Beschäftigten und die
Armen erfüllt“, so Cromes Urteil. Und drittens sei davon auszugehen,
dass auch die Phase der unilateralen US-Machtentfaltung, die im „Krieg
gegen den Terror“ ihren unrühmlichen Höhepunkt fand, vorbei sei. „Die
Kriege, die dieser Spätimperialismus geführt hat, haben nichts als
zerstörte Städte und Länder hinterlassen.“ Unter dem Vorbehalt, dass
sehr Vieles noch nicht sicher zu bewerten sei, formulierte Crome
anschließend folgende wahrscheinliche Richtungen für eine Trumpsche
Außen- und Militärpolitik: Auf der eine Seite bestehe erstens offenbar
die Chance auf eine Entspannung mit Russland; und zweitens gäben Trumps
wiederholte Verweise, der Menschenrechtsimperialismus vergangener Jahre
sei ein Irrweg gewesen, Anlass zur Hoffnung auf einen Kurswechsel. Auf
der anderen Seite sei in der Israel-Politik, angesichts des Vorhabens,
den US-Militärapparat weiter massiv ausbauen zu wollen, mit neuen
Verschärfungen zu rechnen. Ebenso problematisch seien die Ankündigungen,
einen Wirtschaftskrieg gegen China zu führen. „Vieles wird anders, aber
es wird deshalb nicht notgedrungen besser“, so Cromes abschließendes
Fazit. Dies gelte insbesondere auch, weil sich in Deutschland und in der
Europäischen Union unter Verweis auf Trump das Bestreben verstärke, den
eigenen Militärapparat massiv auszubauen.

An dieser Stelle setzte auch der zweite Beitrag von Jürgen Wagner,
geschäftsführendes IMI-Vorstandsmitglied, an. Er beschäftigte sich mit
der „EU-Globalstrategie nach dem Brexit“, indem er zunächst auf
Aussagen, wie u.a. der EU-Außenbeauftragen Federica Mogherini einging,
nun, nach der Wahl Donald Trumps, bleibe der EU überhaupt nichts anderes
mehr übrig, als massiv aufzurüsten und sich zu einer „Supermacht“
aufzuschwingen. Wagner verwies hier allerdings darauf, dass diese Pläne
keineswegs neu seien. Die EU verfolge seit vielen Jahren eine Art
„Supermacht-Strategie“, die im Kern aus zwei Elementen bestehe: Zum
einen aus der Expansion in den erweiterten Nachbarschaftsraum und seiner
Integration in die EUropäische Wirtschaftszone; und zum anderen aus dem
Aufbau eines Militärapparates, um diesen imperialen Großraum notfalls
auch gewaltsam unter Kontrolle bringen zu können. Während die EU mit dem
ersten Ziel sehr „erfolgreich“ gewesen sei, habe sich der Aufbau einer
schlagkräftigen Militärmaschine als schwierig erwiesen. Nun sei aber
eine neue Situation eingetreten, so Wagner: „Der 2014 eingeleitete
Schwenk Deutschlands zu einer militaristischen Weltmachtpolitik sorgt in
Kombination mit der Eskalation im Verhältnis zu Russland für einen
enormen Militarisierungsschub. Hinzu kommt nun auch noch der britische
Austritt aus der EU und die Wahl Donald Trumps, die diesen Prozess noch
einmal massiv beschleunigen dürften.“ Als Grund nannte Wagner die
Tatsache, dass Großbritannien bislang nahezu jede Initiative zum Ausbau
des EU-Militärapparates behindert habe, hierzu aber künftig nicht mehr
in der Lage sein werde. Vor diesem Hintergrund sei unmittelbar nach dem
britischen Referendum am 23. Juni 2016 eine neue EU-Globalstrategie
verabschiedet worden, in der es heißt, die EU benötige „militärische
Spitzenfähigkeiten“, weshalb ihr demzufolge „das gesamte Spektrum an
land-, luft-, weltraum- und seeseitigen Fähigkeiten, einschließlich der
strategischen Grundvoraussetzungen, zur Verfügung stehen muss.“
Unmittelbar im Anschluss daran hätten Deutschland und Frankreich eine
Reihe von Papieren veröffentlicht, die auf die Umsetzung langjähriger,
aber bislang von Großbritannien behinderter Militarisierungsschritte
abzielten. „Durch die Wahl Trumps erhalten diese Pläne zusätzlichen
Rückenwind, sodass die Chancen für einen massiven Ausbau des
EU-Militärapparates aktuell so ‚günstig‘ stehen, wie noch nie“, so Wagner.

