„… Die Flüchtlinge aus El Salvador waren mehr oder weniger die unterste Schicht der lateinamerikanischen Flüchtlinge. Sie hatten gar nichts und keinen Staat, der sie irgendwie schützte. Die politische Klasse El Salvadors war froh, sie los zu sein. Sie betrachtet ja schon seit langem die Besitzlosen des Landes als überflüssig, unnötig und gefährlich für ihre eigene privilegierte Position. Die Immigranten fingen also ganz unten an und wurden bald auf das US-Bandenwesen für die Armen und Elenden verpflichtet. Um überleben zu können, bildeten sie eigene Banden und brachten sich gegenüber Schwarzen und anderen Lateinamerikanern weiter, die alle mehr Erfahrung im Leben als Outlaw angesammelt hatten. Die Kids aus EL Salvador lernten schmerzhaft und verlustreich, wie man sich in der unmittelbaren Gewalt-Konkurrenz bewährt. Im Jänner 1992 wurden die Friedensverträge von Chapultepec in Mexiko unterzeichnet. Sie stellten ein völlige Niederlage der Guerilla und der Landlosenbewegung dar. Alles blieb beim Alten, das Land blieb bei den Grossgrundbesitzern, und die Militärs und sonstigen Killer erhielten mehr oder weniger Straffreiheit. Um nicht eine ganz schiefe Optik zu erzeugen, wurden einige Schlichtungs- und Wahrheitskommissionen ins Leben gerufen. Damit war die Duldung der El Salvadorianer in den USA vorbei – jetzt ist ja alles in Ordnung, keine Gefahr mehr in der Heimat! – und sie wurden in grossen Mengen ausgewiesen und „nach Hause“ deportiert. Jede Menge armer Schlucker stand auf einmal in El Salvador auf der Strasse und hatte nichts. Es ist begreiflich, dass sie zum Überleben das Einzige einsetzten, was sie aus den USA mitgebracht hatten: Organisierte Gewalt. Die Banden beherrschen heute das Alltagsleben El Salvadors. Die grösste, die Mara Salvatrucha, soll zwischen 50.000 und 100.000 Mitglieder haben. Sie operiert auch in den Nachbarländern. Wer das nötige Kapital in El Salvador hat, kann sich bis an die Zähne bewaffnete Schutztruppen leisten. Ausserdem wissen die Banden ganz genau, an welche wichtigen Leute sie sich nicht heranwagen dürfen. So bleiben Kleingewerbetreibende als Objekt für Schutzgelderpressung, und wer nichts zu bieten hat, kann sich immer noch für Prostitution oder Mitgliedschaft in der Bande einspannen lassen. Wer nein sagt, wird bald tot in einem Strassengraben gefunden. Der herrschenden Klasse El Salvadors kommt diese Selbstverwaltung der Armut durchaus gelegen, bei allem Gejammer. Die Maras bilden, ähnlich wie die Mafia und verwandte Organisationen in Italien, ein „Sottogoverno“, eine Sub-Regierung: Sie machen den Staatsterror gegen die Armen auf eigene Faust und kosten die Staatskasse nichts…“ – aus dem Beitrag „El Salvador: (Er)Lösung nicht in Sicht“ von Amelie Lanier am 24. Juli 2019 im Untergrund-Blättle , worin die Entwicklung und Lage im Land kurz skizziert werden und eben die Rolle der Marabanden bewertet.
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