Montag, 28. Mai 2018

[Chiapas98] Die Verteidigung der Ländereien (Poonal v. 4.4.2018)

(Mexiko-Stadt, 4. April 2018, la jornada).- Mitte März trafen sich Mitglieder von mehr als 20 indigenen Völkern, Vertreter*innen kleinbäuerlicher Gemeinden, Organisationen und Kollektive aus 23 mexikanischen Bundesstaaten in Mexiko-Stadt. Mit ihren eigenen Erfahrungsberichten als Grundlage setzten sie eine Landkarte der Bedrohungen zusammen, denen ihre Territorien ausgesetzt sind. Für die indigene Bevölkerung haben die Ländereien eine besondere Bedeutungen, die sie zum Teil eines größeren Ganzen machen, dem Territorium. Dieses ist ein physischer, vieles umfassender Raum, der gemeinsam und in einer Wechselbeziehung mit der Natur entsteht. Das Territorium umfasst die produktiven Funktionen der Böden, aber auch das Konzept der Heimat, Kultur, Religion, geheiligter Stätten und der Vorfahren, die natürliche Umgebung mit Wasser, Wald und Mineralstoffen.
In Mexiko hat die indigene Bevölkerung Landrechte auf die Gebiete, die sie in der Form der Ejidos oder Agrargemeinden bewohnt und bearbeitet. Über Jahrzehnte stand dieser gemeinschaftliche Landbesitz, der mehr als die Hälfte der Landesfläche ausmacht, dem Vormarsch verschiedener Projekte entgegen. Doch seit den Reformen der Energie- und Extraktivismusgesetze von 2014, die von Präsident Peña Nieta angestoßen und von der Abgeordnetenkammer sowie dem Senat verabschiedet wurden, wurde die Plünderung der indigenen und kleinbäuerlichen Territorien legalisiert. Im Gegensatz zu der Forderung nach Autonomie und Selbstbestimmung der indigenen Völker hat der Staat eine tiefgreifende landwirtschaftliche Gegenreform zugunsten der multinationalen Unternehmen durchgeführt. Die Gründe für die Plünderung können in Infrastruktur-Megaprojekten, aber auch der Konzentration von Land und Wasser durch die Agroindustrie liegen.
Raubzug mit verheerenden Folgen
Die Unternehmen machen der Bevölkerung das Schicksal ihrer Territorien und natürlichen Güter streitig. Es ist ein alles vernichtender Raubzug, die Folgen auf dem mexikanischen Land sind verheerend. Die aus dem erwähnten Treffen resultierende Landkarte der sozialen Dispute und der Umweltkonflikte ist nur ein repräsentatives Beispiel der Gewalt, die dieses Modell hervorgebracht hat.
Im Nordwesten findet die Auseinandersetzung um das Wasser statt; zwischen der Bevölkerung und Unternehmen wie Constellation Brands und Driscoll’s, die praktisch in der Wüste Bier beziehungsweise Erdbeeren für den Export produzieren. Der Kampf des Yaqui-Volkes gegen die Wasserleitung “Independencia”, die das Wasser aus ihrem Fluss für die Nutzung in den Städten Hermosillo und Obregón umleitet, ist emblematisch. In Chihuahua leisten die Rarámuri Widerstand gegen den Bau eines Flughafens, die Durchkreuzung ihrer Territorien durch eine Gaspipeline und die Abholzung ihrer Wälder. Vor Gericht bekamen sie recht. In Coahuila lehnen sich die Bäuer*innen gegen die Einrichtung einer Giftmülldeponie auf. In San Luis Potosí zerstörte das Bergbauunternehmen San Xavier den Berg San Pedro [so wie Bonn ohne den zwei- bis dreifachen Petersberg, Anm. d. Ü.], obwohl die Zivilgesellschaft den Prozess gegen das Unternehmen gewonnen hatte.
