Am 20. April wurden im Bielefelder Stadttheater die diesjährigen BigBrotherAwards verliehen. In der Kategorie Politik ging der Negativpreis an die Fraktionen von CDU und Bündnis90/Die Grünen im hessischen Landtag. Jury-Mitglied Rolf Gössner hielt die folgende, leicht gekürzte Laudatio:
Die beiden Regierungsfraktionen erhalten den Negativpreis für ihr geplantes neues Verfassungsschutzgesetz und für die geplante Novellierung des hessischen Polizeigesetzes. Ihre Gesetzesinitiative enthält eine gefährliche Ansammlung gravierender Überwachungsermächtigungen, die tief in Grundrechte eingreifen und den demokratischen Rechtsstaat bedrohen. Die schlimmsten Regelungen im Überblick:
Der Inlandsgeheimdienst »Verfassungsschutz« (VS) soll auch vorbestrafte V-Leute rekrutieren und kriminell gewordene VS-Mitarbeiter.innen weiter einsetzen und abschöpfen können. Das tut er schon. Neu ist, dass dies gesetzlich abgesichert werden soll und kriminelle V-Leute ganz legal der strafrechtlichen Verfolgung entzogen werden können – anstatt solche V-Leute unverzüglich abzuschalten. Ein rechtsstaatswidriger Freibrief für kriminelles Handeln in staatlicher Mission.
Erlaubt werden soll auch, Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten als V-Leute anzuheuern oder V-Leute in deren beruflichem Umfeld zu platzieren. Damit werden die Verschwiegenheitspflichten und zu schützenden Vertrauensverhältnisse zu ihren Mandanten, Patienten oder Informanten verletzt.
Selbst Daten über Minderjährige unter 14 Jahren, also von Kindern, sollen in Dateien und Akten des VS erfasst und gespeichert werden dürfen. Diese frühzeitige geheimdienstliche Stigmatisierung kann fatale Folgen für den weiteren Lebensweg, für Berufswahl, Lehrstellen- oder Jobsuche haben.
Der VS soll ermächtigt werden, personenbezogene Überwachungsdaten an öffentliche Stellen zu übermitteln – und zwar zur »Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben«. Das erinnert fatal an Gesinnungskontrolle und die menschenrechtswidrige Berufsverbotspraxis früherer Zeiten. Auch Organisationen und künftigen Mitarbeiter.innen staatlich geförderter Demokratie- und Präventionsprojekte, etwa gegen Rechtsextremismus oder Salafismus, drohen anlasslose geheimdienstliche Regelüberprüfungen – womit sie pauschal zu Sicherheitsrisiken erklärt und unter Generalverdacht gestellt werden.
Spionage-Programme, also sogenannte Staatstrojaner, sollen künftig über gefundene oder aufgekaufte Sicherheitslücken in Computern oder Smartphones Verdächtigter eingeschleust werden, um sie präventiv per Onlinedurchsuchung oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung ausforschen zu können.
Und die Polizei soll künftig unter anderem ermächtigt werden, sogenannte terroristische Gefährder vorsorglich in elektronische Fußfesseln zu legen, um ihren Aufenthalt, ihre Bewegungen und Kontakte über Wochen und Monate lückenlos kontrollieren zu können.
Mit dieser Gesetzesinitiative geht die schwarz-grüne Regierungskoalition in Hessen einen großen Schritt in Richtung präventiv-autoritärer Sicherheitsstaat und reiht sich damit in die bundesweiten Aufrüstungsreformen der herrschenden Sicherheitspolitik ein.
