Montag, 25. August 2014
Gesetzlicher Mindestlohn von 8,50
Erfolg für die Tarifautonomie oder Mogelpackung der Großen Koalition?
Der gesetzliche Mindestlohn soll zum 1.1.2015 (bzw. 1.1.2017) kommen. Das sei ein »deutlicher Sieg« der KritikerInnen der Agenda 2010, jammerte die FAZ (17.3.2014). Es sieht nach einem ersten Durchbruch aus. Seit etwa Mitte der neunziger Jahre haben soziale Bewegungen, die Initiativen gegen die Hartz-Gesetzgebung der SPD-Grüne- Koalition, Gewerkschaftslinke, AktivistInnen von Parteien wie DKP und Die Linke daran gearbeitet, diesen Fortschritt gegen die Blockade aller anderen Parteien, zunächst auch von Gewerkschaften, voranzutreiben. Im DGB waren ver.di, IG BAU und NGG die ersten, die das mit unterschiedlichen Konzepten aufgriffen, andere -wie insbesondere IG Metall und IG BCE- lehnten das als angebliche »Einmischung in die Tarifautonomie« lange ab (zur Geschichte der Bewegung für einen gesetzlichen Mindestlohn vgl. Arpo Nr. 3/2013, S. 22f.).
»1,8 Millionen Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel«, titelte die FAZ am 21.11.2013, um mitzuhelfen, das »Unheil« noch abzuwenden. Längst vorliegende Erfahrungen aus anderen EU-Ländern (vgl. Kasten) sowie den USA, die den allgemeingültigen Mindestlohn in verschiedenen Formen schon länger oder auch erst seit wenigen Jahren haben, wurden von dieser Seite wie auch den Unternehmerverbänden ignoriert. Es ging um Panikmache. Wenn der Mindestlohn Arbeitsplätze gefährdet, weil das Kapital unter diesen Umständen nicht investieren will, gilt das dann nicht grundsätzlich auch für Tarifverträge und Arbeitsschutzbestimmungen? Wo ist die Grenze? Sie liegt dort, wo das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen sie markiert, und sie bleibt ebenso wenig dort stehen, wie die Klassenkämpfe aufhören, sie zu bewegen. Es liegt also an uns, darauf Einfluss zu nehmen. Im letzten Bundestagswahlkampf haben die Gewerkschaften die Forderung nach 8,50 EUR Mindestlohn eingebracht, ohne dafür breite Aktivitäten zu organisieren.
Druck auf Parteien wie SPD und Die Linke kam von sozialen Initiativen und linksgewerkschaftlichen Gruppen. Immerhin hat wohl die Abwahl der FDP aus dem Bundestag im politischen Raum zur Schaffung der Bedingungen zur Einführung dieser Form von Mindestlohn beigetragen, die nun von der Großen Koalition CDU/CSU/SPD angestrebt wird. Was ändert sich, was bringt es den Beschäftigten und den Erwerbslosen? Welche Kriterien helfen uns, das zu beurteilen? In welche Richtung muss es weitergehen?
Zum Inhalt des Gesetzes
Formal soll der Mindestlohn in Höhe von 8,50 EUR ab 2015 gelten, ab dann würden laut Auskunft der Bundesregierung schon 3,7 Mio. Beschäftigte davon profitieren. Doch eine Übergangsregelung sieht vor, dass er flächendeckend erst ab 2017 greift. Bis dahin sollen nämlich bisher geltende Branchenmindestlöhne (nach Arbeitnehmerentsendegesetz sowie – speziell für Leiharbeiter – nach Arbeitnehmerüberlassungsgesetz) nachwirken und dürfen unterhalb der kümmerlichen 8,50 EUR liegen. Der Sinn ist, »Beschäftigungsneutralität« zu sichern (genauer: die Unternehmer von größeren Entlassungen abzuhalten). Solange bleibt der Mindestlohn auf 8,50 EUR eingefroren (und wird durch Inflation an Wert noch verlieren). Ursprünglich war vorgesehen, dass ab 2018 Erhöhungen auf Vorschlag einer Kommission (»paritätisch« von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften besetzt) durch Rechtsverordnung der Bundesregierung vorgenommen werden sollen. Am 1. Juli kam es hier auf einvernehmliches Drängen von Gewerkschaften und Unternehmerverbänden zu einer Änderung im Zeitablauf: Schon ab 2017 soll auf diese Weise die erste Erhöhung des Mindestlohns vorgenommen, dann alle zwei Jahre nach der Einschätzung der vorangegangenen Tarifsteigerungen als Maßstab. Bestimmte Gruppen sollen vom Mindestlohn ausgeschlossen sein: Jugendliche unter 18 Jahren ohne Berufsabschluss, Auszubildende, PraktikantInnen, Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung (vgl. www.der-mindestlohn-kommt. de vom Bundesarbeitsministerium sowie www.boeckler.de/ themen_33180.htm vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung).
