Nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 trieb es Karl Marx und Friedrich Engels inmitten vieler Flüchtlingsgruppen nach London, da Großbritannien als eines der wenigen europäischen Länder politischen Flüchtlingen Schutz bot. Zu ihrer Stammkneipe erkoren sie das ihnen bereits vertraute (heute nicht mehr existente) Pub Red Lion in der Great Windmill Street, in dessen oberem Saal Ende 1847 der Zweite Kongress des Bundes der Kommunisten getagt und sie beauftragt hatte, ein »Aktionsprogramm« zu verfassen. Was die beiden unzertrennlichen Freunde aus dem Auftrag machten, beeindruckt nach wie vor: das »Manifest der Kommunistischen Partei«. Im Juni 1850 floh mit Wilhelm Liebknecht der spätere Mitbegründer der SPD nach London und blieb zwölf Jahre. Er trat umgehend dem Bund der Kommunisten bei und kam ebenso umgehend mit Marx und Engels in Kontakt. Marx bat ihn, doch im Red Lion vorbeizuschauen. Was dann geschah, schildert Wilhelm Liebknecht in seinen Erinnerungen »Karl Marx zum Gedächtnis« so:
»Ich kam etwas vor der bestimmten Zeit, Marx war noch nicht da; ich fand aber verschiedene alte Bekannte und war mitten in lebhafter Unterhaltung, als Marx mir auf die Schulter klopfte, sehr freundlich grüßend. Engels sei unten im Private Parlour, wo wir mehr für uns seien. Ich wußte nicht, was ein Private Parlour war, und es schwante mir, daß jetzt das ›große‹ Examen bevorstand […] Marx, der denselben sympathischen Eindruck auf mich machte, wie tags zuvor, hatte die Eigenschaft, Vertrauen einzuflößen. Er faßte mich unter den Arm und führte mich in den Private Parlour, das heißt das Privatzimmer des Wirts – oder war es eine Wirtin? –, wo Engels, der sich schon mit einem Zinn-Pot voll schwarzbraunen Stouts versehen hatte, mich sofort unter lustigen Scherzen in Empfang nahm. Im Nu war bei Amy […], der flinken Kellnerin [,…] ›Stoff‹ zum Trinken und auch zum Essen bestellt – bei uns Flüchtlingen spielte die Magenfrage eine hervorragende Rolle –, im Nu war das Bier da, und wir setzten uns nieder, ich auf der einen Seite des Tisches, Marx und Engels mir gegenüber. […]
Im ganzen verlief das Examen nicht ungünstig, und das Gespräch nahm allmählich eine weitere Ausdehnung. Bald waren wir auf dem Gebiet der Naturwissenschaft, und Marx spottete der siegreichen Reaktion in Europa, welche sich einbilde, die Revolution erstickt zu haben, und die nicht ahne, daß die Naturwissenschaft eine neue Revolution vorbereite. Der König Dampf, der im vorigen Jahrhundert die Welt umgewälzt, habe ausregiert, an seine Stelle werde ein noch ungleich größerer Revolutionär treten: der elektrische Funke. Und nun erzählte mir Marx, ganz Feuer und Flamme, daß seit einigen Tagen in der Regent Street das Modell einer elektrischen Maschine ausgestellt sei, die einen Eisenbahntrain ziehe. ›Jetzt ist das Problem gelöst – die Folgen sind unabsehbar. Der ökonomischen Revolution muß mit Notwendigkeit die politische folgen, denn sie ist nur deren Ausdruck.