Am 22. Februar dieses Jahres waren es 70 Jahre, dass er geboren wurde.
Feierlich begingen an diesem Tage das kämpfende Proletariat ganz Deutschlands, das Internationale Sozialistische Büro, die organisierten Arbeiter aller Länder des Erdballs den siebzigsten Geburtstag des alten Bebel.
Wodurch hat Bebel diese Verehrung verdient, was hat er für das Proletariat geleistet?
Wie ist Bebel aus der Masse der Arbeiter emporgestiegen, wie hat er sich aus dem “einfachen” Drechsler in den grossen Kämpfer des Weltproletariats verwandelt?
Wie sieht die Geschichte seines Lebens aus?
Bebels Kindheit verlief in Elend und Entbehrungen. Schon mit drei Jahren verliert er den Vater, den Ernährer, einen armen, schwindsüchtigen Unteroffizier. Um den Kindern einen anderen Ernährer zu verschaffen, heiratet die Mutter Bebels zum zweiten Mal, und zwar einen Gefängnisaufseher. Aus der Kaserne, in der die Mutter bis dahin gewohnt hat, zieht sie mit den Kindern in das Gefängnisgebäude.
Doch drei Jahre später stirbt auch der zweite Mann. Die Familie, ohne Ernährer geblieben, siedelt in die Heimat, in ein Provinznest, über, wo sie ein Hungerdasein fristet. Bebel wird als Armeleutekind in die “Armenschule” aufgenommen, die er im 14. Lebensjahr mit Erfolg beendet. Doch ein Jahr vor Beendigung der Schule trifft ihn ein neuer Schlag – er verliert seine Mutter, seine letzte Stütze. Als Vollwaise, sich selbst überlassen, der Möglichkeit beraubt, weitere Bildung zu gewinnen, geht Bebel zu einem Drechsler, den er kennt, in die Lehre.
Es beginnt ein eintöniges, hartes Leben. Von fünf Uhr morgens bis sieben Uhr abends ist er in der Werkstatt. Eine gewisse Abwechslung bringen ihm die Bücher, denen er seine ganze freie Zeit widmet. Dazu lässt er sich für die zehn bis zwölf Pfennige, die er wöchentlich damit verdient, dass er jeden Morgen vor Beginn der Arbeit für seine Meisterin Wasser schleppt, in die Bibliothek einschreiben.
Offensichtlich haben Not und Entbehrungen den jungen Bebel nicht nur nicht zerbrochen, das Streben zum Licht in ihm nicht nur nicht abgetötet, sondern im Gegenteil – sie haben seinen Willen noch mehr gestählt, seinen Wissensdurst gesteigert und in ihm Fragen aufkommen lassen, auf die er in den Büchern gierig nach Antwort suchte.
So wuchs im Kampf mit der Not der zukünftige unermüdliche Kämpfer für die Befreiung des Proletariats.
Im 18. Lebensjahr beendet Bebel die Lehrzeit und tritt als selbständiger Drechsler ins Leben. Mit 20 Jahren wohnt er bereits einer Arbeiterversammlung in Leipzig bei und hört die Reden sozialistischer Arbeiter. Das war die erste Versammlung, in der Bebel Arbeiterrednern von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Bebel war noch kein Sozialist, er sympathisierte mit den Liberalen, aber er freut sich aufrichtig über das selbständige Auftreten der Arbeiter, er beneidet sie, es entbrennt in ihm der Wunsch, ein ebensolcher Arbeiterredner zu werden wie sie.
Von nun ab fängt für Bebel ein neues Leben an – er sieht bereits einen bestimmten Weg. Bebel tritt Arbeiterorganisationen bei und ist in ihnen intensiv tätig. Schnell gewinnt. er Einfluss, er wird in den Ausschuss eines gewerblichen Bildungsvereins gewählt. Bei seiner Tätigkeit innerhalb der Arbeitervereine kämpft er gegen die Sozialisten, geht er mit den Liberalen zusammen, jedoch im Kampf gegen die Sozialisten kommt er allmählich zu der Überzeugung, dass sie Recht haben.
Mit 26 Jahren ist er bereits Sozialdemokrat. Die Popularität Bebels wächst so rasch, dass man ihn nach einem Jahr (1867) zum Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Arbeitervereine und als ersten Arbeiterabgeordneten ins Parlament wählt.
So arbeitet sich Bebel unter Kämpfen und Siegen, Schritt für Schritt die sich ihm entgegenstellenden Hindernisse beseitigend, schliesslich aus der Masse der Arbeiter empor und wird zum Führer der kämpfenden Arbeiter Deutschlands.
Nun tritt Bebel schon offen für die Sozialdemokratie ein. Sein nächstes Ziel heisst: Krieg gegen die Liberalen, Befreiung der Arbeiter von ihrem Einfluss, Zusammenschluss der Arbeiter in einer eigenen sozialdemokratischen Arbeiterpartei.
Im folgenden Jahr, 1868, erreicht Bebel sein Ziel auf dem Nürnberger Vereinstag. Der geschickte und rücksichtslose Angriff Bebels auf diesem Vereinstag führte dazu, dass die Liberalen eine völlige Niederlage erlitten und dass auf den Trümmern des Liberalismus die deutsche Sozialdemokratie geboren wurde.
