Montag, 29. April 2013
Die Doppelmoral der USA
Von Rainer Rupp / junge welt 27.04.13
Washingtoner »Menschenrechtsbericht«: Syriens Präsident Assad wird »Brutalität gegen das eigene Volk« vorgehalten. Beim Verbündeten Bahrain steht die Opposition am Pranger
Elf Jahre illegal festgehalten: Ehemalige Guantánamo-Gefangene protestieren vor der US-Botschaft in Sanaa im Jemen und fordern die Freilassung der übrigen Inhaftierten (16. April 2013)
Foto: Khaled Abdullah Ali Al Mahdi/Reuters
Seit Jahrzehnten maßen sich die USA an, mit ihrem jährlichen Menschenrechtsbericht über andere Länder zu Gericht zu sitzen und dabei Vergehen im eigenen Land selbstgerecht zu übersehen. Letzteres ist möglich wegen langer, systematischer Gehirnwäsche. Das Gros der US-Amerikaner ist fest davon überzeugt, daß die Vereinigten Staaten stets auf der Seite der Engel kämpfen und deshalb gar nichts falsch machen können. Zu diesem Selbstverständnis gehört auch, daß die Vereinigten Staaten eine Ausnahmenation sind, »The exceptional nation«, deren von Gott aufgetragene Berufung (»Manifest destiny«) es ist, der Welt freie Marktwirtschaft und Demokratie – nach dem US-Vorbild – zu bringen. Wenn nötig, auch mit Bomben und Granaten.
Nach dem Ende des sowjetischen »Reichs des Bösen« fühlten sich die USA in ihrer Sichtweise bestärkt und überzogen viele Weltregionen mit verheerenden militärischen und wirtschaftlichen Kriegen. Sie kosteten Millionen Opfer, insbesondere unter der Zivilbevölkerung. Im Inneren der USA war diese Entwicklung begleitet vom Abbau der Demokratie und der Menschenrechte, bis hin zur staatlich verordneten Folter von Gefangenen. Es ist der Gipfel an Zynismus, wenn das US-Außenministerium in einem umfangreichen Bericht alljährlich Menschenrechtsverstöße in über 190 anderen Staaten beurteilt. Seit einiger Zeit aber nimmt die Volksrepublik China dies nicht länger untätig hin. Peking veröffentlicht seinerseits Informationen über die Mißachtung der Menschenrechte in den USA, wodurch Washington der Spiegel vorgehalten wird. Auch diesmal folgte der Publikation des US-Reports am 19. April die Präsentation der chinesischen Version (siehe unten).
Wie bei allen Menschenrechtsberichten des US-Außenministeriums der vergangenen Jahre zeigt auch die Analyse des jüngsten, daß die tatsächliche Lage in einem Land für das Urteil nicht maßgeblich ist. Den Autoren geht es ausschließlich um die Frage, ob dieser Staat brav im Fahrwasser der US-Außenpolitik den Vorgaben Washingtons gefolgt ist oder nicht. So ist es kaum verwunderlich, daß in der Aufstellung des State Department unter den Hauptschuldigen Syrien mit seiner »erschreckenden Gewalt« und Präsident »Baschar Al-Assads Brutalität gegen sein eigenes Volk« zu finden sind. Über die teilweise religiös motivierte Erbarmungslosigkeit großer Teile der syrischen Aufständischen kann man hingegen nichts lesen. Iran bekommt die gleiche Behandlung. Der Regierung in Teheran wird vorgeworfen, daß sie »den regionalen und den Frieden der ganzen Welt bedroht« – obwohl das faktisch Israel und die USA ständig tun. Zugleich wird der Iran wegen der »Niederschlagung der Zivilgesellschaft« verurteilt.
Wie mit den Menschenrechten in Rußland umgegangen wurde, ist laut US-Bericht ebenfalls »zutiefst beunruhigend«, denn Moskau habe »eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die die Aktivitäten von NGOs und die bürgerlichen Freiheiten beschneiden«. Die Gegenargumente und Erklärungen der russischen Behörden, unter anderem von Präsident Wladimir Putin vorgebracht, werden gar nicht erst erwähnt.
Auch China wird scharf kritisiert, insbesondere für die Verhängung von »lästigen Anforderungen« bei der Registrierung von Organisationen, was angeblich die wirksame Bildung von unabhängigen politischen, religiösen und spirituellen Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften verhindert, weil die aus Sicht Pekings dessen Macht in Frage stellen könnten.
Staaten, die sich als treue Verbündete der USA verdient gemacht haben, werden dagegen mit glühenden Worten gelobt, unabhängig von der tatsächlichen Situation im jeweiligen Land. Libyen, das nach dem »arabischen Frühling« von Gewaltextremisten übernommen wurde, wird wegen der Tatsache gelobt, daß der Justizminister des Landes »ein Veteran der Menschenrechtsbewegung ist«, sowie dafür, daß die Bevölkerung zum ersten Mal seit Jahrzehnten an Wahlen mit mehreren Bewerbern teilgenommen habe.
Noch absurder wird es im Fall Bahrain. Das Emirat ist einer der wichtigsten Verbündeten Washingtons am Persischen Golf und beherbergt eine US-Marinebasis. Die Bevölkerungsmehrheit der Schiiten ist laut Washingtons Menschenrechtsbericht selbst schuld, wenn sie Opfer der bewaffneten Sicherheitskräfte der dort herrschenden sunnitischen, von Saudi-Arabien unterstützten Feudaldiktatur wird. Der Report wirft unbewaffneten Demonstranten in Bahrain »tödliche Gewalttaten gegen die Sicherheitskräfte« vor und rechtfertigt die brutale Niederschlagung der Opposition. In Syrien dagegen, wo die Opposition tatsächlich schwer bewaffnet ist und rücksichtslos vorgeht, verstoßen Assads Sicherheitskräfte bereits gegen die Menschenrechte, wenn sie sich wehren, um selbst am Leben zu bleiben. Diese Doppelmoral zieht sich durch den gesamten Bericht.
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