Mittwoch, 15. August 2012

MARINALEDA - DAS SOZIALISTISCHE DORF IN ANDALUSIEN

Es geht auch ohne das Finanzkapital: Vom Widerstandskampf in Spanien gegen die schweren Krisenfolgen von Luis Gimenez San Miguel, Madrid übersetzt von Jens-Torsten Bohlke Havanna, 11. August 2012, Cubadebate. (auf Kommunisten-online am 14. August 2912) – Genosse Juan Manuel Sánchez Gordillo (Bild oben) der mit seinen Gewerkschaftsfreunden vom Sindicato Andaluz de Trabajadores (SAT) vor einigen Tagen eine „erzwungene Enteignung“ durch Plünderung der Lebensmittelbestände in einigen Supermärkten durchführte, um diese Nahrung den Bedürftigsten zukommen zu lassen, ist zweifelsohne eine einzigartige Persönlichkeit innerhalb der spanischen Gesellschaft. Diese jüngsten Aktionen von ihm führten auch zu Kritik an ihm aus den eigenen Reihen bei der Vereinigten Linken (IU), zu welcher seine Organisation, das Colectivo Unidad de los Trabajadores- Bloque Andaluz de Izquierdas, seit 1986 gehört. Gemeinsam mit seinem Kampfgefährten Diego Cañamero ist Sánchez Gordillo ein historisch zu nennender Anführer der Landarbeitergewerkschaft Sindicato de Obreros del Campo (SOC), die das Rückgrat der Gewerkschaft SAT bildet. Außerdem ist dieser Genosse seit 1979 der Genosse Bürgermeister des Dorfes Marinaleda. Marinaleda ist eine kleine Ortschaft in der Region von Sevilla. In den letzten 40 Jahren beherrschte die Linke ununterbrochen diesen Ort politisch. Mit der Unterstützung und der Beteiligung der Bewohner dieser Ortschaft konnte ein wahres politisches und wirtschaftspolitisches Vorhaben in Marsch gesetzt werden, wurde eine sozialistische Insel inmitten der andalusischen Landschaft entwickelt. Das rote Marinaleda als immerwährender Gegner der Großgrundbesitzer und der reaktionären Kräfte marschierte quer durch die Geschichte Spaniens seit dem Übergang des Landes zur Demokratie. Die kleine Ortschaft bewältigte auf ihre Weise den Beitritt Spaniens zur EU und das Ende der sozialistischen Staatengemeinschaft in Europa sowie den Zerfall der Sowjetunion. Auf dem Weg sozialistischer Errungenschaften entwickelte sich Marinaleda auch im 21. Jahrhundert konsequent weiter. Schließlich sah es sich der Wirtschaftskrise ausgesetzt. Die andalusischen Bewohner der Ortschaft auf ihren 25 Quadratkilometern hatten nun die Gelegenheit nachzuweisen, daß ihre einzigartige Utopie eine Alternative zur Marktideologie darstellt. Die Arbeitslosenquote in Marinaleda beträgt 0%. ARBEIT Ein Großteil der Einwohner arbeitet in der Genossenschaft Humar - Marinaleda S.C.A., welche von den Landarbeitern selbst nach etlichen Jahren des Kampfes gegründet wurde. Seit langer Zeit gibt es in dieser Gegend die Tradition bei den landlosen Bauern, die Ländereien von Humoso zu besetzen, wo heutzutage diese Genossenschaft besteht. Oft wurden die Bauern und Landarbeiter bei ihren Aktionen von der spanischen Polizei gewaltsam vertrieben und unterdrückt. 1992 hatten sie jedoch endlich ihr Ziel erreicht: „Das Land denen, die es bearbeiten!“ Die große Finca ging in ihren Besitz über. Auf ihrer Website erklären sie: „Ziel ist nicht das Privatvermögen, sondern die Schaffung von Arbeitsplätzen durch den Verkauf von gesunden und hochwertigen Gartenbauprodukten.