Freitag, 19. April 2013

Karl Marx / Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei

Vorbemerkung der Redaktion „Marx wirklich studieren“ Kurzinformation Marx und Engels schrieben das „Manifest“ als Antwort auf die Frage „Was wollen die Kommunis- ten?“. Das „Manifest der Kommunistischen Partei“ ist eines der weltweit bedeutendsten program- matischen Dokumente des wissenschaftlichen Kommunismus, das in über 100 Sprachen übersetzt wurde. Wer dieses kämpferische Geburtsdokument des Kommunismus heute ernsthaft studiert, wird verstehen, wie aktuell – trotz einiger geschichtlich überholter Details – diese Schrift und ihre aus den damaligen Erfahrungen der Arbeiterbewegung verallgemeinerten Grundprinzipien sind. Textgattung / Entstehung / Publikation Das „Manifest der Kommunistischen Partei“ wurde als Programm des internationalen „Bundes der Kommunisten“ von Marx und Engels von Dezember 1847 bis Januar 1848 verfasst und erschien erstmalig in einer deutschsprachigen Broschüre im Februar 1848 in London (am Vorabend der Pa- riser Februarrevolution). Im gleichen Jahr wurde das „Manifest“ in mehrere europäische Sprachen übersetzt und herausgegeben (Französisch, Polnisch, Italienisch, Dänisch, Flämisch, Schwe- disch). Die erste englische Ausgabe erschien 1850 in der Wochenschrift der Chartisten, 1869 und 1885 erschienen russische Ausgaben, 1886 eine spanische Übersetzung und 1890 die letzte von Engels autorisierte deutsche Ausgabe. Kurz-Charakteristik Marx und Engels haben es nicht einfach „Kommunistisches Manifest“ genannt, sondern bewusst „Manifest der Kommunistischen Partei“, um die Rolle der Kommunistischen Partei herauszustellen. Das „Manifest der Kommunistischen Partei“ ist nicht nur die erste, später noch vertiefte wis- senschaftliche Darlegung der Bewegungsgesetze der Gesellschaft, insbesondere der kapitalisti- schen Gesellschaft, eine Analyse und Bewertung der Stellung der verschiedenen Klassen zueinan- der, vor allem der Bourgeoisie und des Proletariats, sondern es ist in erster Linie ein politisches Programm, eine Anleitung zum revolutionären Handeln. Marx und Engels fassen gegen Ende des I. Kapitels zusammen: „Indem wir die allgemeinen Phasen der Entwicklung des Proletariats zeichneten, verfolgten wir den mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg innerhalb der be- stehenden Gesellschaft bis zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht und durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie das Proletariat seine Herrschaft begründet.“ (MEW 4, S. 473) Sie weisen den Weg für die Beseitigung der bürgerlichen Produktionsverhältnisse und für das Endziel, die Aufhebung der Klassengegensätze und Klassen im Kommunismus. Der internationalistische Aufruf am Schluss des „Manifest“, „Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“, ist zugleich eine Kriegserklärung an jeglichen Nationalismus und Chauvinismus. In den vier Kapiteln des „Manifest der Kommunistischen Partei“ werden die ökonomischen Ge- gensätze und die Klassengegensätze in der kapitalistischen Gesellschaft dialektisch und materia- listisch im Zusammenhang und in ihrer Entwicklung analysiert, um dann die Widerspiegelung die- ser objektiven Verhältnisse im Bewusst- sein, im Kampf der Ideologien und schließlich im bewuss- ten Kampf der Kommunisten aufzuzeigen. Das I. Kapitel, das von den geschichtlich entstandenen Klassenverhältnissen ausgeht und den damit verbundenen Klassenkampf zwischen den zwei gro- ßen Klassen Bourgeoisie und Proletariat erklärt, mündet in der historischen Gesetzmäßigkeit, dass der Untergang der Bourgeoisie und der Sieg des Proletariats unvermeidlich sind. Wie dies durch- gesetzt wird, zeigt das II. Kapitel, das vom grundlegenden Verhältnis zwischen Proletariat und Kommunisten handelt, einige wesentliche Merkmale der Kommunistischen Partei in Keimform be- nennt und antikommunistische Vorurteile widerlegt. Kern ist, dass die „kommunistische Revolution“ nur durch das zweifache „radikalste Brechen“ sowohl „mit den überlieferten Eigentumsverhältnis- sen“ als auch „mit den überlieferten Ideen“ siegen kann – und zwar durch das „als herrschende Klasse organisierte Proletariat“ (S. 481). Die Idee der sozialistischen Demokratie und der Diktatur des Proletariats ist bereits in Keimform enthalten, wenn es heißt, „dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist“, die „nur ge- schehen (kann) vermittels despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerli- chen Produktionsverhältnisse“ (S. 481). Im III. Kapital wird erläutert, wie sich der wissenschaft- liche Kommunismus prinzipiell von allen pseudosozialistischen Theorien unterscheidet, und dass er sich von Anfang an im ideologischen Kampf gegen bürgerliche und opportunistische Theorien entwickelt hat. Im IV. Kapitel werden die besonderen Aufgaben der Kommunistischen Partei inner- halb der revolutionären Bewegung herausgearbeitet, die Idee der Hegemonie des Proletariats und des Hinüberwachsens der demokratischen in die sozialistische Revolution erstmals angelegt und der gewaltsame Umsturz der kapitalistischen Verhältnisse durch die kommunistische Revolution propagiert: „Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimli- chen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den ge- waltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klas- sen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu ver- lieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.“ (S. 493) Hinweise (zusätzliche Informationen / Probleme) Alle grundlegenden Aussagen im „Manifest" haben ihre Gültigkeit behalten, auch wenn es in der Tat Feststellungen gibt, die unter den veränderten Bedingungen der heutigen Epoche des Imperia- lismus präzisiert und weiterentwickelt werden müssen. Vor allem die Erfahrungen der Revolution von 1848 in Frankreich und der Pariser Kommune von 1871 führten zu der von Marx und Engels aus der Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ entnommenen wesentlichen Korrektur am „Mani- fest“, „dass die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann“ (siehe „Vorwort zur deutschen Aus- gabe von 1872“), sondern dass sie diese bürgerliche Staatsmaschine in der gewaltsamen Revolu- tion „zerbrechen“ muss. (MEW 33, S. 205 bzw. MEW 8, S. 197) Im „Manifest“ gibt es einige Formulierungen, die den Sprachgebrauch der damaligen Zeit wider- spiegeln und die wir heute kritisieren und nicht verwenden würden. So der Begriff „zivilisierte Län- der“, der für kapitalistisch entwickelte oder bürgerliche Länder (wörtlich heißt civilis = bürgerlich) verwendet wurde, wobei schon im 1. Kapitel auf Distanz gegangen und von der „sogenannten Zivi- lisation“ (MEW 4, S. 466) gesprochen wird. Marx und Engels haben auch die männliche Form „Ar- beiter“ als Synonym für die Arbeiterklasse als Ganzes benutzt, z. B. wenn es im I. Kapitel heißt, „die Bourgeoisie hat auch die Männer gezeugt, ... die modernen Arbeiter, die Proletarier“ (S. 468) oder im II. Kapitel „Die Arbeiter haben kein Vaterland“ (S. 479). Marx und Engels haben jedoch im II. Kapitel des „Manifest“ eindeutig für die Befreiung der Frauen, insbesondere der „weiblichen Ar- beiter“ (wie es im damaligen Sprachgebrauch hieß, z. B. MEW 2, S. 378, oder MEW 23, S. 685) gekämpft. Sie haben vertreten, dass die Beseitigung der ausbeuterischen Produktionsverhältnisse Grundvoraussetzung ist, um die Aufhebung der Knechtung der Frauen in der Gesellschaft und in der Familie, ihrer Rolle als „bloße Produktionsinstrumente“ zu ermöglichen. Die kommunistischen Grundlagen für den Standpunkt zur Frauenfrage hat Engels vor allem in seinem Werk „Der Ur- sprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ begründet und erläutert. Genauer Hinweis auf die von uns verwendeten Quellen Dem hier abgedruckten Text des „Manifest der Kommunistischen Partei“ liegt die letzte von Engels autorisierte deutsche Ausgabe von Mai 1890 zugrunde mit allen Anmerkungen von Engels. Aus- nahmen bilden 5 Stellen (wie in Fußnoten vermerkt), in denen der uns inhaltlich präzisere Text von 1883 (Fußnote 5) bzw. der Text der englischen Ausgabe von 1888 (Fußnote 6, 7, 8, 10) beibe- halten wurde. Der Text wurde der Dietz-Ausgabe der Marx/Engels Werke Band 4 (S. 459–493) entnommen, nach der 8. Auflage von 1979, die auf der 1. Auflage von 1959 beruht. Alle Fußnoten des Dietz-Verlags, die sich ausschließlich auf ältere Ausgaben von 1848, 1872, 1883 und 1888 beziehen, wurden nicht mit aufgenommen. Alle Vorworte von Marx und Engels von 1872 bis 1893 bringen wir im Anhang des Originaltextes nach MEW Band 4 (S. 573–590). Karl Marx / Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei [1848] Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten. Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch ver- schrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten so- wohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zu- rückgeschleudert hätte? Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor. Der Kommunismus wird bereits von allen europäischen Mächten als eine Macht anerkannt. Es ist hohe Zeit, dass die Kommunisten ihre Anschauungsweise, ihre Zwecke, ihre Tendenzen vor der ganzen Welt offen darlegen und dem Märchen vom Gespenst des Kommunismus ein Manifest der Partei selbst entgegenstellen. Zu diesem Zweck haben sich Kommunisten der verschiedensten Nationalität in London versammelt und das folgende Manifest entworfen, das in englischer, französischer, deutscher, italienischer, flä- mischer und dänischer Sprache veröffentlicht wird. I Bourgeois und Proletarier1 [Die Geschichte der Gesellschaft ist seit dem Urkommunismus eine „Geschichte von Klassenkämpfen“] Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft2 ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbro- chenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfen- den Klassen. 1 Unter Bourgeoisie wird die Klasse der modernen Kapitalisten verstanden, die Besitzer der gesellschaftlichen Produk- tionsmittel sind und Lohnarbeit ausnutzen. Unter Proletariat die Klasse der modernen Lohnarbeiter, die, da sie keine ei- genen Produktionsmittel besitzen, darauf angewiesen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um leben zu können. [An- merkung von Engels zur englischen Ausgabe von 1888, aus: MEW 4, S. 462] 2 Das heißt, genau gesprochen, die schriftlich überlieferte Geschichte. 