Montag, 25. August 2014
Zur Regierungsbildung nach der Bundestagswahl
Burgfrieden in unruhigen Zeiten
Bei einer repräsentativen Umfrage von infratest/dimap für die »Tagesschau« Ende November 2013 votierten zwei Drittel der Befragten für eine große Koalition. Drei Viertel derer, die sich als SPD-Anhänger zu erkennen gaben, wollten das schwarz-rote Bündnis. Dagegen waren gerade einmal 22 beziehungsweise 18 Prozent.
Auch die Wirtschaftspresse reagierte ziemlich unaufgeregt auf den Koalitionsvertrag. Hauptkritikpunkt war hier nicht einmal der Mindestlohn von 8,50 Euro, der ohnedies erst zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2017 kommen wird. Statt dessen wurde die Verbesserung der Renten für Mütter, die vor 1992 Kinder bekommen haben, zum Risiko für die Rentenversicherung beschworen. Angeblich 130 Milliarden Euro soll diese Reform bis 2030 kosten, die Bundesregierung spricht von 90 Milliarden. Auch die Rente mit 63 für langjährig Versicherte, die 45 Beitragsjahre vorweisen können, wurde heftig kritisiert. Es sind tatsächlich Nebenkriegsschauplätze, die wohl mehr der Form halber eröffnet wurden, um die Befriedigung des Unternehmerlagers über den Ausgang der Koalitionsverhandlungen nicht allzu deutlich werden zu lassen. Denn ein Politikwechsel, wie ihn die SPD in ihrem Wahlkampf versprach, ist nicht zu erkennen, ebensowenig eine wirkliche Abkehr von der Agenda 2010.
Natürlich hat die deutsche Bourgeoisie weiter gehende Wünsche, z.B. Steuerentlastungen, niedrigere Lohnnebenkosten und was sonst noch mehr. Aber angesichts im europäischen Vergleich günstiger Arbeitskosten und hoher Arbeitsproduktivität sind die führenden Unternehmer offenbar mit Profithöhe und Konjunkturaussichten einstweilen zufrieden und setzen auf »Weiter-So«. Das kommt zum Ausdruck, wenn der neugewählte Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, auf die Frage nach seiner Haltung zu einer großen Koalition antwortete: »Nach dem bisherigen Verlauf könnte man da in der Tat etwas ins Grübeln geraten. Aber ich sehe eben auch keine Alternative, die wirtschaftspolitisch erstrebenswerter wäre. Deshalb setze ich darauf, dass am Ende doch eine verantwortungsbewusste neue Regierung mit einem ausgewogenen Regierungsprogramm steht. Wir wünschen uns jedenfalls eine Koalition, in der die Argumente der Wirtschaft gehört werden. Und ich bleibe da auch zuversichtlich.« (FAZ, 21.11.2013) Zum Optimismus des BDA-Chefs dürfte auch das Wissen beitragen, dass Gesetze nicht für die Ewigkeit gemacht werden, was heißt, dass bei veränderter Konjunktur- und Haushaltslage soziale Leistungen auch wieder gekappt werden können. Die SPD hatte den »Politikwechsel« in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes gestellt. Darun-ter konnte sich jeder vorstellen, was ihm passte, auch die Abkehr von Hartz IV. Zuletzt bedeutet für die SPD ein Politikwechsel ihre Beteiligung an der Bundesregierung. Mit den Worten von Frank Walter Steinmeier auf dem Leipziger SPD-Parteitag am 15. November 2013: »Wir wollten nie nur am Rande stehen und zuschauen!« Das hatte auch der SPD-Vorsitzende, Sigmar Gabriel, bei der 150-Jahr-Feier der SPD im Mai 2013 in Leipzig im Sinn, als er feststellte, die SPD sei die »demokratische Konstante in der deutschen Geschichte«, das »Rückgrat der deutschen Demokratie«.
Es gibt tatsächlich eine Minderheit unter den SPD-Mitgliedern, die sich eine sozialdemokratische Politik anders vorstellt, als sie es bei ihrer Führung erleben. Die sich eine rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen wünschen. Aber unabhängig davon, ob eine solche Verbindung nicht an ihren inneren Widersprüchen scheitern würde, reicht es nicht, sich soziale Reformen zu wünschen. Man muss auch sehen, welche Kräfte es gibt und welche Voraussetzungen bestehen, derlei gegen den Widerstand des Unternehmerlagers zu bewirken.