Chaos und Krieg im „Nachbarschaftsraum“

Das zweite Panel „Chaos und Krieg im ‚Nachbarschaftsraum‘” wurde von
Claudia Haydt, IMI-Vorstandsmitglied, eröffnet. Haydt sprach über die
Strategie der EU in Osteuropa, die Russland als militärischen Aggressor
gegen europäische Expansionspolitik sehe und daher die Sicherung ihrer
östlichen Außengrenzen vorantreibe. Ein wenig beachtetes Beispiel der
europäischen Eskalationspolitik sei dabei die Entwicklung in der
Republik Moldau. 1990 habe sich Transnistrien, der östliche Teil des
Landes, abgespalten und stehe seither politisch sowie militärisch unter
russischer Kontrolle, während der Westen einen EU-Beitritt angestrebt
habe. Das arme Auswanderungsland sei für die EU vor allem zur Sicherung
der Außengrenzen nützlich; eine Taktik, die sich seit 2005 in einer
militärischen EU-Grenzsicherungsmission (EUBAM) manifestiere, so Haydt.
Dabei sei es das Ziel der EU-Politik gewesen, die Bürger_innen der
Republik Moldau zu einem Teil der Konfrontation mit Russland zu machen,
ohne ihnen jedoch die Einreise in die EU zu ermöglichen. Und auch die
neuesten EU-Verträge brächten den Moldawier_innen nur wenig
Erleichterung: Das 2014 implementierte Assoziierungsabkommen sichere den
moldawischen Bürger_innen inzwischen zwar eine Visumsfreiheit für die
Europäische Union zu, doch eine Arbeitserlaubnis bedeute dies
selbstverständlich noch nicht; die meisten Migrierenden würden daher
weiter illegalisiert. Diese Ungerechtigkeit habe seit zwei Jahren, so
Haydt weiter, zu anhaltenden Protesten aus der Zivilbevölkerung gegen
die korrupte Führung im eigenen Land und gegen die ungerechte EU-Politik
geführt. Während Russland inzwischen die wesentlichen Handelsbeziehungen
zur Republik gekappt habe, versuche die EU das Land immer weiter in das
europäische Militärbündnis – nicht aber das Wirtschaftsbündnis – zu
integrieren: Es werde eine „Konvergenz im Bereich der Außen- und
Sicherheitspolitik” angestrebt. So sei die Republik Moldau bereits an
der EU-Militärmission in Mali und dem NATO-Einsatz in Afghanistan
beteiligt. „Die kleine moldawische Armee” solle damit „immer näher an
die NATO und an die EU herangeführt” werden, so Haydt. Dass diese
Entwicklungen bei den Bürger_innen weiter für Unmut sorgten, zeige auch
die jüngste Präsidentschaftswahl im November: Der neue Präsident Igor
Dodon stehe gegen eine enge EU-Bindung und für einen Eintritt in die
Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft. Zum ersten Mal hätte dabei auch eine
größere Anzahl von Menschen aus Transnistrien gewählt, obwohl sich alle
Wahllokale in der westlichen Republik Moldawien befänden. Aus dem
Protest der Moldawier_innen gegen die von der EU angestoßene
Militarisierung und durch das bisher unentschiedene Ringen
rivalisierender Kräfte im Land entstehe laut Haydt ein ziviler Raum von
dem sie hoffe, dass er genutzt werde.

Anschließend stellte Christoph Marischka, Mitglied im Vorstand der
Informationsstelle Militarisierung, die Eskalation in Mali zugespitzt
als Folge der sich herausbildenden gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik der EU dar. In deren Sicherheitsstrategie von 2003
sei global schwache Staatlichkeit als Bedrohung Europas definiert
worden, wobei darunter v.a. die mangelnde Kontrolle peripherer Räume und
Grenzgebiete verstanden wurde. Damit sei absehbar gewesen, dass die
Sahel-Region in den Fokus der EUropäischen Außenpolitik gerät, da die
dortigen Staaten mit einem Vielfachen der Fläche und einem Bruchteil der
Bevölkerung, mit spärlicher Infrastruktur und geringen Staatseinnahmen
keine etwa mit Deutschland vergleichbare repressive Präsenz des Staates
in der Fläche gewährleisten könnten. Die EU-Sicherheitsstrategie sei
zugleich von einem Nexus zwischen Sicherheit und Entwicklung geprägt,
der darauf hinauslaufe, „Staatlichkeit“ durch den Aufbau von Polizei-
und Militärkräften zu „entwickeln“. Auch die USA seien seit 2002 im Zuge
des Kriegs gegen den Terror verstärkt im Nordwesten Afrikas aktiv. Im
Ergebnis sei die Region, die heute geopolitisch als „Sahel“ definiert
wird, umfassend aufgerüstet und militarisiert worden, wobei die
westlichen Staaten mit Ausbildungsmissionen, Programmen wie der
Pan-Sahel-Initiative (USA) und dem Stabilitätsinstrument (EU) zugleich
untereinander um Einflusszonen konkurriert hätten. 2010 hätte die
Europäische Union eine Initiative zur verstärkten Präsenz des malischen
Staates im Norden finanziert und zugleich den „Europäischen Auswärtigen
Dienst“ aufgestellt, der 2011 als erste Regionalstrategie seine
Sahel-Strategie entwickelte. Der Libyenkrieg und weitere Regimewechsel
in der weiteren Region (Côte d'Ivoire, Südsudan) hätten daraufhin die
Lage vollends destabilisiert und zum Ausbruch des Krieges in Mali
geführt. Dort arbeite Frankreich mittlerweile eng mit sezessionistischen
Tuareg zusammen, die zugleich die Rückkehr malischer Truppen in den
Norden verhindern wollen. Diesen vorzubereiten und die malischen Truppen
aufzubauen, sei jedoch erklärtes Ziel der etwa eintausend deutschen
Soldat_innen, die dort in ihrem gegenwärtig wahrscheinlich
gefährlichsten Einsatz stationiert seien. „Die Sahel-Region ist damit
ein Beispiel dafür, wie wieder innerimperialistische Konflikte im
globalen Süden innerhalb vermeintlicher Bündnisse und Allianzen als
internationalisierte Bürgerkriege ausgefochten werden“, so Marischka.

