Freitag, 12. April 2013
Keinen Segen für das Militär! Militärseelsorge abschaffen!
IMI-Standpunkt 2013/015
http://www.imi-online.de/2013/03/25/keinen-segen-fur-das-militar-militarseelsorge-abschaffen/
http://www.imi-online.de/download/RS-AUSDRUCK-2-2013.pdf
Rainer Schmid
Es gibt in Deutschland ungefähr 100 evangelische und 100 katholische
Militärpfarrer. Auf evangelischer Seite gibt es auch ein paar
Militärpfarrerinnen.
Militärpfarrer werden von ihrer Heimatkirche für circa 6 Jahre
freigestellt. Sie werden vom Militärischen Abschirmdienst überprüft, sie
werden Bundesbeamte auf Zeit, sie leisten einen Beamten-Eid, sie haben
ihr Büro in der Kaserne, sie fahren Dienstwagen der Bundeswehr, sie
werden direkt vom Bundesministerium für Verteidigung bezahlt, sie tragen
im Auslandseinsatz und auf Kriegsschiffen militärische Kleidung, und sie
haben eine Bundeswehr-Mail-Adresse. Jedes Militärpfarramt ist eine
Dienststelle des Bundesministeriums für Verteidigung.
Dennoch behaupten Militärseelsorger, in ihrem Bekenntnis und in ihrer
Verkündigung unabhängig zu sein. Dies stimmt mit der Praxis nicht
überein. Militärpfarrer sind – siehe oben – vollständig in das Militär
integriert. Das militärische Denken, die militärische Wortwahl und der
militärische Habitus färben auf die Militärpfarrer ab. Es bewerben sich
in der Regel auch nur solche Pfarrer auf die Militärpfarrstellen, die
eine Affinität zu hierarchischen Strukturen haben.
Offiziell sind die Militärpfarrer exemt, das ist lateinisch und heißt
enthoben. Es bedeutet: Militärpfarrer haben keinen militärischen
Dienstgrad. Aber in der Praxis wird ein Militärpfarrer von den Soldaten
entsprechend seiner Bezahlung (A14/15) wie ein Oberstleutnant angesehen
und angesprochen.
Jeder Militärpfarrer untersteht einem Militärdekan. Die Militärdekane
wiederum unterstehen den Militärbischöfen. Es gibt in Deutschland vier
katholische und fünf evangelische Militärdekanate und zwei
Militärbischöfe: einen evangelischen und einen katholischen.
Die beiden Militärbischöfe verfügen jeweils über eine kleine Behörde.
Auf katholischer Seite ist dies das „Katholische Militärbischofsamt“
(KMBA), auf evangelischer Seite das „Evangelische Kirchenamt für die
Bundeswehr“ (EKA). In diesen Behörden sind Militär und Kirche
ununterscheidbar miteinander verbunden. Das „Evangelische Kirchenamt für
die Bundeswehr“ ist, anders als der Name suggeriert, keine kirchliche
Behörde, sondern eine Behörde des Bundesministeriums für Verteidigung.
Aufgaben des KMBA und des EKA sind Pressearbeit, Fortbildungen,
Personal, Fuhrpark, Organisation des „Lebenskundlichen Unterrichts“,
Kontakte zu kirchlichen und militärischen Gremien.
Die Militärseelsorge in Deutschland kostet mindestens 30 Millionen Euro,
wenn man nur die 200 Pfarrhelfer, die Bürokosten und die Dienstfahrten
dazu rechnet. Wenn man aber weitere Nebenkosten, zum Beispiel das EKA
und das KMBA dazurechnet, kommt man leicht auf 50 Millionen Euro im Jahr.
In einer repräsentativen Umfrage* der Bundeswehr aus dem Jahre 2002
wurden Soldaten, die aus einem Auslandseinsatz nach Hause kamen,
befragt: „Mit wem sprechen Sie über Ihre persönlichen Ängste und
Gefühle?“ Die Auswertung der Antworten ergab: 55 % der Soldaten sprechen
darüber mit Kameraden, 46 % mit der Partnerin beziehungsweise dem
Partner, 7% mit dem Vorgesetzten, 9% mit Eltern oder Bekannten, 23%
reden mit niemanden darüber, und nur 1% spricht mit dem
Militärpsychologen, 1% mit dem Arzt, und 1% mit dem Militärpfarrer.
Mehrfachnennungen waren erlaubt.
Andererseits finden es über 80 % der Soldaten gut, wenn bei einem
Auslandseisatz ein Militärpfarrer dabei ist.
Das heißt: Die Soldaten benötigen den Militärpfarrer zwar nur selten für
ein Gespräch, aber sie wollen generell, dass ein Pfarrer dabei ist: Wenn
ein Pfarrer dabei ist, kann das, was wir hier im Ausland tun, nicht so
schlimm sein.
Bei Trauerfeiern für gefallene Soldaten geben die Militärpfarrer diesem
Tod einen Sinn: Diese Soldaten seien für die Freiheit der afghanischen
Frauen gefallen, und man müsse den Auftrag dieser Soldaten nun weiter
führen. Die Militärpfarrer haben die wichtige Aufgabe, in diesen
Grenzsituationen Worte zu finden, zu trösten und eine Trauerfeier
abzuhalten.
Außerdem richtet der Militärpfarrer einzelne Soldaten, die „belastende
Situationen“ erlebt haben, in der Seelsorge wieder auf. Er macht die
Soldaten wieder fit, damit sie weiter kämpfen können.
