Mittwoch, 29. August 2012

The Day After I

BERLIN/WASHINGTON/DAMASKUS german-foreign-policy.com vom 30.07.2012 auf Kommunisten-online am 9. August 2912 – Deutsch-amerikanische Pläne zur Umgestaltung Syriens nach westlichem Modell stoßen bereits vor dem möglichen Sturz des Assad-Regimes auf Widerstände. Schon seit Monaten sind Regierungsberater von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Vorbereitungen für Sofortmaßnahmen nach einem Umsturz in Damaskus befasst. Die Planungen werden gemeinsam mit dem staatsfinanzierten U.S. Institute of Peace (USIP) und etwa 45 syrischen Oppositionellen in der deutschen Hauptstadt vorangetrieben. Sie zielen darauf ab, so schnell wie möglich ein prowestliches Regime in Damaskus zu installieren. Im Land selbst jedoch zeichnet sich ab, dass einflussreiche aufständische Milizen sich dem Westen keineswegs unterordnen wollen und auf Eigenständigkeit beharren; dies geht etwa aus einer Studie hervor, die exemplarisch einen militärischen Verband von Rebellen nahe Aleppo untersucht. Man werde, heißt es, den teils islamistisch orientierten Milizen größeren Einfluss auf die Neugestaltung Syriens zugestehen müssen. Eine stärkere Rolle islamistischer Kräfte in Syrien sehen auch die von der SWP und dem USIP in Berlin entwickelten Pläne vor. Sie sind geeignet, das Bündnis zwischen Syrien und Iran auf absehbare Zeit zu beenden und Teheran noch stärker zu isolieren. Zugriff auf Damaskus Bereits seit Januar werden in Berlin Pläne für die Umgestaltung Syriens nach westlichem Modell entwickelt. Regierungsberater von der staatsfinanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und Funktionäre des gleichfalls staatsfinanzierten U.S. Institute of Peace (USIP) bereiten dort - in Zusammenarbeit mit rund 45 ausgewählten Vertretern der syrischen Opposition - die wichtigsten Schritte vor, die unmittelbar nach einem möglichen Sturz des Assad-Regimes in die Wege geleitet werden sollen. Dabei handelt es sich zum Teil um Sofortmaßnahmen, die einen totalen Kollaps der staatlichen Strukturen und den Zerfall Syriens verhindern sollen. Gleichzeitig werden auch Überlegungen angestellt, die beispielsweise das künftige Justizwesen des Landes betreffen. Zudem ist mit der Auswahl der syrischen Oppositionsvertreter, die an den Planungen teilnehmen und diese nach dem Sturz des Regimes in Damaskus realisieren sollen, bereits eine Vorentscheidung über die künftig in Syrien herrschenden Kräfte getroffen worden - in Washington und Berlin. Deutsch-amerikanische Pläne Um das Personal des deutsch-amerikanischen Projekts, das unter der Bezeichnung „The Day After“ firmiert, nicht von vornherein als Marionetten Berlins und Washingtons zu demaskieren, heißt es in den seit letzter Woche vorliegenden Berichten über die Planungen, die Syrer führten die Debatte ohne Einmischung deutscher Regierungsvertreter - eine recht originelle Behauptung angesichts der Tatsache, dass die SWP und das USIP zwar keine Mitglieder der Bundesregierung oder Mitarbeiter von Ministerien beschäftigen, jedoch jeweils unmittelbar an die Regierungsapparate in Berlin und in Washington angebunden sind.[1] Zudem werden zur Zeit in einem Büro in Berlin unter Leitung eines deutschen Experten Pläne für die Wirtschaftsordnung Syriens in der Zeit nach dem Sturz des Assad-Regimes entwickelt (german-foreign-policy.com berichtete [2]); von einem eigenständigen Aufbau der syrischen Ökonomie durch demokratisch legitimierte Kräfte ist dabei nicht die Rede. In den Berichten heißt es des weiteren, die Berliner Planungen beträfen nicht die Bürgerkriegsführung - damit seien „andere Gruppen“ befasst.[3] Dass dennoch intensivere Absprachen mit ausgewählten Milizionären getroffen werden, zeigt die Beteiligung von Delegierten der Free Syrian Army (FSA) an den Gesprächen in Berlin. Ansonsten ist zu erfahren, dass nach deutsch-amerikanischem Willen islamistische Kräfte eine maßgebliche Rolle im künftigen Syrien spielen werden. Aufständische Milizen Neue Erkenntnisse über die Rebellen im Land selbst und damit über die Kräfte, denen Berlin und Washington nach dem erwünschten Sturz des Assad-Regimes ihre Planungen aufzwingen wollen, bieten eine Reihe aktueller Analysen. Das Washingtoner Institute for the Study of War etwa hat in der vergangenen Woche eine Untersuchung publiziert, die die Milizen in den Hügeln von Jabal al Zawiyah südlich von Idlib zum Gegenstand hat. Sie beschreibt, wie die bewaffneten Banden dort, die sich bereits im Herbst 2011 gegründet hatten, die Zeit des Waffenstillstands im April und Mai nutzen konnten, um sich neu zu formieren und aufzurüsten. Ende Mai hätten sie das - Recherchen mehrerer renommierter Journalisten zufolge von Aufständischen verübte [4] - Massaker von Hula zum Anlass genommen, um ihre Angriffe auf die Streitkräfte wieder aufzunehmen - mit Erfolg. In der Analyse wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Aufrüstung der Milizen mit Geld aus den Golfdiktaturen erfolgt und zumindest von US-Kräften koordiniert worden sei.