Union in Uniform: Strukturen des Krieges

Unter dem Titel „Union in Uniform: Strukturen des Krieges“ warf Tobias
Pflüger, IMI-Vorstand und ehemaliger EU-Parlamentarier, einen Blick auf
die „politischen Voraussetzungen der Militärmacht EUropa“. Die zentrale
Rechtsgrundlage sei der seit 2009 geltende Vertrag von Lissabon (EUV)
und seine Artikel 42 bis 46, in denen sich die wesentlichen Bestimmungen
zur EU-Militärpolitik finden ließen. Artikel 42 enthalte etwa die sog.
„Beistandsklausel“, eine Art Beistandspflicht, die sogar härter als die
der NATO formuliert sei. „Die EU ist damit auch ein Militärbündnis und
das wird mit dem Vertrag von Lissabon festgeschrieben“, so Pflüger. In
Artikel 43 würden als mögliche Einsatzszenarien u.a. „gemeinsame
Abrüstungsmaßnahmen“, „Kampfeinsätze“ und „Operationen zur
Stabilisierung der Lage“ sowie „die Unterstützung für Drittländer bei
der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet“ genannt. Artikel
43 lege fest, dass die Entscheidung über den Beginn eines EU-Einsatzes
beim Rat der Staats- und Regierungschefs liege. Eine zentrale Rolle
spiele hierbei dann noch das „Politische und Sicherheitspolitische
Komitee“, in dem die Botschafter_innen der Mitgliedstaaten säßen.
Weitere wichtige Institutionen seien in diesem Zusammenhang vor allem
der EU-Militärausschuss und der Militärstab. Durch Artikel 44 (und 46)
werde es mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ)
möglich, dass Teile der EU-Militärpolitik auf einzelne Mitgliedstaaten
übertragen werden könnten und der Rest dann außen vor bleibe. „Dieses im
Vertrag angelegte militärische Kerneuropa ist zentral“, so Pflüger.
Neben der Koordination der EU-Rüstungsprojekte habe die in Artikel 45 zu
findende EU-Verteidigungsagentur die wesentliche Rolle, die
militärischen Aufrüstungsbemühungen der Mitgliedsstaaten zu bewerten,
wovon das „Recht“ zur Teilnahme an einer SSZ abhänge. Der „Europäische
Auswärtige Dienst“, dessen Gründung ebenfalls im Lissabon-Vertrag
angelegt war, sei dabei das „Durchführungsinstrument“, vereinige er doch
die militärischen, geheimdienstlichen, außenpolitischen und
entwicklungspolitischen EU-Elemente in sich. Wesentlich sei bei all dem,
dass weder das EU-Parlament noch der Europäische Gerichtshof realen
Einfluss auf die EU-Militärpolitik hätten, was Pflüger zu dem
abschließenden Fazit veranlasste: „Das alles ist auf den ersten Blick
extrem kompliziert gemacht, aber eigentlich dann auch recht einfach: Es
wird alles so organisiert, dass die EU-Militärpolitik möglichst
parlamentsfern und öffentlichkeitsfern ihren Lauf nehmen kann.“

Im Anschluss daran beschrieb Lühr Henken, Sprecher des Bundesausschuss
Friedensratschlag, die wichtigsten „Komponenten des
EU-Militärapparates“. Geleitet würden EU-Einsätze mit bis 2.000
Soldat_innen durch ein seit 2007 existierendes Operationszentrum.
Aktuell wieder heiß diskutierte Pläne für ein voll ausgestattetes
Hauptquartier seien bislang gescheitert, sodass bei größeren Einsätzen
auf nationale Kapazitäten zurückgegriffen werden müsse. 1999 sei die
Grundsatzentscheidung zum Aufbau einer Schnellen EU-Eingreiftruppe im
Umfang von 80.000 Soldat_innen gefallen. Ziel sei es gewesen, diese
Truppe innerhalb von 60 Tagen zum Einsatz zu bringen und sie aus einem
Pool von 100.000 Soldat_innen, zu dem Deutschland ein Drittel beitragen
sollte, zusammenzustellen. Nachdem die Umsetzung dieses Ziels Probleme
bereitet habe, sei das Konzept der seit 2007 einsatzbereiten
Battlegroups entworfen worden, die aus zwei zwischen 1.500 bis 3.000
Soldat_innen bestehenden Einheiten zusammengesetzt werden. Wichtige
Einheiten seien das in Straßburg ansässige Eurokorps, dem auch die
Deutsch-Französische Brigade angehöre. Weiter spiele das 1.
Deutsch-Niederländische Korps mit Sitz in Münster eine wichtige Rolle.
Im Bereich der Aufklärung sei vor allem das EU-Satellitenzentrum in
Torrejón von Bedeutung und für die Logistik das europäische
Lufttransportkommando. Seit 2003 führe die EU Einsätze im Rahmen der
sog. „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (GSVP) durch.
Aktuell fänden zehn „zivile“ EU-Einsätze statt, die zum Teil die sechs
laufenden EU-Militäroperationen flankieren würden. Diese sechs Einsätze
fänden in Bosnien-Herzegowina (Althea), in Mali (EUTM Mali), in Somalia
(EUTM SOM), am Horn von Afrika (ATALANTA), im Mittelmeer (Sophia) und in
der Zentralafrikanischen Republik (EUTM RCA) statt. So problematisch der
bisherige Umfang der EU-Militarisierung auch sei, verwies Henken aber
auch darauf, dass hier mit einiger Sicherheit noch nicht das Ende der
Fahnenstange erreicht sei. In den EU-Operationen würden aktuell „nur“
3.500 Soldat_innen eingesetzt, während die Mitgliedsländer insgesamt
über 1,5 Mio. Soldat_innen verfügen würden. Ähnlich verhalte es sich bei
den Überwasserkampfschiffen, bei denen neun von insgesamt 130 im Einsatz
seien. „Will sagen: Da ist noch viel Platz nach oben. Und wenn nichts
gegen die Militarisierung der EU unternommen wird, wird er genutzt
werden“, so Henken abschließender Appell.