Die Befreiung der Arbeiter kann nur die Sache der Arbeiter selbst sein, führte Bebel auf dem Arbeitervereinstag aus, deshalb müssen die Arbeiter mit der liberalen Bourgeoisie brechen und sich in einer eigenen Arbeiterpartei vereinigen, und die groÖe Mehrheit der Tagung stimmte mit ihm, einem Häuflein Liberaler zum Trotz, in die grossen Worte von Karl Marx ein.
Zur völligen Befreiung der Arbeiter ist es notwendig, dass sich die Arbeiter aller Länder vereinigen, führte Bebel aus, darum muss man sich der Internationalen Arbeiter-Assoziation anschliessen, und die Mehrheit der Tagung stimmte mit ihm einmütig in die Worte des grossen Lehrmeisters ein.
So wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschlands geboren. Bebel war ihr Geburtshelfer.
Von da ab verschmilzt das Leben Bebels mit dem der Partei, seine leiden und Freuden werden eins mit denen der Partei. Bebel selbst wird zum Liebling der deutschen Arbeiter, die er begeistert; denn, Genossen, man kann nicht umhin, einen Mann zu lieben, der soviel dafür getan hat, die Arbeiter auf ihre eigenen Füsse zu stellen, sie von der Vormundschaft der liberalen Bourgeoisie frei zu machen und ihnen eine eigene Arbeiterpartei zu geben.
Das Jahr 1870 brachte für die junge Partei die erste Prüfung. Es begann der Krieg mit Frankreich, die deutsche Regierung forderte vom Reichstag, dessen Mitglied auch Bebel war, Gelder für den Krieg, es galt, sich ausdrücklich für oder gegen den Krieg auszusprechen. Bebel begreift natürlich, dass der Krieg nur für die Feinde des Proletariats von Vorteil ist, indessen werden alle Schichten der deutschen Gesellschaft, vom Bourgeois bis zu den Arbeitern, von einer falschen patriotischen Begeisterung erfasst, und die Verweigerung der Geldmittel für die Regierung wird als Vaterlandsverrat bezeichnet. Doch ohne Rücksicht auf die “patriotischen” Vorurteile, ohne Furcht, gegen den Strom zu schwimmen, erklärt Bebel von der Parlamentstribüne aus mit lauter Stimme: “Als Sozialist und Republikaner bin ich nicht für den Krieg, sondern für den Bruderbund der Völker, nicht für die Feindschaft gegen die französischen Arbeiter, sondern für die Vereinigung unserer deutschen Arbeiter mit ihnen.” Vorwürfe, Spott, Verachtung – das war die Antwort sogar von Seiten der Arbeiter auf das mutige Auftreten Bebels. Doch Bebel, den Grundsätzen des wissenschaftlichen Sozialismus getreu, lässt nicht einen Augenblick lang das Banner bis zu den irrigen Auffassungen seiner Klassenbrüder sinken – im Gegenteil, auf jede Art und Weise bemüht er sich, sie zu der klaren Erkenntnis zu bringen, wie verwerflich der Krieg ist. In der Folgezeit sahen die Arbeiter ihren Fehler ein und liebten ihren standhaften, starken Bebel umso mehr. Die Regierung hingegen belohnte ihn mit zwei Jahren Festung, wo er aber nicht müssig da sass, sondern das berühmte Buch “Die Frau und der Sozialismus” schrieb.
Am Ende der siebziger und in den achtziger Jahren wird die Partei vor neue Prüfungen gestellt. Alarmiert durch das Anwachsen der Sozialdemokratie, erlässt die deutsche Regierung “Ausnahmegesetze gegen die Sozialisten”, löst die Partei- und Gewerkschaftsorganisationen auf, unterdrückt alle sozialdemokratischen Zeitungen ohne Ausnahme, hebt die Freiheit der Versammlungen und Vereine auf und zwingt die gestern noch legale sozialdemokratische Partei in die Illegalität. Mit all diesen Massnahmen wollte die Regierung die Sozialdemokratie zu erfolglosen, verderblichen Handlungen provozieren, sie demoralisieren und zugrunde richten. Besondere Standhaftigkeit und beispiellose Voraussicht waren notwendig, um nicht den Kopf zu verlieren, um zur rechten Zeit die Taktik zu ändern und sich richtig den neuen Verhältnissen anzupassen. Viele Sozialdemokraten gaben den Provokationen nach und verfielen in Anarchismus. Andere verflachten völlig und sanken bis zu den Liberalen herab. Bebel jedoch stand unentwegt auf dem Posten, munterte die einen auf, mässigte den unklugen Feuereifer der anderen, entlarvte die Phrasendrescherei der dritten und steuerte die Partei geschickt auf dem richtigen Weg immer vorwärts, nur vorwärts. Zehn Jahre später musste die Regierung der wachsenden Kraft der Arbeiterbewegung nachgeben und die “Ausnahmegesetze” aufheben. Die Linie Bebels hatte sich als die einzig richtige erwiesen.
