Dienstag, 30. Juli 2019

Feindeslisten der Rechtsextremen: »Bagatellisierung von Seiten der Behörden«


Dossier

Buch: Antifaschismus als FeindbildMehr als 35 000 Menschen stehen auf verschiedenen sogenannten Feindeslisten von Rechtsextremen. Das teilte die Bundesregierung vergangene Woche als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linkspartei mit. Die Jungle World hat mit der Abgeordneten Martina Renner gesprochen, die die Anfrage initiierte. (…) Ich teile die Einschätzung der Sicherheitsbehörden nicht, dass diese Listen, die ja zum Teil Hunderte oder sogar Tausende Namen umfassen, keine konkrete Gefahr darstellen. Bei Franco A. wurde ja nicht nur eine Liste gefunden, sondern auch Munition und Aufzeichnungen zu potentiellen Anschlagsorten. Man hatte etwa bei der Amadeu-Antonio-Stiftung die Räumlichkeiten ausgekundschaftet und Skizzen angefertigt. Bei Nordkreuz haben wir eine ähnliche Problematik. Einer der Beschuldigten ist Polizist und hatte in dieser Funktion Zugang zu gesperrten Meldedateien. In Mecklenburg-Vorpommern sind vor allem Politikerinnen und Politiker der Partei »Die Linke« in den Fokus geraten. Wenn man sich die Mühe macht, sich Zugang zu gesperrten Meldeadressen zu verschaffen, und dazu noch Zugang zu Waffen hat, weil man Polizist oder Reservist ist, dann muss die Gefährlichkeit in diesem Kontext betrachtet werden. Die Bagatellisierung dieser Listen von Seiten der Behörden ist absolut sachfremd. Es wird immer gesagt, das sei nur eine Sammelwut, es gebe keine konkrete Anschlagsplanung. Der NSU ist der Gegenbeweis. (…) Ganz grundsätzlich braucht es von den Sicherheitsbehörden ein Eingeständnis, dass wir es derzeit mit gefährlichen und aktiven rechtsterroristischen Strukturen zu tun haben. Das würde zur Folge haben, dass man Waffenbesitz, Schießübungen und Feindeslisten anders behandelt als derzeit…” Small Talk von Johannes Simon in der Jungle World vom 9.8.2018 externer Link mit Martina Renner (Linkspartei) über von Rechtsextremen angelegte Feindeslisten. Siehe dazu:
  • [BKA] Fragen & Antworten: Politisch motivierte Kriminalität -rechts- (PMK-rechts) New 
    Worum handelt es sich bei den sog. “Listen” aus dem Bereich PMK-rechts? Handelt es sich um “Feindes-” oder gar “Todeslisten”? Welche Informationen befinden sich auf den “Listen”? … Besteht für die Personen auf den “Listen” eine Gefahr? Warum informiert die Polizei nicht alle Personen, die auf den “Listen” stehen? FAQ beim BKA externer Link
  • Betroffene tappen weiter im Dunkeln: Nach zwei Jahren werden Personen auf der „Nordkreuz“-Feindesliste nun doch benachrichtigt. Mit einem rätselhaften Schreiben  
    Seinen Sinneswandel verkündete Lorenz Caffier (CDU), der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, per Pressemitteilung. Sein Landeskriminalamt werde nun „Personen aus Asservaten des GBA-Verfahrens“ informieren, heißt es darin. Das Landeskriminalamt habe die ersten Schreiben an rund 1.200 Personen und Institutionen „aufgrund des offenbar mittlerweile entstandenen öffentlichen Informationsbedürfnisses“ versandt. Was er mit dieser sperrigen Meldung meint, die Caffier am Montag verschicken ließ: das Verfahren gegen Mitglieder der rechten Prepper-Gruppe „Nordkreuz“ externer Link. Als die Briefe (eine pdf-Datei des Schreibens finden Sie hier externer Link  ) bei den Betroffenen eintreffen, erreicht die taz ein Anruf aus Rostock. Der Empfänger eines Briefs fragt: Was haben diese Beschuldigten über mich gesammelt? Und: Bin ich in Gefahr? Er wendet sich nicht an die taz, damit wir berichten können. Er weiß nur nicht, wohin sonst mit seinen Fragen. (…) Der Brief, der im Namen des LKA-Direktors Ingolf Mager verschickt wird, liest sich allerdings sperrig und verklausuliert. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts gegen zwei Beschuldigte aus Mecklenburg-Vorpommern seien „Materialsammlungen“ zu Personen und Institutionen gefunden worden. „Darunter auch personenbezogene Daten zu Ihrer Person.“ Die Beschuldigten seien „der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ verdächtig, erfährt man außerdem. Später heißt es noch: „Zum jetzigen Ermittlungsstand sind (…) keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass konkrete Straftaten gegen Sie geplant waren oder sind.“ Es fällt allerdings kein Wort darüber, um welches Ermittlungsverfahren es sich handelt, genauso wenig wie darüber, wer die Beschuldigten sind. Wer also nicht zufällig die Medienberichte zu den „Nordkreuz“-Preppern, dem „Hannibal“-Netzwerk und den kürzlich gefunden Munitionsdepots verfolgt hat, bekommt keinen Anhaltspunkt, in welchem Kontext über ihn Daten gesammelt wurden. Und welche. Es wird nicht erwähnt, dass die Beschuldigten bei anderen Betroffenen bereits Adressen recherchiert hatten. taz-Recherchen hatten sogar ergeben, dass ein Grundriss einer Privatwohnung in der Sammlung auftaucht, die der polizeiliche Staatsschutz vor Jahren angefertigt hatte…” Artikel von Christina Schmidt und  Sebastian Erb vom 25.7.2019 bei der taz online externer Link
    • “Nordkreuz”-Listen: Caffier informiert Betroffene [für lt. ihm keine Gefährdung besteht]  
      Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) zieht Konsequenzen aus den Ermittlungen gegen die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe “Nordkreuz”. Es geht um Listen mit Personen, die die Gruppe geführt hatte. Caffier zufolge werden die Betroffenen jetzt informiert, dass sie auf besagten Listen stehen. Die ersten Schreiben seien bereits am Montag verschickt worden, so der Innenminister. Insgesamt handelt es sich in Mecklenburg-Vorpommern um etwa 1.200 Personen und Institutionen. Gleichzeitig schloss Caffier eine aktuelle Gefährdung der Betroffenen aus. Er kritisierte, dass in der Berichterstattung von “Todeslisten” die Rede gewesen sei…” NDR-Meldung vom 22.07.2019 externer Link
  • Vom Staat alleine gelassen: Gravierende Unterschiede im Umgang mit rechtsextremen „Feindeslisten“  
    Die Polizei hat noch immer keine einheitlichen Regeln zum Umgang mit sogenannten „Feindeslisten“, das ergeben Recherchen des ARD-Magazins „Fakt“ externer Link. Auf einer solchen Liste hatte unter anderem auch der getötete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke gestanden. Die Recherchen zeigen, dass es in den Bundesländern gravierende Unterschiede gibt, wenn es darum geht, in solchen Fällen Ermittlungen aufzunehmen und Betroffene zu benachrichtigen. Die Folge: Menschen, die von Rechtsextremen bedroht werden, fühlen sich eingeschüchtert und vom Staat alleine gelassen. (…) „Fakt“ hat Polizeibehörden in 13 Bundesländern kontaktiert, in denen auf der Liste genannte Menschen leben sollen. Das ARD-Magazin hat jeweils nach Ermittlungen und dem Umgang mit Betroffenen gefragt. In den Antworten wird immer wieder darauf hingewiesen, eine Einschätzung müsse für jeden Fall einzeln getroffen werden. Entscheidend dafür, wie ernst die „Feindesliste“ genommen wurde, war