Mitteilung
für die Medien, Berlin/Stuttgart/Freiburg, den 08. Februar
2018
Massive Kritik am Koalitionsvertrag von CDU,
CSU und SPD
- Rüstungsexporte an alle kriegführenden und
menschenrechtsverletzenden Staaten müssen gestoppt werden
- Koalitionsvertrag bedeutet ‚Business as usual‘ – mit
tödlichen Folgen auf den Schlachtfeldern der Welt!
- Aktion Aufschrei fordert Kurswechsel mit einem
Rüstungsexport-Kontrollgesetz!
„Die Große Koalition verschenkt die Chance, einen
grundlegenden Kurswechsel in der deutschen
Rüstungsexportpolitik einzuleiten und damit den grausamen
Folgen des deutschen Waffenhandels endlich Einhalt zu
gebieten. Es reicht nicht aus, den Rüstungsexportstopp auf
Länder zu begrenzen, die im Jemen-Krieg beteiligt sind. Und
selbst der Rüstungssexportstopp an im Jemen-Krieg beteiligte
Länder wurde aufgeweicht. Deutsche Rüstungskonzerne können
zudem weiterhin deutsche Exportregeln umgehen, indem sie ihre
Produktion ins Ausland verlegen. Waffen und Munition deutscher
Unternehmen gelangen somit auch über Umwege in Krisen- und
Kriegsregionen. Die Regelungslücken, die dieses Vorgehen
ermöglichen, muss die Große Koalition umgehend schließen.
Rüstungsexporte an alle kriegführenden und
menschenrechtsverletzenden Staaten müssen gestoppt werden“,
fordert Charlotte Kehne, Sprecherin der Kampagne „Aktion
Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ und Referentin für
Rüstungsexportkontrolle bei Ohne Rüstung Leben.
„Die besonders tödlichen Waffenexporte von Kleinwaffen
(Pistolen und Gewehre) wurden von der Großen Koalition zuletzt
um 47 Prozent gesteigert, deutsche Waffenexporte an die
besonders problematischen Drittländer wurden massiv auf über
60 Prozent ausgeweitet. Der Endverbleib deutscher Kriegswaffen
wurde in der Vergangenheit wiederholt gebrochen, daran wird
sich mit dieser laxen Vorlage des Koalitionsvertrags realiter
nichts ändern. Im Fall der Jemen-Kriegsländer sollen sogar
noch Altaufträge umgesetzt werden – wie Schiffslieferungen an
Saudi-Arabien und Panzerexporte an Katar. Weiterhin sollen
Kriegsländer wie der Irak und die Türkei Kriegswaffen aus
Deutschland erhalten. ‚Business as usual‘ heißt die Devise von
CDU, CSU und SPD. In diesem Sinne ist der Koalitionsvertrag
Augenwischerei und dient als Barbiturat fürs Volk. Wird dieser
Koalitionsvertrag umgesetzt, dann schreitet das Massenmorden
mit deutschen Kriegswaffen auf den Schlachtfeldern der Welt
nahezu ungebremst voran“, so die Kritik von Jürgen Grässlin,
Sprecher der Aufschrei-Kampagne und der Deutschen
Friedensgesellschaft (DFG-VK).
Für „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ fordert die
Kampagnensprecherin Christine Hoffmann einen
friedenspolitischen und juristischen Kurswechsel: „Für eine
restriktive Rüstungsexportpolitik springt der gestern bekannt
gewordene Entwurf zum Koalitionsvertrag viel zu kurz.
Angemessen wäre ein Rüstungsexport-Kontrollgesetz zu schaffen
und so auszustatten, dass die Kriegswaffen- und
Rüstungsexporte tatsächlich reduziert und auf Dauer gestoppt
werden. Ein solches Rüstungsexport-Kontrollgesetz fordern wir
mit der „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!“ seit
2011. Es soll u.a. die Vergabe von Lizenzen und den Export
ganzer Waffenfabriken verbieten, den Export von Kleinwaffen
und zugehöriger Munition verbieten, die
Postshipment-Kontrollen massiv verstärken, den Export von
Know-how kontrollieren und eine Verbandsklage ermöglichen, die
Transparenz ausbauen und das erreichte festschreiben
u.v.a.m.“, kommentiert Christine Hoffmann, Sprecherin der
Kampagne „Aktion Aufschrei - Stoppt den Waffenhandel!“ und
pax-christi-Generalsekretärin.
