»Integrativer Marxismus« – was ist das denn? Thomas Metscher, Autor der jüngst unter diesem Titel erschienenen Veröffentlichung, versteht darunter eine »kritische, kohärente und umfassende, philosophisch begründete dialektische Theorie; eine Theorie, die sich in der Verarbeitung divergenter Momente des Bewusstseins und Wissens, der Wissenschaft und Kultur als philosophische erst konstituiert und entwickelt« (S. 68). Ein so verstandener Marxismus besitze ein Zukunftspotential, »das ihn über jede andere mit ihm konkurrierende wissenschaftliche Weltanschauung« hinaushebt (S. 282), so der Autor.
1934 in Berlin geboren, in einem antifaschistischen Elternhaus aufgewachsen, studierte Metscher an der Freien Universität Berlin sowie in München, Bristol und Heidelberg. Seine Fächer waren Philosophie, Germanistik und Anglistik. Er promovierte 1966 über den irischen Dramatiker, Freiheitskämpfer und Sozialisten Seán O’Casey. Von 1961 an war er ein Jahrzehnt lang Dozent für neuere deutsche Literatur an der Queen's University of Belfast. Anschließend lehrte und forschte er bis zu seiner 1999 erfolgten Emeritierung als Professor für Literaturwissenschaft und Ästhetik an der Universität Bremen. Seither hat er wie auch schon zuvor unzählige Aufsätze, Bücher und Zeitungsaufsätze veröffentlicht.
Seine neueste Publikation ist der Zukunftsfähigkeit des Marxismus gewidmet. Metscher versteht darunter eine Weltsicht des dialektischen Materialismus, die einem »doppelten Anspruch genügt, die Welt – die heutige wie die zukünftige Welt – zu ›interpretieren‹ wie auch sie zu ›verändern‹; denn Interpretation und Veränderung, Theorie und Praxis seien ... als Einheit verstanden, wobei das Erste die Bedingung des Zweiten ist ... Zukunftsfähigkeit heißt aber auch: die Zukunft denkbar machen; dafür Sorge tragen, dass die Zukunft denkbar wird.« (S. 28 f.)
Der Marxismus sei freilich nur unter bestimmten Bedingungen zukunftsfähig – also »nicht in jeder seiner historisch vorliegenden Gestalten«: weder »in der Form des Systems, das mit dem Anspruch einer geschlossenen Totalität der Erkenntnis auftritt, wie in der Form einer nur noch kritischen Theorie, die alles positive Wissen aufzehrt, noch in einer auf bestimmte kategoriale Dimensionen beschränkten Theorie von Teilbereichen« (S. 29).
Metscher beansprucht, die dialektische Theorie als eine wissenschaftliche Weltanschauung zu entwerfen, die zwar auf Marx und Hegel rekurriert, zugleich aber auch gegenwartsbezogen ist und perspektivisch eine Zukunft erschließt, die für viele mit dem Ende der UdSSR für immer untergegangen zu sein scheint. Sein Buch verlangt den diszipliniert mitdenkenden, lernbereiten und lernfähigen Lesenden, den freien Geist und kritischen Kopf, den dialektischen Akrobaten zuweilen, der befähigt ist zur bestimmten Negation, bereit sich die Welt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit anzueignen.
Der Aufbau des Bandes umfasst einen großen Abschnitt der kategorialen Grundlegung. Der Autor beschreibt Problemlage, Aufgabenstellung und Zielsetzung des von Marx und Engels begründeten neuen Materialismus als eines »dynamisch-energetischen« Movens der geschichtlichen Entwicklung. Er entfaltet die Kernkategorien dieses Materialismus: gegenständliche Tätigkeit, Arbeit; Geschichte, Gesellschaft, Politik; Kultur; Ästhetik.
Ferner werden theoretische Erweiterungsfelder abgesteckt: die Religion (ein wichtiges Thema angesichts des Islam und eines zuweilen fortschrittlichen Papstes), Ethik und Humanismus, der Marxismus als Weltanschauungsform im Konnex von Wissenschaft, Kunst und Philosophie. Zwei weitere große Kapitel bearbeiten die Dialektik als Fundamentalkategorie und den Komplex Ideologie. Eingebunden sind weitere Kapitel »Über Kultur der Kritik und den Mangel daran« sowie – vielleicht gut als Einführung am Anfang zu lesen – ein in der Form eines Interviews geführter Epilog »Marxismus im Gespräch«.
Auf die Fülle der Themenstellungen kann hier nur andeutungsweise hingewiesen werden, ohne die durch Thomas Metscher grandios erfolgte Bearbeitung nur annähernd würdigen zu können. Das Buch verdient Leserinnen und Leser, die sich auf der Suche befinden nach einer zukunftsfähigen Theorie in der Tradition der materialistischen Dialektik – Dialektik verstanden sowohl als logisch-methodologischer Weg des Denkens wie auch als Bewegung des Seins. Ihnen sei die Veröffentlichung mit Nachdruck empfohlen und ans Herz gelegt. Ihr Erscheinen steht für eine Sternstunde des marxistischen Denkens der Gegenwart.
