Montag, 29. April 2013
Kulturkritik.net zu Verdinglichung
Wo Menschen für Geld etwas taten, nannte man das früher "Verdingung", d.h. das sich zu einem bloßen Ding machen, um selbst Dinge erstehen zu können. In diesem Zusammenhang kann man jede Entsubjektivierung als Verdinglichung beschreiben. Verdinglichung meint dann Verobjektivierung von Subjektivität, so etwas wie das Dingsein von Menschen durch Versachlichung ihrer Kräfte und Eigenschaften. Dies ist sowohl ein Vorgang, der das Werden entmenschlichter Beziehungen vollzieht, als auch Kritik gegen die Verobjektivierung, also das sich selbst oder andere zum Ding machen. Es ist immer verbunden mit Selbstunterwerfung an die Sachgewalt der Gegebenheiten, geistig unreflektiert auch als Huldigung ihrer Macht (siehe Warenfetisch), als Fixierung des Bewusstseins der Verhältnisse zum Verhalten des Selbstbewusstseins.
Der Begriff, der lediglich Entsubjektivierung beschreibt, hat leider eine etwas undeutliche und unglückliche Bedeutung durch Theodor W. Adorno bekommen, weil er damit verschiedene Phänomene der Entfremdung und Selbstentfremdung, mit der Objektivierung überhaupt und auch der kulturellen Selbstwahrnehmung zusammengefasst hat (z.B. Veräußerung, Entäußertes, Versachlichtes, Sachlichkeit, Versachlichung). Die Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie von Marx in der Wertform dargelegt worden war, worin ihre Sache den Menschen entfremdet und über sie mächtig ist, verstand Adorno darin, dass Menschen sich selbst zur Sache machen ließen, also nicht wirklich als Objekte einer sachlichen Macht existieren musten, die sich aus dem Warentausch und der darin erzwungenen Konkurrenzverhältnisse ergab. Die Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie von Marx in der Wertform dargelegt worden war, worin ihre Sache ihnen entfremdet und über sie mächtig ist, verstand er als bloßes Ding sein, also darin, dass Menschen sich selbst zur Sache machen ließen.
Damit war die marxistische Kritik der Philosophie zur Wolke eines Vorwurfs gegen die Menschen regrediert, der den mündigen Menschen einklagt. Er fällt damit auf die Aufklärung, auf den Appell an den vernünftigen Menschen zurück, der sich Rechenschaft über sein Unvernunft zu geben hat wie sie ja letztlich mit dem politischen Wille definiert ist. Nicht die Logik einer entfremdeten Sache, sondern die Unvernunft der Menschen, ihre Ergebenheit in die Verschleierung unmenschlicher Verhältnisse ist der Gegenstand seines Erkenntnisinteresses. Nicht das Bewusstsein verkehrter Verhältnisse sollte diese aufheben, sondern ein wahres Bewusstsein sollte als Wissen um die Wahrheit die Verhältnisse des Lebens bestimmen. Und dessen Wahrheit musste nur das Wissen um seine Negation sein. Die negative Dialektik Adornos blieb an der Aufklärung kleben, die sie kritisieren wollte, wenn auch in einer weit sublimeren, weil völlig abgehobenen Rationalität. Sie unterstellt ja gerade das, was sie kritisiert, als Notwendigkeit: menschliche Identität, als Wahrheit, die nicht sein kann. Von daher impliziert das die Forderung nach einem Wesen, das nicht ist, unterstellt also ähnlich wie Heidegger, dem er mit Recht einen "Jargon einer Eigentlichkeit" vorwirft, ein unwesentliches Dasein, das durch wesentliches Sein erst aufgehoben werden kann. Und er leugnet damit die widersprüchliche Wirklichkeit, welche nach Marx die Bedingungen enthält, durch die Menschen die Entfremdung ihres Lebens, die Enteignung ihrer Lebenkraft und Lebensszeit auch wirklich aufheben können. Adorno verbleibt in der Grundlage einer klassischen Theologie, in der Lebensphilosophie eines unerfüllten Lebens, und behauptet damit dessen Auflösung in der Verwirklichung des Gedankens eines wahren Lebens, also durch die Wahrhaftigkeit des Denkens.
Verdinglichung ist bei Adorno daher auch wesentlich nur falsches Bewusstsein, bürgerliche Identität, die einem Verblendungszusammenhang des Kapitals sich unterworfen habe: die Identifizierung mit dem, worin sich die bürgerlichen Lebens- und Prduktionsverhältnisse entstehen und bewähren - nach seiner Auffassung als Produktion von Tauschwerten, die dadurch Blendwerk seien, dass sie als Schein von Gebrauchswerthaftigkeit bestünden. Nicht weil Gebrauchswerte durch die abstrakte Teilung der Arbeit isoliert voneinander existieren, sondern weil sie durch den Tauschwert erst verfälscht würden, wäre der Gebrauchswert entstellt und zur Verblendung geeignet.