* * *
IMI-Standpunkt 2018/005 (Update 7.2.2018)
Die Militärpolitik im künftigen Koalitionsvertrag der Großen
Koalition
von: Tobias Pflüger und Jürgen Wagner | Veröffentlicht am:
7. Februar 2018
Am 12. Januar 2018 hatten die Verhandler von CDU/CSU und SPD
ihre Sondierungsgespräche abgeschlossen und hielten die
Ergebnisse in einem Sondierungspapier fest, dessen
problematische außen- und sicherheitspolitischen Aspekte leider
in der anschließenden Debatte kaum eine Rolle spielten (siehe
IMI-Standpunkt
2018/002). Am 7. Februar 2018 einigten sich die Parteien dann
auf einen
Entwurf
eines Koalitionsvertrags, der wohl weitgehend identisch
mit der Fassung sein dürfte, über die die SPD-Mitglieder nun
wohl abstimmen werden. Vieles wurde aus dem Sondierungspapier
direkt übernommen, einige Passagen abgeändert und einige kamen –
logischerweise angesichts eines Umfangs von 177
(Koalitionsvertrag) zu 28 (Sondierungspapier) Seiten – neu
hinzu.
Die Absätze zur EU sind weitgehend gleich geblieben,
insbesondere das flammende Bekenntnis zu PESCO, dem aktuell
als „Meilenstein“ auf dem Weg zur weiteren Militarisierung
der EU gehandelten Vorhaben, ist gleichgeblieben (siehe
IMI-Standpunkt
2018/002 und
IMI-Studie
2018/02). Allerdings wurde im Koalitionsvertrag ein Satz zur
beabsichtigten Nutzung des geplanten „Europäischen
Verteidigungsfonds“ hinzugefügt, ein EU-Topf, aus dem in
Kürze jährlich 500 Mio. für Rüstungsforschung und 5 Mrd. für
Rüstungsbeschaffung bereitstehen sollen (siehe
IMI-Analyse
2017/45). Neu ist beispielsweise auch, sich dafür einsetzen
zu wollen, dass für „Ertüchtigungsprojekte im
Sicherheitsbereich auf EU-Ebene (CBSD) rasch ein gesondertes
Finanzinstrument außerhalb der EU-Entwicklungsfinanzierung
eingerichtet wird.“ Ertüchtigung – die Aufrüstung und
Ausrüstung „befreundeter Akteure“ – gewinnt als vermeintlich
politisch wie finanziell „kostengünstigerer“ Weg zur
indirekten Durchsetzung von Interessen immer mehr an
Bedeutung. Aus diesem Grund wurde mit
EU-Entwicklungshilfegeldern hierfür ein eigener Fonds
eingerichtet (siehe
IMI-Studie
2017/15). Die Entwicklungshilfe hier vom Militärhaken zu
lassen, ist zwar gut, ein eigenes EU-Finanzinstrument zur
Ertüchtigung einrichten zu wollen, wird diesen Bestrebungen
aber nur weiter Vorschub leisten.
