Samstag, 25. August 2012
Rüstungskonversion wieder aktuell
geschrieben von Gerd Deumlich
„Der neue Verteidigungsminister ist Merkels bester Mann. Im Gegensatz zu seinem grellen Vorgänger steht der CDU-Politiker de Maizière für ruhige Solidität." So besänftigt die „Süddeutsche Zeitung" die über den ruhmlosen Abgang des Polit-Aufsteigers zu Guttenberg erregten Gemüter. So wird aus dem Ministerwechsel für die Kanzlerin noch ein Glücksfall, der den Verdacht des Politikwechsels gar nicht erst aufkommen lässt.
Er bietet die Gewähr, dass die von Guttenberg angestoßene „Reform" zügig durchgezogen wird: für eine Profi-Armee, die effektiver auf Kriegsschauplätzen in aller Welt einzusetzen ist. Schließlich hat sich de Maizière im Kabinett Merkel als Bahnbrecher zum überwachungsstaat bewährt und die FAZ hält es für die „spannendste Frage" an seine Absichten, ob er das Streben der CSU nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern wiederaufleben lässt. Wie sollte der nicht dafür taugen, die kriegerische Ausrichtung der Truppe voranzutreiben?
Davon lässt er sich, wie sein Vorgänger, auch nicht von dem in der ganzen Regierung angesagten Zwang zum „Sparen" abhalten. Zu Guttenberg hatte schon eine Ausnahmeregelung für das Militär durchgesetzt: Schäuble hatte seine „Einsparvorgabe für das Verteidigungsressort" von 8,3 Milliarden Euro um ein Jahr aufgeschoben. Das soll nun auch dem neuen Minister zugute kommen, denn durch die „Reform" wird der ganze Laden erst mal teurer. „So profitiert de Maizière von einer politischen Stützungsaktion, die ursprünglich dem bedrängten Guttenberg helfen sollte", bemerkte das „Handelsblatt" zu diesem Zugeständnis an die ständige Klage aus der Militärführung über die „Unterfinanzierung" der Bundeswehr.
Auf der Münchener „Sicherheitskonferenz" las der Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen den europäischen Nato-Mitgliedern die Leviten wegen der angeblichen Kürzung der Rüstungsetats. Europa könne es sich nicht leisten, sich aus dem Sicherheitsgeschäft zurückzuziehen. Heute steuere Europa nur noch ein Viertel der Verteidigungsausgaben in der Nato bei, vor zehn Jahren sei es noch die Hälfte gewesen. Dass dies größtenteils an der enormen Steigerung der Rüstungsausgaben der USA liegt, verschwieg er.
Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri belegt in seinem neuesten Bericht, dass geschrumpfte Militärbudgets in einige europäischen Ländern, keineswegs zu einem Rückgang der Rüstungsgeschäfte, etwa zu einer Tendenz der Abrüstung führen. Der Handel mit Kriegsmaterial hat im vergangenen Jahrzehnt zugenommen. Das Volumen der internationalen Rüstungsgeschäfte lag in den Jahren 2006 bis 2010 um 24 Prozent über jenem im Zeitraum von 2001 bis 2005. Etwa 30 Prozent aller Waffenlieferungen stammen aus den USA, sie sind der größte Waffenexporteur, gefolgt von Russland und Deutschland. Besonders die europäischen Waffenhersteller hätten in den vergangenen Jahren stark um Aufträge im Ausland geworben und dabei Unterstützung von ihren Regierungen erhalten.
Deutschland konnte seine Exporte im vergangenen Jahrzehnt deutlich mehr steigern, als viele der anderen Industriestaaten. Von 2006 bis 2010 verkauften deutsche Waffenhersteller 93 Prozent mehr ins Ausland als in den fünf Jahren davor und konnte in der Rangliste der größten Waffenexporteure von der vierten an die dritte Stelle aufrücken.
Wenn das Friedensforschungsinstitut moniert, dass bei der Suche nach neuen Märkten für Rüstungsprodukte weniger sicherheitspolitische Aspekte als ökonomische Interessen im Vordergrund stehen, müssen sich das nicht zuletzt die deutschen Firmen hinter den Spiegel stecken. Die FAZ berichtete Anfang März: „Europas Rüstungskonzerne hofierten Gaddafi bis zuletzt ... Auch die deutsche Industrie, die einer der größten Waffenexporteure der Welt ist, mischte im libyschen Rüstungshandel kräftig mit ... Deutschland war in der EU vor Frankreich und Großbritannien der größte Lieferant von Militärausrüstung für Gaddafis Regierung."
Im „Handelsblatt" propagiert der frühere Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, als einen „hoffnungsvollen Präzedenzfall für die gesamte Europäische Union" zwei Verträge zwischen Frankreich und Großbritannien über den gemeinsamen Einsatz von Streitkräften, nukleare Abschreckung und Verbesserungen bei Geräten und Kommunikation. „Durch überwindung streng nationaler Beschränkungen stecken sie den künftigen Weg der europäischen Verteidigung ab", denn „die EU ist heute gefordert, komplexe Missionen unter ungünstigen Umständen durchzuführen". Darin liegt die beispielhafte Bedeutung als „Fortschritt hin zu gemeinsamen europäischen Militäraktionen, und zwar sowohl in Europa als auch auf der internationalen Bühne". Ein „historischer Schritt ... nicht zu einer Entmilitarisierung Europas, sondern zur Rationalisierung der Verteidigungs- ausgaben."
