Sonntag, 8. Februar 2015
Bundesregierung will keinen Tag der Befreiung
Sevim Dagdelen, MdB Die Linke
Wenn es ihr genehm ist, behauptet die deutsche Bundesregierung gern einmal, dass sie keine Geschichtspolitik betreiben würde. Doch wenn es konkret wird, tritt eine Geschichtspolitik zutage, die es in sich hat. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zum Gedenken an den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus (Bundestagsdrucksache 18/3779) gibt die Bundesregierung zu, keine eigenen geschichtspolitischen Aktivitäten zu diesem Themenkomplex im Gedenkjahr 2015 zu planen.
So heißt es in der Antwort der Bundesregierung: »Im Gedenkjahr 2015 […] wird die Erinnerung sicherlich auch in den Medien und in der Öffentlichkeit wieder stärker in den Fokus treten.« Damit scheint für die Bundesregierung die Gedenkarbeit erledigt zu sein. Sie hat nämlich nichts in Eigenregie oder in Kooperation anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung geplant. Während den »Vertriebenen« in Deutschland ab diesem Jahr ein »nationaler Gedenktag« gewidmet wird (20. Juni), hat die Bundesregierung keine »entsprechende(n) Planungen«, dem 8. Mai als Tag der Befreiung auch solch eine Ehre zuteil werden zu lassen.
Konsequenterweise hat das Kabinett in Berlin auch keinerlei Interesse am 70. Jahrestag der Befreiung, und ebenso gibt es auch mit den Bundesländern keine Bemühungen um eine Organisierung bzw. Koordination von Veranstaltungen zu diesem wichtigen Datum. Doch die Geschichtsvergessenheit reicht noch weiter.
Besonders zynisch ist die Haltung der Bundesregierung zum Themenkomplex der sowjetischen Kriegsgefangenen im Zweiten Weltkrieg. Eine Singularität der Nazidiktatur bei der Behandlung dieser Kriegsgefangenen will sie nicht erkennen und verharmlost damit die Vernichtungsabsicht der Wehrmacht. Damit verweigert die Bundesregierung noch immer die Anerkennung sowjetischer Kriegsgefangener als Opfer besonders schweren NS-Unrechts. Gegenüber der UdSSR und ihrer Armee, die die Hauptlast bei der Niederringung des europäischen Faschismus getragen hat, ist diese Haltung eine Schande.
Konsequent ist in der Antwort der Bundesregierung auch nicht von der Befreiung vom Faschismus die Rede, sondern es wird stets die Bezeichnung »Ende des Zweiten Weltkrieges« benutzt. In diesem offiziellen Sprachgebrauch scheint eine geschichtsrevisionistische Wende auf. Denn damit fällt man hinter die berühmte Rede des kürzlich verstorbenen Bundespräsidenten Richard von Weizsäckers anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung im Jahr 1985 zurück. Dreißig Jahre nach diesem Schritt in die richtige Richtung des damaligen Staatsoberhauptes ist die Bundesregierung wieder bei der Geschichtspolitik der Bundesrepublik der 50er Jahre angelangt.
Ihr Schweigen zum Versuch einer Umdeutung des faschistischen Vernichtungsfeldzugs Nazideutschlands in eine sowjetische »Invasion« durch den ukrainischen Premier Jazenjuk, wie auch der Persilschein der großen Koalition für die Ehrung von Nazikollaborateuren im Baltikum und in der Ukraine, spiegelt sich in der geschichtsvergessenen Haltung Berlins zum 70. Jahrestag der Befreiung wider. Es herrscht Krieg in Europa. Geschichte wird gemacht.
Quelle : Junge Welt 7. Februar 2015
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