EUropa unter Waffen: Rüstungsprojekte und Rüstungshaushalte

Im Auftaktbeitrag zum Panel „EUropa unter Waffen“ beschrieb Andreas
Seifert die Versuche, auf europäischer Ebene eine Rüstungsindustrie zu
etablieren und betonte dabei die Grundvoraussetzungen der Existenz der
Industrie auf nationaler Ebene. Er benannte mit OCCAR, EDIR und der
European Defence Agency die derzeitigen Bemühungen, mit überstaatlichen
Organisationen Fusionen anzuregen und den Rüstungsmarkt in EUropa zu
strukturieren. Allerdings täten sich Staaten, die ihre nationale
Rüstungsindustrie und ihre nationale wehrtechnische Basis als
Grundbedingungen ihrer Handlungsfähigkeit begreifen würden, dabei
schwer, diese Kapazitäten und Kompetenzen abzutreten. Das Beispiel der
Fusion von Nexter und Kraus-Maffei-Wegmann wurde herangezogen, um genau
diese „Vorbehalte“ zu illustrieren und deutlich zu machen, dass das
oftmals mit Pathos vorgetragene Bekenntnis zu EUropa zur Hülle wird und
sich vor allem aus Sicht der Staaten mit nennenswerter Rüstungsindustrie
auf jene Staaten beziehen sollte, die sich den Luxus eigener Kapazitäten
nicht leisten können. An der neuen Firma KNDS (KMW+Nexter Defense
Systems) würde zudem deutlich werden, dass die gefundene Lösung in
erster Linie die politischen Vorbehalte der Politik abbilde. „Fusionen
dieser Art“, so schloss Seifert ab, „haben den Anschein, als ob es bei
ihnen in erster Linie darum geht, ggf. strengere Exportbestimmungen in
einem der Länder zu umgehen und damit zu einem höheren Umsatz beizutragen.“

„Ein Eurochampion wurde durch die europäischen Staaten, insbesondere
durch Deutschland und Frankreich, in den letzten Jahrzehnten auf dem
Feld der Luft- und Raumfahrt etabliert", so Roman Christof in seinem
Vortrag zum Airbus-Konzern und dem Großprojekt A400M. Airbus als erster
europäischer Rüstungskonzern müsste dabei im Kontext der Kooperation
mitwirkender Nationalstaaten verstanden werden, bei gleichzeitig
weiterbestehender Konkurrenz. Mit dem Auftrag der Regierungen an die
einzelnen nationalen Luft- und Raumfahrtunternehmen und der Schaffung
zwischenstaatlicher Rahmenbedingung für deren wirtschaftlichen Verkehr
untereinander sei erst der Grundstein für Airbus gelegt worden. Durch
diesen Konzern sollte „ein auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger
Rüstungskonzern geschaffen werden, der den beteiligten Staaten mit
Rüstungsgütern die gewünschten wehrtechnischen Fähigkeiten bereitstellen
kann“, so der Referent weiter. Ob dies mit Produkten wie dem A400M
wirklich erreicht wurde, bleibe fraglich. Ein Großprojekt, bei dem die
Risse nicht nur durch den Rumpf des militärischen Transportflugzeuges
gehen, sondern genauso durch die veranschlagten Kosten (Preissteigerung
von mehr als 1,4 Milliarden Euro) und den Liefertermin (Verzögerung von
mehr als 110 Monate), stelle zwar die Frage der Wirtschaftlichkeit
solcher Großprojekte, mache aber genauso aufgrund des Festhaltens an
diesen, die staatlichen Interessen deutlich. Die Unabhängigkeit im
Bereich der Rüstungsindustrie von außereuropäischen Staaten stehe
scheinbar an erster Stelle. Es gehe um die Lieferung militärischen
Geräts, das für eine Nation wie Deutschland und die Bestrebungen einer
zunehmenden Militarisierung der EU von höchster Bedeutung sei. Ein
großräumiges und schnell einsetzbares Transportflugzeug sei die
Voraussetzung für flexible Operationen in jedem Winkel der Erde und
„damit dem neuerlich unterstrichenen Weltmachtanspruch der EU“. Damit
leiste der Airbus-Konzern mit seiner Sparte Defence and Space einen
wichtigen Beitrag für die europäische Staatenkonkurrenz und ihre Kriege.