Kann jemand den rührigen Managern und Politikern vorwerfen, sie würden sich nicht genügend darum bemühen, dass das Geschäft mit der Rüstung floriert? Sie lassen es nicht an Belegen dafür mangeln, wie berechtigt die aktuelle Forderung der Friedensbewegung ist: Spart endlich bei der Rüstung!
Es liegt auf der Hand, dass hier greifbare Erfolge nur durchzusetzen sind, wenn auch die Gewerkschaften sich dafür stark machen. Die Entwicklung auf dem Rüstungssektor, das Auftreten Deutschlands als Kriegsmacht, müsste Anlass genug sein, in den Gewerkschaften darüber zu diskutieren, ob sie nicht die friedenspolitische Enthaltsamkeit aufgeben müssten, die weder durch die Tradition noch durch die aktuelle Lage gerechtfertigt ist. Gewiss hat das Interesse an Abrüstung und Frieden unter den Gewerkschaftern Sympathie und Resonanz, aber in der öffentlichen politischen Präsenz, in den gewerkschaftlichen Aktionen ist es weitgehend ausgeblendet.
Die Diskussion über diese Problematik müsste besonders herausgefordert sein, wenn sich Gewerkschafter, getrieben vom Interesse am Erhalt von Arbeitsplätzen, gegen die Kürzung von Rüstungsausgaben stellen. Wie unlängst im EADS-Konzern, wo der Gesamtbetriebsratschef Thomas Pretzl und der IG-Metall-Konzernbetreuer Bernhard Stiedl den da noch amtierenden Minister zu Guttenberg davor warnten, durch eine massive Kürzung des Rüstungsetats 30 000 Arbeitsplätze in Deutschland zu vernichten und die „militärische Luftfahrtindustrie kaputt zu machen". Dagegen kündigten sie den Widerstand der IG Metall an. Sie spielten auf geplante „Einsparungen" von 9,3 Milliarden Euro an. Konkret: Statt 60 würde die Bundeswehr nur noch 25 Airbus-Militärtransporter A400M erhalten, wenn überhaupt, denn ein solcher Einschnitt „wäre der Tod für dieses Programm". Ferner würde die letzte Tranche von 37 Eurofightern gestrichen, auch das Nachfolgeprogramm zum Bau des unbemannten Aufklärungsflugzeugs Talarion würde dem Rotstift zum Opfer fallen, außerdem sollen 15 Transall-Transportflugzeuge und 100 Tornado-Kampfflugzeuge stillgelegt werden. In Entwicklung, Fertigung und Wartung stünden somit mittelfristig 15 000, langfristig sogar 30 000 hochqualifizierte Arbeitsplätze bei EADS und Zulieferfirmen auf der Kippe.
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass das Interesse am Erhalt von Arbeitsplätzen nicht einfach abgetan, sondern ernst genommen werden muss. Aber hat das aktuell und auf Dauer zur Konsequenz, die soziale Existenz und Sicherheit auf Arbeit in der Rüstungsproduktion zu bauen? Ist nicht schon der tödliche Charakter des Produkts ein zwingender moralischer und politischer Grund, die Frage nach der Alternative zu stellen? Weshalb ist der Ansatz, in Arbeitskreisen für Rüstungskonversion, die es über Jahre, getragen von der IG Metall, in vielen Betrieben gab, über alternative Produktionen nachzudenken, in eine scheinbare Alternativlosigkeit abgerutscht? Weil in der Tat Rüstungskonversion nicht einfach durchzusetzen ist, sondern ein Faktor einer umfassenden Bewegung für Abrüstung und Friedenssicherung sein muss? Müsste nicht darum in den Gewerkschaften die Diskussion über eine solche Richtung des geforderten Politikwechsels aufgenommen werden? Oder ist es in diesem Bereich das höchste Niveau von Mitbestimmung, den Regierenden „ausreichende" Rüstungsmilliarden abzuverlangen? Die Logik eines solchen Weges ist es, sich - gewollt oder ungewollt - mit Kriegspolitik gemein zu machen, denn sie sichert einen kontinuierlichen Bedarf an Rüstungsgütern. Und genau dies, die Perspektive weiterer Kriege, ist die Quintessenz der Nato-Strategie, der sich die Bundesregierung verpflichtet hat.
Das „Handelsblatt" berichtet ausführlich über eine Art der „Sicherung von Arbeitsplätzen" über die Produktion in deutschen Werken hinaus: „Die Rüstungsbranche sucht neue Erlösfelder: Krauss-Maffei wartet Panzer in Afghanistan, Rheinmetall betreibt Drohnen. Das Outsourcen militärischer Aufgaben ist ein Zukunftsmarkt. ... Die deutsche Rüstungsindustrie geht neue Wege - und die führen auch an die Front." Der Geschäftsführer von KMW, Frank Haun, sagt: „Service im Einsatz ist eine unserer strategischen Stellgrößen im Unternehmen, die wir zukünftig noch weiter ausbauen werden." Da wird hemmungslos mit weiteren Kriegen gerechnet. „Die Industrie rückt immer näher an die Truppe heran ... Das Outsourcen von Dienstleistungen im Kriegsgebiet hat auch für deutsche Militärs handfeste Vorteile. So kann die Bundeswehr mehr Kampftruppen nach Afghanistan schicken, ohne die parlamentarisch festgelegte Obergrenze zu verletzen."
Soll die IG Metall diese wunderbare „Beschäftigungspolitik" der Rüstungskonzerne auch noch akzeptieren? Oder wird sich endlich die Erkenntnis durchsetzen, dass die Gewerkschaften an einer grundlegenden Alternative zur Kriegspolitik des Imperialismus nicht vorbeikommen?
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