Montag, 25. August 2014
Alternative für Deutschland - Vor der Spaltung
von Frank Behrmann
Der Streit um die Ukraine-Krise und Sanktionen gegen Russland lässt die „Alternative für Deut- schland“ (AfD) beinahe auseinander brechen. Die Auseinandersetzung ist bei Weitem noch nicht ausgestanden.
Normalerweise sind KritikerInnen der nationa- listischen AfD einem Shitstorm ihrer Anhänger- Innen ausgesetzt.
Doch diesmal ist es der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke selbst, der solcher Art von den eigenen Mitgliedern traktiert wird.
Insbesondere auf den Facebook-Seiten der Partei wird ihm „Verrat“ und „Anpassung“ vorgeworfen und sein Rücktritt lauthals gefordert. Befördert werden diese Attacken von den Mitgliedern des Bundesvorstands Alexander Gauland und Marcus Pretzell.
Das EU-Parlament fordert Sanktionen gegen Russland…
… und die AfD-Europaabgeordneten Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel, Joachim Starbatty und Bernd Kölmel stimmen dem zu. Einzig besagter Pretzell stimmte mit nein; Beatrix von Storch hatte wichtigeres zu tun als zur Parlamentssitzung zu erscheinen; Ulrike Trebesius sah sich nicht in der Lage, sich eine eigene Meinung zu bilden, zu lang war der Resolutions-Text.
Lang ist diese Resolution in der Tat – aber sie hat es in sich! Sie unterstützt die Politik des neuen Präsidenten Poroschenko und weist Russland die Alleinschuld für die Eskalation des Konflikts im Osten der Ukraine zu. Dementsprechend wird gefordert, die Ukraine seitens der EU weiterhin zu unterstützen, denn die Zusammenarbeit sei für die Ukraine die Voraussetzung, um „zu einer Modernisierung, der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und der Stimulierung des Wirtschaftswachstums“ zu gelangen.
Gegenüber Russland werden die Sanktionen begrüßt und weitere gefordert. „Das Europaparlament … 12. begrüßt die Ausdehnung der gegenwärtigen Sanktionen auf elf weitere Personen, bei denen es sich überwiegend um Vertreter der sogenannten separatistischen Regierungen handelt; begrüßt die Vorarbeiten des Rates, des EAD und der Mitgliedstaaten für die Verhängung weiterer Sanktionen gegen Russland, die den Wirtschafts-, Finanz- und Energiesektor treffen sowie ein Embargo für Waffen und Güter mit doppeltem Verwendungszweck umfassen sollten; fordert ein kollektives Verbot des Verkaufs von Waffen an Russland und dessen rasche Einführung und Aufrechterhaltung bis zur Normalisierung der Lage in der Ostukraine“. (1)
In der AfD gibt es eine Strömung, die eine engere Anbindung Deutschlands an Russland alternativ zur Westbindung befürwortet. Denn nur so könne Deutschland seine (angeblich fehlende) nationale Souveränität wieder erlangen. VertreterInnen dieser Position finden in aller Regel aber auch die Innenpolitik Putins gut – vor allem seine autoritäre Führung, das rigide Durchsetzen traditioneller Familien- und Rollenbilder und die damit einhergehende Homosexuellenfeindlichkeit.
Ukraine-Beschluss des AfD-Parteitages
Diesem Flügel war es beim Erfurter Parteitag am 22. und 23. Februar dieses Jahres gelungen, ein Bündnis mit bürgerlichen Kräften zu schließen, die NATO und EU nicht grundsätzlich ablehnen, aber die Rücksichtslosigkeit, mit der die EU ihre Absichten mit der Ukraine gegen Russland durchsetzt, für gefährlich und unlauter halten. Heraus kam dabei eine Ukraine-Resolution, ein Kompromiss, dem letztlich auch Bernd Lucke zähneknirschend zustimmen musste.
