Freitag, 26. April 2013
Soziale Kälte neu definiert
Das Landessozialgericht hält Heizkostenzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger für zu hoch und kippt die Sätze. Mieterverein und Linke protestieren.
BERLIN taz | Wenn dieses Urteil Bestand hat, müssen Hartz-IV-Empfänger die Heizung runterdrehen: Laut einer Entscheidung des Landessozialgerichts vom Donnerstag ist der Senat zu großzügig mit den erlaubten Heizkosten. Das Land Berlin kann jedoch noch in Revision zum Bundessozialgericht gehen. Bis dahin gilt weiter die bisherige Regelung, die sogenannte Wohnaufwendungsverordnung.
Das Urteil, das nach dem Klärungsantrag einer Hartz-IV-Empfängerin erging, kam unerwartet. Denn seit Sozialsenator Mario Czaja (CDU) seine Verordnung für die Miet- und Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern im Frühjahr 2012 vorstellte, lautete die Kritik mehrheitlich: Das ist zu wenig, das reicht nicht. Das Landessozialgericht ist nun in die entgegengesetzte Richtung gegangen.
„Das überrascht mich jetzt schon“, sagte die Linkspartei-Abgeordnete und Sozialexpertin Elke Breitenbach der taz. Ihr sei bislang kein ähnliches Urteil bekannt. Man müsse Berliner Besonderheiten wie den großen Altbaubestand berücksichtigen, der starkes Heizen erfordere. Und in energetisch sanierten Häusern würden eher selten Bezieher des Arbeitslosengelds II wohnen.
„Das ist alles eingepreist“, entgegnete Gerichtssprecher Sebastian Pfistner auf taz-Anfrage. Der höhere Heizaufwand in den Altbauten sei ja bereits bekannt. Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild forderte den Senat gestern auf, „nun schleunigst zu handeln und endlich eine neue Verordnung zu erlassen“.
Unerwartetes Urteil
Senator Czaja lehnt eine solche schnelle Korrektur hingegen ab. „Das Gericht hat weder den Mietspiegel, die einheitlichen Richtwerte für ganz Berlin noch dem Grunde nach das Bruttowarmmietenkonzept als Basis für die Wohnaufwendungsverordnung infrage gestellt“, reagierte Czaja auf das Urteil. Er mochte sich zwar vor Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung nicht festlegen, die Möglichkeit eines Revisionsverfahrens am Bundesozialgericht zu nutzen, scheint aber dazu zu neigen: „Wir sind daran interessiert, die Verordnung höchstrichterlich prüfen zu lassen.“ Weil das Urteil bis zu einer solchen Entscheidung oder dem Verzicht auf Revision nicht rechtskräftig ist, will Czaja die bisherige Aufwendungsverordnung weiter anwenden.
Im Bundessozialgesetzbuch ist festgelegt: Bei Hartz-IV-Empfängern zahlt der Staat die Kosten für Wohnung und Heizung, „soweit diese angemessen sind“. Was vor Ort angemessen ist, legen dann die Länder und Gemeinden fest. In Berlin übernimmt der Senat die Zahlen für die angemessenen Heizkosten aus dem bundesweiten Heizkostenspiegel. Dort finden sich Vergleichszahlen je nach Hausgröße und Heizungsart, stets aufgeteilt in vier Kategorien: niedrig, mittel, erhöht und zu hoch.
Der Senat übernimmt die Zahlen aus der Kategorie „zu hoch“. Damit würde die Verschwendung zum Grundsatz gemacht – und das kann nicht angemessen sein, meinen die Richter. Wenn der Senat stattdessen die Zahlen aus der Kategorie „mittel“ nehmen würde, dürften Hartz-IV-Empfänger nur noch ungefähr halb so viel Geld zum Heizen ausgeben wie bisher. Das Gericht beklagt zudem, dass der Senat bundesweite und keine regionalen Vergleichswerte nimmt.
In Berlin gibt es derzeit rund 303.000 Haushalte, denen der Staat die Kosten für Heizung und Unterkunft zahlt. Eine Wohnung für vier Personen und mit Fernwärme zum Beispiel darf derzeit bis zu 670 Euro kosten. Das summiert sich in Berlin für alle Empfänger auf 1,4 Milliarden Euro pro Jahr. Ein Drittel davon zahlt der Bund, den Rest das Land Berlin.
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