‹ In der Art, wie Marx diesen Fortschritt der Wissenschaft und der Mechanik besprach, trat seine Weltanschauung und namentlich das, was man später als die materialistische Geschichtsauffassung bezeichnet hat, so klar zutage, daß gewisse Zweifel, die ich bisher noch gehegt hatte, wegschmolzen wie Schnee vor der Frühlingssonne. Den Abend kam ich nicht mehr nach Hause – wir sprachen und lachten und tranken bis spät am anderen Morgen, und die Sonne stand schon am Himmel, als ich mich zu Bett legte. […] Ich konnte nicht schlafen. Der Kopf war mir zu voll von allem, was ich gehört; die hin- und herschwirrenden Gedanken trieben mich wieder hinaus, und ich eilte nach Regent‘s Street, um das Modell zu sehen, dieses moderne trojanische Pferd […]. Ein dichter Menschenhaufen zeigte mir das Schaufenster, hinter dem das Modell ausgestellt war. Ich drängte mich durch, richtig, da war die Lokomotive und der Zug – und Lokomotive und Zug liefen lustig herum.«
Wilhelm Liebknecht, der während seiner Londoner Zeit quasi zum Haushalt der Familie Marx in der Dean Street gehörte – »keinen Tag fehlte ich in der Familie« –, verfasste im Frühjahr 1896 seine Erinnerungen an Karl Marx. Dem Himmel sei Dank, möchte ich meinen, denn sonst hätten wir wohl nie erfahren, dass in London schon um 1850 eine elektrische Eisenbahn bestaunt werden konnte und dass Marx bereits verstanden hatte, dass die Dampfkraft in den letzten Zügen lag. Liebknecht wiederum beklagte schon 1896, dass die deutschen Eisenbahner offenbar die elektrischen Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten: »Fünfundvierzig und ein halbes Jahr sind verstrichen, und noch kein Eisenbahnzug wird von einer elektrischen Maschine getrieben. Das bißchen Straßenbahn und was sonst noch durch Elektrizität geleistet wird, will, so viel es auch scheint, doch im Ganzen betrachtet gar wenig besagen. Und es wird, trotz aller epochemachenden Entdeckungen noch einige Zeit dauern, ehe der Blitz, vollständig gezähmt, sich in das Joch der menschlichen Arbeit einspannen läßt und den König Dampf von seinem Thron stößt. Revolutionen vollziehen sich nicht im Handumdrehen. Das tun bloß die politischen Spektakelstücke, die der wunderselige Köhlerglaube so nennt. Und wer die Revolutionen prophezeit, irrt regelmäßig im Datum. Nun – wenn Marx auch ein Prophet war, der scharfen Auges in die Zukunft schaute und weit mehr sah, als gewöhnliche Menschenkinder sehen, so war er doch nie ein Prophezeier.« (Wilhelm Liebknecht: »Karl Marx zum Gedächtnis«, Nürnberg 1896).
»Ich kam etwas vor der bestimmten Zeit, Marx war noch nicht da; ich fand aber verschiedene alte Bekannte und war mitten in lebhafter Unterhaltung, als Marx mir auf die Schulter klopfte, sehr freundlich grüßend. Engels sei unten im Private Parlour, wo wir mehr für uns seien. Ich wußte nicht, was ein Private Parlour war, und es schwante mir, daß jetzt das ›große‹ Examen bevorstand […] Marx, der denselben sympathischen Eindruck auf mich machte, wie tags zuvor, hatte die Eigenschaft, Vertrauen einzuflößen. Er faßte mich unter den Arm und führte mich in den Private Parlour, das heißt das Privatzimmer des Wirts – oder war es eine Wirtin? –, wo Engels, der sich schon mit einem Zinn-Pot voll schwarzbraunen Stouts versehen hatte, mich sofort unter lustigen Scherzen in Empfang nahm. Im Nu war bei Amy […], der flinken Kellnerin [,…] ›Stoff‹ zum Trinken und auch zum Essen bestellt – bei uns Flüchtlingen spielte die Magenfrage eine hervorragende Rolle –, im Nu war das Bier da, und wir setzten uns nieder, ich auf der einen Seite des Tisches, Marx und Engels mir gegenüber. […]
