Sonntag, 15. Februar 2015
EMPFEHLUNG: "Franziska Linkerhand" von Brigitte Reimann
Inhalt des Buchs laut Wikipedia:
Franziskas Nacherzählung der sehr schwierigen Jugendzeit, an ihren Geliebten Ben adressiert, setzt kurz nach dem 30. April 1945 ein. Der Führer sei in Berlin „an der Spitze seiner Truppen gefallen". Franziskas Vater, ein protestantischer Verleger alter Schule, im Text stets „Linkerhand“ benannt, distanziert sich im Nachhinein vom Diktator. Er habe ihn nicht gewählt. Die Eltern kommen mit der neuen Gesellschaftsordnung nicht zurecht und gehen Anfang der sechziger Jahre nach Bamberg. Die Architektur liegt in der Familie. Ein Bruder der Großmutter war Stadtbaumeister in Franziskas Geburtsort an der Elbe.[A 2]
Die um 1938 geborene Franziska erzählt von den Maitagen 1945, also vom nahtlosen Übergang in den Bolschewismus. Es wird die rote Fahne herausgehängt. Franziska erweitert ihr Vokabular um das Wort „Kapitalist“. So nennen die Russen den Vater Linkerhand, der seine mittelalterlichen Kunstschätze vergeblich vor den findigen Siegern im Salatbeet vergräbt. Nicht der Vater ernährt die Familie in jenem Frühjahr, sondern vornehmlich Franziskas acht Jahre älterer Bruder Wilhelm.
Mit fünfzehn bekommt Franziska die Regel. Bruder Wilhelm studiert - zweitausend Kilometer von der Schwester entfernt - Kernphysik. Man trifft sich höchstens einmal im Jahr; diskutiert den Fall Oppenheimer. Später promoviert Wilhelm und arbeitet als privilegierter Wissenschaftler in Dubna.
Mit achtzehn wird Franziska von dem 19-jährigen Arbeiter Wolfgang Exß entjungfert. Wilhelm - auf Heimaturlaub - verprügelt den stiernackigen Verführer. Franziska hält zu Wolfgang. Diese Ehe scheitert.
Nach dem August 1961 spaziert Franziska einmal an der Mauer entlang und verurteilt dieses Bauwerk.
Unter ihrem Lehrer Prof. Reger macht Franziska das Diplom. Reger nimmt Franziska sogar in sein Haus auf. Die 24-Jährige dankt es ihm nicht, sondern möchte städtebaulich tätig sein und geht nach Neustadt. Dort wird Genosse Schafheutlin ihr Vorgesetzter. Franziska schließt von den warzenübersäten Fingern des 36-jährigen ehemaligen Bauingenieurs auf Unordnung im sexuellen Bereich. Die geschiedene Franziska soll mit dem 28-jährigen Kollegen Jazwauk - dem letzten Junggesellen auf der Baustelle - die Sanierung der Altstadt planen. Die Neue stürzt sich auf die Arbeit. Chef Schafheutlin hat andere Sorgen als sich für die hochfliegenden Pläne seiner neuen Mitarbeiterin zu erwärmen. Er warnt Franziska von Anfang an eindringlich: Schnell und billig viele Wohnungen für die Berufstätigen bauen sei die vordringliche und einzige Aufgabe. Schafheutlin, der Franziska gelegentlich gern ermahnt[A 3], ist stolz auf die Resultate dank der modernen industriellen Plattenbauweise. Franziska hält dagegen: Abends sei Neustadt „toter als Pompeji und Herkulanum“. Schafheutlin selbst wohnt mit Gattin und vier Kindern in seinem Haus, eine Stunde vom Ort der Handlung entfernt. In Neustadt geht es nicht um Architektur. Dringlicher ist zum Beispiel die „Umerziehung im Arbeitsprozeß“. Gemeint ist die zwangsweise Beschäftigung von „Arbeitsscheuen“, die Schafheutlin nach Errichtung des „antifaschistischen Schutzwalls“ aus Berlin geschickt wurden.
