Vor allem in Sachsen könnte es schwierig werden, ein Bündnis gegen die Rechtsnationalen zu bilden. Warum ist die AfD hier so stark? Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) hat schon vor längerer Zeit mit einer Streitschrift versucht, den Osten zu erklären und damit den Nerv ihrer Landsleute getroffen: »Integriert doch erst mal uns!« lautete der Titel des Buches. Es erschien im Spätsommer 2018, als Aufmärsche Rechtsextremer in Chemnitz im Fernsehen zu sehen sind und viele im Westen wieder mit dem Finger auf den Osten zeigen.
Politikwissenschaftler versuchen zu deuten, warum der Osten anders tickt. Da ist von Ängsten und Demütigungen die Rede, von einer Häufung sozialer Notlagen, die aus gebrochenen Erwerbsbiografien resultieren. Wer nach der Wende jahrelang ohne Job war, bekommt die Quittung mit seinem Rentenbescheid. »Die Vertrauenskrise hängt auch damit zusammen, dass nach 1990 Erwartungen bei vielen Menschen enttäuscht wurden«, sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Zudem seien die Begleiterscheinungen der Transformation für einen Großteil der Ostdeutschen nach 1990 erheblich gewesen. »Für sie hat sich eine ganze Welt verändert.« All das wirke bis heute nach und schlage sich in mangelndem Vertrauen nieder.
Viele Menschen in Ostdeutschland sind verunsichert. »Es ist ganz klar so, dass sich viele Menschen Sorgen machen um die Zukunft«, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). »Das hat zum Teil einen sozialen Hintergrund, beispielsweise die Rentenfrage.« Es gebe auch Unsicherheit bei Beschäftigten, etwa in der Lausitz: Vom geplanten Braunkohleausstieg seien bis zu 100 000 Menschen betroffen.
Die Ost-SPD forderte schon zu Beginn des Wahljahres einen »Vorsprung Ost« für mehr Solidarität etwa bei der Anerkennung der Lebensleistung in der Rente. In Umfragen sinkt die SPD bisher - parallel zum Bundestrend. Woidke sagt, er sei dennoch optimistisch. »Weil ich auch viele Menschen treffe, die sich Sorgen um die Zukunft dieses Landes machen.« Und während sich in Berlin derzeit alle mit Vorschlägen für mehr Klimaschutz übertreffen, spielt das in den Landtagswahlkämpfen kaum eine Rolle.
Die Linke wirbt in Brandenburg auf Plakaten unter anderem mit dem Begriff »Ost«, darunter steht »Respekt, Würde, Anerkennung«. »Die Linke ist die Stimme des Ostens«, sagte Spitzenkandidatin Kathrin Dannenberg Anfang Juli. Und Brandenburgs CDU-Chef Ingo Senftleben forderte jüngst mehr Ost-Minister im Bundeskabinett.
Als die AfD ihren Landtagswahlkampf Mitte Juli in Cottbus startete, machten Thüringens AfD-Chef Björn Höcke und sein Brandenburger Kollege Andreas Kalbitz - beide stammen aus Westdeutschland - eine Zeitreise zurück zur Wende. Kalbitz sagte: »Die Menschen sind nicht auf die Straße gegangen, um das geliefert zu bekommen, was wir jetzt hier erdulden müssen in diesem Land.« Höcke, Gründer des rechtsnationalen Flügels in der AfD, gab das Motto aus: »Holen wir uns unser Land zurück, vollenden wir die Wende!« Er rief zu einer friedlichen Revolution an der Wahlurne auf. Danach gab es »Deutschland, Deutschland«-Rufe - wie zur Zeit der Wende.
Der Dresdner Politikforscher Vorländer glaubt nicht, dass der 1. September in Brandenburg und Sachsen eine Protestwahl wird. Protest beziehe sich auf konkrete Ereignisse. »Es gibt eine allgemein schlechte Stimmung. Sie hat sich über die Jahre aufgebaut. Das mag auch damit zu tun haben, dass die Politik viel zu spät auf den Stimmungsumschwung reagiert hat.« Wenn die AfD in Sachsen seit Monaten im Freistaat auf stabile Umfragewerte von 25 Prozent komme, heiße das aber auch, 75 Prozent der Menschen wählten sie nicht. Die CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer liegt gleichauf mit der rechten Konkurrenz. Er muss voraussichtlich eine Koalition aus vier Parteien schmieden - mit SPD, Grünen und FDP.
In Brandenburg erreicht die AfD in jüngsten Umfragen 19 Prozent - gleichauf mit der SPD - oder sogar 21 Prozent und liegt vor der SPD mit 18 Prozent. Für den Potsdamer Politikforscher Jochen Franzke verkörpert die AfD zum einen ein Milieu, das vor langer Zeit im Westen Deutschlands in der CDU beheimatet war - konservativ-national-völkisch. »Auf der anderen Seite ist es die Staubsauger-Partei, die gegenwärtig allen Protest aufsaugt«, sagt Franzke. »Nur auf reinen Protest kann man die Zukunft aber nicht aufbauen.« Die Lösung liege auch nicht darin, eine neue Wende zu organisieren. »Das kommt zwar bei den Betreffenden ziemlich gut an, aber das ist nur eine relativ kleine Gruppe.«
Als früherer sächsischer Regierungschef beobachtet Kurt Biedenkopf (CDU) die Lage genau. »Die AfD will nicht dienen, die AfD will herrschen«, sagt der 89-Jährige. Er hält es aber für wenig wahrscheinlich, dass die AfD in Sachsen eine Regierungsbildung verhindern kann. Die Sachsen seien viel zu klug, um sich auf ein solches Risiko einzulassen. Die Menschen sollten sich ihren Stolz, ihren Mut und ihren Freiheitswillen aus den Zeiten der friedlichen Revolution in Erinnerung rufen. Eine Partei wie die AfD halte nicht viel von Freiheit, wenn sie auf dem Weg zur Macht im Wege steht. dpa/nd
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