Im ganzen verlief das Examen nicht ungünstig, und das Gespräch nahm allmählich eine weitere Ausdehnung. Bald waren wir auf dem Gebiet der Naturwissenschaft, und Marx spottete der siegreichen Reaktion in Europa, welche sich einbilde, die Revolution erstickt zu haben, und die nicht ahne, daß die Naturwissenschaft eine neue Revolution vorbereite. Der König Dampf, der im vorigen Jahrhundert die Welt umgewälzt, habe ausregiert, an seine Stelle werde ein noch ungleich größerer Revolutionär treten: der elektrische Funke. Und nun erzählte mir Marx, ganz Feuer und Flamme, daß seit einigen Tagen in der Regent Street das Modell einer elektrischen Maschine ausgestellt sei, die einen Eisenbahntrain ziehe. ›Jetzt ist das Problem gelöst – die Folgen sind unabsehbar. Der ökonomischen Revolution muß mit Notwendigkeit die politische folgen, denn sie ist nur deren Ausdruck.‹ In der Art, wie Marx diesen Fortschritt der Wissenschaft und der Mechanik besprach, trat seine Weltanschauung und namentlich das, was man später als die materialistische Geschichtsauffassung bezeichnet hat, so klar zutage, daß gewisse Zweifel, die ich bisher noch gehegt hatte, wegschmolzen wie Schnee vor der Frühlingssonne. Den Abend kam ich nicht mehr nach Hause – wir sprachen und lachten und tranken bis spät am anderen Morgen, und die Sonne stand schon am Himmel, als ich mich zu Bett legte. […] Ich konnte nicht schlafen. Der Kopf war mir zu voll von allem, was ich gehört; die hin- und herschwirrenden Gedanken trieben mich wieder hinaus, und ich eilte nach Regent‘s Street, um das Modell zu sehen, dieses moderne trojanische Pferd […]. Ein dichter Menschenhaufen zeigte mir das Schaufenster, hinter dem das Modell ausgestellt war. Ich drängte mich durch, richtig, da war die Lokomotive und der Zug – und Lokomotive und Zug liefen lustig herum.«
Wilhelm Liebknecht, der während seiner Londoner Zeit quasi zum Haushalt der Familie Marx in der Dean Street gehörte – »keinen Tag fehlte ich in der Familie« –, verfasste im Frühjahr 1896 seine Erinnerungen an Karl Marx. Dem Himmel sei Dank, möchte ich meinen, denn sonst hätten wir wohl nie erfahren, dass in London schon um 1850 eine elektrische Eisenbahn bestaunt werden konnte und dass Marx bereits verstanden hatte, dass die Dampfkraft in den letzten Zügen lag. Liebknecht wiederum beklagte schon 1896, dass die deutschen Eisenbahner offenbar die elektrischen Zeichen der Zeit nicht erkannt hätten: »Fünfundvierzig und ein halbes Jahr sind verstrichen, und noch kein Eisenbahnzug wird von einer elektrischen Maschine getrieben. Das bißchen Straßenbahn und was sonst noch durch Elektrizität geleistet wird, will, so viel es auch scheint, doch im Ganzen betrachtet gar wenig besagen. Und es wird, trotz aller epochemachenden Entdeckungen noch einige Zeit dauern, ehe der Blitz, vollständig gezähmt, sich in das Joch der menschlichen Arbeit einspannen läßt und den König Dampf von seinem Thron stößt. Revolutionen vollziehen sich nicht im Handumdrehen. Das tun bloß die politischen Spektakelstücke, die der wunderselige Köhlerglaube so nennt. Und wer die Revolutionen prophezeit, irrt regelmäßig im Datum. Nun – wenn Marx auch ein Prophet war, der scharfen Auges in die Zukunft schaute und weit mehr sah, als gewöhnliche Menschenkinder sehen, so war er doch nie ein Prophezeier.« (Wilhelm Liebknecht: »Karl Marx zum Gedächtnis«, Nürnberg 1896).
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