Menschen mit Beeinträchtigung und ihre Angehörigen erkämpfen einen Teilerfolg
Über einen Monat lang besetzten Eltern zusammen mit ihren Kindern mit Beeinträchtigung das polnische Parlament. Am vergangenen Sonntag haben sie ihren Protest beendet - nachdem die Regierung ihnen versichert hatte, die Sozialrenten für Menschen mit Behinderung um 19 Prozent auf umgerechnet 250 Euro anzuheben. Den von den Familien eingeforderten Pflegezuschuss von 120 Euro lehnt die rechte Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) jedoch weiterhin ab und bietet stattdessen kostenlose Sachleistungen an, beispielsweise Rollstühle.
»Unser Kampf ist noch keineswegs vorbei, wir werden ihn auf eine andere Weise fortsetzen«, sagte die Sprecherin der Protestaktion Iwona Hartwich. Ihr Sohn Kuba hat mittlerweile Berühmtheit erlangt.
Die Eltern harrten wochenlang in den Fluren des Sejms aus, schliefen auf dem Fußboden, organisierten Pressekonferenzen und kümmerten sich zugleich um ihre Kinder. Bereits am dritten Tag der »Besetzung« besuchte Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda die protestierenden Eltern, später gesellte sich auch Premier Mateusz Morawiecki dazu.
Es verging kaum ein Tag, an dem Abgeordnete auf »absteigendem Ast« nicht einen Menschen im Rollstuhl vor sich herschoben. »Ich arbeite seit Jahren mit vielen Organisationen zusammen, die sich für Menschen mit Behinderung einsetzen. Ich habe dort niemals einen der Politiker getroffen, die heute im Sejm so regsam ihre Anteilnahme kundtun«, bedauert der Blogger Rafał Szymański. Am 21. Mai besuchte auch der frühere polnische Präsident Lech Wałęsa die unbeugsamen Eltern.
Ob dies tatsächlich etwas bewegt hat, bleibt abzuwarten. In der Presse wurde der Blitzbesuch Wałęsas zum Teil als ein »mediales Trauerspiel« abgetan. Ebenso häuften sich im Laufe des Protests die kritischen Stimmen von Menschen mit Beeinträchtigungen, die den Müttern im Sejm vorwarfen, ihre wichtige Aktion zu einer »Reality Show« verkommen zu lassen. Zeitweilig kursierte gar der Verdacht, manche Eltern würden gezielt eingesetzt werden, um Wahlkampf zu betreiben. Eine Mutter hatte vor den Kameras dazu aufgerufen, bei den Kommunalwahlen »bloß nicht die PiS« zu wählen. »Die Eltern im Parlament sprechen nicht für uns alle«, hieß es dazu.
Es gibt Millionen Menschen mit Behinderung in Polen, die eine Verbesserung ihrer Situation fordern. »Wenn aber jeder von uns den Sejm belagert, würde es die Arbeit der Regierung lähmen. Machen wir uns doch nichts vor: Die Probleme waren doch vorher auch schon da«, sagt Bawer Aondo-Aka, promovierter Philosoph, der seit seiner Kindheit im Rollstuhl unterwegs ist.
Dessen ungeachtet wurde Kubas Mutter, Iwona Hartwich, dennoch von einer jubelnden Menge empfangen, als sie das Parlamentsgebäude verließ. Denn unabhängig vom medialen Spektakel macht sie zweifellos auf die reale Situation aufmerksam: Der aktuelle Zustand der Behindertenpflege in Polen ist nicht nur ungerecht, sondern wurde in einem Gutachten gar als verfassungswidrig eingestuft.
Viele Eltern können nicht berufstätig sein, da sie ihre Kinder pflegen. Dafür bekamen sie jedoch bisher nicht mehr als 350 Euro im Monat. Und dies auch nur, insofern keine weiteren Einkommen erzielt werden. Wenn die pflegebedürftigen Kinder volljährig werden, verfällt auch diese ohnehin geringe monatliche Unterstützung. Unrecht hat Hartwich wohl nur, wenn sie behauptet, die PiS verachte die »schwächste Gruppe der Gesellschaft«. Das Gutachten des Verfassungsgerichts wurde 2014 veröffentlicht und wurde von der liberalen Vorgängerregierung ignoriert.
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