Sonntag, 8. Februar 2015

Gegner der Geheimdienste – und ihr Chef-Kontrolleur

Die Linke will die Nachrichtendienste "überwinden". Nun führt ausgerechnet ihr Politiker André Hahn das Parlamentarische Kontrollgremium, das BND, MAD und Verfassungsschutz überwacht. Ein paar Mal wurde ihm schon Geheimnisverrat unterstellt, es sollte sogar ermittelt werden. Wie oft genau? Da zuckt André Hahn mit den Schultern. "Das weiß ich nicht mehr", sagt er. Hinten, in der Ecke des Bundestagsbüros des Linke-Politikers steht ein Panzerschrank für geheime Dokumente. Daneben wacht eine große Marx-Statue. Genau darum geht es in dieser Geschichte. Der 51-Jährige ist eine Besonderheit im politischen Berlin. Als Abgeordneter gehört er einer Fraktion an, die auf lange Sicht die Nachrichtendienste abschaffen will. Die Forderung ist Teil der Linke-DNA. Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) gehören zu den beliebtesten Zielscheiben der größten Oppositionsfraktion im Bundestag. Und Hahn ist einer der lauten Kritiker. Zugleich ist Hahn gerade turnusmäßig für ein Jahr Vorsitzender jenes Gremiums im Parlament geworden, das die Geheimdienste kontrollieren soll. Auch Hahn, diplomierter Lehrer und promovierter Politologe, möchte sie eigentlich dichtmachen. Doch nun ist ausgerechnet er kraft seines Amtes oftmals der erste Parlamentarier, bei dem das Telefon klingelt, wenn die Behördenchefs über besonders heikle Vorgänge informieren. Mit Hahn steht zum ersten Mal überhaupt ein Politiker der Linksfraktion dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) vor. Und es gibt nicht wenige im Bundestag, in den Ministerien und in den Diensten, die ihm misstrauen. Die davon ausgehen, dass Hahn nicht nur Kontrolleur, sondern umtriebiger Widersacher sein wird. Einer, der die Arbeit der Dienste sabotieren und Staatsgeheimnisse verraten könnte. Aber hat er das tatsächlich vor? "Als Vertreter der Linken ist meine Haltung klar: Wir müssen die Geheimdienste überwinden", erklärt Hahn. "Dennoch kenne ich die Gesetze und muss über das, was ich im PKGr erfahre, schweigen." Trotzdem will er etwas ändern. Jetzt hat er es mit den mächtigsten Geheimdiensten zu tun Wenn man Hahn in seinem Büro trifft und über die Kontrolle der Nachrichtendienste spricht, dann dauert es nicht lange, bis er auf seine Sitzecke zeigt: Dort saßen bereits die Chefs des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes. Nicht nur bei den PKGr-Mitgliedern der Regierungsfraktion, sondern auch bei ihm, dem Vertreter der Linken, kamen sie zum Antrittsbesuch vorbei. Hahn findet den Stil gut: Auch wenn man selten übereinkommt. Man spricht miteinander. Hahn hat schon ganz andere Zeiten kennengelernt. Als Anfang der 90er-Jahre die damalige PDS in Sachsen einen Abgeordneten für das Kontrollgremium des Verfassungsschutzes im Freistaat aufstellen wollte, blockierte das die CDU-Mehrheit. Vielen missfiel, dass ausgerechnet die SED-Nachfolgepartei die nachrichtendienstliche Arbeit überprüfen sollte. Einen Kandidaten nach dem anderen ließ man durchfallen, etwa die Fraktionssprecher für Inneres und Justiz. Erst als das sächsische Verfassungsgericht verfügte, dass es so nicht weitergeht, wurde ein Kandidat der PDS gewählt. Also wurde 1996 Hahn zum ersten Nachrichtendienstkontrolleur der PDS. Die Aufgabe passte zum fleißigen Aktenleser. Er blieb in dem Gremium bis 2013, auch während seiner Zeit als Parlamentarischer Geschäftsführer und später als Fraktionschef. Seit dieser Legislaturperiode sitzt Hahn im Bundestag. Er hat es nicht mehr nur mit einem Landesamt für Verfassungsschutz, sondern mit den größten Geheimdienstverbänden der Welt zu