Ein Papier der Partei Die Linke kommt daher zu der Einschätzung: »Anstatt fünf Millionen Menschen vom Hungerlohn zu befreien, werden es vermutlich nur 2,5 Millionen sein. Das ist mehr als nichts. Gleichzeitig sind mit der Einführung eines ungenügenden, zerstückelten Mindestlohnes die Auseinandersetzungen der nächsten Jahre vorgezeichnet.« Die-Linke-Chef Bernd Riexinger kommentiert das ebenso: »Das Nahles-Gesetz liest sich wie eine Satire auf das SPD-Wahlprogramm.« Auch die Gewerkschaft ver.di argumentiert – im Gegensatz zu den meisten anderen DGB-Gewerkschaften und den »Linken« in der SPD – in ähnlichem Sinne. So empörte sich ver.di-Chef Bsirske, vvder Entwurf sei eine »grobe Wählertäuschung« und »liefere drei Millionen Menschen der Willkür von Hungerlöhnen aus« (FR. v. 1.7.2014). Sogar der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, fühlte sich aus seinem Metier heraus zur Kritik gefordert: »Wenn man zu viele Sonderregelungen zulässt, wird man Widersprüche produzieren, Ausweichverhalten fördern und am Ende Unzufriedenheit ernten.«(FR. v. 28.6.2014).
Die Höhe des Mindestlohns
Zur Zeit wird viel über diese Ausnahmen geredet, die der Gesetzentwurf vorsieht. Entscheidend ist jedoch erst einmal die Höhe des Mindestlohns. KritikerInnen nennen genau das die eigentliche »Mogelpackung«. Ein Vollzeitbeschäftigter mit 38,5 Stunden Wochenarbeitszeit kann bei 8,50 EUR gleich wieder Hartz-IV-Aufstockung beantragen, wenn seine Warmmiete 358 EUR oder mehr beträgt. In Städten und Ballungsgebieten ist das die Regel. Auch bei einer niedrigeren Miete liegt dieser Lohn nur knapp über Hartz-IV-Niveau. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit kommt daher zu dem Ergebnis, dass ein Mindestlohn von 8,50 EUR nur ca. 57.000 bis 64.000 Lohnarbeitenden aus der Hartz-IVAbhängigkeit heraushilft. Davon würde aber noch ein Teil stattdessen Wohngeld und Kinderzuschlag beziehen müssen. Die Gesamtzahl der Hartz-IV-AufstockerInnen betrug im Juni 2013 laut IAB-Statistik 1,3 Mio. Personen.
Immerhin hilft der Mindestlohn in der geplanten Form den öffentlichen Haushalten und Sozialkassen. Nach Schätzung des IAB senkt er die Ausgaben für Arbeitslosengeld II (Hartz IV) um jährlich 700 bis 900 Mio. EUR. Mehrausgaben bei Wohngeld und Kinderzuschlag reduzieren diese Einsparungen auf 500 bis 650 Mio. EUR. Höhere Löhne bewirken aber höhere Einnahmen bei Steuern und Sozialbeiträgen. Lohnkosten unterhalb der Hartz-IV-Schwelle, für die bisher die Job-Center Aufstockungsbeiträge zahlten, müssen demnächst von den Arbeitgebern übernommen werden, wenn der Mindestlohn greift. Dadurch entstehende Gewinnschmälerungen schätzt das IAB als Minderungen der Körperschaftssteuer. Insgesamt bilanziert es so eine Steigerung bei Steuern und Sozialbeiträgen um 2,2 bis 3 Mrd. EUR jährlich (www.iab.de/194/section.aspx/Publikation/ k140404302). Voraussetzung bei diesen Modellrechnungen ist natürlich, dass die Wirtschaft so weiter brummt wie bisher.