Ursprünglich sollten die VS-Gesetze in Bund und Ländern novelliert werden, um überfällige Konsequenzen zu ziehen aus den zahlreichen Missständen, Pannen und Skandalen im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie und NSA-Massenüberwachung. Primäre Ziele müssten demnach sein, den VS und seine Befugnisse wirksam rechtsstaatlich zu zähmen und die Kontrolle über ihn erheblich zu stärken. Stattdessen erhalten ausgerechnet diese demokratisch kaum kontrollierbaren Geheimbehörden – geschichtsvergessen – wieder unverdienten Auftrieb, werden abermals aufgerüstet und massenüberwachungstauglicher gemacht, anstatt die Bevölkerung endlich vor ihren Machenschaften und Skandalen wirksam zu schützen. Das heißt: Der VS geht gestärkt aus dem Desaster hervor. Und auch die Polizei wird weiter hochgerüstet. Was bedeutet das für unmittelbar Betroffene und auch für uns alle? Zwei Beispiele:
Heimlicher Angriff auf Computer und Smartphones mit Staatstrojanern
Der hessische VS soll unter bestimmten Bedingungen zur Gefahrenabwehr erstmals mit technischen Mitteln heimlich »informationstechnische Systeme« angreifen dürfen. Das heißt im Klartext: Der Inlandsgeheimdienst darf zur verdeckten Informationsgewinnung Computersysteme mit Hilfe von Spionageprogrammen hacken – und zwar mit Hilfe der berüchtigten »Staatstrojaner«, die im Land der Hessen auch »Hessentrojaner« heißen. Die Überwachungssoftware wird heimlich in Computer, Tablets oder Smartphones von Verdächtigten eingeschleust. So können dann Quellen-Telekommunikationsüberwachungen oder Online-Durchsuchungen durchgeführt werden.
Mit diesen Methoden, die der Abwehr einer »dringenden Gefahr« dienen sollen, bricht der Staat in Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte, in Informationelle Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit der Betroffenen ein: Denn damit können sämtliche laufenden Kommunikationsinhalte vor ihrer Verschlüsselung überwacht werden – inklusive SMS, Mails, Chats und Messenger-Dienste. Mit Hilfe der Trojaner kann der Geheimdienst auf sämtliche Datenbewegungen, auf alle gespeicherten Festplatteninhalte, auf Textdokumente, auf intimste Informationen, Fotos und Filme zugreifen – letztlich auf das gesamte digitale und vernetzte Leben der Betroffenen. Dabei ist an den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Kernbereichs persönlicher Lebensgestaltung praktisch nicht mehr zu denken – ganz abgesehen davon, dass solche Geheimmethoden kaum noch wirksam kontrollierbar sind. Es handelt sich um einen der schwersten staatlichen Grundrechtseingriffe.
Diese digitale Waffe unterminiert darüber hinaus das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme: Denn der VS muss Software-Sicherheitslücken ausfindig machen, um einen Staatstrojaner auf dem Gerät installieren und aktivieren zu können. Er wird versuchen, solche Schwachstellen für eigene Zwecke künftig weiter offenzuhalten – anstatt sie sofort schließen zu lassen, um Attacken Dritter abzuwehren, das IT-System insgesamt zu schützen und damit die Allgemeinheit. So werden mutwillig Sicherheitslecks als Einfallstore aufrechterhalten, über die auch andere Geheimdienste, Cyber-Kriminelle, Betrüger, Erpresser und Terroristen gefährliche Angriffe auf private, betriebliche oder staatliche Computersysteme ausführen können oder auf die kritische Infrastruktur insgesamt, etwa von Strom- und Wasserversorgern, des Krankenhaus-, Gesundheits- oder Verkehrswesens.
Dieses unverantwortliche Staatsverhalten öffnet Missbrauch und gefährlichen Cyber-Attacken Tür und Tor. Abschreckendes Beispiel: der Erpressungstrojaner »Wannacry«, der im Mai 2017 neben Privat-PCs auch Automobilkonzerne, Bahnunternehmen und Krankenhäuser lahmlegte und Schäden in Milliardenhöhe verursachte. Die dabei genutzte Sicherheitslücke war dem US-Auslandsgeheimdienst NSA seit Jahren bekannt. Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik sieht anders aus. Beispiel zwei:
Elektronische Fußfesseln zur Aufenthaltskontrolle von Gefährdern
Die hessische Polizei soll künftig sogenannte terroristische Gefährder präventiv in elektronische Fußfesseln legen sowie Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkungen, Hausarrest und Kontaktverbote verhängen können. Nach einer gerichtlichen Anordnung sollen diese Freiheitsbeschränkungen mit einer elektronischen Fußfessel über GPS lückenlos überwacht werden, selbst innerhalb von Wohnungen. Zulässig soll dies dann sein, so heißt es im schwarz-grünen Gesetzentwurf wörtlich, »wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen«, dass die betreffende Person »innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise« eine Straftat begehen wird, »oder deren individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums« eine Straftat begehen wird. Schwammiger geht’s wohl kaum, oder?
Die elektronische Überwachungsmaßnahme, mit der unter anderem terroristische Straftaten verhütet werden sollen, ist auf höchstens drei Monate zu befristen, kann aber um jeweils drei Monate verlängert werden – das heißt im Zweifel: unbeschränkt. Verweigern Betroffene die Maßnahme, können sie mit richterlicher Entscheidung bis zu zehn Tage lang in Polizeigewahrsam gesteckt werden.
