Sonntag, 15. Februar 2015
USA: In Ferguson landen Schwarze wegen nicht bezahlter Geldbußen schnell im Gefängnis
Ferguson im US-Bundesstaat Missouri ist wegen der Ermordung des schwarzen Teenagers Michael Brown durch einen weißen Polizisten zu einem Inbegriff aktueller rassistischer Verhältnisse in den USA geworden. Vor einem US-Bundesgericht haben nun auf den Tag sechs Monate nach Browns Tod am Montag 15 Bürger von Ferguson und Jennings, einem weiteren Vorort der Bezirksstadt St. Louis, zwei Sammelklagen eingereicht. Sie zeigen, dass die vorwiegend afroamerikanische Bevölkerung dort nicht nur von rassistischer Polizeigewalt bedroht ist.
Die Kläger werfen Justiz und Verwaltung von St. Louis County vor, ein rechtswidriges »System zum Eintreiben von Schulden« errichtet zu haben, das unzählige schwarze Bürger ins Gefängnis bringe, weil sie nicht in der Lage sind, Ordnungs- oder Geldbußen zu bezahlen. Damit hätten die Behörden »verfassungswidrige Schuldnergefängnisse« geschaffen, führen die Anwälte der Kläger aus. Die Juristen gehören der Bürgerrechtsorganisation »Equal Justice Under Law« (Gleiches Recht vor dem Gesetz), der Obdachlosenhilfe »ArchCity Defenders« und der Juristischen Fakultät der St. Louis University an.
Wie der Atlanta Black Star online berichtet, belegten die Klagen detailliert, dass vorwiegend schwarze Bürger in der Schuldenhaft landeten. Zumeist seien geringe Geldbußen wegen Schwarzfahrens oder Verkehrsdelikten Anlass für den Erzwingungshaftbefehl gewesen. Die Betroffenen würden ohne anwaltlichen Beistand unbefristet eingesperrt und massiv unter Druck gesetzt, die jeden Tag durch Haft- und Verwaltungsgebühren bis zu einigen hundert US-Dollar in die Höhe schießenden Summen aufzutreiben, um sich »freizukaufen«.
Zu der »grotesken Behandlung«, die ihre Mandanten in der Haft erlitten hätten, so die anwaltlichen Klagebegründungen, gehörte die Unterbringung in überfüllten Zellen, die »mit Blut und Exkrementen verschmiert« seien. Die von allen zu benutzende eine Toilette werde nicht gesäubert. Die Eingesperrten müssten »in dünne Decken gehüllt auf dem Boden schlafen« und »bis zu mehreren Wochen« in der Kleidung ausharren, die sie bei der Verhaftung trugen. Duschen werde nicht gestattet, Zahnpasta, Seife und Hygieneartikel nicht ausgehändigt, selbst wenn Angehörige diese und frische Kleidung in der Haftanstalt abgäben. Medizinische Versorgung werde »routinemäßig verweigert«. Die Essensversorgung sei »unzureichend und nährstoffarm«, Dehydrierung sei Normalzustand, da es Wasser nur aus »faulig riechenden Spendern über dem Klobecken« gebe. Beleidigungen und Verhöhnungen der Armut der Häftlinge durch die Wärter seien an der Tagesordnung. Im Gefängnis von Jennings habe es in diesem Zusammenhang seit 2013 zwei Selbstmorde gegeben. Am schlimmsten aber sei es für die Kläger gewesen, »nicht zu erfahren, wann man wieder entlassen wird«. Angesichts dieser Zustände muteten dem Reporter des Atlanta Black Star die Schilderungen der Kläger wie »aus einer Foltereinrichtung der dritten Welt« an.
Die Anwälte wollen nun mit den Musterklagen für Ferguson und Jennings erreichen, dass St. Louis die Praxis sofort beendet und die Kläger entschädigt. Sie erhoffen sich davon eine Signalwirkung über den Ort hinaus und verweisen darauf, dass der Oberste Gerichtshof der USA es längst für verfassungswidrig erklärt hat, Menschen nur deshalb in Haft zu stecken, weil sie nicht in der Lage sind, eine Geldbuße zu bezahlen. Ferguson mit seinen 21.000 Einwohnern wies 2013 laut New York Times die meisten Haftbefehle wegen des Eintreibens von Geldbußen auf, nämlich 1,5 pro Kopf. Eine Studie des »Brennan Center for Justice« an der New York University School of Law im Jahr 2010 ergab, dass diese Praxis in den USA weit verbreitet ist. Nicht zufällig seien die 15 Bundesstaaten mit den höchsten Belegungsraten in Strafanstalten auch die, in denen die sogenannte Schuldenhaft betrieben werde. Die Studie kommt zu dem Schluß, Afroamerikaner seien »in unverhältnismäßig hoher Zahl« diejenigen, die allein wegen Zahlungsversäumnissen eingesperrt werden.
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