Darüber hinaus soll ein Militärpfarrer die zu Hause geblieben
Angehörigen begleiten und trösten. Dies alles dient dazu, die Härten des
Krieges abzufedern.
Militärpfarrer rechtfertigen sich gerne mit zwei Argumenten. Erstens:
„Wir tun nur das, was auch die Gefängnispfarrer tun. Wir kümmern uns um
die Sünder.“ Aber dieses Argument trifft nicht zu. Denn es gibt einen
grundsätzlichen Unterschied. Gefängnispfarrer begleiten ihre Klienten
nicht auf gewalttätigen Gruppenreisen, aber Militärpfarrer tun genau dies.
Zweitens sprechen Militärpfarrer gerne von einem Dilemma: Ob man in
einen Bürgerkrieg eingreift oder nicht, man wird so oder so schuldig.
Wir leben nun ´mal in der gefallenen Welt. Seit dem Sündenfall gibt es
die Gewalt.
Aber hat Jesus das Dilemma gepredigt? Oder hat er die Nachfolge
gepredigt? Jesus hat in einer gewalttätigen Welt gelebt, und dennoch hat
er Gewaltfreiheit gelebt. Christen sollen / dürfen in seinem Geist
leben. Christen sollen im Geist der neuen Weltordnung Gottes (des
Reiches Gottes) leben. „Selig sind die Sanftmütigen“ und „selig sind,
die Frieden stiften.“ Er hat gewaltfreie, wirksame Formen des
Widerstandes gelehrt. Seinen Schülern hat er gesagt: „Haltet alles, was
ich euch befohlen habe.“ Dazu gehört auch die Gewaltfreiheit.
Den großen Kirchen fällt es schwer, sich vom Militär abzugrenzen. Das
hat geschichtliche Gründe. Konstantin der Große (4. Jh.) hat das
Christentum zur Staatsreligion gemacht. Seit damals begleiten
Militärpfarrer die Kriegszüge der „christlichen Obrigkeit“. Als Lohn
dafür bekam die Kirche viel Macht und Geld.
Auch Martin Luther hat die Zusammenarbeit von Militär und Kirche
ungebrochen weitergeführt. Im Grundbekenntnis der lutherischen Kirche
steht: Es ist gut, dass „Christen ohne Sünde ... rechtmäßig Kriege
führen … können.“ (Augsburger Bekenntnis, 1530, Artikel 16)
Es gab in der Kirche aber immer Gegenbewegungen. Es gab Franz von
Assisi, der die Gewaltfreiheit gelehrt hat. Und in der Reformationszeit
gab es die Wiedertäufer, zum Beispiel Michael Sattler. Er hat den
Militärdienst abgelehnt und wurde hingerichtet. Andere Wiedertäufer
mussten auswandern.
Nachfahren der Wiedertäufer sind die Mennoniten und die Quäker. Von
diesen kleinen Friedenskirchen können die großen Kirchen heute etwas
lernen. Die großen Kirchen wären außerdem glaubwürdiger, wenn sie die
„Konstantinische Gefangenschaft“ überwinden und sich vom Militär
abgrenzen würden.
Nichts spricht dagegen, dass ein Soldat einen Gottesdienst besucht.
Soldaten sind herzlich eingeladen, beim Abendmahl mit andern
Christ/innen zusammen im Kreis zu stehen und mit anderen Christen
zusammen das Abendmahl zu feiern. Jesus ist auf den Oberzöllner Zachäus
zugegangen. Jesus hat zwischen der Person und ihren Taten unterschieden.
In der DDR waren die Pfarrämter und Kirchengemeinden auf diese Weise
immer offen für Soldaten. In Kaiserslautern gibt es seit 2012 ein
kirchliches Kontakt- und Beratungscafé für amerikanische Soldaten.
Nach dem Fall der Mauer gab es die Chance, das Modell der östlichen
Landeskirchen zu übernehmen. Diese Chance wurde vertan. Gegen alle
Kritik aus östlichen Landeskirchen wurde auch dort das westliche Modell
eingeführt.
Im Jahre 2012 hat sich auf der Herbsttagung des
Dietrich-Bonhoeffer-Vereins in Halle/Saale die „Ökumenische Initiative
zur Abschaffung der Militärseelsorge“ gegründet. Sie wird von über 80
Personen und einigen Organisationen unterstützt. Einer der Unterstützer
ist Professor Dr. Jürgen Moltmann.
Es wurde ein Thesenpapier erarbeitet, eine Website erstellt und ein
Spendenkonto eingerichtet. Durchgeführt wurden Mahnwachen in Hannover
und Köln. Auch auf dem Kirchentag in Hamburg, genauer gesagt auf dem
Markt der Möglichkeiten (2.-4. Mai 2013), wird die Initiative präsent sein.
Rainer Schmid, Friedrichshafen
Website: http://www.militaerseelsorge-abschaffen.de/
Anmerkung:
* Martin Bock, Religion "Religion als Lebensbewältigungsstrategie von
Soldaten - Die Einstellung von Soldaten zu Glaube, Werten und Seelsorge
und ihre Veränderung im Bosnieneinsatz der Bundeswehr"
(Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, Strausberg 2002).
ISSN 0342-2569.
Literatur:
Sylvie Thonak „Evangelische Militärseelsorge und Friedensethik – eine
Problemanzeige“, Zeitschrift Evangelische Theologie (EvTh), 72.
Jahrgang, Heft 3/2012, Juni 2012, Rubrik „Zur Situation“, Seite 221 –
238. ISSN: 0014-3502.
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