Arbeitslosengeld II (auch Hartz IV genannt) bedeutet zur Zeit, einen Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen von 391 EUR monatlich plus Miete und Heizkosten in »angemessenem« (von der Behörde festgelegtem) Rahmen zu beziehen. Dieser Eckregelsatz, neben dem es weitere Regelsätze gibt, z.B. für weitere Erwachsene in Bedarfsgemeinschaften und für Kinder und Jugendliche verschiedener Altersstufen, wird vom »Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum« als zu niedrig angesehen; ihm gehören z.B. der DGB, Wohlfahrtsverbände und Erwerbsloseninitiativen an. Es fordert eine Erhöhung der Regelsätze, ohne jedoch konkrete Zahlen zu nennen. Die Anerkennung eines Mindestlohnbetrages in Höhe von 8,50 EUR heißt aber, zu akzeptieren, dass auch die Existenzsicherung durch Hartz IV auf dem niedrigen Niveau verbleibt. Viele Initiativen unterstützen dagegen die Forderungen nach einem Eckregelsatz in Höhe von 500 EUR sowie einem Mindestlohn von 10 EUR lohnsteuerfrei (näheres siehe: www.mindestlohn-10- eur.de sowie »www.500-euro-eckregelsatz.de«). Der Zusammenhang dieser Forderungen liegt auf der Hand: Ein niedriger Eckregelsatz für Hartz IV wird als Legitimation für einen niedrigen Mindestlohnbetrag herangezogen – und umgekehrt.
Die Ausnahmen
Auch wenn im Endeffekt nicht so viele Ausnahmen in den Gesetzentwurf eingingen, wie ursprünglich zu befürchten war: Der entscheidende Vorteil für das Kapital ist, dass auf lange Zeit die Höhe des Mindestlohns eingefroren wird und dabei an Kaufkraft einbüßt. Das macht deutlich, dass die Koalition aus CDU/CSU/SPD nicht einmal die 8,50 EUR wirklich akzeptiert. Sie schiebt die flächendeckende Einführung auf 2017 hinaus und versucht, möglichst viele Ausnahmen zu schaffen. Im Vorfeld der Einigung auf den jetzigen Entwurf waren recht umfangreiche Gruppen in der Diskussion, denen der Mindestlohn verweigert werden sollte, angeblich, um ihre »Vermittlungshemmnisse« nicht zu verschärfen. Es ging dabei z.B. um MinijobberInnen (7,7 Mio.), RentnerInnen (20 Mio.), junge Leute unter 21 Jahren (statt jetzt: 18 Jahren), SaisonarbeiterInnen. Durch diese Personenkreise können regulär bezahlte Arbeitskräfte, z.B. in niedrig qualifizierten Bereichen, ersetzt werden.
Dass es im ersten Gesetzentwurf noch bei relativ wenigen Ausnahmen blieb (Jugendliche unter 18 Jahren ohne Berufsabschluss, Auszubildende, PraktikantInnen, Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung), ist ein Ergebnis der öffentlichen und innerparteilichen Diskussion, die die SPD zwang, ihre Wahlversprechen nicht zu offensichtlich dem Koalitionsinteresse zu opfern. Auf Druck von Unternehmerlobbyisten und Unionspolitikern vereinbarte die Koalition aber noch in der Woche vor der Abstimmung im Bundestag am 3. Juli weitere Ausnahmeregelungen für Zeitungszusteller und Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, die bis Ende 2016 befristet sein sollen. Mit Zustimmung des Bundesrates am 11. Juli ist all das nun Gesetz.