Solche eingriffsintensiven und verhaltenssteuernden Polizeimaßnahmen, die lückenlose Bewegungsprofile liefern und Rückschlüsse auf die persönliche Lebensführung zulassen, sollen gegen Menschen verhängt werden, die bislang nicht straffällig geworden sind, denen dies aber für die Zukunft aufgrund bloßer Indizien und Annahmen oder unterstellter Absichten und Gesinnung polizeilicherseits zugetraut wird. Solche Prognosen für künftiges Verhalten können entweder aus polizeilichen oder geheimdienstlichen Persönlichkeits- und Kontaktprofilen oder auch aus Risikobewertungen per Computeranalyse (zum Beispiel Precrime-Programme) resultieren. Doch wie lässt sich dabei verhindern, dass im Zweifel institutioneller Rassismus und Islamophobie zu folgenschweren Einschätzungen führen?
Derart gravierende Grundrechtseingriffe, die sich auf Mutmaßungen stützen, sind unverhältnismäßig, verletzen Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen – und letztlich auch die Menschenwürde. Im Übrigen dürfte die elektronische Fußfessel, die ohnehin relativ leicht manipulierbar und entfernbar ist, im Ernstfall auch ungeeignet zur Verhinderung terroristischer Straftaten sein – besonders wenn es sich um potentielle Täter handelt, die zu allem entschlossen sind: So trug etwa einer der beiden Täter, die 2016 einem katholischen Pfarrer in der Normandie die Kehle durchtrennten, eine elektronische Fußfessel; und auch das Berliner Attentat auf dem Weihnachtsmarkt Ende 2016 hätte damit wohl kaum verhindert werden können – wohl aber mit anderen, längst gesetzlich erlaubten Polizeibefugnissen, die aber, wie sich herausgestellt hat, nicht genutzt worden sind.
Zivilgesellschaftliche Proteste und innergrüner Streit um »Hessentrojaner«
Gegen die hessische Gesetzesinitiative regt sich heftiger Protest und Widerstand: Demokratieprojekte sowie Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen unterstützen eine gemeinsame Erklärung, in der sie die geplanten Verschärfungen ablehnen. Während einer Anhörung im Hessischen Landtag kritisierten die allermeisten Sachverständigen die Gesetzespläne und mahnten erhebliche Änderungen an.
Auch die grüne Basis in Hessen votierte Ende 2017 gegen die schwarz-grünen Pläne, speziell gegen die Legalisierung des »Hessentrojaners«. Vollkommen zu Recht, lehnen doch die Grünen die Staatstrojaner generell ab und hatten doch die hessischen Grünen im letzten Wahlkampf versprochen, keine Online-Durchsuchung zur Gefahrenabwehr zuzulassen. Doch die Landtagsfraktion begründet ihr gebrochenes Versprechen mit »terroristischen Bedrohungen«. Das miese Spiel mit der Angst vor Terror zur Beschränkung der Freiheitsrechte, um angeblich mehr Sicherheit zu erlangen, hatten die Grünen bislang eher anderen überlassen. Die grüne Fraktion in Hessen aber spielt nun selbst beim Überwachungspoker mit und behauptet noch dreist, ihr Gesetzentwurf trage eine »grüne Handschrift«. Mit solchen Geheimdienst- und Polizeigesetzen, wie im schwarz-grün regierten Hessen und im rot-grünen Bremen geplant oder im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg schon umgesetzt, können die Grünen ihr Selbstverständnis als Bürgerrechtspartei allmählich begraben.
Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung schreibt im Zusammenhang mit Staatstrojanern von »digitaler Inquisition« und fragt erstaunt, weshalb die allermeisten Bürger.innen sich das gefallen lassen. Deshalb mündet diese Laudatio in einen öffentlichen Appell, Verfassungsbeschwerden wie die von Digitalcourage e. V. gegen den Staatstrojaner kräftig und massenhaft zu unterstützen: ein Akt bürgerrechtlicher Notwehr.
BigBrotherAward-Laudator Rolf Gössner war zu dem Gesetzesvorhaben als Gutachter im hessischen Landtag gehört worden; er ist außerdem Sprecher eines Bündnisses von Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen, die sich gegen die geplante Verschärfung des Bremer Polizeigesetzes wehren (https://brementrojaner.de).