aber offenbar vor allem der Wohnort des jeweils Genannten. (…) Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte eine sogenannte Gefährdungsbewertung erstellt und diese an die Landeskriminalämter weitergeleitet. Demnach gab es keine Anhaltspunkte dafür, dass die auf der Liste genannten Personen gefährdet waren. Es ist aber unklar, wie das BKA zu dieser Einschätzung gelangte, denn die Verfasser sind auch ihm unbekannt. Die Behörde wollte seine Bewertung nicht erläutern, teilt „Fakt“ aber schriftlich mit, grundsätzlich werde keine generelle aktive Unterrichtung der Betroffenen vorgenommen, da „dies zu einer aus polizeilicher Sicht nicht gerechtfertigten Verunsicherung führen würde“…” Beitrag vom 24. Juli 2019 beim Migazin externer Link
    • Siehe dazu den Thread von Jean Peters bei twitter externer Link: “Ich stehe auf mehreren Neonazi-Todeslisten. Weshalb ich erst vor kurzem Anzeige erstattete und wie absurd die Polizei reagierte, erzähle ich heute Abend bei ARD Fakt und hier in einem kleinen Thread aus meinem Urlaub…”
  • Rechte Todeslisten: Wer drauf steht, muss endlich informiert werden  
    “… Zehntausende Menschen stehen bundesweit auf den unzähligen Feind- und Todeslisten von Rechtsradikalen. Und nur die wenigsten von ihnen wissen davon. Das muss sich ändern: Das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter müssen endlich die Betroffenen unaufgefordert und zeitnah informieren, dass ihnen Gefahr droht. Es muss Schluss sein mit der Geheimniskrämerei, die verhindert, dass Betroffene Vorkehrungen zu ihrem Schutz treffen können. Deutsche Sicherheitsbehörden haben die Gefahr von rechts systematisch verharmlost, ignoriert und in Teilen sogar gefördert. Konservative Politiker versuchen seit jeher bei jeder Nennung von rechter Gewalt und rechten Terrorismus die politische Linke mit in Haftung zu nehmen und sie als ebenso gefährlich gleichzusetzen. Dabei ist nicht erst seit den Morden des NSU klar: Der Feind steht rechts. Wer das nach der Attacke auf CDU-Politikerin Henriette Reker und dem Mord an CDU-Mann Walter Lübcke nicht anerkennt, der ist selbst nach rechts hin offen und eine Gefahr für die Demokratie. Seit 1971 gab es 12 Entführungen, 174 bewaffnete Überfälle, 123 Sprengstoffanschläge, 2.173 Brandanschläge und 229 Morde mit rechtsextremem Hintergrund. Dazu kommen tausende rechtsradikale Gewalttaten, alleine 1.156 im Jahr 2018. Der politische Rechtsruck, der erfolgreich und auch unter Mitwirkung von Politikern aus der Union die Grenzen des Sagbaren verschoben hat, beflügelt die rechtsradikalen Gewalttäter. In der um sich greifenden verbalen Verrohung seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/2016 und durch den Verlust von Empathie in der Gesellschaft sehen sich die Rechtsterroristen als Vollstrecker eines vermeintlichen Volkswillens. (…)Da die Polizeien mit Fällen wie in Hessen und anderswo selbst mehr und mehr in Ruf stehen, mit Rechtsradikalen zu sympathisieren, ist Misstrauen angebracht. Keinesfalls dürfen die Feindlisten bei den Sicherheitsbehörden, allen voran beim Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz, zu Master-Listen zusammengeführt werden. Zu groß und berechtigt ist derzeit die Sorge, dass der Sicherheitsapparat Teil des Problems ist und die Listen der Rechtsradikalen womöglich noch als Indizien für Beobachtung und Gängelung mutmaßlicher Linker nutzt.” Kommentar von Markus Reuter vom 24. Juni 2019 bei Netzpolitik externer Link
