Montag, 25. August 2014
Fummeln am Gashahn
Ukraine beschließt Sanktionen gegen »Finanzterroristen« und will EU-Abnehmern von russischem Erdgas Bedingungen diktieren
Rainer Rupp
Quelle: jungeWelt vom 16.08.2014
Am Donnerstag hat das ukrainische Parlament ein interessantes Gesetz verabschiedet. Es sieht Sanktionen gegen 65 russische Unternehmen und 172 Einzelpersonen vor, die sich des »Finanzterrorismus« schuldig gemacht haben. Betroffen ist auch Gasprom (engl. Gazprom). Der Riesenkonzern darf als einziges Unternehmen russisches Gas exportieren. Bisher hatten die USA und die von den Lieferungen abhängige EU es sorgsam vermieden, Sanktionen gegen das halbstaatliche Unternehmen zu verhängen. Die Ukraine ist da forscher: Weil der Pleitestaat wegen ausstehender Zahlungen kein Gas mehr geliefert bekommt, will die Rada den russischen Konzern bestrafen und die Zufuhr nach Westeuropa drosseln. Und in Kiew ist man stolz auf diesen selbstmörderischen Mut. Ministerpräsident (von US-Gnaden) Arseni Jazenjuk dankte dem Parlament ausdrücklich. Die Abgeordneten hätten gezeigt, daß die Ukraine in der Lage sei, »sich selbst zu schützen«.
Mit dem Beschuß wird laut dem Bericht einer britischen Nachrichtenagentur verlangt, daß Energieunternehmen aus der EU, wenn sie weiterhin Gas aus Rußland beziehen wollen, zuerst bedeutende Vertragsänderungen mit der Ukraine aushandeln müssen. Nun bekommt man es auch in der EU mit der Angst zu tun. Der Winter naht, Kiew fummelt erneut am Gashahn, und Lieferengpässe sind damit programmiert. Die Regierungen in Berlin, Paris oder Warschau zum Beispiel scheinen nicht glücklich mit den »Selbstschutzmaßnahmen« ihres Mündels. Als erster hat sich der slowakische Ministerpräsident Robert Fico öffentlich geäußert. »Ist es nicht seltsam, daß ein Land, das ein Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet hat, ein Land, dem wir alle versuchen zu helfen, Schritte unternimmt, die die Interessen der einzelnen EU-Mitglieder gefährden?« fragte er. Und fügte hinzu: »Wir wollen nicht zur Geisel des ukrainisch-russischen Konflikts werden, wir können unsere Interessen nicht für ein Duell opfern.«
Bereits wenige Tage nachdem Rußland als Reaktion auf die EU-Sanktionen Lebensmittelimporte aus der EU eingeschränkt hatte, zeigen sich eine Reihe von betroffenen Ländern verstört. In Griechenland war man entsetzt wegen des Verlustes des größten Absatzmarktes. Danach rechneten spanische Bauernverbände vor, daß sie wegen der EU-Strafaktion dieses Jahr bis zu 800 Millionen Euro an direkten Verlusten erleiden würden. Valio, Finnlands führender Hersteller von Milchprodukten, hat bereits die Entlassung von 800 Beschäftigten angekündigt. Und Europas größter Apfelproduzent Polen, dessen Ernte fast ausschließlich nach Rußland ging, gibt sich gar nicht mehr so forsch wie zu Beginn des Spiels. Auch der Aufruf »Äpfel essen für die Freiheit« verpuffte. Als greifbares Ergebnis bleibt laut Landwirtschaftsminister Marek Sawicki ein Verlust in Höhe von 0,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Jetzt muß den betroffenen Unternehmen mit Steuergeld »geholfen« werden. Auf Druck der Mitgliedsländer hat die EU-Kommission in Brüssel bereits einen Kompensationsfonds aufgelegt. Der soll betroffene Bauern entschädigen. Das Problem ist nur, daß der Fonds mit etwa 400 Millionen Euro ausgestattet ist, während sich die entgangenen Gewinne auf deutlich höhere Beträge belaufen. Fraglich ist auch, ob der Fonds überhaupt funktionieren wird. Wie sollen EU-Beamte die entgangenen Gewinne der Bauern kontrollieren? Wahrscheinlich wird ohnehin der dafür notwendige bürokratische Aufwand den größten Teil des Kompensationsfonds auffressen, bevor die Bauern auch nur einen Euro sehen. Auf eventuelle Zahlungen werden sie sowieso lange warten müssen. Bis dahin werden viele schon bankrott sein.
Zugleich sind die politischen Implikationen der ganzen Rußland-Bestrafung schon jetzt nicht nur peinlich, sondern auch entlarvend. Es sind wie stets die EU-Steuerzahler, die für die Folgen des abenteuerlichen Gebarens der Brüsseler Herrschaften geradestehen müssen. Eine Haftung für politische Inkompetenz bleibt ein unerfüllter Traum.
Wie blank die Nerven der Eurokraten inzwischen liegen, ist an sonderbaren diplomatischen Unternehmungen zu erkennen. So hat die Europäische Kommission Emissäre nach Brasilien, Chile und andere lateinamerikanische Staaten geschickt, um sie mit mehr oder weniger versteckten Drohungen davon abzuhalten, Rußland ihrerseits mit Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch zu versorgen. Diese Länder werden es sich jedoch nicht entgehen lassen, langfristige Verträge mit den zahlungskräftigen Russen abzuschließen. Das Problem für die bisherigen Lieferanten aus den verschiedensten EU-Staaten ist dabei offensichtlich: Haben sie den russischen Markt erst einmal an Akteure aus anderen Ländern verloren, wird es sehr schwer oder gar unmöglich, dies wieder rückgängig zu machen.
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