Die Totonacos und Chontales aus den Bundesstaaten Veracruz und Tabasco berichten über die Kontamination ihrer Böden und Wasserspeicher durch die Ölförderung. Der Bau des Wasserkraftwerkes Las Cruces in Nayarit droht die Cora-Gemeinden zu überfluten. Die Wixarika verteidigen ihre geheiligten Stätten gegen Bergbau und Staudammprojekte.
Landesweit müssen sich Indigene gegen die Ausplünderung der Ressourcen wehren
Die jungen Tagelöhner*innen in Jalisco erleben bei ihrer Arbeit für die agroindustriellen Konzernriesen ein System moderner Knechtschaft. Die Nahuas aus dem Bundesstaat Colima wehren sich gegen den Bergbau. Die Nahuas aus Michoacán organisieren sich gegen die Gewalt und die Plünderung ihrer Waldbestände. Die Purépechas schafften es, den illegalen Holzschlag zu stoppen, der zur Ökonomie des organisierten Verbrechens gehört. Sie gewannen ihre Wälder und die gemeindebasierte Organisationsformen zurück. In Guanajuato setzt sich die Bevölkerung für ihr Recht auf Wasser ein, das von der Agro- und Autoindustrie vereinnahmt und verseucht wird.
In Guerrero verhinderten die Me’phaa, dass ihr Territorium per Dekret zum Biosphärenreservat erklärt wurde. Und sie errangen dort einen Sieg gegen die Bergbaukonzessionen. Der Rat der Ejidos und Gemeinden in Opposition zum Stauwerk La Parota (Cecop) hat den Bau trotz der enormen Repression gegen seine Mitglieder schon 15 Jahre lang verhindert. Die Bevölkerung der Region La Montaña schützt sich gegen Unsicherheit und Gewalt und Unsicherheit im Bundesstaat Guerrero mit ihren gemeindebasierten Strukturen und Einrichtungen. In Oaxaca leisten Zapotecos, Mixes, Mixtecos, Chontales und Zoques Widerstand gegen Bergbaukonzessionen, die in ihre Territorien eindringen würden. Die Chinantecos wehren sich gegen die Kontaminierung und Zerstörung ihrer Flüsse durch beabsichtigte Wasserkraftwerke. Die Mixtecos, Chatinos und Mexikaner*innen mit afrikanischen Vorfahren (afrodescendientes) verteidigen den Río Verde. Sie lehnen den Bau des Stauwerks Paso de la Reina ab. Ikoojts und Zapotecos gehen gegen die Windkraftunternehmen vor.
Widerstand trotz steigender Gewalt und Repression
Gemeinden der Tepehuas, Nahuas, Otomíes und Totonacos der Bundesstaaten Puebla und Hidalgo organisieren sich gegen die Gaspipeline Tuxpan-Tula. Nahuas und Totonacos, zusammengeschlossen in der Kooperative Tosepan Titataniske, leisten dem Bau eines Wasserkraftwerkes im Río Apulco sowie Bergbau- dem Abbau fossiler Brennstoffe Widerstand. In Chiapas zerstört der Bergbau den sozialen Zusammenhalt. Die Völker der Tzeltal, Chol, Lacandón und Chuj verlieren aufgrund der Naturschutzpolitik die Kontrolle über ihre natürlichen Güter und die Territorien. Die Mayas der Halbinsel Yucatán sehen sich der Invasion der Agroindustrie, sprich dem Anbau von Gensoja und der Massenhaltung von Schweinen und Hühnern, gegenüber. Dazu kommen die Windparks.
Raubbau und Plünderung der indigenen Territorien im ganzen Land haben steigende Gewalt und Repression gefördert. Aber die autochthonen Völker haben sich entschlossen, permanenten Widerstand zu leisten und die Kraft der gemeindebasierten Strukturen zu nutzen, um ihre Territorien und ihre Identität zu verteidigen.
* Ana de Ita ist Leiterin des Studienzentrums für den Wandel im Mexikanischen Landbau (Ceccam)
https://www.npla.de/poonal/die-verteidigung-der-laendereien/

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