Mittwoch, 15. August 2012
Zum „Lifestyle“ der „Spaßgesellschaft“
Nebulöse Wortverbindungen und geklitterte Begriffe lähmen das Denken
Von Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg
Rotfuchs von August 2012 (auf Kommunisten-online am 10. August 2012) – Jedes Imperium hat seine „Leitkultur“, deren Begrifflichkeiten in die Muttersprachen seiner Vasallenländer eingehen. Ursprungliche Neuerungen werden in der Regel als Fremdworte, gesellschaftliche Begriffe als Lehnworte und Ideologien als „politisch korrekte“ Terminologie eingefügt. Heute ist der aus den USA stammende Begriff „Political Correctness“ von seinen Urhebern weltweit durchgesetzt worden. Ohne auf dessen Entstehen hier näher eingehen zu wollen, soll die Wirkungsweise nebuloser Wortkombinationen im folgenden kurz beleuchtet werden, zumal sie in fast allen gesellschaftlichen Bereichen mehr oder weniger schleichend Verbreitung gefunden haben. Es handelt sich dabei in aller Regel um die beschönigende Darstellung unangenehmen Geschehens. Missstande sollen verdeckt oder ideologisch drapiert werden. Dies wird nicht selten in politischen Kampagnen gezielt angestrebt und durch die Medien flächendeckend verbreitet. „Political Correctness“ ist ein Langzeitnarkotikum, das über den ganz normalen Sprachgebrauch systematisch in die Köpfe eindringt.
Die kapitalistische Wirtschaft bedient sich dieses Instrumentariums ohne Unterlass zu Werbe- und Verkaufszwecken. Warenfetischismus suggeriert z. B. „große Freiheit“ durch eine Automarke, Jugendlichkeit durch Coca-Cola oder erhöhtes Selbstwertgefühl für sonst an den gesellschaftlichen Rand gedrängte Käufer durch angeblich Auftrieb verleihende Textil-Schlager. Aber auch die gesteigerte Ausbeutung durch höhere Tarife bei Gas und Strom wird mit dem euphorischen Begriff „Preisanpassung“ verschleiert, dessen sich sogar SPD-Politiker bedienen. –
In der Frage der Geschlechtergleichstellung setzt man auf verbale Schein-Emanzipation. Wahrend die in Wahrheit weiterhin massiv unterdruckten weiblichen Arbeitskräfte für die Konzerne schuften dürfen oder – wie fünfzehntausend Schlecker-Beschäftigte – knallhart auf die Straße fliegen, gibt man die Parole aus „Mehr Frauen in die Aufsichtsrate!“ Das früher Übliche „Gnädige Frau“ und der Handkuss des wilhelminischen Patriarchats sind unterdessen durch eine die Sprache verhunzende „feminisierende“ Wortwahl wie „Amtmännin“ ersetzt worden. Diese Terminologie ändert kein Jota am Wesen der Diskriminierung, die nach wie vor auch Minderheiten und Behinderte betrifft.
Noch gefährlicher ist die Begriffsklitterung in der Politik. Für Afghanistan wählen die Besatzer gezielt Begriffe wie „Aufbau der Zivilgesellschaft“, „Terrorismusbekämpfung“ oder „Beseitigung des Totalitarismus“. Sie dienen gleichermaßen als Synonyme für neokoloniale Protektoratskriege und die Zerschlagung nichtkapitalistischer Gesellschaftsordnungen.
Bald konnten die Kriegsminister, die sich heute als harmlose Verteidigungsminister ausgeben, in Freiheitsschutzminister umbenannt werden, um der Heuchelei die Krone aufzusetzen. „Rechtsstaatliche Ordnung“, „Unrechtsstaat“ oder „SED-Diktatur“ sind politische Kampfbegriffe, die in der Jurisprudenz überhaupt nicht vorkommen.
Um Verwirrung zu stiften, werden volksdemokratische Ratemodelle und nichtkapitalistische Wirtschaftsformen mit faschistischen Regimes und Militärdiktaturen gleichgesetzt, wahrend man die Terrorherrschaft lateinamerikanischer Formen des Halbfaschismus, beispielsweise in Kolumbien, ohne Erröten als „Demokratien“ bezeichnet.
Ganz Übel sieht es im Sozialbereich aus. Sein Versprechen, „viele in Arbeit zu bringen“, hat Ex-Regierungschef Gerhard Schroeder, heute ein mächtiger Konzernboss, nur insofern eingehalten, als die Arbeitslosenstatistiken inzwischen durch allerhand „Eingliederungsmaßnahmen“ und „Qualifizierungslehrgange“ so frisiert worden sind, daß eine enorme Zahl tatsachlicher Erwerbsloser unter den Teppich gekehrt werden kann. Die Arbeitslosenverwaltung heißt mittlerweile „JobCenter“ und die dort Schlangestehenden werden als „Kunden“ geführt.
Wahrend Migranten auf grausamste Art von der „Europaschen Grenzschutzagentur“ an den „Außengrenzen“ des Kontinents ums Leben gebracht oder zu einem Dasein als Sklaven von Mafiosi gezwungen werden, tauscht man EU- „Integrationsinitiativen“ vor, die angeblich ein harmonisches Miteinander fordern sollen. Das gilt indes nicht für bösartige „Gegenwelten“, „Parallelgesellschaften“, „Integrationsunwillige“ oder gefährliche „Islamisten“.
Dennoch gibt es Erfreuliches zu vermelden:
Für jene, die noch mehr eingeseift werden wollen, wird eine „schöne neue Welt“ geschaffen: In „Tapetenstudios“, „Mediamärkten“ oder „nachhaltig ökologischen Boutiquen“ können sie den „Lifestyle der kapitalistischen „Spaßgesellschaft“ so lange genießen, wie das ihr Geldbeutel erlaubt.
Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg
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