In dem dritten Beitrag des Panels beschäftigte sich Marius Pletsch mit
den Plänen mehrerer EU-Mitgliedsstaaten für die Produktion einer Drohne.
Zunächst ging er jedoch auf das nationale Vorhaben ein, israelische
Heron-TP Drohnen für mindestens 580 Mio. € über den Hauptauftragsnehmer
Airbus DS Airborne Solutions zu leasen. Bevor es zum Vertragsabschluss
komme, der für das Frühjahr 2017 geplant sei, werde noch ein laufender
Gerichtsprozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf abgewartet. Der
US-Amerikanische Konkurrent General Atomics, Hersteller der Drohnen
Predator (Raubtier) und Reaper (Sensemann), hätte gegen die
Vergabeentscheidung geklagt. Die Entscheidung für die Heron Drohne solle
auch ein Schub für die sogenannte „Europäische Drohne“ sein, da die
israelische Herstellerfirma Israel Aerospace Industries (IAI)
freigiebiger mit Dokumenten sei und es so zum „Aufbau realen
industriellen Know-hows bei europäischen Unternehmen“ komme, wie es die
Bundesregierung formuliert habe. Die Eurodrohne solle bereits 2025
einsatzbereit sein. An ihrer Entwicklung seien Deutschland, Frankreich,
Italien und Spanien beteiligt, wobei Deutschland die „Führungsrolle“
übernehme und bei der Definitionsstudie, die insgesamt 60 Mio. € kosten
solle, 18,6 Mio. € (31 % der Gesamtsumme) bezahlen würde. Die drei
übrigen teilnehmenden Staaten würden sich mit je 13,8 Mio. € (je 23 %)
beteiligen. Die Koordination des Projektes würde von OCCAR übernommen,
eben jene Organisation, auf die bereits Seifert eingegangen war. Das
Geschäft mit Drohnen würde in den nächsten Jahren weiterwachsen, wobei
der militärische Markt weiterhin der dominantere bleiben werde. „Das
Geschäft mit den Drohnen selbst macht dabei lediglich einen kleinen Teil
aus, nicht darin enthalten sind die Sensoren, solche zur Signalerfassung
oder hochempfindliche Kameras, sowie die Infrastruktur, die für den
Betrieb der Drohnen nötig sei, wie z.B. Satellitenverbindungen zur
Kommunikation oder Kryptomodule, um die Datenströme zu verschlüsseln“,
so Pletsch. Damit Drohnen in Zukunft auch im Luftraum der EU-Staaten
fliegen können, würden EU-Institutionen günstige Bedingungen schaffen,
so forsche die Europäische Verteidigungsagentur an Sense-and-Avoid
Systemen, die für eine Zulassung nötig seien.

Abschließend argumentierte Jürgen Wagner anhand der europäischen
„Schattenhaushalte und Kriegskassen“, dass aktuell auf verschiedenen
Wegen versucht würde, massiv EU-Gelder für den Ausbau des
EU-Militärapparates loszueisen. Ohnehin seien die nationalen
Militärausgaben der EU-Staaten von 193 Mrd. Euro (2005) auf 200 Mrd.
Euro (2015) gestiegen. Im Falle Deutschlands sei dies noch ausgeprägter:
Der Haushalt sei von 27,6 Mrd. Euro (2006) auf aktuell 34,2 Mrd. (2016)
angewachsen und solle bis 2020 noch einmal auf 39,2 Mrd. angehoben
werden. Daneben werde versucht, EU-Gelder zu akquirieren und das, obwohl
Artikel 41(2) des EU-Vertrags es eigentlich verbiete, „Maßnahmen mit
militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ aus dem EU-Haushalt
zu bestreiten. Dieses Verbot solle aktuell durch die geplante
Einrichtung eines Rüstungsforschungshaushaltes unterlaufen werden.
„Diese Entwicklung ist von enormer Tragweite“, so Wagner. „Gelingt die
Einrichtung eines Rüstungsforschungshaushaltes, so wird dies
Vorbildcharakter für weitere Bereiche haben. Dann dürfte künftig der
umfassenden Verwendung von EU-Haushaltsgeldern zur Finanzierung eines
EU-Militärapparates wenig mehr im Wege stehen.“