Darin heißt es unter anderem: „In dieser instabilen Lage ist es von größter Bedeutung, keine Sanktionen zu verhängen, und keine weiteren Maßnahmen der Eingliederung der Ukraine oder Teilen davon in die EU oder in die Russische Föderation zu betreiben. Ziel muss es sein, eine Lösung zu finden, die den Frieden in Europa sichert, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und insbesondere der Bevölkerung der Krim und des ukrainischen Volkes respektiert und die völkerrechtlich akzeptabel und einwandfrei ist. Die AfD spricht sich gegen jede weitere Erweiterung der NATO nach Osten aus.“ (2)
Diese Parteitagsresolution lässt keinerlei Spielraum, um aus irgendwelchen Überlegungen für Sanktionen gegen Russland zu stimmen. Und doch taten das vier der sieben AfD-Abgeordneten. Die Bereitschaft in der Partei, die Führung „machen zu lassen“, ist außergewöhnlich groß, doch das ging zu weit!
Nachdem sich zunächst niemand für die EU-Resolution, die bereits am 17. Juli abgestimmt worden war, interessiert hatte, brach ein Sturm der Entrüstung los, als jemand am 18. August diese Resolution auf der AfD-Facebook-Seite gepostet hatte. Erst einmal wurde wie üblich reagiert: Das stimmt alles nicht… Der Resolution haben unsere Abgeordneten niemals zugestimmt… und dergleichen mehr. Aber das Abstimmungsverhalten im EU-Parlament wird öffentlich dokumentiert (3), und so wurde nach und nach klar, dass die vier Abgeordneten sich dort gegen ihre Partei gestellt hatten.
Jetzt legte Alexander Gauland, als Bismarck-Fan überzeugt, dass Deutschland eine Großmachtstellung am Besten durch ein Manövrieren zwischen den großen Blöcken erlangt, via „Junge Freiheit online“ (19.8.) los: „Über diesen Vorgang werden wir reden müssen. Ich halte die Abstimmung für völlig falsch und empfinde sie als sehr unloyal gegenüber der Parteibasis.“ Er sei über den Vorgang so verärgert gewesen, dass er kurzzeitig überlegt habe, die Spitzenkandidatur für die Landtagswahl in Brandenburg niederzulegen, berichtet die JF weiter. (Das hat er leider dann doch nicht getan.)
Lucke in der Defensive: Erklärungsversuche
Nach den erwähnten heftigen Wutausbrüchen und Beschimpfungen in den Sozialen Netzwerken, bei denen kaum ein Mitdiskutant die vier Abweichler verteidigte, erklärte sich einen Tag später Lucke auf der AfD-Facebook-Seite (20.8.) – ohne Überzeugungskraft, aber auch ohne Einsicht.
„Zu der Diskussion um die Ukraine-Resolution des Europäischen Parlaments möchte ich bemerken, dass ich uneingeschränkt hinter dem Erfurter Parteitagsbeschluss … stehe. Insbesondere halte ich Wirtschaftssanktionen gegen Russland auch in der jetzigen Lage für kontraproduktiv und konflikteskalierend. Gleichwohl müssen die Staaten der Europäischen Union angemessen reagieren können, wenn der Konflikt etwa durch eine militärische Intervention Russlands in der Ostukraine zu einem offenen Krieg würde. … Es trifft im übrigen nicht zu, dass die Resolution des Europäischen Parlaments die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gefordert hat. In Ziffer 12 der Resolution wird vielmehr nur die Vorbereitung von Sanktionen befürwortet, während ´weitreichende Konsequenzen` (sprich: die Verhängung von Wirtschaftssanktionen) ausdrücklich auf den Fall bezogen werden, dass Russland weitere Schritte zur Destabilisierung der Ukraine unternimmt.“
Das ist schlichtweg unwahr und widerspricht dem Wortlaut der Resolution, die weiter oben zitiert wurde. Das war zu dürftig, sogar für die gutgläubigsten AfD-AnhängerInnen. Selbst seinen expliziten UnterstützerInnen wurden hiermit keine Argumente, um ihn weiter zu verteidigen, an die Hand gegeben. Und so wirkte diese persönliche Erklärung konflikteskalierend, um mit Luckes Worten zu reden.