Die beiden Regierungsfraktionen erhalten den Negativpreis für ihr geplantes neues Verfassungsschutzgesetz und für die geplante Novellierung des hessischen Polizeigesetzes. Ihre Gesetzesinitiative enthält eine gefährliche Ansammlung gravierender Überwachungsermächtigungen, die tief in Grundrechte eingreifen und den demokratischen Rechtsstaat bedrohen. Die schlimmsten Regelungen im Überblick:
Der Inlandsgeheimdienst »Verfassungsschutz« (VS) soll auch vorbestrafte V-Leute rekrutieren und kriminell gewordene VS-Mitarbeiter.innen weiter einsetzen und abschöpfen können. Das tut er schon. Neu ist, dass dies gesetzlich abgesichert werden soll und kriminelle V-Leute ganz legal der strafrechtlichen Verfolgung entzogen werden können – anstatt solche V-Leute unverzüglich abzuschalten. Ein rechtsstaatswidriger Freibrief für kriminelles Handeln in staatlicher Mission.
Erlaubt werden soll auch, Berufsgeheimnisträger wie Ärzte, Anwälte oder Journalisten als V-Leute anzuheuern oder V-Leute in deren beruflichem Umfeld zu platzieren. Damit werden die Verschwiegenheitspflichten und zu schützenden Vertrauensverhältnisse zu ihren Mandanten, Patienten oder Informanten verletzt.
Selbst Daten über Minderjährige unter 14 Jahren, also von Kindern, sollen in Dateien und Akten des VS erfasst und gespeichert werden dürfen. Diese frühzeitige geheimdienstliche Stigmatisierung kann fatale Folgen für den weiteren Lebensweg, für Berufswahl, Lehrstellen- oder Jobsuche haben.
Der VS soll ermächtigt werden, personenbezogene Überwachungsdaten an öffentliche Stellen zu übermitteln – und zwar zur »Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben«. Das erinnert fatal an Gesinnungskontrolle und die menschenrechtswidrige Berufsverbotspraxis früherer Zeiten. Auch Organisationen und künftigen Mitarbeiter.innen staatlich geförderter Demokratie- und Präventionsprojekte, etwa gegen Rechtsextremismus oder Salafismus, drohen anlasslose geheimdienstliche Regelüberprüfungen – womit sie pauschal zu Sicherheitsrisiken erklärt und unter Generalverdacht gestellt werden.
Spionage-Programme, also sogenannte Staatstrojaner, sollen künftig über gefundene oder aufgekaufte Sicherheitslücken in Computern oder Smartphones Verdächtigter eingeschleust werden, um sie präventiv per Onlinedurchsuchung oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung ausforschen zu können.
Und die Polizei soll künftig unter anderem ermächtigt werden, sogenannte terroristische Gefährder vorsorglich in elektronische Fußfesseln zu legen, um ihren Aufenthalt, ihre Bewegungen und Kontakte über Wochen und Monate lückenlos kontrollieren zu können.
Mit dieser Gesetzesinitiative geht die schwarz-grüne Regierungskoalition in Hessen einen großen Schritt in Richtung präventiv-autoritärer Sicherheitsstaat und reiht sich damit in die bundesweiten Aufrüstungsreformen der herrschenden Sicherheitspolitik ein.
Ursprünglich sollten die VS-Gesetze in Bund und Ländern novelliert werden, um überfällige Konsequenzen zu ziehen aus den zahlreichen Missständen, Pannen und Skandalen im Zusammenhang mit der NSU-Mordserie und NSA-Massenüberwachung. Primäre Ziele müssten demnach sein, den VS und seine Befugnisse wirksam rechtsstaatlich zu zähmen und die Kontrolle über ihn erheblich zu stärken. Stattdessen erhalten ausgerechnet diese demokratisch kaum kontrollierbaren Geheimbehörden – geschichtsvergessen – wieder unverdienten Auftrieb, werden abermals aufgerüstet und massenüberwachungstauglicher gemacht, anstatt die Bevölkerung endlich vor ihren Machenschaften und Skandalen wirksam zu schützen. Das heißt: Der VS geht gestärkt aus dem Desaster hervor. Und auch die Polizei wird weiter hochgerüstet. Was bedeutet das für unmittelbar Betroffene und auch für uns alle? Zwei Beispiele:
Heimlicher Angriff auf Computer und Smartphones mit Staatstrojanern
Der hessische VS soll unter bestimmten Bedingungen zur Gefahrenabwehr erstmals mit technischen Mitteln heimlich »informationstechnische Systeme« angreifen dürfen. Das heißt im Klartext: Der Inlandsgeheimdienst darf zur verdeckten Informationsgewinnung Computersysteme mit Hilfe von Spionageprogrammen hacken – und zwar mit Hilfe der berüchtigten »Staatstrojaner«, die im Land der Hessen auch »Hessentrojaner« heißen. Die Überwachungssoftware wird heimlich in Computer, Tablets oder Smartphones von Verdächtigten eingeschleust. So können dann Quellen-Telekommunikationsüberwachungen oder Online-Durchsuchungen durchgeführt werden.