  • Feindesliste: FragDenStaat verklagt BKA, damit Betroffene informiert werden  
    Das Bundeskriminalamt hat tausende Menschen, die auf einer Feindliste einer rechtsextremen Gruppierung standen, nicht darüber informiert. Mit einem Trick versuchte FragDenStaat das BKA zur Information der Betroffenen zu bewegen, doch die Behörde mauerte. Jetzt geht der Fall vor das Verwaltungsgericht Wiesbaden. (…) Die Informationsfreiheitsorganisation FragDenStaat.de hatte schon 2018 die Herausgabe der Liste beim BKA verlangt. Gegen diese Anfrage hatte das Bundeskriminalamt argumentiert, es müsse die Liste aus Datenschutzgründen nicht herausgeben. Außerdem gebe es eine Bereichsausnahme für Daten im Zusammenhang mit Terrorismus und bei Bekanntgabe der Informationen eine Gefahr für laufende strafrechtliche Ermittlungen. FragDenStaat will dagegen nun juristisch vorgehen. Die NGO ist der Meinung, dass das BKA alle auf der Liste stehenden Personen anfragen müsste, ob sie mit der Herausgabe der Liste einverstanden seien. So könnte über den Umweg des Datenschutzes eine Information von betroffenen Personen stattfinden, damit diesen überhaupt bewusst wird, dass sie im Fadenkreuz einer rechtsextremen Organisation standen. Das BKA hat bis heute nur 29 der betroffenen Personen informiert. Fragdenstaat zieht jetzt vor das Verwaltungsgericht Wiesbaden. Neben der konkreten Frage wird es in dem Verfahren auch um die zunehmende Tendenz des BKA gehen, sich im Zuge einer „Geheimdienstifizierung“ über Umwege von den Auskunftspflichten des Informationsfreiheitsgesetzes befreien zu wollen.” Beitrag von Markus Reuter vom 18.06.2019 bei FragDenStaat externer Link
  • Rechte „Feindeslisten“ sind eine konkrete Gefahr für Betroffene  
    Immer wieder erstellen Rechtsextreme Listen ihrer politischen Gegner*innen, die im Internet veröffentlicht oder bei polizeilichen Ermittlungen gefunden werden. Für die Betroffenen können solche „Feindeslisten“ eine ganz konkrete Bedrohung darstellen. Wichtig ist eine bessere Informationspraxis seitens der Polizei. Anfang Januar 2019 wurde auf dem linken Internetportal Indymedia eine rechte Drohliste veröffentlicht. Überschrieben war diese mit dem Titel „Wir kriegen euch alle“. Aufgeführt wurden darin mehr als 200 Klarnamen und Adressen von Aktivist*innen, Journalist*innen und Politiker*innen. Die meisten von ihnen passen nicht in ein rechtes Weltbild, weil sie sich gegen Rassismus oder Rechtsextremismus engagieren. Einigen Einträgen wurden kurzem Hinweise oder Beleidigungen vorangestellt: „grün und homo“ oder „hetzt gegen AfD“ heißt es da zum Beispiel. Solche Feindeslisten stellen kein neues Phänomen dar. Sie dienen schon länger der Auswahl möglicher Anschlagsziele sowie der Einschüchterung von politischen Gegner*innen der rechten Szene. Darüber hinaus erleichtern Feindeslisten die Möglichkeit zum Missbrauch der persönlichen Daten. (…) Für Abgeordnete von demokratischen Parteien, Gewerkschafter*innen, Journalist*innen, antifaschistische Aktivis*innen oder Angehörige von Geflüchteteninitiativen besteht somit aus Sicht von Opferberatungsstellen jetzt schon eine hohe Gefahr. Seitens der Zivilgesellschaft wird vor allem eine bessere Informationspraxis von den staatlichen Ermittlungsbehörden gefordert. Betroffenen soll die Möglichkeit gegeben werden, ihre Gefährdung selbst einzuschätzen…” Beitrag von Kai Stoltmann vom 14. Januar 2019 bei belltower-news externer Link

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