Marcus Pretzell, für die AfD im EU-Parlament, im AfD-Bundesvorstand und Landesvorsitzender NRW, gewählt insbesondere von den Parteirechten, tutete ins selbe Horn wie Gauland. Ebenfalls am 19.8. erschien auf seiner Facebook-Seite seine Erklärung. Dazu ein großes Portraitfoto von ihm vor blauem Hintergrund mit der Parole: „Ja zum Parteitagsbeschluss. Nein zu Sanktionen.“ Auch die drei Spitzenkandidaten jener Landesverbände, bei denen Ende August und Mitte September Landtagswahlen anstehen, Frauke Petry/Sachsen, Björn Höcke/Thüringen und Gauland/Brandenburg, distanzierten sich in einer gemeinsamen Erklärung implizit von Lucke, Henkel und Co.
Lediglich Henkel stand zu seinem Abstimmungsverhalten. Über „Welt online“ (19.8.) erklärte er, die AfD sei eine Partei, „die von Vernunft bestimmt und meist von Vernünftigen vertreten wird … Dazu gehört, dass wir keinem stumpfen Kadergehorsam folgen, sondern unseren Menschenverstand pflegen.“ Die Abstimmung im Europa-Parlament sei ein „schönes Beispiel für gelebte Meinungsfreiheit in der Partei“. Ansonsten hält er sich wie immer aus den Zankereien der Partei ´raus, deren Vizevorsitzender er ist.
Einen Tag später ließ Beatrix von Storch ihre Internetzeitung weiteres Öl ins Feuer gießen. Unter dem Titel „AfD-Basis empört über Bernd Lucke“ geht es auf dem Blog „Freie Welt“ um dessen Zustimmung zur Ukraine-Resolution. Luckes Ausflüchte werden hier kaum gewürdigt, stattdessen kommt sein innerparteilicher Kritiker Gauland zu Wort. Über die (seinerzeit abwesende) Abgeordnete Beatrix von Storch heißt es, „sie hätte ganz klar ebenfalls mit Nein gestimmt. Und (sie) fügte hinzu: ´Und seien Sie gewiß: Ich stehe zu meiner Meinung und stimme auch danach ab.`“ Wie anders denn als Seitenhieb gegen Lucke soll der letzte Satz zu verstehen sein?
Beispielhaft für die Stimmung an der Basis ist der AfD-Kreisvorstand Sächsische Schweiz-Osterzgebirge: „Wir … verurteilen aufs Schärfste jegliche Wirtschaftssanktionen gegen Russland. ... Wir befinden uns mitten im Wahlkampf und haben bereits einige Absagen von Wahlhelfern erhalten, welche entrüstet über das Abstimmungsverhalten eines Teiles unserer EU-Abgeordneten sind.“ Und der Landesverband Baden-Württemberg hat eine Online-Abstimmung zur Frage „Sanktionen gegen Russland“ mit über 1300 Teilnehmern durchgeführt: 14 Prozent für, 84 Prozent gegen Sanktionen. Der Lucke-Flügel scheint in dieser Frage marginalisiert zu sein.
Warten auf den „großen Knall“
Allerdings blieb der „große Knall“ – Spaltung der Partei oder Absetzung Luckes – bisher aus. Das hat seinen Grund darin, dass die AfD bei den drei anstehenden Landtagswahlen im Osten Deutschlands sehr gute Chancen hat, erstmals in Länderparlamente gewählt zu werden. Und die sollen nicht gefährdet werden – das ist das letzte einigende Band zwischen den Flügeln. Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Nach diesen Wahlen dürfte es erneut rund gehen. Eine Entscheidung, welche Richtung die AfD einschlägt (konservativ-bürgerlich, eine rechte CDU ohne Euro oder rechtspopulistische Haudrauf-Partei) steht bevor.
Politisch befindet sich die AfD in einer Zwickmühle, aus der es kein Entrinnen gibt. (4) Die AfD ist ein Zusammenschluss unterschiedlicher politischer Strömungen. Das Spektrum reicht von politisch eher Liberalen über die sehr konservative Parteiführung bis zu rechtspopulistischen Kräften. Zusammen gehalten wurde das Ganze lange Zeit von der nationalistisch grundierten Euroablehnung. Dieses Thema verliert mit dem Abflauen der Finanzkrise seine Bindekraft.