Migrationsbekämpfung: Die inneren und äußeren Grenzen Europas

IMI-Beirätin Jacqueline Andres referierte im ersten Panel am Sonntag
über die aktuellen Entwicklungen entlang der vorgelagerten, äußeren und
inneren Grenzen der EU und versuchte den Blick auf die starke Diskrepanz
zwischen der Selbstdarstellung der EU und ihrer politischen
Entscheidungen zu richten. Offiziell versuche die EU mit mittlerweile
drei Militärmissionen das seit Jahrzehnten andauernde Sterben von
Migrant_innen an der unsichtbaren EU-Außengrenze im Mittelmeer durch die
Bekämpfung von Schmuggler_innennetzwerken einzudämmen, doch tatsächlich
werde die Überfahrt dadurch gefährlicher. Dies habe u.a. dazu geführt,
dass im Jahr 2016 die bisher höchsten Todeszahlen zu vermerken gewesen
seien. Entgegen der offiziellen Aussagen der EU, bestehe kein
politischer Wille, sich für das Wohl und die Sicherheit von
Migrant_innen einzusetzen. Die drei Militärmissionen, an denen die
Bundesregierung zum Teil federführend beteiligt ist, bestünden aus der
seit Juni 2015 aktiven Operation European Naval Forces Mediterranean
(EUNAVFOR MED), dem diesjährig begonnen NATO-Einsatz in der Ägäis sowie
der kürzlich in Sea Guardian umbenannten NATO Mission Active Endeavour,
welche als Bindeglied zwischen den zuvor genannten Operationen im
gesamten Mittelmeerraum präsent sei. Zu beobachten sei in allen drei
Operation die Instrumentalisierung der
Schmuggler_innennetzwerksbekämpfung, welche den beteiligten Staaten das
Anrecht auf eine permanente bzw. zumindest potenziell langjährige
Militärpräsenz im Mittelmeer ermögliche, wodurch unter einem humanitären
Deckmantel geopolitische und wirtschaftliche Interessen militärisch
gesichert würden. Die Grenzvorverlagerung schreite seit der Gründung der
europäischen Grenzschutzagentur FRONTEX im Jahr 2004 kontinuierlich
voran und habe einen bedeutsamen Schub durch den Rabat- und die
Khartoum-Prozesse erhalten, welche jeweils in West- und Ostafrika
umgesetzt würden. Auch in dem von der EU-Kommission im September 2016
verabschiedeten neuen Partnerschaftsabkommen sei das Ziel die schärfere
Einreiseeindämmung von illegalisierten Migrant_innen in den Transit- und
Herkunftsländern und die Erhöhung der Abschiebequote bzw. der
„Rückführungen“. Dazu würden die Ausbildung und Ausstattung lokaler
Sicherheitsapparate verstärkt und neue Rückführungsabkommen mit
Herkunftsstaaten abgeschlossen. Innerhalb der letzten zwei Jahre hätten
außerdem zahlreiche EU-Mitgliedstaaten Grenzkontrollen wieder eingeführt
und bzw. oder Grenzzäune errichtet. In Idomeni an der Grenze von
Griechenland zu Mazedonien, in der an Frankreich angrenzenden
italienischen Küstenstadt Ventimiglia und der nordfranzösische
Hafenstadt Calais seien ähnliche Entwicklungen zu sehen: Die
wiederholten Räumungen selbsterrichteter Camps zeigten, dass die
jeweiligen politischen Entscheidungsträger_innen jegliche Form der
Selbstorganisation verhindern wollten und gleichzeitig Solidarität
zunehmend diffamiert werde. Die an den Grenzen blockierten Migrant_innen
würden dazu in allen drei Fällen mit Bussen auf landesweit verstreute
Aufnahmezentren aufgeteilt, wodurch sie einerseits weniger sichtbar
würden und andererseits auch eine Selbstorganisation erschwert werde.
Anschließend sprach Jacqueline Andres an, was die Friedensbewegung
leisten sollte, um diesem Prozess der stetigen Militarisierung der
externalisierten, internalisierten sowie der äußeren Grenzen der EU
entgegenzuwirken: „Ein Vorschlag ist es, die Profiteure der
Technologisierung und Militarisierung des Grenzregimes zu lokalisieren,
um sie als sichtbare Orte des potenziellen Protests zu etablieren.“