1847 war die Vorgeschichte der Gesellschaft, die gesellschaftliche Organisation, die aller niedergeschriebenen Geschichte vorausging, noch so gut wie unbekannt. Seit- dem hat Haxthausen das Gemeineigentum am Boden in Russland entdeckt, Maurer hat es nachgewiesen als die gesell- schaftliche Grundlage, wovon alle deutschen Stämme geschichtlich ausgingen, und allmählich fand man, dass Dorfge- meinden mit gemeinsamem Bodenbesitz die Urform der Gesellschaft waren von Indien bis Irland. Schließlich wurde die innere Organisation dieser urwüchsigen kommunistischen Gesellschaft in ihrer typischen Form bloßgelegt durch Morgans krönende Entdeckung der wahren Natur der Gens und ihrer Stellung im Stamm. Mit der Auflösung dieser ur- sprünglichen Gemeinwesen beginnt die Spaltung der Gesellschaft in besondre und schließlich einander entgegengesetz- te Klassen. [Anmerkung von Engels zur englischen Ausgabe von 1888 und zur deutschen Ausgabe von 1890, aus: MEW 4, S. 462] Ich habe versucht, diesen Auflösungsprozess in „Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats“ zu verfolgen; zweite Auflage, Stuttgart 1886. [Anmerkung von Engels zur englischen Ausgabe von 1888, aus: MEW 4, S. 462] n den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine vollständige Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine mannigfaltige Abstufung der gesellschaftlichen Stellun- gen. Im alten Rom haben wir Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven; im Mittelalter Feudalherren, Va- sallen, Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene, und noch dazu in fast jeder dieser Klassen wieder beson- dere Abstufungen. Die aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesell- schaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt. Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat. [„Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt“ und die ökonomische und politische Herrschaft der Bourgeoisie entwickelt] Aus den Leibeigenen des Mittelalters gingen die Pfahlbürger der ersten Städte hervor; aus dieser Pfahlbürgerschaft entwickelten sich die ersten Elemente der Bourgeoisie. Die Entdeckung Amerikas, die Umschiffung Afrikas schufen der aufkommenden Bourgeoisie ein neues Terrain. Der ostindische und chinesische Markt, die Kolonisierung von Amerika, der Aus- tausch mit den Kolonien, die Vermehrung der Tauschmittel und der Waren überhaupt gaben dem Handel, der Schifffahrt, der Industrie einen nie gekannten Aufschwung und damit dem revolutionä- ren Element in der zerfallenden feudalen Gesellschaft eine rasche Entwicklung. Die bisherige feudale oder zünftige Betriebsweise der Industrie reichte nicht mehr aus für den mit neuen Märkten anwachsenden Bedarf. Die Manufaktur trat an ihre Stelle. Die Zunftmeister wurden verdrängt durch den industriellen Mittelstand; die Teilung der Arbeit zwischen den verschiedenen Korporationen verschwand vor der Teilung der Arbeit in der einzelnen Werkstatt selbst. Aber immer wuchsen die Märkte, immer stieg der Bedarf. Auch die Manufaktur reichte nicht mehr aus. Da revolutionierte der Dampf und die Maschinerie die industrielle Produktion. An die Stelle der Manufaktur trat die moderne große Industrie, an die Stelle des industriellen Mittelstandes traten die industriellen Millionäre, die Chefs ganzer industrieller Armeen, die modernen Bourgeois. Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt, den die Entdeckung Amerikas vorbereitete. Der Weltmarkt hat dem Handel, der Schifffahrt, den Landkommunikationen eine unermessliche Entwicklung gegeben. Diese hat wieder auf die Ausdehnung der Industrie zurückgewirkt, und in demselben Maße, worin Industrie, Handel, Schifffahrt, Eisenbahnen sich ausdehnten, in demselben Maße entwickelte sich die Bourgeoisie, vermehrte sie ihre Kapitalien, drängte sie alle vom Mittelal- ter her überlieferten Klassen in den Hintergrund. Wir sehen also, wie die moderne Bourgeoisie selbst das Produkt eines langen Entwicklungs- ganges, einer Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und Verkehrsweise ist. Jede dieser Entwicklungsstufen der Bourgeoisie war begleitet von einem entsprechenden poli- tischen Fortschritt. Unterdrückter Stand unter der Herrschaft der Feudalherren, bewaffnete und sich selbst verwaltende Assoziationen in der Kommune3, hier unabhängige städtische Republik, 3 „Kommune“ nannten sich die in Frankreich entstehenden Städte, sogar bevor sie ihren feudalen Herrn und Meistern lokale Selbstverwaltung und politische Rechte als „Dritter Stand“ abzuringen vermochten. Allgemein gesprochen haben wir hier als typisches Land für die ökonomische Entwicklung der Bourgeoisie England, für ihre politische Entwicklung Frankreich angeführt. [Anmerkung von Engels zur englischen Ausgabe von 1888, aus: MEW 4, S. 464] So nannten die Städtebürger Italiens und Frankreichs ihr städtisches Gemeinwesen, nachdem sie die ersten Selbstver- waltungsrechte ihren Feudalherren abgekauft oder abgezwungen hatten. [Anmerkung von Engels zur deutschen Ausga- be von 1890, aus: MEW 4, S. 464] dort dritter steuerpflichtiger Stand der Monarchie, dann zur Zeit der Manufaktur Gegengewicht ge- gen den Adel in der ständischen oder in der absoluten Monarchie, Hauptgrundlage der großen Mo- narchien überhaupt, erkämpfte sie sich endlich seit der Herstellung der großen Industrie und des Weltmarktes im modernen Repräsentativstaat die ausschließliche politische Herrschaft. Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet. [Die Bourgeoisie hat gegenüber dem Feudalismus eine „revolutionäre Rolle“ gespielt und die Produktions- und Gesellschaftsverhältnisse revolutioniert] Die Bourgeoisie hat in der Geschichte eine höchst revolutionäre Rolle gespielt. Die Bourgeoisie, wo sie zur Herrschaft gekommen, hat alle feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen Feudalbande, die den Menschen an seinen natürli- chen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig zerrissen und kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose „bare Zahlung“. Sie hat die heili- gen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Weh- mut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freihei- ten die eine gewissenlose Handelsfreiheit gesetzt. Sie hat, mit einem Wort, an die Stelle der mit religiösen und politischen Illusionen verhüllten Ausbeutung die offene, unverschämte, direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt. Die Bourgeoisie hat dem Familienverhältnis seinen rührend-sentimentalen Schleier abgerissen und es auf ein reines Geldverhältnis zurückgeführt. Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die brutale Kraftäußerung, die die Reaktion so sehr am Mittelalter bewundert, in der trägsten Bärenhäuterei ihre passende Ergänzung fand. Erst sie hat bewiesen, was die Tätigkeit der Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge. Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Pro- duktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu re- volutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbro- chene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ih- rem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neuge- bildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Hei- lige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegensei- tigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen. Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbin- dungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Bo- den der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Ein- führung eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien, die nicht mehr ein- heimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht werden. An die Stelle der alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue, welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimate zu ihrer Befriedigung erheischen. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossen- heit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen Produktion. Die geistigen Erzeugnisse der ein- zelnen Nationen werden Gemeingut. Die nationale Einseitigkeit und Beschränktheit wird mehr und mehr unmöglich, und aus den vielen nationalen und lokalen Literaturen bildet sich eine Weltlitera- tur. Die Bourgeoisie reißt durch die rasche Verbesserung aller Produktionsinstrumente, durch die un- endlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten Nationen in die Zivilisation. Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zugrunde gehn wollen; sie zwingt sie, die sogenannte Zivilisation bei sich selbst einzuführen, d. h. Bourgeois zu werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde. Die Bourgeoisie hat das Land der Herrschaft der Stadt unterworfen. Sie hat enorme Städte ge- schaffen, sie hat die Zahl der städtischen Bevölkerung gegenüber der ländlichen in hohem Grade vermehrt und so einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen. Wie sie das Land von der Stadt, hat sie die barbarischen und halbbarbarischen Länder von den zivi- lisierten, die Bauernvölker von den Bourgeoisvölkern, den Orient vom Okzident abhängig gemacht. Die Bourgeoisie hebt mehr und mehr die Zersplitterung der Produktionsmittel, des Besitzes und der Bevölkerung auf. Sie hat die Bevölkerung agglomeriert, die Produktionsmittel zentralisiert und das Eigentum in wenigen Händen konzentriert. Die notwendige Folge hiervon war die po- litische Zentralisation. Unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen wurden zusammengedrängt in eine Nation, eine Regierung, ein Gesetz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie. Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und ko- lossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen. Unter- jochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegraphen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiff- barmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen – welches frühere Jahrhundert ahnte, dass solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlum- merten. [Die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse rufen Krisen hervor und hemmen die gesellschaftliche Entwicklung – „die Epidemien der Überproduktion“] Wir haben also gesehn: Die Produktions- und Verkehrsmittel, auf deren Grundlage sich die Bour- geoisie heranbildete, wurden in der feudalen Gesellschaft erzeugt. Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung dieser Produktions- und Verkehrsmittel entsprachen die Verhältnisse, worin die feuda- le Gesellschaft produzierte und austauschte, die feudale Organisation der Agrikultur und Manufak- tur, mit einem Wort die feudalen Eigentumsverhältnisse den schon entwickelten Produktivkräften nicht mehr. Sie hemmten die Produktion, statt sie zu fördern. Sie verwandelten sich in ebenso viele Fesseln. Sie mussten gesprengt werden, sie wurden gesprengt. An ihre Stelle trat die freie Konkurrenz mit der ihr angemessenen gesellschaftlichen und politischen Konstitution, mit der ökonomischen und politischen Herrschaft der Bourgeoisklasse. Unter unsern Augen geht eine ähnliche Bewegung vor. Die bürgerlichen Produktions- und Ver- kehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor. Seit Dezennien ist die Geschichte der Industrie und des Handels nur die Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktionsverhältnisse, gegen die Ei- gentumsverhältnisse, welche die Lebensbedingungen der Bourgeoisie und ihrer Herrschaft sind. Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer dro- hender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktiv- kräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre – die Epidemie der Überprodukti- on. Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt; ei- ne Hungersnot, ein allgemeiner Vernichtungskrieg scheinen ihr alle Lebensmittel abgeschnitten zu haben; die Industrie, der Handel scheinen vernichtet, und warum? Weil sie zuviel Zivilisation, zu- viel Lebensmittel, zuviel Industrie, zuviel Handel besitzt. Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfü- gung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Ge- genteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums. Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen. – Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; ander- seits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert. Die Waffen, womit die Bourgeoisie den Feudalismus zu Boden geschlagen hat, richten sich jetzt gegen die Bourgeoisie selbst. [Die Entwicklung der Klasse des Proletariats im kapitalistischen Ausbeutungssystem] Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden – die modernen Arbeiter, die Pro- letarier.4 In demselben Maße, worin sich die Bourgeoisie, d. h. das Kapital, entwickelt, in demselben Maße entwickelt sich das Proletariat, die Klasse der modernen Arbeiter, die nur so lange leben, als sie Ar- beit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt. Diese Arbeiter, die sich stückweis verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt. Die Arbeit der Proletarier hat durch die Ausdehnung der Maschinerie und die Teilung der Arbeit al- len selbständigen Charakter und damit allen Reiz für die Arbeiter verloren. Er wird ein bloßes Zu- behör der Maschine, von dem nur der einfachste, eintönigste, am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird. Die Kosten, die der Arbeiter verursacht, beschränken sich daher fast nur auf die Le- bensmittel, die er zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Race bedarf. Der Preis einer Ware, also auch der Arbeit, ist aber gleich ihren Produktionskosten. In demselben Maße, in dem die Widerwärtigkeit der Arbeit wächst, nimmt daher der Lohn ab. Noch mehr, in demselben Maße, wie Maschinerie und Teilung der Arbeit zunehmen, in demselben Maße nimmt auch die Masse der Ar- 4 [Siehe Vorbemerkung (Red. „Marx wirklich studieren“)] beit zu, sei es durch Vermehrung der Arbeitsstunden, sei es durch Vermehrung der in einer gegebe- nen Zeit geforderten Arbeit, beschleunigten Lauf der Maschinen usw. Die moderne Industrie hat die kleine Werkstube des patriarchalischen Meisters in die große Fabrik des industriellen Kapitalisten verwandelt. Arbeitermassen, in der Fabrik zusammen- gedrängt, werden soldatisch organisiert. Sie werden als gemeine Industriesoldaten unter die Aufsicht einer vollständigen Hierarchie von Unteroffizieren und Offizieren gestellt. Sie sind nicht nur Knechte der Bourgeoisklasse, des Bourgeoisstaates, sie sind täglich und stündlich geknechtet von der Maschine, von dem Aufseher und vor allem von den einzelnen fabrizie- renden Bourgeois selbst. Diese Despotie ist um so kleinlicher, gehässiger, erbitternder, je offe- ner sie den Erwerb als ihren Zweck proklamiert. Je weniger die Handarbeit Geschicklichkeit und Kraftäußerung erheischt, d. h., je mehr die moderne Industrie sich entwickelt, desto mehr wird die Arbeit der Männer durch die der Weiber verdrängt. Geschlechts- und Altersunterschiede haben keine gesellschaftliche Geltung mehr für die Arbeiter- klasse. Es gibt nur noch Arbeitsinstrumente, die je nach Alter und Geschlecht verschiedene Kosten machen. Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, dass er seinen Ar- beitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die andern Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw. Die bisherigen kleinen Mittelstände, die kleinen Industriellen, Kaufleute und Rentiers, die Hand- werker und Bauern, alle diese Klassen fallen ins Proletariat hinab, teils dadurch, dass ihr kleines Kapital für den Betrieb der großen Industrie nicht ausreicht und der Konkurrenz mit den größeren Kapitalisten erliegt, teils dadurch, dass ihre Geschicklichkeit von neuen Produktionsweisen entwer- tet wird. So rekrutiert sich das Proletariat aus allen Klassen der Bevölkerung. [Das Resultat der Kämpfe des Proletariats ist „die immer weiter um sich greifende Vereinigung“ bis hin zum zentralisierten politischen Klassenkampf gegen die Bourgeoisie] Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bour- geoisie beginnt mit seiner Existenz. Im Anfang kämpfen die einzelnen Arbeiter, dann die Arbeiter einer Fabrik, dann die Arbeiter eines Arbeitszweiges an einem Ort gegen den einzelnen Bourgeois, der sie direkt ausbeutet. Sie richten ihre Angriffe nicht nur gegen die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, sie richten sie gegen die Produktionsinstrumente selbst; sie vernichten die fremden konkurrierenden Waren, sie zerschlagen die Maschinen, sie stecken die Fabriken in Brand, sie suchen die untergegangene Stellung des mit- telalterlichen Arbeiters wiederzuerringen. Auf dieser Stufe bilden die Arbeiter eine über das ganze Land zerstreute und durch die Konkurrenz zersplitterte Masse. Massenhaftes Zusammenhalten der Arbeiter ist noch nicht die Folge ihrer eige- nen Vereinigung, sondern die Folge der Vereinigung der Bourgeoisie, die zur Erreichung ihrer ei- genen politischen Zwecke das ganze Proletariat in Bewegung setzen muss und es einstweilen noch kann. Auf dieser Stufe bekämpfen die Proletarier also nicht ihre Feinde, sondern die Feinde ihrer Feinde, die Reste der absoluten Monarchie, die Grundeigentümer, die nichtindustriellen Bourgeois, die Kleinbürger. Die ganze geschichtliche Bewegung ist so in den Händen der Bourgeoisie kon- zentriert; jeder Sieg, der so errungen wird, ist ein Sieg der Bourgeoisie. Aber mit der Entwicklung der Industrie vermehrt sich nicht nur das Proletariat; es wird in größeren Massen zusammengedrängt, seine Kraft wächst, und es fühlt sie mehr. Die Interessen, die Lebens- lagen innerhalb des Proletariats gleichen sich immer mehr aus, indem die Maschinerie mehr und mehr die Unterschiede der Arbeit verwischt und den Lohn fast überall auf ein gleich niedriges Ni- veau herabdrückt. Die wachsende Konkurrenz der Bourgeois unter sich und die daraus hervorge- henden Handelskrisen machen den Lohn der Arbeiter immer schwankender; die immer rascher sich entwickelnde, unaufhörliche Verbesserung der Maschinerie macht ihre ganze Lebensstellung immer unsicherer; immer mehr nehmen die Kollisionen zwischen dem einzelnen Arbeiter und dem einzel- nen Bourgeois den Charakter von Kollisionen zweier Klassen an. Die Arbeiter beginnen damit, Ko- alitionen gegen die Bourgeois zu bilden; sie treten zusammen zur Behauptung ihres Arbeitslohns. Sie stiften selbst dauernde Assoziationen, um sich für die gelegentlichen Empörungen zu verprovi- antieren. Stellenweis bricht der Kampf in Emeuten aus. Von Zeit zu Zeit siegen die Arbeiter, aber nur vorübergehend. Das eigentliche Resultat ihrer Kämpfe ist nicht der unmittelbare Erfolg, sondern die immer weiter um sich grei- fende Vereinigung der Arbeiter. Sie wird befördert durch die wachsenden Kommunika- tionsmittel, die von der großen Industrie erzeugt werden und die Arbeiter der verschie- denen Lokalitäten miteinander in Verbindung setzen. Es bedarf aber bloß der Verbin- dung, um die vielen Lokalkämpfe von überall gleichem Charakter zu einem nationalen, zu einem Klassenkampf zu zentralisieren. Jeder Klassenkampf aber ist ein politischer Kampf. Und die Vereinigung, zu der die Bürger des Mittelalters mit ihren Vizinalwegen Jahrhunderte be- durften, bringen die modernen Proletarier mit den Eisenbahnen in wenigen Jahren zustande. Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augen- blick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst. Aber sie ersteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger. Sie erzwingt die Anerkennung einzelner Interessen der Arbeiter in Gesetzesform, indem sie die Spaltungen der Bourgeoisie unter sich benutzt. So die Zehnstunden- bill in England. Die Kollisionen der alten Gesellschaft überhaupt fördern mannigfach den Entwicklungsgang des Proletariats. Die Bourgeoisie befindet sich in fortwährendem Kampfe: anfangs gegen die Aristokra- tie; später gegen die Teile der Bourgeoisie selbst, deren Interessen mit dem Fortschritt der Industrie in Widerspruch geraten; stets gegen die Bourgeoisie aller auswärtigen Länder. In allen diesen Kämpfen sieht sie sich genötigt, an das Proletariat zu appellieren, seine Hülfe in Anspruch zu neh- men und es so in die politische Bewegung hineinzureißen. Sie selbst führt also dem Proletariat ihre eigenen Bildungselemente, d. h. Waffen gegen sich selbst, zu. Es werden ferner, wie wir sahen, durch den Fortschritt der Industrie ganze Bestandteile der herr- schenden Klasse ins Proletariat hinabgeworfen oder wenigstens in ihren Lebensbedingungen be- droht. Auch sie führen dem Proletariat eine Masse Bildungselemente zu. In Zeiten endlich, wo der Klassenkampf sich der Entscheidung nähert, nimmt der Auflösungspro- zess innerhalb der herrschenden Klasse, innerhalb der ganzen alten Gesellschaft, einen so heftigen, so grellen Charakter an, dass ein kleiner Teil der herrschenden Klasse sich von ihr lossagt und sich der revolutionären Klasse anschließt, der Klasse, welche die Zukunft in ihren Händen trägt. Wie daher früher ein Teil des Adels zur Bourgeoisie überging, so geht jetzt ein Teil der Bourgeoisie zum Proletariat über, und namentlich ein Teil der Bourgeoisideologen, welche zum theoretischen Ver- ständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben. [„Nur das Proletariat (ist) eine wirklich revolutionäre Klasse“] Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüberstehen, ist nur das Proletari- at eine wirklich revolutionäre Klasse. Die übrigen Klassen verkommen und gehen unter mit der großen Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes Produkt. Die Mittelstände, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der Handwerker, der Bauer, sie alle bekämpfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als Mittelstände vor dem Untergang zu sichern. Sie sind also nicht revolutionär, sondern konservativ. Noch mehr, sie sind reaktionär, sie suchen das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Sind sie revolutionär, so sind sie es im Hinblick auf den ihnen bevorstehenden Übergang ins Proletariat, so verteidigen sie nicht ihre gegenwärtigen, sondern ihre zukünftigen Interessen, so verlassen sie ihren eigenen Standpunkt, um sich auf den des Proletariats zu stellen. Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen. Die Lebensbedingungen der alten Gesellschaft sind schon vernichtet in den Lebensbedingungen des Proletariats. Der Proletarier ist eigentumslos; sein Verhältnis zu Weib und Kindern hat nichts mehr gemein mit dem bürgerlichen Familienverhältnis; die moderne industrielle Arbeit, die moderne Un- terjochung unter das Kapital, dieselbe in England wie in Frankreich, in Amerika wie in Deutsch- land, hat ihm allen nationalen Charakter abgestreift. Die Gesetze, die Moral, die Religion sind für ihn ebenso viele bürgerliche Vorurteile, hinter denen sich ebenso viele bürgerliche Interessen ver- stecken. [„Durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie (begründet) das Proletariat seine Herrschaft“] Alle früheren Klassen, die sich die Herrschaft eroberten, suchten ihre schon erworbene Lebensstel- lung zu sichern, indem sie die ganze Gesellschaft den Bedingungen ihres Erwerbs unterwarfen. Die Proletarier können sich die gesellschaftlichen Produktivkräfte nur erobern, indem sie ihre ei- gene bisherige Aneignungsweise und damit die ganze bisherige Aneignungsweise abschaffen. Die Proletarier haben nichts von dem Ihrigen zu sichern, sie haben alle bisherigen Privatsi- cherheiten und Privatversicherungen zu zerstören. Alle bisherigen Bewegungen waren Bewegungen von Minoritäten oder im Interesse von Mi- noritäten. Die proletarische Bewegung ist die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehr- zahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl. Das Proletariat, die unterste Schichte der jetzi- gen Gesellschaft, kann sich nicht erheben, nicht aufrichten, ohne dass der ganze Überbau der Schichten, die die offizielle Gesellschaft bilden, in die Luft gesprengt wird. Obgleich nicht dem Inhalt, ist der Form nach der Kampf des Proletariats gegen die Bourgeoi- sie zunächst ein nationaler. Das Proletariat eines jeden Landes muss natürlich zuerst mit sei- ner eigenen Bourgeoisie fertig werden. Indem wir die allgemeinsten Phasen der Entwicklung des Proletariats zeichneten, ver- folgten wir den mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg innerhalb der bestehenden Gesellschaft bis zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht und durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie das Proletariat seine Herrschaft begründet. [Die Unvermeidlichkeit des Untergangs der Bourgeoisie und des Siegs des Proletariats] Alle bisherige Gesellschaft beruhte, wie wir gesehn haben, auf dem Gegensatz unterdrückender und unterdrückter Klassen. Um aber eine Klasse unterdrücken zu können, müssen ihr Bedingungen ge- sichert sein, innerhalb derer sie wenigstens ihre knechtische Existenz fristen kann. Der Leibeigene hat sich zum Mitglied der Kommune in der Leibeigenschaft herangearbeitet wie der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch des feudalistischen Absolutismus. Der moderne Arbeiter dagegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen sei- ner eigenen Klasse herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich noch schneller als Bevölkerung und Reichtum. Es tritt hiermit offen hervor, dass die Bourgeoisie un- fähig ist, noch länger die herrschende Klasse der Gesellschaft zu bleiben und die Lebensbe- dingungen ihrer Klasse der Gesellschaft als regelndes Gesetz aufzuzwingen. Sie ist unfähig zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu si- chern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss, statt von ihm ernährt zu werden. Die Gesellschaft kann nicht mehr unter ihr leben, d. h., ihr Leben ist nicht mehrverträglich mit der Gesellschaft. Die wesentlichste5 Bedingung für die Existenz und für die Herrschaft der Bourgeoisklas- se ist die Anhäufung des Reichtums in den Händen von Privaten, die Bildung und Ver- mehrung des Kapitals; die Bedingung des Kapitals ist die Lohnarbeit. Die Lohnarbeit beruht ausschließlich auf der Konkurrenz der Arbeiter unter sich. Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandsloser Träger die Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre revolutionäre Vereini- gung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst hinweggezogen,worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihren eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich. II Proletarier und Kommunisten [Der Vorhutscharakter und das nächste Ziel der Kommunistischen Partei] In welchem Verhältnis stehen die Kommunisten zu den Proletariern überhaupt? Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien. Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine sektiererischen6 Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, dass sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, dass sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, wel- che der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Ge- samtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Ar- beiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Be- wegung voraus. Der nächste Zweck der Kommunisten ist derselbe wie der aller übrigen proletarischen Parteien: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisieherrschaft, Erobe- rung der politischen Macht durch das Proletariat. [Bürgerliche Eigentumsverhältnisse und das ausbeuterische System der Lohnarbeit] Die theoretischen Sätze der Kommunisten beruhen keineswegs auf Ideen, auf Prinzipien, die von diesem oder jenem Weltverbesserer erfunden oder entdeckt sind. Sie sind nur allgemeine Ausdrücke tatsächlicher Verhältnisse eines existierenden Klassen- kampfes, einer unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Bewegung. Die Abschaffung bisheriger Eigentumsverhältnisse ist nichts den Kommunismus eigentümlich Bezeichnendes. 5 6 [Nach der Ausgabe von 1883. In der Ausgabe von 1890: „wesentliche“. (Red. „Marx wirklich studieren“)] [Nach der Ausgabe von 1888. In der Ausgabe von 1890: „besonderen“. (Red. „Marx wirklich studieren“)] Alle Eigentumsverhältnisse waren einem beständigen geschichtlichen Wechsel, einer beständigen geschichtlichen Veränderung unterworfen. Die Französische Revolution z. B. schaffte das Feudaleigentum zugunsten des bürgerlichen ab. Was den Kommunismus auszeichnet, ist nicht die Abschaffung des Eigentums überhaupt, sondern die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums. Aber das moderne bürgerliche Privateigentum ist der letzte und vollendetste Ausdruck der Erzeu- gung und Aneignung der Produkte, die auf Klassengegensätzen, auf der Ausbeutung der Mehrheit7 durch die Minderheit8 beruht. In diesem Sinn können die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen. Man hat uns Kommunisten vorgeworfen, wir wollten das persönlich erworbene, selbsterarbeitete Eigentum abschaffen; das Eigentum, welches die Grundlage aller persönlichen Freiheit, Tätigkeit und Selbständigkeit bilde. Erarbeitetes, erworbenes, selbstverdientes Eigentum! Sprecht ihr von dem kleinbürgerlichen, klein- bäuerlichen Eigentum, welches dem bürgerlichen Eigentum vorherging? Wir brauchen es nicht ab- zuschaffen, die Entwicklung der Industrie hat es abgeschafft und schafft es täglich ab. Oder sprecht ihr vom modernen bürgerlichen Privateigentum? Schafft aber die Lohnarbeit, die Arbeit des Proletariers ihm Eigentum? Keineswegs. Sie schafft das Kapital, d. h. das Eigentum, welches die Lohnarbeit ausbeutet, welches sich nur unter der Bedin- gung vermehren kann, dass es neue Lohnarbeit erzeugt, um sie von neuem auszubeuten. Das Eigen- tum in seiner heutigen Gestalt bewegt sich in dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit. Be- trachten wir die beiden Seiten dieses Gegensatzes. Kapitalist sein, heißt nicht nur eine rein persönliche, sondern eine gesellschaftliche Stellung in der Produktion einnehmen. Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz nur durch die gemeinsame Tätigkeit al- ler Mitglieder der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden. Das Kapital ist also keine persönliche, es ist eine gesellschaftliche Macht. Wenn also das Kapital in gemeinschaftliches, allen Mitgliedern der Gesellschaft angehöriges Eigen- tum verwandelt wird, so verwandelt sich nicht persönliches Eigentum in gesellschaftliches. Nur der gesellschaftliche Charakter des Eigentums verwandelt sich. Er verliert seinen Klassencharakter. Kommen wir zur Lohnarbeit. Der Durchschnittspreis der Lohnarbeit ist das Minimum des Arbeitslohnes, d. h. die Summe der Lebensmittel, die notwendig sind, um den Arbeiter als Arbeiter am Leben zu erhalten. Was also der Lohnarbeiter durch seine Tätigkeit sich aneignet, reicht bloß dazu hin, um sein nacktes Leben wie- der zu erzeugen. Wir wollen diese persönliche Aneignung der Arbeitsprodukte zur Wiedererzeu- gung des unmittelbaren Lebens keineswegs abschaffen, eine Aneignung, die keinen Reinertrag üb- riglässt, der Macht über fremde Arbeit geben könnte. Wir wollen nur den elenden Charakter die- ser Aneignung aufheben, worin der Arbeiter nur lebt, um das Kapital zu vermehren, nur so weit lebt, wie es das Interesse der herrschenden Klasse erheischt. In der bürgerlichen Gesellschaft ist die lebendige Arbeit nur ein Mittel, die aufgehäufte Ar- beit zu vermehren. In der kommunistischen Gesellschaft ist die aufgehäufte Arbeit nur ein Mittel, um den Lebensprozess der Arbeiter zu erweitern, zu bereichern, zu befördern. 7 8 [Nach der Ausgabe von 1888. In der Ausgabe von 1890: „einen“. (Red. „Marx wirklich studieren“)] [Nach der Ausgabe von 1888. In der Ausgabe von 1890: „andern“. (Red. „Marx wirklich studieren“)] In der bürgerlichen Gesellschaft herrscht also die Vergangenheit über die Gegenwart, in der kom- munistischen die Gegenwart über die Vergangenheit. In der bürgerlichen Gesellschaft ist das Kapi- tal selbständig und persönlich, während das tätige Individuum unselbständig und unpersönlich ist. Und die Aufhebung dieses Verhältnisses nennt die Bourgeoisie Aufhebung der Persönlichkeit und Freiheit! Und mit Recht. Es handelt sich allerdings um die Aufhebung der Bourgeois-Persönlich- keit, -Selbständigkeit und Freiheit. Unter Freiheit versteht man innerhalb der jetzigen bürgerlichen Produktionsverhältnisse den freien Handel, den freien Kauf und Verkauf. Fällt aber der Schacher, so fällt auch der freie Schacher. Die Redensarten vom freien Schacher, wie alle übrigen Freiheitsbravaden unserer Bourgeoisie, haben überhaupt nur einen Sinn gegenüber dem gebundenen Schacher, gegenüber dem geknechteten Bürger des Mittelalters, nicht aber gegenüber der kommunistischen Aufhebung des Schachers, der bürgerlichen Produktionsverhältnisse und der Bourgeoisie selbst. Ihr entsetzt euch darüber, dass wir das Privateigentum aufheben wollen. Aber in eurer bestehenden Gesellschaft ist das Privateigentum für neun Zehntel ihrer Mitglieder aufgehoben; es existiert gera- de dadurch, dass es für neun Zehntel nicht existiert. Ihr werft uns also vor, dass wir ein Eigentum aufheben wollen, welches die Eigentumslosigkeit der ungeheuren Mehrzahl der Gesellschaft als notwendige Bedingung voraussetzt. Ihr werft uns mit einem Worte vor, dass wir euer Eigentum aufheben wollen. Allerdings, das wollen wir. Von dem Augenblick an, wo die Arbeit nicht mehr in Kapital, Geld, Grundrente, kurz, in eine mo- nopolisierbare gesellschaftliche Macht verwandelt werden kann, d. h. von dem Augenblick, wo das persönliche Eigentum nicht mehr in bürgerliches umschlagen kann, von dem Augenblick an erklärt ihr, die Person sei aufgehoben. Ihr gesteht also, dass ihr unter der Person niemanden anders versteht als den Bourgeois, den bürger- lichen Eigentümer. Und diese Person soll allerdings aufgehoben werden. Der Kommunismus nimmt keinem die Macht, sich gesellschaftliche Produkte anzueignen, er nimmt nur die Macht, sich durch diese Aneignung fremde Arbeit zu unterjochen. Man hat eingewendet, mit der Aufhebung des Privateigentums werde alle Tätigkeit aufhören und eine allgemeine Faulheit einreißen. Hiernach müsste die bürgerliche Gesellschaft längst an der Trägheit zugrunde gegangen sein; denn die in ihr arbeiten, erwerben nicht, und die in ihr erwerben, arbeiten nicht. Das ganze Bedenken läuft auf die Tautologie hinaus, dass es keine Lohnarbeit mehr gibt, sobald es kein Kapital mehr gibt. Alle Einwürfe, die gegen die kommunistische Aneignungs- und Produktionsweise der materiellen Produkte gerichtet werden, sind ebenso auf die Aneignung und Produktion der geistigen Produkte ausgedehnt worden. Wie für den Bourgeois das Aufhören des Klasseneigentums das Aufhören der Produktion selbst ist, so ist für ihn das Aufhören der Klassenbildung identisch mit dem Aufhören der Bildung überhaupt. Die Bildung, deren Verlust er bedauert, ist für die enorme Mehrzahl die Heranbildung zur Maschi- ne. Aber streitet nicht mit uns, indem ihr an euren bürgerlichen Vorstellungen von Freiheit, Bildung, Recht usw. die Abschaffung des bürgerlichen Eigentums messt. Eure Ideen selbst sind Erzeugnisse der bürgerlichen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, wie euer Recht nur der zum Gesetz erho- bene Wille eurer Klasse ist, ein Wille, dessen Inhalt gegeben ist in den materiellen Lebensbedin- gungen eurer Klasse. Die interessierte Vorstellung, worin ihr eure Produktions- und Eigentumsverhältnisse aus geschicht- lichen, in dem Lauf der Produktion vorübergehenden Verhältnissen in ewige Natur- und Vernunft- gesetze verwandelt, teilt ihr mit allen untergegangenen herrschenden Klassen. Was ihr für das anti- ke Eigentum begreift, was ihr für das feudale Eigentum begreift, dürft ihr nicht mehr begreifen für das bürgerliche Eigentum. Aufhebung der Familie! Selbst die Radikalsten ereifern sich über diese schändliche Absicht der Kommunisten. [Bürgerliche Familie, Erziehung und Ehe] Worauf beruht die gegenwärtige, die bürgerliche Familie? Auf dem Kapital, auf dem Privat- erwerb. Vollständig entwickelt existiert sie nur für die Bourgeoisie; aber sie findet ihre Ergänzung in der erzwungenen Familienlosigkeit der Proletarier und der öffentlichen Prostitution. Die Familie der Bourgeois fällt natürlich weg mit dem Wegfallen dieser ihrer Ergänzung, und beide verschwinden mit dem Verschwinden des Kapitals. Werft ihr uns vor, dass wir die Ausbeutung der Kinder durch ihre Eltern aufheben wollen? Wir ge- stehen dieses Verbrechen ein. Aber, sagt ihr, wir heben die trautesten Verhältnisse auf, indem wir an die Stelle der häuslichen Er- ziehung die gesellschaftliche setzen. Und ist nicht auch eure Erziehung durch die Gesellschaft bestimmt? Durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, innerhalb derer ihr erzieht, durch die direktere oder indirektere Einmischung der Ge- sellschaft, vermittelst der Schule usw.? Die Kommunisten erfinden nicht die Einwirkung der Ge- sellschaft auf die Erziehung; sie verändern nur ihren Charakter, sie entreißen die Erziehung dem Einfluss der herrschenden Klasse. Die bürgerlichen Redensarten über Familie und Erziehung, über das traute Verhältnis von Eltern und Kindern werden um so ekelhafter, je mehr infolge der großen Industrie alle Familienbande für die Proletarier zerrissen und die Kinder in einfache Handelsartikel und Arbeitsinstrumente verwan- delt werden. Aber ihr Kommunisten wollt die Weibergemeinschaft einführen, schreit uns die ganze Bourgeoisie im Chor entgegen. Der Bourgeois sieht in seiner Frau ein bloßes Produktionsinstrument. Er hört, dass die Produktions- instrumente gemeinschaftlich ausgebeutet werden sollen, und kann sich natürlich nichts anderes denken, als dass das Los der Gemeinschaftlichkeit die Weiber gleichfalls treffen wird. Er ahnt nicht, dass es sich eben darum handelt, die Stellung der Weiber als bloßer Produktionsin- strumente aufzuheben. Übrigens ist nichts lächerlicher als das hochmoralische Entsetzen unsrer Bourgeois über die angeb- liche offizielle Weibergemeinschaft der Kommunisten. Die Kommunisten brauchen die Weiberge- meinschaft nicht einzuführen, sie hat fast immer existiert. Unsre Bourgeois, nicht zufrieden damit, dass ihnen die Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen, von der offiziellen Prostitution gar nicht zu sprechen, finden ein Hauptvergnügen darin, ihre Ehefrauen wechselseitig zu verführen. Die bürgerliche Ehe ist in Wirklichkeit die Gemeinschaft der Ehefrauen. Man könnte höchstens den Kommunisten vorwerfen, dass sie an Stelle einer heuchlerisch versteckten eine offizielle, offenher- zige Weibergemeinschaft einführen wollten. Es versteht sich übrigens von selbst, dass mit Aufhe- bung der jetzigen Produktionsverhältnisse auch die aus ihnen hervorgehende Weibergemeinschaft, d. h. die offizielle und nichtoffizielle Prostitution, verschwindet. [Die Arbeiterinnen und Arbeiter „haben kein Vaterland“] Den Kommunisten ist ferner vorgeworfen worden, sie wollten das Vaterland, die Nationalität ab- schaffen. Die Arbeiter9 haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht ha- ben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur füh- renden Klasse der Nation10 erheben, sich selbst als Nation konstituieren muss, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie. Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse. Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, we- nigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung. In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Natio- nen gegeneinander. [Das zweifache „radikalste Brechen“: nicht nur mit den Eigentumsverhältnissen, sondern auch mit der Ideologie] Die Anklagen gegen den Kommunismus, die von religiösen, philosophischen und ideologischen Gesichtspunkten überhaupt erhoben werden, verdienen keine ausführlichere Erörterung. Bedarf es tiefer Einsicht, um zu begreifen, dass mit den Lebensverhältnissen der Menschen, mit ih- ren gesellschaftlichen Beziehungen, mit ihrem gesellschaftlichen Dasein, auch ihre Vorstellungen, Anschauungen und Begriffe, mit einem Worte auch ihr Bewusstsein sich ändert? Was beweist die Geschichte der Ideen anders, als dass die geistige Produktion sich mit der materiel- len umgestaltet? Die herrschenden Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden Klasse. Man spricht von Ideen, welche eine ganze Gesellschaft revolutionieren; man spricht damit nur die Tatsache aus, dass sich innerhalb der alten Gesellschaft die Elemente einer neuen gebildet haben, dass mit der Auflösung der alten Lebensverhältnisse die Auflösung der alten Ideen gleichen Schritt hält. Als die alte Welt im Untergehen begriffen war, wurden die alten Religionen von der christlichen Religion besiegt. Als die christlichen Ideen im 18. Jahrhundert den Aufklärungsideen unterlagen, rang die feudale Gesellschaft ihren Todeskampf mit der damals revolutionären Bourgeoisie. Die Ideen der Gewissens- und Religionsfreiheit sprachen nur die Herrschaft der freien Konkurrenz auf dem Gebiete des Wissens aus. „Aber“, wird man sagen, „religiöse, moralische, philosophische, politische, rechtliche Ideen usw. modifizierten sich allerdings im Lauf der geschichtlichen Entwicklung. Die Religion, die Moral, die Philosophie, die Politik, das Recht erhielten sich stets in diesem Wechsel. Es gibt zudem ewige Wahrheiten, wie Freiheit, Gerechtigkeit usw., die allen gesellschaftlichen Zu- ständen gemeinsam sind. Der Kommunismus aber schafft die ewigen Wahrheiten ab, er schafft die Religion ab, die Moral, statt sie neu zu gestalten, er widerspricht also allen bisherigen geschichtli- chen Entwicklungen.