“ Es herrscht absolute Gleichheit bei den gezahlten Löhnen in der Genossenschaft. Jedes Genossenschaftsmitglied erhält 1200 Euro Monatslohn. Die Genossenschaft produziert Bohnen, Artischocken, Paprika, Pfeffer, Olivenöl. Die Genossenschaftsmitglieder legen selbst Wert auf beste Qualität. Das Land ist Eigentum der „gesamten Gemeinschaft“. Außerdem betreibt die Genossenschaft eine Konservenfabrik, ein Lager, Treibhausanlagen, Viehställe und ein Geschäft. Der Lohn der beschäftigten Arbeiter und Angestellten beträgt 47 Euros pro Arbeitstag bei 6-Tage-Arbeitswoche, was insgesamt 1128 Euro für 35 Wochenstunden im Monat ausmacht. In der Hochsaison kommen bis maximal 400 Menschen zum Arbeiten in die Genossenschaft, bei weniger vorhandener Arbeit sind es ca. 100 Beschäftigte. Aber jeder Arbeitsplatz gilt als nicht an einen bestimmten Menschen gebundener Arbeitsplatz. Es gibt ein Rotationsprinzip getreu der Maxime „Weniger arbeiten, damit alle arbeiten können“. Auch gibt es noch Menschen, die auf ihren kleinen Parzellen arbeiten. Die übrige Wirtschaftstätigkeit von Marinaleda erstreckt sich auf grundlegende Einrichtungen für ein ländliches Gebiet wie Läden, Dienstleistungen und Sportanlagen. Fast alle in der Ortschaft verdienen dasselbe Monatsgehalt von ca. 1200 Euros. In einem Público gewährten Interview im Juli 2012 erklärte Gordillo, wie die Krise Marinaleda in Mitleidenschaft zieht: „Man spürt das ein wenig bei den Preisen für die landwirtschaftlichen Produkte und bei der Finanzierung. Wir haben Probleme mit der Zahlungsfähgkeit, aber wir verkaufen gegenwärtig die Produkte recht gut (...) allgemein spürt man in der Landwirtschaft und im Nahrungsmittelbereich die Krise weniger. Die Leute, die vom ländlichen Raum in das Bauwesen abgewandert sind, kehren derzeit zurück und brauchen Arbeit. Es muß also nicht nur das bestehende Beschäftigungsniveau erhalten werden, sondern das Beschäftigungsniveau muß ausgeweitet werden. Die ökologische Landwirtschaft bietet mehr Arbeitsplätze als die traditionelle Landwirtschaft, das ist sicher. Um sie aus der Krisensituation und vor einer Verknappung der landwirtschaftlichen Produkte zu retten, sehen wir derzeit eine horizontale Vermarktung vor, mit einem Dialog von Genossenschaft zu Genossenschaft und dem Herstellen von Beziehungen zu den anderen Ländern, in welchen es Erfahrungen dieser Art gibt.“ Wohnwesen Gegenüber dem „Immobilien-Boom“ und der Spekulation, die sich der spanischen Bauwirtschaft in den letzten Jahrzehnten bemächtigten, beschloss Marinaleda, genau in die Gegenrichtung zu gehen. Es ist hier möglich, ein Haus zu günstigen Konditionen zu bewohnen, und zwar mit 90 Quadratmetern Wohnfläche und einer Terrasse. Einzige Bedingung dafür ist die Mithilfe des in diesem Haus später Wohnenden beim Bau der Häusersiedlung, wie es die Grundsätze in der Ortschaft Marinaleda vorsehen. Die Ortsverwaltung bietet aus Kauf und Enteignung stammende Grundstücke als Bauland an und teilt die für Hausbau benötigten Materialien den Häuslebauern zu, die sich ihre Häuser in Wohnsiedlungen selbst bauen oder jemanden dafür bezahlen. Dergestalt werden auch die freiberuflichen Maurermeister bezahlt, die die Bürger beim Hausbau beraten und anleiten und die kompliziertesten Arbeiten selbst ausführen. Um die gute Zusammenarbeit und Nachbarschaft der künftigen Bewohner der neuen Wohnsiedlung zu fördern, weiß keiner der Häuslebauer, welches Haus ihm als künftiger Wohnsitz zugewiesen werden wird. „Baust du dir dein eigenes Haus, zahlen sie dir 800 Euro monatlich. Der halbe Lohn wird zur Bezahlung der Hausmaterialien einbehalten“, berichtet Juan José Sancho, ein Bürger aus Marinaleda, der trotz seines jungen Alters von 21 Jahren bereits zum „Arbeitskreis für öffentliche Angelegenheiten“ der Ortsverwaltung gehört. Er verweist auch darauf, daß „diese Maßnahme ergriffen worden ist, um der Grundstücksspekulation vorzubeugen.“ Bildungswesen „Wir stellen alle erforderlichen Dinge bereit, was es den Leuten etwas bequem macht.