Auch bezüglich der Eurodrohne gab es im Vergleich zum
Sondierungspapier eine Veränderung: Explizit ist nun die
Rede von der Anschaffung der Heron TP als „Brückenlösung“
bis die Eurodrohne zur Verfügung steht, gleichzeitig wird
die Frage der Bewaffnung vorbehaltlich einer
Bundestagsentscheidung gestellt: „Als Übergangslösung wird
die Drohne HERON TP geleast. Über die Beschaffung von
Bewaffnung wird der Deutsche Bundestag nach ausführlicher
völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer
Würdigung gesondert entscheiden.“
Eine weiterer interessanter Unterschied zwischen beiden
Papieren: Im Sondierungspapier wurden lediglich
„Völkerrechtswidrige Tötungen durch autonome Waffensysteme“
abgelehnt. Nun lautet die Formulierung: „Völkerrechtswidrige
Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.“
Tatsächlich erfolgt kaum eine Drohnen-Tötung gerade seitens
der USA – und zentral über Deutschland von Ramstein aus –
aktuell vollautonom. Allerdings ist kaum davon auszugehen,
dass sich die Große Koalition mit dieser Praxis anlegen will
– weshalb dieser Passus dann aber in dieser Form eingefügt
wurde, ist recht unklar.
Was die Rüstungsexportpolitik anbelangt, wurde der
umstrittene Satz aus dem Sondierungspapier zwar beibehalten,
keine Rüstungsgüter an Länder zu liefern, die am Jemen-Krieg
beteiligt sind. Berichten zufolge sollen hier Vertreter von
CDU und CSU erfolgreich auf eine Aufweichung gedrängt haben,
denn nun wurde folgender Satz nachgeschoben: „Firmen
erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen, dass
bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im
Empfängerland verbleiben.“ Solange also Material nicht
direkt im Krieg selbst zum Einsatz kommt, kann munter
weitergeliefert werden, wie etwa Thomas Wiegold auf
Augengeradeaus
betont: „
Bereits genehmigte Lieferungen, die a
usschließlich
im Empfängerland verbleiben: Das klingt doch wie
maßgeschneidert für die Lieferung von Küstenschutzbooten an
Saudi-Arabien.“ Ansonsten bleiben die kritischen Anmerkungen
zur bereits im Sondierungspapier bekundeten
Absichtserklärung, die Rüstungsexporte „einschränken“ zu
wollen, ebenso für den Koalitionsvertrag gültig (siehe
IMI-Standpunkt
2018/002). Neu ist die explizite Ankündigung, die
Rüstungssexportrichtlinien von 2000 noch in diesem Jahr
überabreiten zu wollen.
Auffällig und neu sind auch Passagen zur atomaren
Rüstungskontrolle: „Wir wollen ein neues konventionelles und
nukleares Wettrüsten auf unserem Kontinent vermeiden.“ Im
besten Fall kann dies als eine Absage gegenüber den immer
lauter werdenden Forderungen nach einer Stationierung
weiterer US-Atomwaffen in Europa verstanden werden. Auf der
anderen Seite wird aber der – eigentlich vom Bundestag 2010
von allen Fraktionen in einem gemeinsamen Antrag geforderten
– Abzug der US-Atomwaffen in Deutschland an „erfolgreiche
Abrüstungsgespräche“ gekoppelt, also angesichts der
aktuellen westlich-russischen Konflikte einstweilen auf den
St. Nimmerleinstag verschoben: „Erfolgreiche
Abrüstungsgespräche schaffen die Voraussetzung für einen
Abzug der in Deutschland und Europa stationierten taktischen
Nuklearwaffen.“
Was die Bundeswehreinsätze anbelangt, hat sich zwischen
Sondierungspapier und Koalitionsvertrag wenig verändert. Vor
allem die Ankündigung, das Afghanistan-Kontingent aufstocken
zu wollen, wurde beibehalten.
Angesichts zahlreicher aktueller Versuche zur
Gegenkonversion, also dem Bestreben, frühere
Bundeswehrliegenschaften zu reaktivieren oder sich neue
Gelände unter den Nagel zu reißen (siehe
IMI-Analyse
2017/038b), ist folgende neue Absichtserklärung von
Interesse: „Vor einer endgültigen Abgabe von Liegenschaften
der Bundeswehr werden wir vor dem Hintergrund der
Trendwenden [Personal, Material, Finanzen] jeweils noch
einmal den zukünftigen Bedarf prüfen. Unseren Bedarf werden
wir auch in Hinblick auf Liegenschaften prüfen, deren Abgabe
bereits vollzogen ist.“
Rüstungspolitisch wichtig ist zudem einerseits, dass eine
starke Betonung auf die Rüstungskooperation in Europa und
damit länderübergreifende Rüstungsprojekte gelegt wird.