Das Ende der neunziger Jahre und die ersten Jahre nach der Jahrhundertwende brachten der Partei eine weitere Prüfung. Aufgemuntert durch den industriellen Aufschwung und die verhältnismässig leichten wirtschaftlichen Siege, begannen die gemässigten Elemente in der Sozialdemokratie die Notwendigkeit des unversöhnlichen Klassenkampfes und der sozialistischen Revolution zu verneinen. Man brauche keine Unversöhnlichkeit, man brauche keine Revolution, meinten sie, man brauche eine Zusammenarbeit der Klassen, wir brauchen eine Verständigung mit der Bourgeoisie und der Regierung, um gemeinsam mit ihnen die bestehende Ordnung auszubessern – lasst uns deshalb für das Budget der bürgerlichen Regierung stimmen und uns an der bestehenden bürgerlichen Regierung beteiligen. Damit untergruben die Gemässigten die Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus, die revolutionäre Taktik der Sozialdemokratie. Bebel sah die ganze Gefahr der Lage und erklärte, zusammen mit anderen Führern der Partei, den Gemässigten den unversöhnlichen Krieg. Auf dem Dresdner Parteitag (1903) schlägt er die deutschen Führer der Gemässigten, Bernstein und Vollmar, aufs Haupt und verkündet die Notwendigkeit der revolutionären Kampfmethoden. Ein Jahr darauf schlägt er in Amsterdam, vor den Sozialisten aller Länder, bereits den internationalen Führer der Gemässigten, Jean Jaurès, und verkündet nochmals die Notwendigkeit des unversöhnlichen Kampfes. Von da ab gab er den “gemässigten Feinden der Partei” keine Ruhe mehr, brachte ihnen Niederlage auf Niederlage bei – in Jena (1905), in Nürnberg (1908). Als Ergebnis geht die Partei aus dem inneren Kampf einheitlich und stark hervor, erstaunlich gefestigt und riesig gewachsen, und dies alles ist hauptsächlich August Bebel zu verdanken.
Aber Bebel begnügt sich nicht nur mit der Tätigkeit im Rahmen der Partei. Seine donnernden Reden im deutschen Reichstag, in denen er die verstockten Junker geisselt, den Liberalen die Maske vom Gesicht reisst und die “Reichsregierung” anprangert, seine langjährige Tätigkeit in den Gewerkschaften – alles dies spricht dafür, dass Bebel, als treuer Hüter der Interessen des Proletariats, überall da auf dem Plan erschien, wo der Kampf am heissesten, wo seine stürmische proletarische Energie am notwendigsten waren.
Dafür eben wird Bebel von den deutschen und internationalen Sozialisten so geschätzt.
Natürlich beging Bebel auch Fehler – wer begeht keine (nur die Toten machen keine Fehler) -, aber all die kleinen Fehler verblassen im Vergleich zu den gewaltigen Verdiensten um die Partei, die gegenwärtig, nach 42jähriger Führung durch Bebel, mehr als 600 000 Mitglieder zählt, über ungefähr 2 Millionen gewerkschaftlich organisierte Arbeiter verfügt, das Vertrauen von 3 bis 4 Millionen Wählern geniesst, mit einer Handbewegung in Preussen hunderttausendköpfige Demonstrationen auf die Beine bringt.
Und es ist bezeichnend, dass die Tage der Jubiläumsfeier Bebels mit den Tagen zusammenfielen, an denen die Macht der deutschen Sozialdemokratie am stärksten zum Ausdruck kam, mit den Tagen der beispiellos organisierten Massendemonstrationen für das allgemeine Wahlrecht in Preussen.
Bebel kann mit Fug und Recht sagen, dass er nicht vergebens gearbeitet hat.
So sieht das Leben, so sieht das Wirken des alten, ja sehr alten, aber seelisch noch äusserst jungen Bebel aus, der nach wie vor auf seinem Posten steht und auf neue Schlachten und neue Siege wartet.
Nur das kämpfende Proletariat konnte einen Bebel gebären, so lebendig, ewig jung, ständig vorwärts blickend, wie es auch selbst ist.
Nur die Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus konnte der rastlosen Natur Bebels, der unermüdlich zur Zerstörung der alten, verfaulenden, kapitalistischen Welt drängt, diesen weiten Schwung verleihen.
Bebel zeugt mit seinem Leben und seinem Werk von der Kraft und der Unbesiegbarkeit des Proletariats, von der Unvermeidlichkeit des Triumphs des Sozialismus…
Lasst uns denn, Genossen, unserem teuren Lehrmeister, dem Drechsler August Bebel, unseren Gruss entbieten!
Möge er uns russischen Arbeitern, die solche Bebels der Arbeiterbewegung besonders nötig haben, als Vorbild dienen!
Es lebe Bebel!
Es lebe die internationale Sozialdemokratie!
Das Bakuer Komitee der SDAPR
Erschienen als besondere Proklamation am 23. März 1910.Nach dem russischem Wortlaut der Proklamation. Stalin, Werke, Bd. 2