“ Und wo einst ein Großteil der Einwohner weder lesen noch schreiben konnte, gibt es heute eine große Kindereinrichtung, eine Oberschule und ein Berufsbildungsinstitut. Sowohl Kindereinrichtung als auch Oberschule verfügen über Küche und Speisesaal, wobei die monatliche Gebühr für das Essen pro Kind nur 15 Euros beträgt. Sancho beklagt, daß dennoch „die Schulabbrecherquote etwas zu hoch ist, weil die Leute nur darauf achten, ein Dach über dem Kopf und gesicherte Arbeit zu haben. Und da sehen viele nicht die Notwendigkeit, sich in der Schule anzustrengen. Das ist einer der Punkte, wo wir besser werden müssen.“ Die politische Selbstverpflichtung und das Bewusstsein der Bewohner von Marinaleda liegen über dem jeder anderen Ortschaft in der Region. „Genau dies ist auch unter den jungen Menschen hier sehr zu spüren“ laut Sancho. „Hier haben alle jungen Menschen politische Vorstellungen. Bei all dem sind unsere Verpflichtungen weit hinter denen, welche unsere Vorfahren zu ihrer Zeit hatten. Sie gaben damals alles, damit wir nun hier haben können, was vorhanden ist.“ Und dies heißt, daß „alle Grundbedürfnisse befriedigt sind, und die Leute es sich etwas bequem machen.“ Politische Teilhabe Die Grundpfeiler des Wirtschaftsmodells von Marinaleda heißen Gleichheit und Teilnahme des Volkes. Und diese Grundsätze werden in jedem Bereich des Lebens ausgedehnt. Es gibt keine Polizeiwache in der Ortschaft. Die politischen Beschlüsse werden in einer Vollversammlung der Einwohner gefasst, zu welcher alle Einwohner eingeladen werden. Andererseits gibt es „die Aktionsgruppe“, die sich um die dringenden Themen auf der Tagesordnung kümmert. Das ist kein Kreis der Auserwählten. Das sind Bürger, die sich freiwillig zusammenschließen möchten, um unter sich Aufgaben aufzuteilen, die für die gesamte Ortschaft anstehen“, so Sancho. „Das ist ein bunt gemischter Kreis von Menschen, in welchem ich mit meinen 21 Jahren ebenso mitmache wie Sánchez Gordillo. Wir sind ungefähr dieselbe Zahl bei Männern und Frauen in der Aktionsgruppe.“ Bei all dem ist diesen Männern und Frauen eine Sache gemein. Sie gehören alle „zur Bewegung“ und vor Ort in Marinaleda „zur Partei Vereinigte Linke (IU), zur Gewerkschaft (SAT) und zur Gemeindeverwaltung. Die Vollversammlung der Bürger von Marinaleda beschließt, und die Partei sowie Gewerkschaft machen sich diese Beschlüsse zu Eigen und setzen sie durch die Tätigkeit der Ortsverwaltung um.“ Was die Steuern angeht, „sie sind sehr niedrig, die niedrigsten Steuern in der gesamten Gegend“, erklärt Sancho. Die Ausgaben für die Wohnbezirke werden auf öffentlichen Sitzungen festgelegt, und die Vollversammlung der Bürger Marinaledas genehmigt jeden Posten. Diese Organisiertheit wird auch in den Siedlungen praktiziert, wo jede Wohnsiedlung ihre Bürgerversammlung hat. Und dort wird bestimmt, was mit den von der Ortsverwaltung zugewiesenen Haushaltsgeldern gemacht wird. Umwelt Die Gewerkschaft SAT ist dem internationalen Gremium Via Campesina angeschlossen und sorgt dafür, daß der Boden „umweltgerecht gemäß 100%iger Umsetzung der Kriterien für ökologische Landwirtschaft bearbeitet wird“, wie es die Genossenschaft auf ihrer Website verkündet. „In der Genossenschaft ist immer versucht worden, die Landwirtschaft manuell zu betreiben, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen und das Ökosystem besser zu beachten“, erläutert Sancho. „Die Müllhalden wurden abgeschafft, alle Abfälle werden recycelt.“ Die Ortsverwaltung hat jetzt vor, ihren eigenen Grünen Punkt in der Ortschaft einzurichten. (Gestützt auf Público) Quelle: http://cuba.cubadebate.cu/

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