[5] Dabei hätten die Milizionäre inzwischen sogar Waffen erhalten, mit denen man Kampfhubschrauber abschießen könne. Von einer einflussreichen Miliz („Suqur al Sham“, „Falken der Levante“) sei bekannt, dass sie ihren rund 1.000 Kämpfern einen Monatssold von 25 US-Dollar zahlen könne; diejenigen, die eine Familie ernähren müssten, erhielten noch mehr. Einzelne Einheiten im zur Zeit umkämpften Aleppo hätten sich Suqur al Sham unterstellt. Islamistischer Staat Wie es in der Studie heißt, sei die politische Orientierung einflussreicher Milizen wie etwa Suqur al Sham von erheblicher Bedeutung, weil das regionale Führungspersonal, sollte das Regime stürzen, sich wohl aus den führenden Kreisen der örtlichen Aufständischen rekrutieren müsse. Im Falle von Suqur al Sham habe man zu berücksichtigen, dass die Miliz zwar verbal den Syrischen Nationalrat (Syrian National Council, SNC) als „Hauptrepräsentanten der Revolution im Ausland“ anerkenne, ihn aber nicht als eine Organisation betrachte, deren Befehlen man Folge zu leisten habe. Suqur al Sham selbst sei islamistisch orientiert und grenze sich beispielsweise strikt davon ab, auch Frauen mitkämpfen zu lassen. Der Anführer der Miliz habe sich - heißt es - dazu bekannt, Syrien in einen „moderaten islamischen Staat“ transformieren zu wollen. Ihm wird die Äußerung zugeschrieben, die syrischen Muslime hätten „ihre Ehre“ verloren, weil sie den bewaffneten Glaubenskampf und das Märtyrertum aufgrund von Todesfurcht aufgegeben hätten [6] - eine Äußerung, die in islamistischen Kreisen bestens ankommt. Spezielle Autobomben Dabei legt die Untersuchung großen Wert auf die Feststellung, dass Suqur al Sham „bis Mitte Juli 2012“ keine Suizidanschläge begangen habe; diese gelten als Kennzeichen von Organisationen, die dem terroristischen Segment militant islamistischer Strukturen („Al Qaida“) zuzurechnen sind. Wie es in der Studie heißt, habe sich Suqur al Sham stets darauf beschränkt, Gefangene und Personen, die als „Spione“ galten, in Autos zu setzen, die zuvor mit Sprengstoff beladen worden waren. Die Sprengladungen seien dann jeweils ferngezündet worden, sobald die fliehenden Gefangenen einen Checkpoint der syrischen Streitkräfte erreicht hätten - etwa in den Vororten von Idlib.[7] Gegen Iran Trotz des erkennbaren Unwillens einflussreicher syrischer Milizen, sich nach einem Sturz des Assad-Regimes Planungen des Westens für ihr Land aufzwingen zu lassen, zeichnen sich mit Blick auf die Tatsache, dass islamistische Kräfte sowohl vor Ort als auch in den deutsch-amerikanischen Konzeptionen eine bedeutende Rolle spielen, wichtige Konsequenzen ab. So werden die Islamisten in Syrien die Verhältnisse in der arabischen Welt weiter verschieben - weg von säkularen Milieus hin zu einer religiös-konservativen Ordnung, die sich mit der aktuellen politischen Führungsrolle der Golfdiktaturen in der Arabischen Liga gut verträgt. Zudem wird Syrien unter sunnitisch-islamistischem Einfluss aus seinem Bündnis mit dem schiitisch-islamistischen Iran ausscheren und damit Teheran ohne staatlichen Verbündeten in der arabischen Welt zurücklassen. Damit offenbart die westliche Syrien-Politik, die auf Unterstützung für islamistische Kräfte setzt, ihr eigentliches Ziel - die vollständige Isolierung Teherans, um dessen machtpolitische Entfaltung am Persischen Golf auf Dauer zu verhindern. Weitere Informationen und Hintergründe zur deutschen Syrien-Politik finden Sie hier: Kriegsdrohungen gegen Syrien, Irans Achillesferse, Kriegsszenarien für Syrien, Kriegsszenarien für Syrien (II), Mit der UNO zur Eskalation, Marktwirtschaft für Syrien, Die jemenitische Lösung, Schmuggelkontrolleure und Nach vierzig ruhigen Jahren. [1] Das neue Syrien kommt aus Wilmersdorf; www.zeit.de 25.07.2012 [2] s. dazu Marktwirtschaft für Syrien [3] Inside the quiet effort to plan for a post-Assad Syria; thecable.foreignpolicy.com 20.07.2012 [4] s. dazu Die jemenitische Lösung [5], [6], [7] Asher Berman: Rebel Groups in Jebel al-Zawiyah; Institute for the Study of War, Backgrounder, 25.07.2012

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