Samstag, 25. August 2012
»Verhindern, daß sich Südafrika zersetzt!«
Ela Ghandhi (72) war von 1994 bis 2004 in Südafrika Parlamentsabgeordnete des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Sie ist die Enkelin von Mahatma Gandhi
Bei einer Demonstration streikender Bergleute haben zwei Hundertschaften der südafrikanischen Polizei, unterstützt von Hubschraubern, am Donnerstag nahe Johannesburg 34 Bergleute erschossen und viele weitere verletzt. Was ist auf dem Gelände des Lonmin-Bergwerks passiert? Die Arbeiter fordern von der Geschäftsführung seit längerem deutliche Lohnerhöhungen. Seit 10. August befand sich deswegen ein Teil der Belegschaft im Streik, was natürlich einen Produktionsausfall nach sich zog, den Lonmin mit 25 Millionen Dollar beziffert. Das britisch-südafrikanische Unternehmen ist mit einem Marktanteil von zwölf Prozent der drittgrößte Platinproduzent der Welt.
Allerdings gibt es betriebintern enrome Differenzen und auch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den beiden dort vertretenen Gewerkschaften – das ist zum einen die NUM, die dem zur Regierungsallianz zählenden Gewerkschaftsbund COSATU angehört, und zum anderen die AMCU, eine radikale Abspaltung. Mit einer militanten Demonstration am Donnerstag haben die Radikalen die Lage dann zugespitzt, worauf die Polizei mit einem regelrechten Gewaltexzeß reagierte.
Wer trägt Ihrer Ansicht nach die Verantwortung für die Ereignisse?
Ich halte an der Lehre meines Großvaters Mahatma Ghandi fest: Alle Proteste sind legitim. Sie dürfen aber nur gewaltfrei sein.
Hat die Polizei Schuld an dem Massaker?
Mit Sicherheit. Ihre gewaltsame Reaktion war völlig unverhältnismäßig und bringt die Regierung in Schwierigkeiten, weil der Eindruck entsteht, daß Südafrika außer Kontrolle ist. Wenn man mit dem Blutvergießen erst einmal beginnt, wird es schwer, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern. Diese Polizeiaktion war ein großer strategischer Fehler – vor allem, weil es in anderen Regionen des Landes ähnliche Proteste gibt. Über die haben die Medien allerdings nicht so ausgiebig berichtet, denn dort haben Regierung und Staatsapparat Verhandlungslösungen gefördert.
Das Problem im Lonmin-Bergwerk ist nicht der Gegensatz zwischen den Arbeitern und dem Staatsapparat, sondern der zwischen den Arbeitern und dem Management. Die Regierung sollte in einer solchen Situation als Vermittler fungieren – statt dessen hat sie sich mit diesem Massaker der Polizei unsinnigerweise zur Streitpartei gemacht.
Welchen sozialen Hintergrund hat diese Auseinandersetzung?
In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Kluft zwischen Armen und Reichen in Südafrika enorm vertieft. Das ist ein viel gravierenderes Spaltungselement als die Rassenzugehörigkeit, weil es sowohl die weiße als auch die schwarze Bevölkerung betrifft. Die Lage im Lonmin-Bergwerk muß man jedoch auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten, sie hat eine besondere Brisanz.
Warum?
An den Auseinandersetzungen waren keine Erwerbslosen oder Verzweifelte beteiligt, sondern Menschen, die einen Arbeitsplatz haben und Geld verdienen. Das unterscheidet die Proteste von den Revolten, die bei absoluter Armut ausbrechen können. Es ist eine bedrohliche Situation für den Staat, wenn auch solche Bürger keine Möglichkeit mehr sehen, ihre Unzufriedenheit in ziviler Weise zum Ausdruck zu bringen. Wenn solche Konflikte nicht mehr durch von der Regierung geförderte Tarifverhandlungen gelöst werden können, dann droht die Situation auf nationaler Ebene zu kippen.
Tut die Regierung genug, um die Einkommensunterschiede innerhalb der Bevölkerung zu verringern?
Sie hat viel gemacht, aber nicht genug. Es gibt noch viel zu tun, auch um die Mentalität der Menschen zu verändern.
Braucht der Afrikanische Nationalkongreß (ANC), die Regierungspartei also, eine neue Führung?
Mit Sicherheit. Wir brauchen alle diese Erneuerung. Diese Feststellung sollte aber nicht als eine Kritik an der aktuellen Führung von Partei und Regierung verstanden werden. Es geht mir vielmehr darum, neue Ideen zu entwickeln, neue Lösungen, neue Energien und neue Kompetenz zu finden beziehungsweise zu schaffen. Wir müssen verhindern, daß sich Südafrika zersetzt!
junge Welt
Nach Marikana
Nach dem Massaker tobt das, was ein Medienkritiker bereits "blame game"
nannte: Schuldzuweisungen aller Art. Jeder gegen jeden, am besten, ohne
die Betroffenen zu hören. Welche Bedeutung dieses schändliche Ereignis hat
- für die Menschen, vor allem für diejenigen, die in afrikanischen Zechen
ihr Leben verdienen müssen, aber auch für die allgemeine gesellschaftliche
und politische Entwicklung, ist Gegenstand unserer ausführlichen und
kommentierten Materialsammlung "Nach Marikana" vom 24. August 2012, die
neben Dokumenten aus dem Netz auch Auszüge und Zusammenfassungen aus
einigen Telefongesprächen enthält:
http://www.labournet.de/internationales/suedafrika/nachmarikana.html
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