Andere Fragen stehen auf der Tagesordnung – und hier beginnen die Dissonanzen. Neben der Frage der Westbindung und der Haltung zu internationalen Konflikten gehen Differenzen darum, wie weit die Partei ihren Rassismus treiben will. So hat Lucke erklärt, dass zur Religionsfreiheit auch das Recht gehöre, in Deutschland Moscheen zu errichten – was zu großer Empörung in der Partei führte; speziell in den ostdeutschen Landesverbänden wären solche Töne undenkbar. Oder um die Frage, ob im Europaparlament weiterhin in der ECR-Fraktion der britischen Konservativen mitgewirkt werden soll oder lieber bei den Anti-EU-Lautsprechern der britischen United Kingdom Independent Party.
Dieser Spagat wird kaum auszuhalten sein. Um die Parteirechten einzubinden, müsste die AfD noch deutlicher nach rechts verschoben und in Sachen Rassismus und Nationalismus das Versteckspielen aufgeben werden. Aber das Ziel der bürgerlich-konservativen Kräfte in der Partei ist zweifellos eine Koalition mit der CDU und damit die Machtbeteiligung. Das setzt wiederum voraus, dass die AfD in ihren politischen Äußerungen nicht zu weit nach rechts rückt und etwa die NATO-Mitgliedschaft nicht in Zweifel zieht.
Wie weiter? Drei Optionen für die AfD:
Die Rechtsaußen setzen sich durch, indem sie die Dynamik ihres jetzigen Bündnisses mit Teilen der Parteiführung nutzen, um den bisherigen Führungszirkel – Lucke, Konrad Adam, Henkel, Petry – durch einen neuen zu ersetzen – z.B. Pretzell, Gauland, von Storch, eventuell zuzüglich der anpassungsfähigen Petry. Ob sich die AfD allerdings ohne ihre Medienlichtgestalt Lucke dauerhaft im Parteiensystem zu etablieren vermag, ist zweifelhaft. Einerseits gibt es, von Umfragen immer wieder bestätigt, ein konstantes Potential rechts der CDU. Andererseits sind alle bisherigen derartigen Versuche gescheitert. Zudem dürften viele jener Mitglieder, die auf bürgerliche Reputation wert legen, die Partei verlassen, was einen zusätzlichen Aderlass an öffentlich wahrgenommener Seriosität mit sich brächte.
Die bisherige Parteiführung setzt sich durch, eventuell durch einen erneuerten Kompromiss mit den noch konservativeren Leuten als Lucke (Gauland, von Storch). Diese Konstellation böte am ehestens die Möglichkeit, in absehbarer Zeit auch einmal an einer Regierung als Juniorpartner beteiligt zu werden. Wenn die RechtspopulistInnen (und die noch weiter rechts von ihnen Stehenden) die Partei in Scharen verließen, wäre das ein erheblicher Verlust an aktiven Mitgliedern, und eventuell entstünde eine neue Partei, die der AfD Wählerinnen abspenstig machen könnte. Andererseits entfielen die ständigen Störfeuer, die die AfD stark belasten würden, wenn dieser Flügel in der Partei verbliebe, was ebenfalls denkbar ist, da er außerhalb der AfD politisch kaum noch wahrgenommen werden würden.
Bernd Lucke ist derart angeschlagen, dass er der Partei keine Richtung mehr vorgeben könnte. Denkbar wäre dann, dass er, vor allem wegen des großen Einsatzes den er bisher für die AfD erbracht hat, sich der rechtspopulistischen Mehrheit unterwürfe und als politisch wirkungslose Galionsfigur Vorzeige-Vorsitzender bliebe. Sein einmal formuliertes Ziel, eines Tages Wirtschaftsminister zu werden, könnte er dann aber genau so abschreiben wie den Rest an bürgerlicher Reputation, der ihm jetzt noch verblieben ist.
Schöne Aussichten, also!
(1) www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P8-TA-2014-0009+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE
(2)www.alternativefuer.de/programm-hintergrund/hintergrundinformationen/aussenpolitik/ukraine-resolution-der-afd
Hervorhebung von mir
(3) www.votewatch.eu
(4) siehe den Artikel zur Europawahl auf diesen Seiten:
www.scharf-links.de/40.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=44875&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=a6ea7760b0
VON: FRANK BEHRMANN
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