“ 9 [Siehe Vorbemerkung (Red. „Marx wirklich studieren“)] [Nach der Ausgabe von 1888. In der Ausgabe von 1890: „nationalen Klasse“. (Red. „Marx wirklich studieren“)] Worauf reduziert sich diese Anklage? Die Geschichte der ganzen bisherigen Gesellschaft bewegte sich in Klassengegensätzen, die in den verschiedenen Epochen verschieden gestaltet waren. Welche Form sie aber auch immer angenommen, die Ausbeutung des einen Teils der Gesellschaft durch den andern ist eine allen vergangenen Jahrhunderten gemeinsame Tatsache. Kein Wunder daher, dass das gesellschaftliche Bewusstsein aller Jahrhunderte, aller Mannigfaltigkeit und Ver- schiedenheit zum Trotz, in gewissen gemeinsamen Formen sich bewegt, in Bewusstseinsformen, die nur mit dem gänzlichen Verschwinden des Klassengegensatzes sich vollständig auflösen. Die kommunistische Revolution ist das radikalste Brechen mit den überlieferten Eigen- tumsverhältnissen; kein Wunder, dass in ihrem Entwicklungsgange am radikalsten mit den überlieferten Ideen gebrochen wird. Doch lassen wir die Einwürfe der Bourgeoisie gegen den Kommunismus. [Der Staat „des als herrschende Klasse organisierten Proletariats“ beinhaltet die „Erkämpfung der Demokratie“ und „despotische Eingriffe in das Eigentumsrecht“] Wir sahen schon oben, dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren. Es kann dies natürlich zunächst nur geschehn vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produkti- onsweise unvermeidlich sind. Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein. Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können: 1. Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben. 2. Starke Progressivsteuer. 3. Abschaffung des Erbrechts. 4. Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen. 5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol. 6. Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats. 7. Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan. 8. Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau. 9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseiti- gung des Unterschieds von Stadt und Land. 10. Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw. usw. [Das Endziel der proletarischen Revolution: Aufhebung der Klassen im Kommunismus] Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produkti- on in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse ver- eint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Pro- duktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegens- ätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. III Sozialistische und kommunistische Literatur [Dominante Strömungen in der damaligen Zeit] 1. Der reaktionäre Sozialismus a) Der feudale Sozialismus [Der reaktionäre Charakter des feudalen Sozialismus] Die französische und englische Aristokratie war ihrer geschichtlichen Stellung nach dazu berufen, Pamphlete gegen die moderne bürgerliche Gesellschaft zu schreiben. In der französischen Julirevo- lution von 1830, in der englischen Reformbewegung war sie noch einmal dem verhassten Empor- kömmling erlegen. Von einem ernsten politischen Kampfe konnte nicht mehr die Rede sein. Nur der literarische Kampf blieb ihr übrig. Aber auch auf dem Gebiete der Literatur waren die alten Re- densarten der Restaurationszeit11 unmöglich geworden. Um Sympathie zu erregen, musste die Aris- tokratiescheinbar ihre Interessen aus dem Auge verlieren und nur im Interesse der exploitierten Ar- beiterklasse ihren Anklageakt gegen die Bourgeoisie formulieren. Sie bereitete so die Genugtuung vor, Schmählieder auf ihren neuen Herrscher singen und mehr oder minder unheilschwangere Pro- phezeiungen ihm ins Ohr raunen zu dürfen. Auf diese Art entstand der feudalistische Sozialismus, halb Klagelied, halb Pasquill, halb Rückhall der Vergangenheit, halb Dräuen der Zukunft, mitunter die Bourgeoisie ins Herz treffend durch bit- teres, geistreich zerreißendes Urteil, stets komisch wirkend durch gänzliche Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen. Den proletarischen Bettelsack schwenkten sie als Fahne in der Hand, um das Volk hinter sich her zu versammeln. Sooft es ihnen aber folgte, erblickte es auf ihrem Hintern die alten feudalen Wappen und verlief sich mit lautem und unehrerbietigem Gelächter. Ein Teil der französischen Legitimisten und das Junge England gaben dies Schauspiel zum besten. 11 Gemeint ist nicht die englische Restaurationszeit 1660–1689, sondern die französische Restaurationszeit 1814–1830. [Anmerkung von Engels zur englischen Ausgabe von 1888, aus: MEW 4, S. 482] Wenn die Feudalen beweisen, dass ihre Weise der Ausbeutung anders gestaltet war als die bürgerli- che Ausbeutung, so vergessen sie nur, dass sie unter gänzlich verschiedenen und jetzt überlebten Umständen und Bedingungen ausbeuteten. Wenn sie nachweisen, dass unter ihrer Herrschaft nicht das moderne Proletariat existiert hat, so vergessen sie nur, dass eben die moderne Bourgeoisie ein notwendiger Sprössling ihrer Gesellschaftsordnung war. Übrigens verheimlichen sie den reaktionären Charakter ihrer Kritik sowenig, dass ihre Hauptanklage gegen die Bourgeoisie eben darin besteht, unter ihrem Regime entwickle sich eine Klasse, welche die ganze alte Gesellschaftsordnung in die Luft sprengen werde. Sie werfen der Bourgeoisie mehr noch vor, dass sie ein revolutionäres Proletariat, als dass sie überhaupt ein Proletariat erzeugt. In der politischen Praxis nehmen sie daher an allen Gewaltmaßregeln gegen die Arbeiterklasse teil, und im gewöhnlichen Leben bequemen sie sich, allen ihren aufgeblähten Redensarten zum Trotz die goldnen Äpfel aufzulesen und Treue, Liebe, Ehre mit dem Schacher in Schafswolle, Runkelrü- ben und Schnaps zu vertauschen.12 Wie der Pfaffe immer Hand in Hand ging mit dem Feudalen, so der pfäffische Sozialismus mit dem feudalistischen. Nichts leichter, als dem christlichen Asketismus einen sozialistischen Anstrich zu geben. Hat das Christentum nicht auch gegen das Privateigentum, gegen die Ehe, gegen den Staat geeifert? Hat es nicht die Wohltätigkeit und den Bettel, das Zölibat und die Fleischesertötung, das Zellenleben und die Kirche an ihrer Stelle gepredigt? Der christliche Sozialismus ist nur das Weihwasser, womit der Pfaffe den Ärger des Aristokraten einsegnet. b) Kleinbürgerlicher Sozialismus [Reaktionär und utopistisch zugleich] Die feudale Aristokratie ist nicht die einzige Klasse, welche durch die Bourgeoisie gestürzt wurde, deren Lebensbedingungen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft verkümmerten und abstarben. Das mittelalterliche Pfahlbürgertum und der kleine Bauernstand waren die Vorläufer der modernen Bourgeoisie. In den weniger industriell und kommerziell entwickelten Ländern vegetiert diese Klas- se noch fort neben der aufkommenden Bourgeoisie. In den Ländern, wo sich die moderne Zivilisation entwickelt hat, hat sich eine neue Kleinbür- gerschaft gebildet, die zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie schwebt und als ergän- zender Teil der bürgerlichen Gesellschaft stets von neuem sich bildet, deren Mitglieder aber beständig durch die Konkurrenz ins Proletariat hinabgeschleudert werden, ja selbst mit der Entwicklung der großen Industrie einen Zeitpunkt herannahen sehen, wo sie als selbständiger Teil der modernen Gesellschaft gänzlich verschwinden und im Handel, in der Manufaktur, in der Agri- kultur durch Arbeitsaufseher und Domestiken ersetzt werden. In Ländern wie in Frankreich, wo die Bauernklasse weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus- macht, war es natürlich, dass Schriftsteller, die für das Proletariat gegen die Bourgeoisie auftraten, an ihre Kritik des Bourgeoisregimes den kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Maßstab anlegten und die Partei der Arbeiter vom Standpunkt des Kleinbürgertums ergriffen. Es bildete sich so der kleinbürgerliche Sozialismus. Sismondi ist das Haupt dieser Literatur nicht nur für Frankreich, sondern auch für England. 