Sonntag, 8. Februar 2015
Keine Pistole, kein Gewehr nach Mexiko
Vorbemerkung: Was leider oft, so auch hier, vergessen bzw. ungenügend berücksichtigt wird: Sowohl die Rüstungsexportrichtlinie der Bundesregierung aus dem Jahr 2000 als auch die entsprechende EU-Richtlinie (2008/944/GASP) beschränken Ihre Exportbeschränkungen für Staaten mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen (die in der praktischen Politik dann so gut wie unbeachtet bleiben), nicht auf Schusswaffen, sondern beziehen sich viel breiter auf Rüstungsgüter (bzw. im EU-Deutsch "Militärtechnologie und Militärgüter").
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Von Barbara Lochbihler
Neues Deutschland vom 05.02.2015
Barbara Lochbihler fordert die EU auf, die katastrophale Menschenrechtslage in dem Latino-Staat ernst zu nehmen
Jetzt musste es sogar der mexikanische Staatssekretär für Menschenrechte Juán Manuel Gómez Robledo einräumen: »Trotz der Fortschritte sehen wir uns bei den Menschenrechten noch immer Herausforderungen gegenüber, die es zu überwinden gilt.« Angesichts Zigtausender Ermordeter, über 24 000 Verschwundener und einer exorbitant steigenden Zahl von Folterungen erscheint dieses Bekenntnis trotzdem bescheiden. Dass Robledo überhaupt zu solchen Eingeständnissen bereit ist, hat einen schlichten Grund: Der unermüdliche Einsatz von Aktivisten sowie Eltern mehrerer Dutzend vermisster Studenten hat die katastrophale Menschenrechtslage Mexikos endlich international die Aufmerksamkeit verschafft, die sie verdient.
Ständig gehen die Angehörigen auf die Straße, seit am 26. September bei einem Massaker von Polizisten und Kriminellen im Bundesstaat Guerrero sechs Menschen starben und 43 verschwanden. Sie fordern Aufklärung und ein Ende der Straflosigkeit. Anfang der Woche nahm eine Delegation an der Sitzung der UN-Kommission gegen das Verschwindenlassen in Genf teil, an diesem Donnerstag sprechen zwei Eltern im Menschenrechtsausschuss des EU-Parlaments, dem ich angehöre.
Was aber tun die EU und ihre Mitgliedsstaaten? Blickt man auf das Globalabkommen zwischen der EU und Mexiko, hätten sie längst alle Geschäfte mit dem Latino-Staat unterbrechen müssen. Denn die Grundlage der Zusammenarbeit, so heißt es dort, sei die Einhaltung der Menschenrechte. Davon kann in Mexiko schon lange keine Rede mehr sein. Immer wieder sind Militärs, hohe Politiker und Polizisten in schwere Verbrechen involviert, und die Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto muss sich mindestens vorwerfen lassen, das kriminelle Treiben billigend in Kauf zu nehmen. Die enge Kooperation zwischen Sicherheitskräften, Bürgermeistern und Mafia ist gerade in Guerrero ein offenes Geheimnis, das auch dem Staatschef nicht entgangen sein kann. Wer als Opfer des mörderischen Konglomerats bei Bundesbehörden um Hilfe ersucht, kann sicher sein, dass er umsonst nach Mexiko-Stadt gereist ist. 98 Prozent aller Verbrechen bleiben straflos.
Woher also nahm die damalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton das Vertrauen, Peña Nieto werde dafür sorgen, »dass diese Verbrechen untersucht und die Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden«? Das antwortete sie auf einen Brief grüner und linker Europaabgeordneter zu dem Massaker. Damals hatte sich der Präsident dadurch hervorgetan, dass er die regionalen Ermittler und damit auch die Angehörigen alleine ließ und den blutigen Angriff nutzte, um gegen den politischen Gegner zu polemisieren.
Ähnlich wie Ashton versagte auch das EU-Parlament. Als es gegolten hätte, in einer Eilresolution deutliche, kritische Signale auszusenden, stärkte eine Mehrheit aus Konservativen, Liberalen und Sozialdemokraten Peña Nietos Kampf gegen die Mafia den Rücken. Damit reproduzierten sie die Legende der mexikanischen Regierung, das Land habe lediglich ein Problem mit kriminellen Gruppen. Dabei bestätigten gerade die Vorfälle vom September das Gegenteil.
Auch die EU trägt hier Verantwortung. Mexiko ist ein wichtiger Handelspartner, ein Sprungbrett für den US-Markt, ein Investitionsland für europäische Firmen. Häufig sind wirtschaftliche Projekte Auslöser von Menschenrechtsverletzungen. Zum Beispiel Energieanlagen oder Bergbauprojekte, die gegen den Willen der Bevölkerung und mit Hilfe der Mafia durchgesetzt werden. Oder denken wir an Rüstungsexporte. Niemand kann ausschließen, dass ausgeführte Waffen in die Hände von Polizisten oder Kriminellen gelangen, die sie gegen Kleinbauern, Indigene und andere Oppositionelle einsetzen. Auch bei an dem Massaker beteiligten Polizisten wurden deutsche Sturmgewehre gefunden.
So kann es nicht weitergehen. Keine Pistole, kein Gewehr darf nach Mexiko geliefert werden. Jede wirtschaftliche Investition muss darauf geprüft werden, welche Konsequenzen sie vor Ort hervorruft. Vor allem aber muss die EU eine Erneuerung des Globalabkommens, die in diesem Jahr verhandelt wird, auf Eis legen, solange keine entschiedenen Schritte zur Verbesserung der Lage unternommen werden. Denn außer Frage steht: Der Druck von außen kann Mexikos Regierung bewegen, ernsthaft Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte einzuleiten.
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