Thomas Metscher: »Integrativer Marxismus. Dialektische Studien. Grundlegung«, Mangroven Verlag, 306 Seiten, 25 €
1934 in Berlin geboren, in einem antifaschistischen Elternhaus aufgewachsen, studierte Metscher an der Freien Universität Berlin sowie in München, Bristol und Heidelberg. Seine Fächer waren Philosophie, Germanistik und Anglistik. Er promovierte 1966 über den irischen Dramatiker, Freiheitskämpfer und Sozialisten Seán O’Casey. Von 1961 an war er ein Jahrzehnt lang Dozent für neuere deutsche Literatur an der Queen's University of Belfast. Anschließend lehrte und forschte er bis zu seiner 1999 erfolgten Emeritierung als Professor für Literaturwissenschaft und Ästhetik an der Universität Bremen. Seither hat er wie auch schon zuvor unzählige Aufsätze, Bücher und Zeitungsaufsätze veröffentlicht.
Seine neueste Publikation ist der Zukunftsfähigkeit des Marxismus gewidmet. Metscher versteht darunter eine Weltsicht des dialektischen Materialismus, die einem »doppelten Anspruch genügt, die Welt – die heutige wie die zukünftige Welt – zu ›interpretieren‹ wie auch sie zu ›verändern‹; denn Interpretation und Veränderung, Theorie und Praxis seien ... als Einheit verstanden, wobei das Erste die Bedingung des Zweiten ist ... Zukunftsfähigkeit heißt aber auch: die Zukunft denkbar machen; dafür Sorge tragen, dass die Zukunft denkbar wird.« (S. 28 f.)
Der Marxismus sei freilich nur unter bestimmten Bedingungen zukunftsfähig – also »nicht in jeder seiner historisch vorliegenden Gestalten«: weder »in der Form des Systems, das mit dem Anspruch einer geschlossenen Totalität der Erkenntnis auftritt, wie in der Form einer nur noch kritischen Theorie, die alles positive Wissen aufzehrt, noch in einer auf bestimmte kategoriale Dimensionen beschränkten Theorie von Teilbereichen« (S. 29).
Metscher beansprucht, die dialektische Theorie als eine wissenschaftliche Weltanschauung zu entwerfen, die zwar auf Marx und Hegel rekurriert, zugleich aber auch gegenwartsbezogen ist und perspektivisch eine Zukunft erschließt, die für viele mit dem Ende der UdSSR für immer untergegangen zu sein scheint. Sein Buch verlangt den diszipliniert mitdenkenden, lernbereiten und lernfähigen Lesenden, den freien Geist und kritischen Kopf, den dialektischen Akrobaten zuweilen, der befähigt ist zur bestimmten Negation, bereit sich die Welt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit anzueignen.
Der Aufbau des Bandes umfasst einen großen Abschnitt der kategorialen Grundlegung. Der Autor beschreibt Problemlage, Aufgabenstellung und Zielsetzung des von Marx und Engels begründeten neuen Materialismus als eines »dynamisch-energetischen« Movens der geschichtlichen Entwicklung. Er entfaltet die Kernkategorien dieses Materialismus: gegenständliche Tätigkeit, Arbeit; Geschichte, Gesellschaft, Politik; Kultur; Ästhetik.
Ferner werden theoretische Erweiterungsfelder abgesteckt: die Religion (ein wichtiges Thema angesichts des Islam und eines zuweilen fortschrittlichen Papstes), Ethik und Humanismus, der Marxismus als Weltanschauungsform im Konnex von Wissenschaft, Kunst und Philosophie. Zwei weitere große Kapitel bearbeiten die Dialektik als Fundamentalkategorie und den Komplex Ideologie. Eingebunden sind weitere Kapitel »Über Kultur der Kritik und den Mangel daran« sowie – vielleicht gut als Einführung am Anfang zu lesen – ein in der Form eines Interviews geführter Epilog »Marxismus im Gespräch«.
Auf die Fülle der Themenstellungen kann hier nur andeutungsweise hingewiesen werden, ohne die durch Thomas Metscher grandios erfolgte Bearbeitung nur annähernd würdigen zu können. Das Buch verdient Leserinnen und Leser, die sich auf der Suche befinden nach einer zukunftsfähigen Theorie in der Tradition der materialistischen Dialektik – Dialektik verstanden sowohl als logisch-methodologischer Weg des Denkens wie auch als Bewegung des Seins. Ihnen sei die Veröffentlichung mit Nachdruck empfohlen und ans Herz gelegt. Ihr Erscheinen steht für eine Sternstunde des marxistischen Denkens der Gegenwart.
Thomas Metscher: »Integrativer Marxismus. Dialektische Studien. Grundlegung«, Mangroven Verlag, 306 Seiten, 25 €
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