12 Dies bezieht sich hauptsächlich auf Deutschland, wo der Landadel und das Junkertum einen großen Teil ihrer Güter auf eigene Rechnung durch ihre Verwalter bewirtschaften lassen und daneben noch Großproduzenten von Rübenzucker und Kartoffelschnaps sind. Die reicheren englischen Aristokraten sind noch nicht soweit heruntergekommen; aber auch sie wissen, wie man das Sinken der Rente wettmachen kann durch die Hergabe ihres Namens an mehr oder weniger zweifelhafte Gründer von Aktiengesellschaften. [Anmerkung von Engels zur englischen Ausgabe von 1888, aus: MEW 4, S. 483] Dieser Sozialismus zergliederte höchst scharfsinnig die Widersprüche in den modernen Pro- duktionsverhältnissen. Er enthüllte die gleisnerischen Beschönigungen der Ökonomen. Er wies unwiderleglich die zerstörenden Wirkungen der Maschinerie und der Teilung der Arbeit nach, die Konzentration der Kapitalien und des Grundbesitzes, die Überproduktion, die Krisen, den notwen- digen Untergang der kleinen Bürger und Bauern, das Elend des Proletariats, die Anarchie in der Produktion, die schreienden Missverhältnisse in der Verteilung des Reichtums, den industriellen Vernichtungskrieg der Nationen untereinander, die Auflösung der alten Sitten, der alten Familien- verhältnisse, der alten Nationalitäten. Seinem positiven Gehalte nach will jedoch dieser Sozialismus entweder die alten Produktions- und Verkehrsmittel wiederherstellen und mit ihnen die alten Eigentumsverhältnisse und die alte Gesellschaft, oder er will die modernen Produktions- und Verkehrsmittel in den Rahmen der alten Eigentumsverhältnisse, die von ihnen gesprengt wurden, gesprengt werden mussten, gewaltsam wieder einsperren. In beiden Fällen ist er reaktionär und utopistisch zugleich. Zunftwesen in der Manufaktur und patriarchalische Wirtschaft auf dem Lande, das sind seine letz- ten Worte. In ihrer weiteren Entwicklung hat sich diese Richtung in einen feigen Katzenjammer verlaufen. c) Der deutsche oder der „wahre“ Sozialismus [Klassenversöhnung und der „deutsche Spießbürger“ als „Normalmensch“] Die sozialistische und kommunistische Literatur Frankreichs, die unter dem Druck einer herrschen- den Bourgeoisie entstand und der literarische Ausdruck des Kampfes gegen diese Herrschaft ist, wurde nach Deutschland eingeführt zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie soeben ihren Kampf gegen den feudalen Absolutismus begann. Deutsche Philosophen, Halbphilosophen und Schöngeister bemächtigten sich gierig dieser Literatur und vergaßen nur, dass bei der Einwanderung jener Schriften aus Frankreich die französischen Le- bensverhältnisse nicht gleichzeitig nach Deutschland eingewandert waren. Den deutschen Verhält- nissen gegenüber verlor die französische Literatur alle unmittelbar praktische Bedeutung und nahm ein rein literarisches Aussehen an. Als müßige Spekulation über die Verwirklichung des menschli- chen Wesens musste sie erscheinen. So hatten für die deutschen Philosophen des 18. Jahrhunderts die Forderungen der ersten französischen Revolution nur den Sinn, Forderungen der „praktischen Vernunft“ im Allgemeinen zu sein, und die Willensäußerungen der revolutionären französischen Bourgeoisie bedeuteten in ihren Augen die Gesetze des reinen Willens, des Willens, wie er sein muss, des wahrhaft menschlichen Willens. Die ausschließliche Arbeit der deutschen Literaten bestand darin, die neuen französischen Ideen mit ihrem alten philosophischen Gewissen in Einklang zu setzen oder vielmehr von ihrem philosophi- schen Standpunkte aus die französischen Ideen sich anzueignen. Diese Aneignung geschah in derselben Weise, wodurch man sich überhaupt eine fremde Sprache aneignet, durch die Übersetzung. Es ist bekannt, wie die Mönche Manuskripte, worauf die klassischen Werke der alten Heidenzeit verzeichnet waren, mit abgeschmackten katholischen Heiligengeschichten überschrieben. Die deut- schen Literaten gingen umgekehrt mit der profanen französischen Literatur um. Sie schrieben ihren philosophischen Unsinn hinter das französische Original. Z. B. hinter die französische Kritik der Geldverhältnisse schrieben sie „Entäußerung des menschlichen Wesens“, hinter die französische Kritik des Bourgeoisstaates schrieben sie „Aufhebung der Herrschaft des abstrakt Allgemeinen“ usw. Die Unterschiebung dieser philosophischen Redensarten unter die französischen Entwicklungen tauften sie „Philosophie der Tat“, „wahrer Sozialismus“, „deutsche Wissenschaft des Sozialismus“, „philosophische Begründung des Sozialismus“ usw. Die französische sozialistisch-kommunistische Literatur wurde so förmlich entmannt. Und da sie in der Hand des Deutschen aufhörte, den Kampf einer Klasse gegen die andre auszudrücken, so war der Deutsche sich bewusst, die „französische Einseitigkeit“ überwunden, statt wahrer Bedürfnisse das Bedürfnis der Wahrheit und statt der Interessen des Proletariers die Interessen des menschlichen Wesens, des Menschen überhaupt vertreten zu haben, des Menschen, der keiner Klasse, der über- haupt nicht der Wirklichkeit, der nur dem Dunsthimmel der philosophischen Phantasie angehört. Dieser deutsche Sozialismus, der seine unbeholfenen Schulübungen so ernst und feierlich nahm und so marktschreierisch ausposaunte, verlor indes nach und nach seine pedantische Unschuld. Der Kampf der deutschen, namentlich der preußischen Bourgeoisie gegen die Feudalen und das ab- solute Königtum, mit einem Wort, die liberale Bewegung wurde ernsthafter. Dem „wahren“ Sozialismus war so erwünschte Gelegenheit geboten, der politischen Bewegung die sozialistischen Forderungen gegenüberzustellen, die überlieferten Anatheme gegen den Liberalis- mus, gegen den Repräsentativstaat, gegen die bürgerliche Konkurrenz, bürgerliche Pressfreiheit, bürgerliches Recht, bürgerliche Freiheit und Gleichheit zu schleudern und der Volksmasse vorzu- predigen, wie sie bei dieser bürgerlichen Bewegung nichts zu gewinnen, vielmehr alles zu verlieren habe. Der deutsche Sozialismus vergaß rechtzeitig, dass die französische Kritik, deren geistloses Echo er war, die moderne bürgerliche Gesellschaft mit den entsprechenden materiellen Lebensbe- dingungen und der angemessenen politischen Konstitution vorausgesetzt, lauter Voraussetzungen, um deren Erkämpfung es sich erst in Deutschland handelte. Er diente den deutschen absoluten Regierungen mit ihrem Gefolge von Pfaffen, Schulmeistern, Krautjunkern und Bürokraten als erwünschte Vogelscheuche gegen die drohend aufstrebende Bour- geoisie. Er bildete die süßliche Ergänzung zu den bitteren Peitschenhieben und Flintenkugeln, womit die- selben Regierungen die deutschen Arbeiteraufstände bearbeiteten. Ward der „wahre“ Sozialismus dergestalt eine Waffe in der Hand der Regierungen gegen die deut- sche Bourgeoisie, so vertrat er auch unmittelbar ein reaktionäres Interesse, das Interesse der deut- schen Pfahlbürgerschaft. In Deutschland bildet das vom 16. Jahrhundert her überlieferte und seit der Zeit in verschiedener Form hier immer neu wieder auftauchende Kleinbürgertum die eigentliche ge- sellschaftliche Grundlage der bestehenden Zustände. Seine Erhaltung ist die Erhaltung der bestehenden deutschen Zustände. Von der industriellen und politischen Herrschaft der Bourgeoisie fürchtet es den sichern Untergang, einerseits infolge der Konzentration des Kapitals, andrerseits durch das Aufkommen eines revolutionären Proletariats. Der „wahre“ Sozialismus schien ihm beide Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Er verbreitete sich wie eine Epidemie. Das Gewand, gewirkt aus spekulativem Spinnweb, überstickt mit schöngeistigen Redeblumen, durchtränkt von liebesschwülem Gemütstau, dies überschwängliche Gewand, worin die deutschen Sozialisten ihre paar knöchernen „ewigen Wahrheiten“ einhüllten, vermehrte nur den Absatz ihrer Ware bei diesem Publikum. Seinerseits erkannte der deutsche Sozialismus immer mehr seinen Beruf, der hochtrabende Vertre- ter dieser Pfahlbürgerschaft zu sein. Er proklamierte die deutsche Nation als die normale Nation und den deutschen Spießbürger als den Normalmenschen. Er gab jeder Niedertracht desselben einen verborgenen, höheren, sozialistischen Sinn, worin sie ihr Gegenteil bedeutete. Er zog die letzte Konsequenz, indem er direkt gegen die „rohdestruktive“ Richtung des Kommunismus auftrat und seine unparteiische Er- habenheit über alle Klassenkämpfe verkündete. Mit sehr wenigen Ausnahmen gehört alles, was in Deutschland von angeblich sozialistischen und kommunistischen Schriften zirkuliert, in den Be- reich dieser schmutzigen, entnervenden Literatur.13 2. Der konservative oder Bourgeoissozialismus [„Administrative Verbesserungen ... auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse“] Ein Teil der Bourgeoisie wünscht den sozialen Missständen abzuhelfen, um den Bestand der bürgerlichen Gesellschaft zu sichern. Es gehören hierher: Ökonomisten, Philanthropen, Humanitäre, Verbesserer der Lage der arbeiten- den Klassen, Wohltätigkeitsorganisierer, Abschaffer der Tierquälerei, Mäßigkeitsvereinsstifter, Winkelreformer der buntscheckigsten Art. Und auch zu ganzen Systemen ist dieser Bourgeoissozia- lismus ausgearbeitet worden. Als Beispiel führen wir Proudhons „Philosophie de la misère“ an. Die sozialistischen Bourgeois wollen die Lebensbedingungen der modernen Gesellschaft ohne die notwendig daraus hervorgehenden Kämpfe und Gefahren. Sie wollen die bestehende Gesellschaft mit Abzug der sie revolutionierenden und sie auflösenden Elemente. Sie wollen die Bourgeoi- sie ohne das Proletariat. Die Bourgeoisie stellt sich die Welt, worin sie herrscht, natürlich als die beste Welt vor. Der Bourgeoissozialismus arbeitet diese tröstliche Vorstellung zu einem halben oder ganzen System aus. Wenn er das Proletariat auffordert, seine Systeme zu verwirklichen und in das neue Jerusalem einzugehen, so verlangt er im Grunde nur, dass es in der jetzigen Gesellschaft stehenbleibe, aber seine gehässigen Vorstellungen von derselben abstreife. Eine zweite, weniger systematische, nur mehr praktische Form dieses Sozialismus suchte der Arbei- terklasse jede revolutionäre Bewegung zu verleiden, durch den Nachweis, wie nicht diese oder jene politische Veränderung, sondern nur eine Veränderung der materiellen Lebensverhältnisse, der ökonomischen Verhältnisse ihr von Nutzen sein könne. Unter Veränderung der materiellen Lebens- verhältnisse versteht dieser Sozialismus aber keineswegs Abschaffung der bürgerlichen Produkti- onsverhältnisse, die nur auf revolutionärem Wege möglich ist, sondern administrative Verbesse- rungen, die auf dem Boden dieser Produktionsverhältnisse vor sich gehen, also an dem Verhält- nis von Kapital und Lohnarbeit nichts ändern, sondern im besten Fall der Bourgeoisie die Kosten ihrer Herrschaft vermindern und ihren Staatshaushalt vereinfachen. Seinen entsprechenden Ausdruck erreicht der Bourgeoissozialismus erst da, wo er zur bloßen redne- rischen Figur wird. Freier Handel! im Interesse der arbeitenden Klasse; Schutzzölle! im Interesse der arbeitenden Klas- se; Zellengefängnisse! im Interesse der arbeitenden Klasse: das ist das letzte, das einzige ernstge- meinte Wort des Bourgeoissozialismus. Der Sozialismus der Bourgeoisie besteht eben in der Behauptung, dass die Bourgeois Bour- geois sind – im Interesse der arbeitenden Klasse. 