Die Sonderregelungen öffnen dem Missbrauch, dem Unterlaufen des einheitlichen Mindestlohns als Standard Tür und Tor, und sie bieten den Vorwand für immer neue Diskussionen und Forderungen. Die Regelung für die Langzeitarbeitlosen z.B. wird in der Regel nur bewirken, dass sie sich weiterhin im Drehtüreffekt des Heuerns und Feuerns nach betrieblichem Bedarf finden werden, »helfen« wird sie ihnen in keiner Weise. Entwarnung bzgl. der Sonderbestimmungen kann nicht gegeben werden: Wenn es das Kapitalinteresse, Wirtschaftskrisen und anstehende Parlamentswahlen erfordern, wird die eine oder andere Diskussionsvariante als »Reform« des Mindestlohns wieder auf den Tisch kommen.
Bewertung
Ist der Mindestlohn in dieser Form also eine »Mogelpackung «? Nicht nur, er hat zwei Seiten. Er ist tatsächlich trotz aller Einschränkungen ein »deutlicher Sieg«, gerade weil es eines langen, zähen Kampfes und entsprechender Überzeugungsarbeit, vor allem in Gewerkschaften und Parteien, bedurfte. Diesen versucht die Koalition aus CDU/ CSU/SPD kapitalverträglich abzuschwächen. Die zeitliche Verschiebung und die vorgesehenen Ausnahmen sind der Ausdruck davon. Das kann nur bedeuten, den erreichten Stand als erste Haltelinie zu verteidigen und den Kampf fortzusetzen.
Es ist davon auszugehen, dass CDU/CSU den gesetzlichen Mindestlohn nur deshalb vertreten, weil die SPD ihn zur Bedingung für den Koalitionsvertrag gemacht hat. Die wiederum musste ihn in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampf- und Regierungsstrategie stellen, weil der Druck über Jahre, gerade aus den Gewerkschaften, immer stärker wurde. Die Tarifbindung ging dramatisch zurück, immer mehr Tarifverträge wurden zu Hungerlöhnen abgeschlossen, prekäre Arbeitsverhältnisse (Leiharbeit, Werkverträge, Minijobs etc.) schossen ins Kraut. Nicht zuletzt waren diese Entwicklungen die Konsequenzen der Politik der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze, die von SPD und Grünen 2003/4 umgesetzt worden war. Um diese Politik im Interesse der Kapitalisten und der Akzeptanz ihrer »sozialen Marktwirtschaft« abzusichern, musste die SPD ihren Widerstand gegen die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns aufgeben (im März 2007 beschloss sie erstmals einen Mindestlohnbetrag von damals 7,50 EUR).
Der Kampf muss nun logischerweise darum gehen, die Einschränkungen zu beseitigen und erneut auf der Forderung eines flächendeckenden, allgemeinen, gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 10 EUR lohnsteuerfrei zu bestehen. Das ergibt sich zum einen aus dem soziokulturellen Bedarf von Menschen, die in dieser Gesellschaft ihr Auskommen finden müssen. In diesem Zusammenhang kann auch eine Diskussion sinnvoll sein, die nunmehr schon recht alte Forderung nach 10 EUR lohnsteuerfrei zu erhöhen, etwa auf 12 EUR, die in manchen Zusammenhängen genannt werden. Diese Debatte sollte jedoch nicht losgelöst geführt werden von dem, was in nächster Zeit als Strategie unter gegebenen Kräfteverhältnissen vermittelbar ist. Zum anderen ist eine gesetzliche Lohnuntergrenze eine wichtige Voraussetzung, die Kampfkraft der Gewerkschaften zu stärken und Tarifautonomie wiederherzustellen. Sie
muss verstärkt und ausgebaut werden.
Stärkung der Tarifautonomie als ständige Aufgabe
Nur noch sehr vereinzelt sind gegenwärtig Stimmen von links zu vernehmen, die in einem gesetzlich festgelegten Mindestlohn eine unzulässige Einmischung des Staates in Lohnfragen, nämlich eine Schwächung gewerkschaftlicher Zuständigkeit und Kampfkraft sehen. Ausgedrückt wird das mit dem Begriff der »Tarifautonomie«, der von rechts bis links freilich unterschiedliche Bedeutung hat. Unter den heutigen Kampfbedingungen, die von neoliberaler Offensive gegenüber gewerkschaftlicher und betrieblicher Organisationsmacht der Lohnabhängigen, abnehmender Tarifbindung in der kapitalistischen Wirtschaft, sinkenden Reallöhnen, Abbau von arbeits- und sozialrechtlichen Absicherungen in den letzten Jahrzehnten seit der Auflösung des sozialistischen Lagers in Osteuropa gekennzeichnet sind, erscheint gewerkschaftlicher Rigorismus unrealistisch, Hartz IV, Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und Leiharbeit lassen grüßen. Aber auch prinzipiell ist dagegen einiges einzuwenden.