Eines Abends, als Franziska mit Schafheutlin ein Restaurant besucht, entdeckt sie unter den Gästen einen Mann, der Wilhelm ähnelt und nennt den Fremden bei sich Ben. Er heißt Wolfgang Trojanowicz, riecht nach Diesel, tritt Franziska zumeist spöttisch-lehrhaft entgegen und flicht bildungssprachliche Wendungen in seine Rede ein. Der Wohnungsbau in Neustadt habe „eine Siedlung von Fernsehhöhlen“ ergeben. Franziska bewundert Bens männliche Erscheinung: „Wie stark Sie sind“. Zwar küsst er sie einmal, doch den Weg ins Bett findet das Paar erst reichlich zweihundert Seiten später - am Ende des Fragments. Man begegnet sich ab und zu. Der Kipperfahrer Trojanowicz, ein Skeptiker durch und durch, fragt dann Franziska salopp nach Neuigkeiten an der Architekturfront. Franziska wird von Eifersucht geplagt. Ihr Ben tritt mit Sigrid - einer athletischen Erscheinung - auf. Vor Jahren schon hat sich diese Walküre, eine Sport- und Russisch-Lehrerin, an den Geliebten herangemacht. Das Weib schmiegt sich schamlos an ihn; nennt ihn Wölfchen. Franziska gibt sich die Schuld: Betreffs ihres äußeren Erscheinungsbildes schon ziemlich nachlässig bis liederlich[A 4], lässt die gelegentlich Stotternde zu allem Überfluss niemanden an sich heran. Franziska fragt sich, ob das Liebe sei, bejaht und nennt den Geliebten Benjamin. Denn es geht aufwärts. Wolfgang Trojanowicz spricht zu Franziskas Erleichterung leicht pikiert von Sigrid.
Gegen Ende des Fragments gibt Brigitte Reimann endlich Bens Vergangenheit als eine Art Protokoll preis. Von Masuren aus über das vereiste Haff geflüchtet, avanciert er nach dem Kriege zum FDJ-Sekretär und wird am 17. Juni als „roter Agitator“ zu empörten Leipziger Arbeitern vorgeschickt. Genosse Trojanowicz profiliert sich nach dieser Mutprobe - auf der er fliegenden Schraubenschlüsseln ausweichen musste - als Journalist. 1956, während er in Leipzig promoviert, lernt er Sigrid kennen. Im selben Jahr wird Trojanowicz nach den Ungarn-Ereignissen festgenommen und zu vier Jahren Bautzen verurteilt. Im letzten der vier Jahre darf er in einem Haftlager beim Bau eines Kombinats auf der grünen Wiese mitwirken.
Franziska erkennt bald, ihre Arbeit mit Typenprojekten an diesem - wie sie sagt - „architektonischen Verbrechen“ in jener „Hundetürkei“ rund um Neustadt - kann auch eine Technische Zeichnerin machen. Die „Studententräume“ der jungen Architektin halten dem Neustädter Alltag, ausgefüllt auch mit „Fenstersturz, Gashahn, Schlaftabletten“, nicht stand. Franziska gesteht sich ein, sie hat versagt. Die junge Frau hat „den Zweikampf [gegen die Schafheutlin] verloren, noch ehe sie ihn antrat.“ Franziskas Anspruch, „Häuser zu bauen, die ihren Bewohnern das Gefühl von Freiheit und Würde geben“, war viel zu hoch.
Zitat
„..., keine Mauer ist so stark, daß sie nicht eines Tages einfiele...“
Form
Dies dicke Buch kann als phantasievolle Liebesgeschichte gelesen werden. Franziska hat ihren Geliebten Ben erfunden[A 5], bevor sie ihm begegnet. Eigentlich liegt jedoch ein knallharter politischer Text[A 6] vor. Missstände im Wohnungsbau werden unverblümt ausgesprochen.
Wie gesagt, die Ich-Erzählerin Franziska verkündet Ben ihre Geschichte: „...du kannst dir denken...“[24], schreibt sie. Gleich darauf nimmt die allwissende Erzählerin Brigitte Reimann das Heft wieder in die Hand: „Sie [Franziska] wurde zu Haus streng gehalten...“[25] Dieses stilistische Hin und Her wiederholt sich über hunderte Seiten dicht bedruckten Papieres hinweg. Brigitte Reimann blickt in die Zukunft; entschuldigt sich beim Leser für anstehende Wiederholungen[26]. Ihre den Text beherrschende Technik des Bewusstseinsstroms ufert mitunter in Sätzen aus, die keine sind: „Am Ostseestrand erholen sich. Zu Gast bei ihm.“
Wenn Franziska mit dem Erzählen an der Reihe ist, tut sie so, als ob sie Ben bereits jahrelang kennt. Dabei läuft die Handlung in Neustadt nur über ein reichliches Jahr.[28]
Der Text wimmelt von Anspielungen auf erinnernswerte Begebenheiten der Zeitgeschichte. Zum Beispiel wird über Chruschtschows Schuhattacke vor versammelter UNO am 12. Oktober 1960 gesprochen.
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