Dienstag, 30. Juli 2019

SEXUELLE GEWALT Das Skandalurteil von Lügde muss zurückgenommen werden!


Am 17. Juli 2019 verurteilte das Landgericht Detmold Heiko V. zu zwei Jahren Haft, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, einer Therapie und einer Schmerzensgeldzahlung von 3000 Euro.¹
Von nek
Das Skandalurteil von Lügde muss zurückgenommen werden!
Sexuelle Gewalt gegen Kinder: Die Opfer leiden lebenslang (rf-foto)
Heiko V. hatte über Monate verteilt mindestens viermal¹ über eine Webcam zugesehen, wie Kinder auf einem Campingplatz in Lügde schwerste sexuelle Gewalt durch die Täter Andreas V. und Mario S. erleiden mussten.  Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass Heiko V. weniger gemein und brutal gewesen sei und seine Tat von ihnen unabhängig bewertet werden müsse.

Unverhälnismäßig mildes Urteil

Das Gericht verband das weiter mit dem Eigenlob, sich dem Druck der Straße nicht gebeugt zu haben. Will heißen: das Gericht vertrete Gerechtigkeit gegenüber unverhältnismäßigen Strafforderungen der Massen! Unverhältnismäßig – und zwar gering - ist in diesem Fall allerdings das Urteil! 460 Straftaten sind angeklagt, bis zu 1000 könnten es gewesen sein¹. Begangen an mindestens 50 jungen Menschen.¹ Sie werden aufgrund der Vergewaltigung durch die Täter ihr Leben lang psychisch und physisch Folgen tragen müssen.

Ahndung und Bestrafung der Verantwortlichen und Täter

Was die Menschen wollen ist, dass endlich die Verbrechen von Lügde in ihrem ganzen Umfang geahndet und bestraft werden - entgegen der bisherigen Praxis, all die Hinweise und Anzeigen nicht ernst zu nehmen und zu ignorieren. Doch weit gefehlt. Das Urteil führt im Grunde die Abgehobenheit der Behörden und des Gerichts von den Schmerzen und Ängsten, wie auch der Zerstörung der Lebenssubstanz der Kinder fort. Denn seit wann bekommt jemand, der schwere Straftaten über Monate beobachtet und sich daran ergötzt, eine Bewährungsstrafe?

Bis heute unaufgeklärt ist, warum die Polizei vor Ort die vielen Hinweise nicht ernst genommen und entsprechend ermittelt hat. Welcher Zusammenhang besteht zwischen dieser Zurückhaltung und dem Entscheid eines der Jugendämter, dem Täter Andreas V. ein Mädchen als Pflegekind anzuvertrauen, das dann von ihm sexueller Gewalt ausgesetzt war und als Lockvogel benutzt wurde? Verwickelt sind auf jeden Fall neben Polizeibeamten auch Mitarbeiter von zwei Jugendämtern und mehrerer Jugendeinrichtungen. 

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte der Tagesschau am 26. Juni, er sei „fassungslos“, und es sei „schade, wie es gelaufen sei“. Man habe die „konkreten Umstände“ des Versagens der Polizei noch nicht aufklären können. Wie lange braucht man denn für eine Antwort auf die Frage, warum man die Hinweise auf die Pädophilie von Andreas V. ignorierte; warum die Anzeige einer Mutter, dass Andreas V. ihre Tochter missbraucht habe, nicht für voll genommen wurde; warum dem Vater gesagt wurde, er könne wegen übler Nachrede belangt werden?

Sexuelle Gewalt an Kindern als „Vorteil“?

Bereits 2012 startete der Saarbrücker Psychotherapeut Klaus Schlagmann die Petition „Keine kassenfinanzierte Lobbyarbeit für Kinderschänder!“ Er richtete sich damit gegen Opferbeschuldigung und daraus entstehende Therapieschäden aufgrund der Übernahme der Theorien des US-amerikanischen Psychoanalytikers Otto F. Kernberg. Bei Kernberg handelt es sich um den früheren Präsidenten der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Laut Kernberg erlebe beispielsweise ein Mädchen, das von seinem Vater sexuell missbraucht wurde, einen „sexuell erregenden Triumph über ihre Mutter“.

Dem entsprachen auch Theorie und Praxis des Psychologen und Sozialpädagogen Helmut Kentler aus Berlin. Er plädierte für gewaltfreie Sexualkontakte zwischen Erwachsenen und Kindern, da diese keine „asexuellen“ Wesen seien. Seiner „Empfehlung“ ist die Entsendung von „schwer erziehbaren“ Jugendlichen an die Odenwaldschule zu verdanken. Die dortige sexuelle Gewalt gegen sie kam ans Licht, weil Betroffene nicht mehr schwiegen. Kentler sorgte in den 1980er-Jahren dafür, Kinder aus „schwierigen Verhältnissen“ bei pädophilen Pflegevätern unterzubringen, damit diese Kinder „liebes- und arbeitsfähig“ würden. Sie würden „pädophil eingestellten Männern“, die sich um sie kümmerten, mit Sex „etwas zurückgeben“.³

Sexuelle Gewalt gegen Kinder, aber auch gegen Frauen, spiegelt den Zustand einer Gesellschaft wider

Sexuelle Gewalt gegen Kinder, aber auch gegen Frauen, spiegelt den Zustand einer Gesellschaft wider: „Die wachsende Gewalttätigkeit des Imperialismus schlägt sich auch in den persönlichen Beziehungen der Menschen in imperialistischen Ländern nieder, vor allem wenn sie nur ein niedriges oder gar kein Klassenbewusstsein haben: im Anstieg häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder, in sexuellem Missbrauch und in Vergewaltigungen.“²

Doch der Widerstand gegen diese Form kapitalistischer Barbarei und die Solidarität wächst. Gegen das Urteil protestierten umgehend das Mädchenhaus Bielefeld und die ärztlichen Beratungsstellen gegen Vernachlässigung. Zehntausende Menschen sind empört und das Urteil ist in vielen Betrieben Pausengespräch. Der Staatsanwalt hat Berufung beantragt.¹

Um solche menschlichen Katastrophen zu verhindern und mit Exzessen einer zutiefst primitiven, kleinbürgerlich-egoistischen Denkweise fertig zu werden, muss der besondere Schutz von Kindern gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch sowie die Bestrafung der Täter Bestandteil des Klassen- und Frauenbewusstseins werden. Der Kampf gegen Sexismus, Pornografie, Prostitution und Menschenhandel muss auch von der Arbeiterklasse geführt werden.

Auch in der kämpferischen Frauenbewegung muss der Schutz von Frauen und Kindern gegen sexuelle Gewalt einen hohen Stellenwert bekommen. Die Selbstorganisation zum Schutz, Verteidigung und Stärkung des Selbstbewusstseins muss gefördert werden. Es darf nicht hingenommen werden, wenn die Polizei fahrlässig arbeitet und Gerichte verharmlosende Urteile fällen. Wir organisieren uns gegen das Wegsehen – diese Verpflichtung gaben sich Frauen des Frauenverband Courage, der MLPD, Nachbarn und Freunde, als eine junge Gelsenkirchnerin vor wenigen Wochen Opfer einer blutigen lebensbedrohenden Messerattacke durch einen Stalker wurde. Der Fall Lügde zeigt eine solche Bewegung wird überall gebraucht.

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