Gerade das Arbeitsrecht der BRD bietet hierfür reichlich Anschauungsmaterial. Betriebliche Aktivist/innen, ob Vertrauensleute, Betriebsräte oder Funktionäre, wissen, wie umfangreich und vielfältig das Arbeitsrecht in der BRD ist und wie wichtig es sowohl für kollektive Aktionen als auch individuelle Absicherungen es ist, sich darin auszukennen, es anzuwenden und für seine Verbesserung zu kämpfen. Dazu gehört auch Tarifrecht. Das Arbeitsrecht ist die untere, für alle geltende Grenze. Besonders deutlich wird das für diejenigen Beschäftigten, deren Arbeitsverhältnis von keinem Tarifvertrag erfasst wird.
Nehmen wir als Beispiel die Urlaubsregelung: Im öffentlichen Dienst und in gewerkschaftlich gut organisierten privatkapitalistischen Branchen haben die Beschäftigten bis zu sechs Wochen Jahresurlaub. Lohnabhängige, die von keinem Tarifvertrag erfasst werden, haben nach dem Bundesurlaubsgesetz Anspruch auf vier Wochen Urlaub im Jahr. Was kann an dieser Regelung falsch sein (beim Vorhandensein entsprechender Kampfkraft wäre freilich für ihre Angleichung an einen höheren Standard einzutreten)? Was aber für Urlaubs- oder z.B. auch Arbeitszeitregelung richtig ist, nämlich ein gesetzlicher Mindestanspruch, muss auch für den Lohn gelten. Die Alternative war bisher Hartz IV. Je höher die Lohnuntergrenze (10 EUR statt 8,50 EUR) festgelegt (erkämpft) werden kann, desto höhere tarifliche Forderungen können die Gewerkschaften stellen und im politisch-gesellschaftlichen Umfeld plausibel machen. Sie müssen es freilich auch tun. Es ist eine Frage des Klassenkampfes.
Sieht man sich die Verhältnisse unter arbeits- und sozialrechtlichen Aspekten europa- und weltweit an, so stellt man in den einzelnen Ländern eine bunte Vielfalt von Traditionen und Regelungen fest, die Ergebnisse von Klassenkämpfen und staatlichem Eingreifen sind und diese festschreiben, bis neue Auseinandersetzungen neue Festsetzungen möglich machen. Hier ein abstraktes Modell ausdenken zu wollen, wie Klassenhandeln sich autonom, geschlossen und unabhängig vom Staat zu vollziehen hätte, ist sinnlos. Gewerkschaften und klassenbewusste Kräfte müssen sich in dem Rahmen bewegen, der ihnen vorgegeben ist, und sich darin weiterentwickeln, um ihn verändern und ggf. sprengen zu können.
Wir verstehen Tarifautonomie nicht im formalen, sozialpartnerschaftlichen Sinne als Handlungsfreiheit der »Tarifpartner« gegenüber staatlichen Eingriffen. Unser Klassenbegriff davon meint die Befähigung der Arbeiterbewegung zur eigenständigen Durchsetzung ihrer Forderungen gegen die Kapitalseite und zur Durchbrechung der Profitlogik mittels ihrer Vertretungen, die sie hat oder zu schaffen in der Lage ist. Der Staat ist in seinem Doppelcharakter zu verstehen: als Instrument der herrschenden Klasse zur Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Interessen ebenso wie als Terrain der Auseinandersetzungen zwischen den Klassen im Kapitalismus. Bei der Tarifautonomie handelt es sich in unserem Verständnis nicht um einen statischen, von der Regierung gewährten Zustand, sondern um eine ständige Aufgabe in den Klassenkämpfen gegen Kapital und Staat. 11. 7. 2014 ■
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