Entzivilisierung: Die Innenräume der Militarisierung

Das zweite Panel am Sonntag „Entzivilisierung: Die Innenräume der
Militarisierung” behandelte drei Aspekte der EU-Militarisierung ziviler
Räume. Den Anfang machte Martin Kirsch, der über die Militarisierung der
EU-Polizeien mit Fokus auf die Entwicklung in Deutschland sprach. Seit
dem Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo Anfang 2015 sei es, so
Kirsch, das selbsterklärte Ziel der deutschen Polizei „Waffengleichheit”
im Kampf gegen den Terrorismus zu erlangen – ein Wettrüsten mit
Terrorist_innen also. Dieser Anspruch führe zum einen zu einer
erheblichen Aufstockung der Spezialeinheiten, wie beispielsweise der
BFE+-Einheit der Bundespolizei, die nach einer Ausbildung durch die GSG
9-Einheit mit militärischer Bewaffnung und Radpanzern ausgerüstet werden
solle. Zum anderen würden auch die Dienstwagen der Streifenpolizei mit
einem „Anti-Terror-Paket” bestückt. Eine solche Aufrüstung, so Kirsch,
führe zu einer zunehmenden Distanzierung der Polizei von den
Bürger_innen. Die Ordnungsmacht wirke damit zunehmend einschüchternd und
eskalierend. Die Militarisierung der deutschen Polizei stehe laut Kirsch
den Bestrebungen gegenüber, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen – so
ergebe sich ein Kompetenzgerangel zwischen Militär und Polizei. Auf
kurze Sicht solle hierbei allerdings eine Einigung stattfinden, für
Februar 2017 sei bereits eine gemeinsame Anti-Terror-Großübung geplant.
Im europäischen Kontext seien die Spezialeinheiten der Polizeien im
Atlas-Verbund organisiert, dem die EU-Staaten, Norwegen sowie die
Schweiz angehörten und der von EU-Geldern finanziert werde. Für die
Einsetzbarkeit der Spezialeinheiten innerhalb der EU sorge die
Solidaritätsklausel des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen
Union, die einzelnen Staaten in Bedrohungslagen wie Terroranschlägen die
Hilfe mit allen verfügbaren Mitteln der anderen Mitgliedsstaaten zusichere.
Im zweiten Beitrag sprach Thomas Gruber über die Positionierung der
Europäischen Union im Cyberraum. Während der Cyberraum im Rahmen des
Internets oder privaten Kommunikationsnetzen ein vorwiegend zivil
genutzter Raum sei, versuchten militärische Akteur_innen seit einigen
Jahren ihre Position im Cyberraum zu stärken. Die Bundeswehr habe den
virtuellen Raum neben Land, Luft, Wasser und All zum fünften
Schlachtfeld erklärt und baue inzwischen einen eigenen
Organisationsbereich zum Cyber- und Informationsraum auf, so Gruber.
Auch Militärbündnisse wie die NATO rüsteten ihre Cyberwaffen und
-kapazitäten immer weiter auf. Die EU habe sich laut Gruber dagegen auf
einige administrative Aufgaben im Cyberkrieg zurückgezogen: Erstens
sollten Mitgliedsstaaten in Abkommen wie dem „Cyber Defence Policy
Framework” zur Aufrüstung verpflichtet werden. Zweitens solle die EU
durch vertragliche Vereinbarungen wie die Solidaritätsklausel einen
fruchtbaren Boden für militärische Aktionen als Antwort auf
nicht-militärische Cyberangriffe bieten. Drittens solle die
Wettbewerbsfähigkeit von EU-Unternehmen der IT-Sicherheitsbranche durch
„Private Public Partnerships” (PPPs) gefördert und ihnen damit lukrative
Aufträge zugeschanzt werden. Viertens würde die EU anhand plakativer
Manöver zur Cyberkriegsführung wie der „Multi Layer” Trainingsmission
oder der Übung „Cyber Europe” zur Bedrohungshaltung der EU gegen die
Nachbarstaaten im Osten beitragen.
Der dritte Beitrag von Christopher Schwitanski behandelte die Haltung
und Arbeitsweise der EU zur „Strategischen Kommunikation" (StratCom).
Die Strategische Kommunikation, so Schwitanski, ließe sich im
klassischen Sinne wohl passender als „Propaganda" bezeichnen, in den
militärischen und staatlichen Publikationen habe sich aber der
Euphemismus durchgesetzt. Das Ziel der StratCom sei im militärischen
Kontext meist der Feindpropaganda entgegenzuwirken – in Militärsprache
der Umgang mit „Desinformationskampagnen" – und dabei Netzwerke mit der
Zivilgesellschaft des Einsatzlandes und umfassende Pressekontakte
aufzubauen. Gerade die NATO sei hierbei mit einem eigenen
Kompetenzzentrum und passenden Konferenzen Vorreiterin. Seit kurzem sei
allerdings auch die EU in ihren Bemühungen zur Strategischen
Kommunikation sehr aktiv, so Schwitanski. Inzwischen existiere das
„Syria Strategic Communication Advisory Team“, die „StratCom Task Force
South“ im Aufbau, ein Expertisenetzwerk Terrorbekämpfung und das „EU
Eastern StratCom Team“. Letzteres werde begleitet von Aktivitäten des
Rundfunksenders „Deutsche Welle“ oder des Europäischen Demokratiefonds
unter anderem gegenüber Russland als Propagandainstrument genutzt. Als
Ausblick sollten wir uns, so Schwitanski, vor allem auf eine
Intensivierung der Strategischen Kommunikation auf EU-Ebene einstellen,
eine Entwicklung, der wir eine kritische Perspektive entgegenstellen
sollten.

Linke Europakonzeptionen

Zum Abschluss des Kongresses sprachen Malte Lühmann und Tobias Pflüger
unter dem Titel „Reform? Neugründung? Widerstand? Linke
Europakonzeptionen und Ansatzpunkte für konkretes Handeln“ über die in
den letzten Jahren deutlich lebhafter gewordenen linken Debatten zum
Thema EU und Europa. Zum Einstieg skizzierte Malte Lühmann aktuelle
europapolitische Herausforderungen jenseits der Militarisierung.
Zunächst machte er deutlich, dass die Entwicklung der EU in Richtung
eines zunehmend autoritären Neoliberalismus nach dem Ende der
Troika-Politik keineswegs an Fahrt verliere. Aktuell würden sowohl aus
Brüssel, mit dem 5-Präsidenten-Report zur Vertiefung der
wettbewerbsorientierten Integration, als auch aus Berlin, mit Schäubles
Initiative zur Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds
mit weitreichenden Kompetenzen zur Disziplinierung der EU-Peripherie,
Pläne in diese  Richtung verfolgt. Gleichzeitig warnte Lühmann vor dem
weiteren Anwachsen rechtsextremer und rechtspopulistischer Bewegungen in
zahlreichen EU-Ländern von Deutschland (AfD) über Frankreich (Front
National) bis hin zu Ungarn (Jobbik), Finnland (Die Finnen) und vielen
anderen. Auch diese „falschen Feinde der EU“ stellten eine ernste
Herausforderung für die Linke dar, so Lühmann. Anschließend präsentierte
er fünf linke Positionen aus der aktuellen europapolitischen Debatte in
Deutschland. Als erstes ging es um die Initiative „Europa neu
begründen“, die im Umfeld der Gewerkschaften entstanden sei und auf eine
Weiterentwicklung der EU in Richtung Sozialunion abziele. Lühmann
charakterisierte die Initiative u.a. aufgrund ihrer Unterstützer_innen
als mögliche Grundlage Rot-Rot-Grüner Europapolitik nach der
Bundestagswahl 2017. Als zweites sprach er über das Bündnis „Plan B“, in
dem vor allem Akteure europäischer Linksparteien zusammen gekommen
seien. Sie suchten als Antwort auf die „Syriza-Falle“ in Griechenland
nach einem glaubwürdigen linken Plan B als Alternative zum Euro, um die
Kontrolle über nationale Wirtschaftspolitiken wieder zu erlangen. Eine
dritte Perspektive biete die maßgeblich von Yanis Varoufakis, dem
ehemaligen griechischen Finanzminister, gegründete Bewegung DiEM25.
Lühmann stellte DiEM25 als europäische Bewegung mit auffallenden
Parallelen zu Attac dar, die sich vor allem um eine Demokratisierung und
mehr Transparenz der EU-Institutionen bemühe. Mit Blockupy stellte
Lühmann viertens ein Projekt radikaler, linker Vernetzung vor, das vor
allem im Protest gegen die EU-Krisenpolitik bei der EZB in Frankfurt in
Erscheinung getreten sei. Aktuell würde hier die Schaffung einer
„ultraeuropäischen“ radikalen Bewegung diskutiert und betrieben. In
gewisser Nähe zu Blockupy sah Lühmann schließlich Positionen, die
strategisch auf die Organisation von Alltagskämpfen in lokalen
Stadtteil-, Soli-, und Selbsthilfeinitiativen in vielen europäischen
Ländern und darüber hinaus setzten.