3. Der kritisch-utopistische Sozialismus und Kommunismus [Die kritischen Utopisten „wollen ihr Ziel auf friedlichem Wege erreichen ... durch die Macht des Beispiels“] Wir reden hier nicht von der Literatur, die in allen großen modernen Revolutionen die Forderungen des Proletariats aussprach. (Schriften Babeufs etc.) 13 Der Revolutionssturm von 1848 hat diese gesamte schäbige Richtung weggefegt und ihren Trägern die Lust benom- men, noch weiter in Sozialismus zu machen. Hauptvertreter und klassischer Typus dieser Richtung ist Herr Karl Grün. [Anmerkung von Engels zur deutschen Ausgabe von 1890, aus: MEW 4, S. 488] Die ersten Versuche des Proletariats, in einer Zeit allgemeiner Aufregung, in der Periode des Um- sturzes der feudalen Gesellschaft direkt sein eigenes Klasseninteresse durchzusetzen, scheiterten notwendig an der unentwickelten Gestalt des Proletariats selbst wie an dem Mangel der materiellen Bedingungen seiner Befreiung, die eben erst das Produkt der bürgerlichen Epoche sind. Die revolu- tionäre Literatur, welche diese ersten Bewegungen des Proletariats begleitete, ist dem Inhalt nach notwendig reaktionär. Sie lehrt einen allgemeinen Asketismus und eine rohe Gleichmacherei. Die eigentlich sozialistischen und kommunistischen Systeme, die Systeme St-Simons, Fouriers, Owens usw., tauchen auf in der ersten, unentwickelten Periode des Kampfs zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die wir oben dargestellt haben. (S{iehe} Bourgeoisie und Proletariat.) Die Erfinder dieser Systeme sehen zwar den Gegensatz der Klassen wie die Wirksamkeit der auflösenden Elemente in der herrschenden Gesellschaft selbst. Aber sie erblicken auf der Sei- te des Proletariats keine geschichtliche Selbsttätigkeit, keine ihm eigentümliche politische Be- wegung. Da die Entwicklung des Klassengegensatzes gleichen Schritt hält mit der Entwicklung der Industrie, finden sie ebenso wenig die materiellen Bedingungen zur Befreiung des Proletariats vor und suchen nach einer sozialen Wissenschaft, nach sozialen Gesetzen, um diese Bedingungen zu schaffen. An die Stelle der gesellschaftlichen Tätigkeit muss ihre persönlich erfinderische Tätigkeit treten, an die Stelle der geschichtlichen Bedingungen der Befreiung phantastische, an die Stelle der allmäh- lich vor sich gehenden Organisation des Proletariats zur Klasse eine eigens ausgeheckte Organisati- on der Gesellschaft. Die kommende Weltgeschichte löst sich für sie auf in die Propaganda und die praktische Ausführung ihrer Gesellschaftspläne. Sie sind sich zwar bewusst, in ihren Plänen hauptsächlich das Interesse der arbeitenden Klasse als der leidendsten Klasse zu vertreten. Nur unter diesem Gesichtspunkt der leidendsten Klasse existiert das Proletariat für sie. Die unentwickelte Form des Klassenkampfes wie ihre eigene Lebenslage bringen es aber mit sich, dass sie weit über jenen Klassengegensatz erhaben zu sein glauben. Sie wollen die Lebenslage aller Gesellschaftsglieder, auch der bestgestellten, verbessern. Sie appellieren daher fortwährend an die ganze Gesellschaft ohne Unterschied, ja vorzugsweise an die herrschende Klasse. Man braucht ihr System ja nur zu verstehen, um es als den bestmöglichen Plan der bestmöglichen Gesellschaft an- zuerkennen. Sie verwerfen daher alle politische, namentlich alle revolutionäre Aktion, sie wollen ihr Ziel auf friedlichem Wege erreichen und versuchen, durch kleine, natürlich fehlschlagende Expe- rimente, durch die Macht des Beispiels dem neuen gesellschaftlichen Evangelium Bahn zu brechen. Die phantastische Schilderung der zukünftigen Gesellschaft entspringt in einer Zeit, wo das Proleta- riat noch höchst unentwickelt ist, also selbst noch phantastisch seine eigene Stellung auffasst, sei- nem ersten ahnungsvollen Drängen nach einer allgemeinen Umgestaltung der Gesellschaft. Die sozialistischen und kommunistischen Schriften bestehen aber auch aus kritischen Elementen. Sie greifen alle Grundlagen der bestehenden Gesellschaft an. Sie haben daher höchst wertvol- les Material zur Aufklärung der Arbeiter geliefert. Ihre positiven Sätze über die zukünftige Gesellschaft, z. B. Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, der Familie, des Pri- vaterwerbs, der Lohnarbeit, die Verkündigung der gesellschaftlichen Harmonie, die Verwandlung des Staates in eine bloße Verwaltung der Produktion – alle diese ihre Sätze drücken bloß das Weg- fallen des Klassengegensatzes aus, der eben erst sich zu entwickeln beginnt, den sie nur noch in sei- ner ersten gestaltlosen Unbestimmtheit kennen. Diese Sätze selbst haben daher noch einen rein uto- pistischen Sinn. Die Bedeutung des kritisch-utopistischen Sozialismus und Kommunismus steht im umgekehrten Verhältnis zur geschichtlichen Entwicklung. In demselben Maße, worin der Klassenkampf sich entwickelt und gestaltet, verliert diese phantastische Erhebung über denselben, diese phantastische Bekämpfung desselben allen praktischen Wert, alle theoretische Berechtigung. Waren daher die Urheber dieser Systeme auch in vieler Beziehung revolutionär, so bilden ihre Schüler jedes Mal reaktionäre Sekten. Sie halten die alten Anschauungen der Meister fest gegenüber der ge- schichtlichen Fortentwicklung des Proletariats. Sie suchen daher konsequent den Klassenkampf wieder abzustumpfen und die Gegensätze zu vermitteln. Sie träumen noch immer die versuchs- weise Verwirklichung ihrer gesellschaftlichen Utopien, Stiftung einzelner Phalanstere, Gründung von Home-Kolonien, Errichtung eines kleinen Ikariens14 – Duodezausgabe des neuen Jerusalems –, und zum Aufbau aller dieser spanischen Schlösser müssen sie an die Philanthropie der bürgerlichen Herzen und Geldsäcke appellieren. Allmählich fallen sie in die Kategorie der oben geschilderten re- aktionären oder konservativen Sozialisten und unterscheiden sich nur noch von ihnen durch mehr systematische Pedanterie, durch den fanatischen Aberglauben an die Wunderwirkungen ihrer sozia- len Wissenschaft. Sie treten daher mit Erbitterung aller politischen Bewegung der Arbeiter entgegen, die nur aus blin- dem Unglauben an das neue Evangelium hervorgehen konnte. Die Owenisten in England, die Fourieristen in Frankreich reagieren dort gegen die Chartisten, hier gegen die Reformisten. IV Stellung der Kommunisten zu den verschiedenen oppositionellen Parteien [Die Aufgaben des Proletariats in der revolutionären Bewegung] Nach Abschnitt II versteht sich das Verhältnis der Kommunisten zu den bereits konstituierten Ar- beiterparteien von selbst, also ihr Verhältnis zu den Chartisten in England und den agrarischen Re- formern in Nordamerika. Sie kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Ar- beiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Be- wegung. In Frankreich schließen sich die Kommunisten an die sozialistisch-demokratische15 Partei an gegen die konservative und radikale Bourgeoisie, ohne darum das Recht aufzugeben, sich kri- tisch zu den aus der revolutionären Überlieferung herrührenden Phrasen und Illusionen zu verhalten. In der Schweiz unterstützen sie die Radikalen, ohne zu verkennen, dass diese Partei aus widerspre- chenden Elementen besteht, teils aus demokratischen Sozialisten im französischen Sinn, teils aus radikalen Bourgeois. 14 Phalanstere war die Bezeichnung für die von Charles Fourier geplanten sozialistischen Kolonien; Ikarien nannte Ca- bet seine Utopie und später seine kommunistische Kolonie in Amerika. [Anmerkung von Engels zur englischen Ausga- be von 1888, aus: MEW 4, S. 491] Home-Kolonien (Kolonien im Inland) nennt Owen seine kommunistischen Mustergesellschaften. Phalanstere war der Name der von Fourier geplanten gesellschaftlichen Paläste. Ikarien hieß das utopische Phantasieland, dessen kommu- nistische Einrichtungen Cabet schilderte. [Anmerkung von Engels zur deutschen Ausgabe von 1890, aus: MEW 4, S. 491] 15 Die Partei, die damals im Parlament von Ledru-Rollin, in der Literatur von Louis Blanc und in der Tagespresse von der „Réforme“ vertreten wurde. Der Name „Sozialdemokratie“ bedeutete bei diesen ihren Erfindern eine Sektion der demokratischen oder republikanischen Partei mit mehr oder weniger sozialistischer Färbung. [Anmerkung von Engels zur englischen Ausgabe von 1888, aus: MEW 4, S. 492] Die damals sich sozialistisch-demokratisch nennende Partei in Frankreich war die durch Ledru-Rollin politisch und durch Louis Blanc literarisch vertretene; sie war also himmelweit verschieden von der heutigen deutschen Sozialdemo- kratie. [Anmerkung von Engels zur deutschen Ausgabe von 1890, aus: MEW 4, S. 492] Unter den Polen unterstützen die Kommunisten die Partei, welche eine agrarische Revolution zur Bedingung der nationalen Befreiung macht, dieselbe Partei, welche die Krakauer Insurrektion von 1846 ins Leben rief. In Deutschland kämpft die Kommunistische Partei, sobald die Bourgeoisie revolutionär auftritt, gemeinsam mit der Bourgeoisie gegen die absolute Monarchie, das feudale Grundeigentum und die Kleinbürgerei. Sie unterlässt aber keinen Augenblick, bei den Arbeitern ein möglichst klares Bewusstsein über den feindlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat herauszuarbeiten, da- mit die deutschen Arbeiter sogleich die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, wel- che die Bourgeoisie mit ihrer Herrschaft herbeiführen muss, als ebenso viele Waffen gegen die Bourgeoisie kehren können, damit, nach dem Sturz der reaktionären Klassen in Deutsch- land, sofort der Kampf gegen die Bourgeoisie selbst beginnt. Auf Deutschland richten die Kommunisten ihre Hauptaufmerksamkeit, weil Deutschland am Vor- abend einer bürgerlichen Revolution steht und weil es diese Umwälzung unter fortgeschrittneren Bedingungen der europäischen Zivilisation überhaupt und mit einem viel weiter entwickelten Prole- tariat vollbringt als England im 17. und Frankreich im 18.Jahrhundert, die deutsche bürgerliche Re- volution also nur das unmittelbare Vorspiel einer proletarischen Revolution sein kann. Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände. In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor. [Für die gewaltsame kommunistische Revolution und die internationale revolutionäre Einheit des Proletariats] Die Kommunisten arbeiten endlich überall an der Verbindung und Verständigung der demokrati- schen Parteien aller Länder. Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlie- ren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

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