Mit diesen Methoden, die der Abwehr einer »dringenden Gefahr« dienen sollen, bricht der Staat in Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte, in Informationelle Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit der Betroffenen ein: Denn damit können sämtliche laufenden Kommunikationsinhalte vor ihrer Verschlüsselung überwacht werden – inklusive SMS, Mails, Chats und Messenger-Dienste. Mit Hilfe der Trojaner kann der Geheimdienst auf sämtliche Datenbewegungen, auf alle gespeicherten Festplatteninhalte, auf Textdokumente, auf intimste Informationen, Fotos und Filme zugreifen – letztlich auf das gesamte digitale und vernetzte Leben der Betroffenen. Dabei ist an den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des Kernbereichs persönlicher Lebensgestaltung praktisch nicht mehr zu denken – ganz abgesehen davon, dass solche Geheimmethoden kaum noch wirksam kontrollierbar sind. Es handelt sich um einen der schwersten staatlichen Grundrechtseingriffe.
Diese digitale Waffe unterminiert darüber hinaus das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme: Denn der VS muss Software-Sicherheitslücken ausfindig machen, um einen Staatstrojaner auf dem Gerät installieren und aktivieren zu können. Er wird versuchen, solche Schwachstellen für eigene Zwecke künftig weiter offenzuhalten – anstatt sie sofort schließen zu lassen, um Attacken Dritter abzuwehren, das IT-System insgesamt zu schützen und damit die Allgemeinheit. So werden mutwillig Sicherheitslecks als Einfallstore aufrechterhalten, über die auch andere Geheimdienste, Cyber-Kriminelle, Betrüger, Erpresser und Terroristen gefährliche Angriffe auf private, betriebliche oder staatliche Computersysteme ausführen können oder auf die kritische Infrastruktur insgesamt, etwa von Strom- und Wasserversorgern, des Krankenhaus-, Gesundheits- oder Verkehrswesens.
Dieses unverantwortliche Staatsverhalten öffnet Missbrauch und gefährlichen Cyber-Attacken Tür und Tor. Abschreckendes Beispiel: der Erpressungstrojaner »Wannacry«, der im Mai 2017 neben Privat-PCs auch Automobilkonzerne, Bahnunternehmen und Krankenhäuser lahmlegte und Schäden in Milliardenhöhe verursachte. Die dabei genutzte Sicherheitslücke war dem US-Auslandsgeheimdienst NSA seit Jahren bekannt. Verantwortungsvolle Sicherheitspolitik sieht anders aus. Beispiel zwei:
Elektronische Fußfesseln zur Aufenthaltskontrolle von Gefährdern
Die hessische Polizei soll künftig sogenannte terroristische Gefährder präventiv in elektronische Fußfesseln legen sowie Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkungen, Hausarrest und Kontaktverbote verhängen können. Nach einer gerichtlichen Anordnung sollen diese Freiheitsbeschränkungen mit einer elektronischen Fußfessel über GPS lückenlos überwacht werden, selbst innerhalb von Wohnungen. Zulässig soll dies dann sein, so heißt es im schwarz-grünen Gesetzentwurf wörtlich, »wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen«, dass die betreffende Person »innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise« eine Straftat begehen wird, »oder deren individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums« eine Straftat begehen wird. Schwammiger geht’s wohl kaum, oder?
Die elektronische Überwachungsmaßnahme, mit der unter anderem terroristische Straftaten verhütet werden sollen, ist auf höchstens drei Monate zu befristen, kann aber um jeweils drei Monate verlängert werden – das heißt im Zweifel: unbeschränkt. Verweigern Betroffene die Maßnahme, können sie mit richterlicher Entscheidung bis zu zehn Tage lang in Polizeigewahrsam gesteckt werden.
