Sonntag, 8. Februar 2015
Hausschuhe, Kleister, Fahrtkosten: Jobcenter verzweifeln an Hartz-IV-Extrawürsten
Der Hartz-IV-Regelsatz soll alles abdecken, was ein Mensch in Deutschland zum Leben braucht. Doch kleinkarierte Sonderregeln erlauben allerhand Extra-Zahlungen - und machen die Sozialleistung zum Bürokratiemonster für die Jobcenter-Mitarbeiter.
Das Konzept Hartz IV wurde vor zehn Jahren mit der Absicht eingeführt, den Sozialstaat moderner zu machen. Leistungen sollten einfach und unkompliziert an diejenigen vergeben werden, die zum Überleben in Deutschland Geld vom Staat brauchen.
Eine Pauschale, derzeit sind es 399 Euro für einen Alleinstehenden, soll alles abdecken. Doch zehn Jahre nach der Arbeitsmarktreform zeigt sich: Für Allerhand Extrawürste wurden Aufschläge auf den Regelsatz eingeführt – und die bescheren den Jobcenter-Mitarbeitern zeitraubende Extraarbeit. Die durchschnittliche Akte eines Hartz-IV-Empfängers zählt etwa 650 Seiten.
"Die Hälfte der Arbeitszeit geht flöten"
„Unsere Mitarbeiter haben zu viel mit dem Berechnen von Leistungen zu tun. Die Hälfte ihrer Arbeitszeit geht für Verwaltungstätigkeiten flöten“, beschwert sich Jürgen Wursthorn, Sprecher des Bundesagentur für Arbeit gegenüber FOCUS Online. Der bürokratische Aufwand rund um Hartz IV sei enorm. „Es kann nicht sein, dass wir uns mit DIN-Normen für Gesundheitsschuhe oder Einlagen herumschlagen müssen.“
Hartz IV hat sich zum Bürokratiemonster entwickelt. FOCUS Online zeigt, welche Sonderregeln die Jobcenter belasten:
1. Fahrtkosten für Kinderbesuche
Hartz-IV-Empfänger können 20 Cent pro Kilometer Fahrstrecke erhalten, wenn sie ihre getrennt lebenden Kinder besuchen.
2. Warmwasser-Boiler
Wer warmes Wasser getrennt von der Heizung mit einem elektrisch Boiler aufheizt, bekommt 9,18 Euro Zuschlag auf den Regelsatz.
3. Orthopädische Schuhe und Einlagen
Hat der Arzt gesundheitsbedingt orthopädische Schuhe oder Einlagen verschrieben, gibt es ebenfalls einen Zuschuss vom Staat. Für Gesundheits-Hausschuhe sind das etwa 40 Euro.
4. Wohnungsausstattung:
Geht es um die Erstausstattung einer neu bezogenen Wohnung oder muss diese renoviert werden, gibt es ebenfalls Zuschüsse vom Jobcenter. Doch gerade diese Regelungen sind kompliziert. Wie hoch die finanzielle Unterstützung im Einzelfall ausfällt, ist nämlich von Kommune zu Kommune unterschiedlich geregelt.
Die Stadt Leipzig zahlt beispielsweise vier Euro pro Quadratmeter, wenn beim Umzug in eine neue Wohnung Renovierungsbedarf besteht.
Braucht der Hartz IV-Empfänger Hilfe beim Umzug, kann er sogar noch eine Pauschale für die Verköstigung freiwilliger Umzugshelfer beantragen.. In Hamburg sind das bis zu 25 Euro.
Wer in Düsseldorf renoviert, bekommt grundsätzlich acht Euro für den Transport des Materials. Zusätzlich zahlt der Staat 13,98 Euro für einen Wandanstrich bis 30 und 60 Cent für jeden weiteren Quadratmeter. Auch Kleister wird ersetzt: Bei einer zu tapezierenden Wandfläche von 45 Quadratmetern gibt es zwei Pakete für je 2,20 Euro.
Jeder zweite Mitarbeiter mit Extrawünschen beschäftigt
Aus Sicht der Bundesagentur für Arbeit muss die Bürokratie rund um Hartz IV vereinfacht werden. „Wir müssen davon weg kommen, mehr als die Hälfte unseres Personals in den Jobcentern zur Leistungsberechnung einsetzten zu müssen“, fordert Jürgen Wursthorn. Dabei geht es vor allem um die Verlängerung von Fristen. „Wir schlagen vor, die Leistungsbewilligung von aktuell sechs Monaten auf zwölf Monate zu verlängern.“ Auch wäre den Jobcenter-Mitarbeitern geholfen, wenn der Freibetrag für Kapitalerträge von aktuell zehn Euro pro Monat in einen Jahresfreibetrag von 120 umgewandelt würde. „Dann müssen sie sich nicht jeden Monat mit 1,50 Euro zu viel rumschlagen, sondern können am Jahresende zusammenrechnen.“
aus www.focus.de ...
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