Mit dieser grotesken Umkehrung des Marxschen Begriffs vom Warenfetischismus überholt Adorno dessen Erkenntnis durch Rückgriff auf den interpretativen Verstand einer kritischen Theorie, die sich vordringlich als eine Art philosophische Psychologie kritisch gibt und als solche auch vielfach übernommen wurde. Die Menschen sind darin nicht als Marktsubjekte, als Warenbesitzer, begriffen, die sich selbst im Widerspruch befinden, sondern als Marktobjekte einer Psychokratie, die von einer eigens hierfür aktiven Macht, der Kulturindustrie, verdinglicht würden, also ein ihnen fremdes, nicht in sich selbst schon widersprüchliches Selbstbewusstsein erlangen, das sie als Ding bestätigt und Ding sein lässt.
Für die Linke der Nachkriegszeit machte besonders dies den kritischen Charakter eines theoretischen Antikapitalismus aus. Sie konnte sich darin wieder als Aufklärer verstehen, die das Übel der Bewusstseinsmächte zu im Bewusstsein selbst zu bekämpfen habe. Von daher konnte das an diese Verhältnisse aus eigener Verstandesnot fixierte Bewusstsein nicht aus der bloßen Ideologiekritik heraus durch deren Analyse aufgehoben werden, sondern durch eine Psychologie, welche die Internalisierung eines "falschen Bewusstseins" zu bekämpfen habe, welches Interesse an einem "falschen Leben" verfolge. Es war damit eine Konstruktion von "falschem Menschsein", eine Theologie der Verfälschung geschaffen, welche dem Falschen als Form eines Widerspruchs und damit auch dessen Substanz und Formbestimmung sich entziehen konnte, um dem einen Imperativ des "wahren Lebens" entgegen zu halten.
Indem der Verblendungszusammenhang, den die Kulturmächte erzeugten, bekämpft werde, würde auch die Verdinglichung des Bewusstsein bekämpft. Dabei sei vor allem die Unterwerfung des Bewusstseins unter diese Verhältnisse durch Anpassung der eigenen Bedürfnisse an sie (siehe Fetischisierung) Gegenstand der Kritik, also die Unterwerfung des Menschen unter die Tauschverhältnisse, dem Verfall an deren Falschheit (Täuschung), die ganz davon absieht, dass sie diese Verhältnisse zur wirklichen Lebensgrundlage, also als Existenzweise ihres Lebens haben, das auch durch sich schon in der Lage sein kann, seinen Widerspruch aufzuheben. Die kritische Theorie hatte sich dagegen hierauf vorwiegend mit der Negativen Dialektik) bezogen (siehe zur Mehrfachverwendung des Begriffs auch Friedmann Grenz: "Adornos Philosophie in Grundbegriffen", Suhrkamp-Verlag 1975, S.43ff). Im Unterschied zu Marx wird daher im Warenfetischismus aiuch nur eine Seite reflektiert, die Verdinglichung des Menschen zur Sache, nicht aber die Vermenschlichung der Sache selbst, die Macht, die sie wirklich über das Leben der Menschen hat, wo die Menschen durch sie mächtig werden. Hierdurch wurde die kritische Theorie eher zu einer kritischen Kulturtheorie, als dass sie eine Kritik der politischen Kultur hätte werden können.
Meinen wollte diese Theorie die Verkehrung von Mensch und Ding, die Adorno in dem ihm eigenen Marxverständnis als objektive wie subjektive Gegebenheit der bürgerlichen Gesellschaft ansah. Adorno hat mit seinem Begriff der Verdinglichung der Begrifflichkeit von Marx ein Gesellschaftsverständis untergeschoben, das Marx selbst ausdrücklich kritisiert hatte, indem er die doppelte Begründetheit des Gebrauchswerts in den Warentausch hinein vermittelt analysierte: Die Sache als Produkt von Arbeit, die in den Gebrauchswert als konkret nützliche Arbeit eingeht, verhält sich auf dem Markt nur zu einem anderen Produkt als wirkliche Sache unter der Bedingung des Tauschwerts, in welchem sich ausschließlich abstrakt menschliche Arbeit mitteilt.
Ein anderer Aspekt der Verdinglichung, der bei Adorno weitaus am meisten gebräuchlich war, war die psychologische Bedeutung in den Werturteilen des Bürgertums. Die zwischenmenschliche Wertschätzung, die sich darin ausrückte, war ihm zugleich Ausdruck der Selbstunterworfenheit der Menschen unter eine Realität, der sie sich als bloß "Geblendete" überantwortet haben, nicht aber als isolierte Wesen, die ihre Abwesenheit auch wirklich leiden. Damit hat seine Anschauung zwar viele Wahrnehmungen gut getroffen, aber in der Wendung hiergegen blieb er konservativer Realist: Gegen den realen Ungeist kann nur der reine Geist wahr sein. Und den wiederum kann es nicht innerhalb dieser Welt geben: "Wahr ist nur, was nicht von dieser Welt ist" (Adorno).
Wahr ist allerdings auch, dass die Gebrauchsgüter in ihrem Nutzen selbst nur beschränkt menschliche Güter sind. Als Dinge von Menschen sind sie auch von ihrem Gebrauchswert alleine her nicht menschliche Sache. Im Nutzen reflektieren sich alle möglichen Notwendigkeiten des bürgerlichen Lebens, wie sie im Tagesablauf und den Gewohnheiten entstehen. Originär menschlich ist vielleicht ein Stuhl; aber muss es ein Auto sein oder ein Psychopharmakon? Die Diskussion hierzu ist sicher nicht mehr mit dem Begriff der Verdinglichung zu führen. Es ist die Diskussion von bürgerlicher Kultur selbst.
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