Solche eingriffsintensiven und verhaltenssteuernden Polizeimaßnahmen, die lückenlose Bewegungsprofile liefern und Rückschlüsse auf die persönliche Lebensführung zulassen, sollen gegen Menschen verhängt werden, die bislang nicht straffällig geworden sind, denen dies aber für die Zukunft aufgrund bloßer Indizien und Annahmen oder unterstellter Absichten und Gesinnung polizeilicherseits zugetraut wird. Solche Prognosen für künftiges Verhalten können entweder aus polizeilichen oder geheimdienstlichen Persönlichkeits- und Kontaktprofilen oder auch aus Risikobewertungen per Computeranalyse (zum Beispiel Precrime-Programme) resultieren. Doch wie lässt sich dabei verhindern, dass im Zweifel institutioneller Rassismus und Islamophobie zu folgenschweren Einschätzungen führen?
Derart gravierende Grundrechtseingriffe, die sich auf Mutmaßungen stützen, sind unverhältnismäßig, verletzen Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte der Betroffenen – und letztlich auch die Menschenwürde. Im Übrigen dürfte die elektronische Fußfessel, die ohnehin relativ leicht manipulierbar und entfernbar ist, im Ernstfall auch ungeeignet zur Verhinderung terroristischer Straftaten sein – besonders wenn es sich um potentielle Täter handelt, die zu allem entschlossen sind: So trug etwa einer der beiden Täter, die 2016 einem katholischen Pfarrer in der Normandie die Kehle durchtrennten, eine elektronische Fußfessel; und auch das Berliner Attentat auf dem Weihnachtsmarkt Ende 2016 hätte damit wohl kaum verhindert werden können – wohl aber mit anderen, längst gesetzlich erlaubten Polizeibefugnissen, die aber, wie sich herausgestellt hat, nicht genutzt worden sind.
Zivilgesellschaftliche Proteste und innergrüner Streit um »Hessentrojaner«
Gegen die hessische Gesetzesinitiative regt sich heftiger Protest und Widerstand: Demokratieprojekte sowie Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen unterstützen eine gemeinsame Erklärung, in der sie die geplanten Verschärfungen ablehnen. Während einer Anhörung im Hessischen Landtag kritisierten die allermeisten Sachverständigen die Gesetzespläne und mahnten erhebliche Änderungen an.
Auch die grüne Basis in Hessen votierte Ende 2017 gegen die schwarz-grünen Pläne, speziell gegen die Legalisierung des »Hessentrojaners«. Vollkommen zu Recht, lehnen doch die Grünen die Staatstrojaner generell ab und hatten doch die hessischen Grünen im letzten Wahlkampf versprochen, keine Online-Durchsuchung zur Gefahrenabwehr zuzulassen. Doch die Landtagsfraktion begründet ihr gebrochenes Versprechen mit »terroristischen Bedrohungen«. Das miese Spiel mit der Angst vor Terror zur Beschränkung der Freiheitsrechte, um angeblich mehr Sicherheit zu erlangen, hatten die Grünen bislang eher anderen überlassen. Die grüne Fraktion in Hessen aber spielt nun selbst beim Überwachungspoker mit und behauptet noch dreist, ihr Gesetzentwurf trage eine »grüne Handschrift«. Mit solchen Geheimdienst- und Polizeigesetzen, wie im schwarz-grün regierten Hessen und im rot-grünen Bremen geplant oder im grün-schwarz regierten Baden-Württemberg schon umgesetzt, können die Grünen ihr Selbstverständnis als Bürgerrechtspartei allmählich begraben.
Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung schreibt im Zusammenhang mit Staatstrojanern von »digitaler Inquisition« und fragt erstaunt, weshalb die allermeisten Bürger.innen sich das gefallen lassen. Deshalb mündet diese Laudatio in einen öffentlichen Appell, Verfassungsbeschwerden wie die von Digitalcourage e. V. gegen den Staatstrojaner kräftig und massenhaft zu unterstützen: ein Akt bürgerrechtlicher Notwehr.
BigBrotherAward-Laudator Rolf Gössner war zu dem Gesetzesvorhaben als Gutachter im hessischen Landtag gehört worden; er ist außerdem Sprecher eines Bündnisses von Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen, die sich gegen die geplante Verschärfung des Bremer Polizeigesetzes wehren (https://brementrojaner.de).
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