tun. Als stellvertretendes Mitglied gehört er außerdem dem NSA-Untersuchungsausschuss an, der den Enthüllungen von Edward Snowden nachgeht. Gleichzeitig zog er als Mitglied ins PKGr ein. Nachrichtendienst-Chefs sollen im Bundestag Auskunft geben Für einen Politiker der Opposition bieten diese Posten große Chancen – schließlich stecken die Nachrichtendienste in einer tiefen Krise. Jahrelang konnten die Rechtsterroristen des NSU mordend durch Deutschland ziehen, ohne erkannt zu werden. Nachdem wichtige Akten beim Verfassungsschutz geschreddert wurden, musste der Behördenleiter gehen. Derzeit muss sich im Zuge der Snowden-Affäre vor allem der Bundesnachrichtendienst wegen seiner Überwachungsmethoden rechtfertigen. Selbst führende Staatsrechtler erklärten seine Arbeit für verfassungswidrig. Die schwarz-rote Koalition arbeitet bereits an Reformen in manchen Bereichen. Zwischen den einzelnen Verfassungsschutzämtern sollen Informationen beispielsweise besser ausgetauscht werden. Die Kontrolle der V-Leute soll strenger werden. Auch das PKGr wurde bereits gestärkt. Das Gremium erhält etwa eine Taskforce mit mehreren Mitarbeitern, um eigenen Untersuchungsvorhaben nachzugehen. Für den Oppositionspolitiker Hahn ist das aber erst ein Anfang. "Wir haben mehrere Kontrollbesuche bei den Nachrichtendiensten in Planung. Diese sollen in den kommenden Wochen beginnen", erklärt er. Der Linke-Geheimdienstexperte schlägt zudem vor: "Zweimal im Jahr sollten die Chefs der Nachrichtendienste im Plenum des Bundestags befragt werden. So könnten wir den Bürgern ein Gefühl davon geben, wie wir unsere Kontrollpflicht wahrnehmen", sagt Hahn, der den Geheimdiensten nach eigener Aussage wenigstens das Geheime so weit wie möglich austreiben möchte. Das Wichtigste erfahren die Kontrolleure aus der Zeitung Besonders kritisiert Hahn die Art und Weise, wie die Dienste seiner Meinung nach in dem Gremium Auskunft geben: "Die Bundesregierung und die Dienste entscheiden letztlich selbst darüber, was sie uns mitteilen wollen. Die wichtigsten Dinge erfahren wir leider oft aus der Zeitung. Das ist ein mühseliges Geschäft", findet er "Es geht oft hart zu im Gremium." Er habe dabei häufig das Gefühl, "dass uns nicht die ganze Wahrheit erzählt wird oder Dinge bewusst verschwiegen werden". Formell informiere die Bundesregierung über die allgemeine Lage und Vorgänge von besonderer Bedeutung. "Was aber sind Vorgänge von besonderer Bedeutung?", fragt er. "Dafür brauchen wir klare Vorgaben. Ich hoffe, dass wir diese in unserer Geschäftsordnung festschreiben können." An diesem Mittwoch leitet er die zweite Sitzung des Gremiums, das sich im Untergeschoss des Bundestages in einem abhörsicheren Raum trifft. Hahn wird dann wieder mit den Vertretern jener Behörden zusammensitzen, die er eigentlich abschaffen will. Für ihn ist das kein Widerspruch. "Mein Amt hilft mir, auf die Mängel hinzuweisen." Derzeit gebe es im Bundestag nun einmal keine Mehrheit, um das Vorhaben seiner Partei umzusetzen. Deshalb kümmert er sich in dem Gremium jetzt erst einmal um die Verbesserung der Rahmenbedingungen der Kontrolle. Geheimnisse zu verraten, das habe er übrigens nicht vor. Derartige Anschuldigungen, mit denen er in Sachsen konfrontiert war, haben sich zudem immer wieder in Luft aufgelöst. Hahn erkennt seine Aufgabe an – und auch die Realitäten. Er lehne zwar den Einsatz von Bundeswehrsoldaten im Ausland ab. "Aber wenn sie trotz unserer Gegenstimmen nun einmal im Ausland sind, dann muss ihr Leben auch geschützt werden." Und derzeit passiert das eben auch mithilfe der Geheimdienste.

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