Hierdurch sollen Fusionen und Übernahmen und dadurch die
Bildung sogenannte Eurochampions gefördert werden.
Andererseits, dort nämlich, wo deutsche Konzerne aus dem
großen Fressen nicht als Sieger hervorgehen könnten und so
„nationale Schlüsseltechnologien“ in fremde Hände
überzugehen drohen, sollen diese geschützt werden. Dieser
Rüstungsprotektionismus war bereits ein Kernelement im „
Strategiepapier
der Bundesregierung zur Stärkung der
Verteidigungsindustrie in Deutschland“ vom 8. Juli
2015, von einer Möglichkeit, wie dies geschehen könnte, war
darin damals allerdings noch keine Rede. Im
Koalitionsvertrag heißt es nun, man wolle „prüfen, inwieweit
der Ausnahmetatbestand des Art. 346 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union in der
Beschaffungspraxis stärker herangezogen werden kann.“
Artikel 346 setzt die Regeln des Binnenmarktes für den
Rüstungssektor aus. Das heißt, Rüstungsprojekte müssen unter
Berufung auf diesen Artikel nicht europaweit ausgeschrieben
– und die heimischen Konzerne damit einer ggf. stärkeren
Konkurrenz ausgesetzt – werden, sofern ein Staat geltend
macht, hier seien nationale Sicherheitsinteressen im Spiel.
Und schließlich ist vor allem ein Aspekt gleichgeblieben:
Weiter soll alles „auf Grundlage des 51. Finanzplans“
finanziert werden, was zu deutlich saftigeren Steigerungen
des Rüstungshaushaltes führen wird, als es unter einer
Jamaika-Koalition wohl der Fall gewesen wäre. Insgesamt
dürfte es sich hier um Mehrausgaben von zusammen wohl
mindestens 10,2 Mrd. Euro zwischen 2018 und 2021 handeln,
möglicherweise sogar um noch mehr.
Reuters
rechnete beispielsweise bereits zum Sondierungspapier vor:
„Das Entscheidende ist dabei der Verweis auf den 51.
Finanzplan: Er hat zwar auch keine bindende Wirkung, ist
aber die Absichtserklärung der bisherigen großen Koalition,
wie sie sich die Entwicklung des Bundeshaushalts in den vier
Jahren von 2018 bis 2021 vorstellt. Für den Wehretat sieht
der Finanzplan für diesen Zeitraum eine Steigerung um knapp
neun Milliarden Euro auf 42,4 Milliarden Euro vor. Sollte es
zu einer Neuauflage der großen Koalition kommen, kann die
Bundeswehr also mit einer Aufstockung ihres Budgets um neun
Milliarden Euro plus ihrem Anteil an den zwei Milliarden
Euro für Verteidigung und Entwicklungshilfe rechnen.“
Pflichtschuldig haben SPD und CDU/CSU einen
Koalitionsvertrag gegen den Frieden und für Krieg und
Aufrüstung auf den Weg gebracht – und genau dies wird von
ihnen quasi wörtlich auch noch so formuliert: „Wir stärken
unsere Bundeswehr und die europäische Verteidigungsstruktur:
Mehr Personal, beste Ausbildung und moderne Ausstattung bei
der Bundeswehr durch einen höheren Verteidigungsetat. Ausbau
der europäischen Verteidigungsunion mit PESCO, europäischem
Verteidigungsfonds und weiteren Schritten auf dem Weg zur
‚Armee der Europäer‘.“
Es bleibt deshalb zu hoffen, dass die SPD-Mitglieder dem
Koalitionsvertrag die Zustimmung bei der anstehenden
Abstimmung verweigern, auch wenn die allermeisten es, sollte
es dazu kommen, aller Wahrscheinlichkeit nicht aus
friedenspolitischen Motiven tun werden.
http://www.imi-online.de/2018/02/07/koalition-gegen-den-frieden/