Tobias Pflüger nahm den Ball an dieser Stelle auf und ordnete die
dargestellten Strömungen aus antimilitaristischer Perspektive ein. Er
wies darauf hin, dass zumindest die ersten drei Positionen (insbesondere
„Europa neu begründen“, „Plan B“ aber auch „DIEM25“) immer noch von der
grundlegenden Reformierbarkeit der bestehenden Institutionen der EU und
der EU an sich ausgingen. Spätestens nach dem Inkrafttreten des
Lissabon-Vertrages sei aber genau das völlig unrealistisch, da in den
EU-Verträgen nicht nur die innerinstitutionelle Zusammenarbeit und die
Zusammenarbeit zwischen den Einzelstaaten der EU geregelt sei, sondern
auch inhaltlich-politische Festlegungen vorgenommen worden wären. So sei
der wirtschaftspolitische Kurs der EU-Institutionen und der EU an sich
klar neoliberal ausgerichtet, was sich durch den gesamten geltenden
EU-Vertrag ziehe. Es würden sogar Einzelmaßnahmen, wie z.B.
Kapitalverkehrskontrollen, im geltenden EU-Vertrag explizit
ausgeschlossen. Zentral sei zudem, dass die EU mit dem Inkrafttreten des
Lissabon-Vertrages auch ein explizites Militärbündnis (geworden) sei. So
wären sicher graduelle (!) Verbesserungen hin zu sozialerer Politik (mit
der Begrenzung der inhaltlichen Festlegungen der Verträge) immanent
möglich, die EU würde aber ihren Charakter als Militärbündnis
beibehalten. Außer durch einen grundlegenden Bruch mit den oder durch
die Rücknahme der bestehenden EU-Verträge sei somit realistisch eine
„Reform“ der EU ausgeschlossen. Deutlich mehr Gemeinsamkeiten mit
antimilitaristischen Positionen sah Pflüger bei solchen Strömungen, die
auf den Aufbau von Alternativen und Gegenmacht außerhalb der und gegen
die EU-Institutionen und ihre Politik setzten. Auffällig sei bei der
„europapolitischen“ Debatte von links, dass bisher alle Konzeptionen
zudem daran krankten, antimilitaristische Fragen komplett auszublenden,
was eine große Schwäche der aktuellen Debatte darstelle. Weder bei
„Europa neu begründen“, noch bei „Plan B“ oder „DIEM25“, oder auch sehr
wenig bei Ansätzen von unten wäre der militärische Charakter der EU Thema.

Pflüger plädierte zudem dafür, die „Ideologie Europa“ noch deutlicher
einerseits herauszuarbeiten, andererseits zu kritisieren und zu
entlarven. Durch diese „Ideologie Europa“ werde Akzeptanz für
Institutionen der EU und die Politik dieser Institutionen erzeugt, die
diese aufgrund ihres neoliberalen und militaristischen Charakters „nicht
verdient“ hätten. In der anschließenden lebhaften Diskussion wurden die
dargestellten Punkte mehrfach aufgegriffen und um wichtige Aspekte
erweitert. Gegen die Darstellung eines „Europas der (Alltags-)Kämpfe“
wurde eingewandt, dass hier die herrschende Konstruktion von Europa als
Referenzrahmen aufgenommen würde. Diese Grenzziehung gegenüber
Bewegungen, die außerhalb Europas kämpften, dürfe nicht unhinterfragt
bleiben, da sie den Blick auf gemeinsame Widerstandspraxen, wertvolle
Erfahrungen und mögliche Bündnisse über Europa hinaus verstelle.
Schließlich wurde angemerkt, dass die Entstehung linker EU-kritischer
Bewegungen und die Debatte um linke Europakonzeptionen trotz aller
Diskrepanzen eine erfreuliche Entwicklung im Vergleich zu früheren
Jahren sei. Das Fehlen antimilitaristischer Positionen in dieser Debatte
zeige vor allem die Notwendigkeit aktiv zu werden und den
Antimilitarismus – verbunden mit einer Kritik des europäischen
Imperialismus – in diesem Kontext zu stärken.


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