So betrachtet, lagen und liegen die Chancen schlecht – und dies drückte sich bereits im Ergebnis der Bundestagswahl aus. Es ist nicht allein die relative Zufriedenheit einer Mehrheit der Lohnabhängigen mit ihrer aktuellen sozialen Lage und der vorhersehbaren Zukunft. Es ist wahrscheinlich mindestens ebenso sehr das verbreitete Bewusstsein darüber, dass es in den großen Staaten der Europäischen Union breiten Massen wirtschaftlich schlechter geht. Diese Wahrnehmung fördert gegenwärtig einen Konservativismus sowohl auf Seiten der Bourgeoisie wie auf Seiten der lohnabhängigen Klassen. Die Folgen dieses Zustandes für die beiden großen Klassen sind jedoch sehr unterschiedlich. Während der Konservativismus der Unternehmer ihrer tatsächlichen Stellung in der Gesellschaft entspricht und ihnen nicht schadet, entwaffnet er die Lohnabhängigen und nimmt ihnen das Bewusstsein für ihre Klasseninteressen, die sich von denen der Bourgeoisie unterscheiden. Wo der soziale und politische Gegensatz nicht auf die Spitze getrieben wird, fällt das erst einmal nicht auf. Bloße Propaganda kann an diesem Zustand nichts ändern, das werden auch jene Juso-Landesverbände und verschiedene Initiativen erkennen, die in den letzten Tagen für ein Nein bei der SPD-Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag geworben haben. Was zu tun bleibt, ist die Fortsetzung dessen, was Kommunisten auch in der Vergangenheit taten: Uns aktiv an den sozialen Auseinandersetzungen beteiligen, wo immer wir es können. 3.12.2013 ■
Große Koalition will Ruhe im Betrieb, deshalb erneuter Angriff auf das Streikrecht
2010 hatten sich BDA und DGB auf eine gemeinsame Initiative geeinigt, eine Konkurrenz mehrerer Gewerkschaften in einem Betrieb gesetzlich »still zu legen«, was in der Konsequenz ein Eingriff in das grundgesetzlich verankerte Koalitionsrecht und Streikrecht bedeutete.
Vornehmlich in der Gewerkschaft ver.di war die Diskussion und Entrüstung über diese Initiative so lebhaft, dass der Gewerkschaftsrat diesem Vorhaben die Unterstützung entzog, in Konsequenz verfolgte der DGB die Initiative nicht weiter. (s. Arbeiterpolitik Nr. 4 / 5. Oktober 2010) Die schwarz-gelbe Koalition konnte sich auf keinen gemeinsamen Gesetzentwurf einigen.
Doch die Arbeitgeber gaben an dieser Front nie auf. Wieder und wieder erinnerten sie die Kanzlerin an ihr gegebenes Versprechen. Auch die SPD und die Einzelgewerkschaften des DGB holten sie für diese Initiative wieder still ins Boot. »Ohne die Friedenspflicht eines laufenden Tarifvertrags wird die Tarifautonomie auf Dauer nicht existieren können«, drohte Hundt. Die Vorstände von IG Metall und IG BCE verstanden. Der Gewerkschaftschef der IG BCE, Vassiliadis, empfahl ein konsensorientiertes Vorgehen: »Notwendig und wünschenswert wäre eine gemeinsam getragene Gesetzesinitiative, die künftig die Tarifeinheit wiederherstellt – ohne Eingriffe in das Grundgesetz und ohne das verfassungsrechtlich garantierte Streikrecht anzutasten.« (FAZ 20.09.13) Im Vertrag zur großen Koalition findet sich jetzt im Kapitel »Vollbeschäftigung, gute Arbeit und soziale Sicherheit« auf Seite 70 der Passus:
»Tarifeinheit gesetzlich regeln. Um den Koalitions und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen.«
Eine erste Bewertung des Koalitionsvertrages seitens der Gewerkschaft ver.di kommt nun zu dem Ergebnis: »Die Schaffung der Tarifeinheit ist ein richtiges Ziel. Dabei darf es aber nach Auffassung von ver.di nicht zu einer Einschränkung des Streikrechts kommen.« 27.11.13 ■
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