Mittwoch, 29. August 2012
The Day After (II)
BERLIN/DAMASKUS
german-foreign-policy vom 08.08.2012 (auf Kommunisten-online am 29. August 2012) – Mit der Einrichtung einer neuen „Task Force“ verstärkt die Bundesregierung ihre Bemühungen um Einfluss auf Syrien nach dem erwarteten Sturz des Assad-Regimes. Es sei „bereits jetzt notwendig“, Planungen „für den Tag nach einem Übergang“ in Syrien vorzubereiten, teilt das Auswärtige Amt mit; sämtliche entsprechenden Anstrengungen bündele von nun an eine „personell verstärkte Stabsstelle“ im deutschen Außenministerium. Damit erweitert die Bundesregierung ihre bisherigen Aktivitäten, die unter anderem monatelange Geheimgespräche mit über 40 Exil-Oppositionellen sowie die Erstellung von Blaupausen für die syrische Ökonomie nach dem Ende des Bürgerkriegs umfassen. Federführend ist der Regionalbeauftragte für den Nahen und Mittleren Osten und Maghreb im Auswärtigen Amt, Boris Ruge. Ruge begleitete bis Anfang 2011 die immer engere deutsche Kooperation mit dem syrischen Regime und mit syrischen Industriellen, während die Damaszener Deregulierungspolitik größere Teile der Bevölkerung in die Verelendung trieb. Ebenfalls stützte Ruge den Berliner Kurs bei der Abschiebung von Flüchtlingen nach Syrien, von denen rund ein Fünftel unmittelbar nach ihrer Ankunft inhaftiert wurden. Heute bemüht er sich um Zusammenarbeit mit Oppositionellen, deren katastrophale Lage die Berliner Außenpolitik noch bis Anfang 2011 mit ihrer Unterstützung für das Regime verschlimmerte.
Unterstützung der Exil-Opposition
Um Einfluss auf die syrische Opposition bemüht sich Berlin mit verstärkter Intensität seit Juli 2011. Am 5. Juli 2011 traf eine exilsyrische Delegation unter Leitung von Radwan Ziadeh zu Gesprächen im Auswärtigen Amt ein.[1] „Das Treffen war gut“, teilte der Delegationschef drei Wochen später mit: „Deutschland stimmt mit uns überein.“[2] Ziadeh, der 2007 ins Exil gegangen war, hatte bald darauf begonnen, für das United States Institute of Peace (USIP) zu arbeiten, eine regierungsfinanzierte Einrichtung, die sich mit möglichen Intervention in Konflikten weltweit befasst. Ende Juli 2011 war dann in Berlin zu erfahren, dass der Nahost-Beauftragte des Auswärtigen Amts, Boris Ruge, sich bereits zweimal zu Gesprächen mit Vertretern auch der Opposition nach Damaskus begeben habe. Ziadeh fungiert inzwischen als „Direktor für auswärtige Beziehungen“ des Syrian National Council (SNC), einer stark von der Muslimbruderschaft geprägten Organisation von Exil-Oppositionellen, die von den westlichen Industriestaaten zur „legitimen Vertretung“ der Bevölkerung Syriens erklärt worden ist. In Zusammenarbeit mit dem USIP hat die vom Bundeskanzleramt finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) seit Januar rund 45 syrische Exil-Oppositionelle zu ausführlichen Gesprächen in der deutschen Hauptstadt versammelt, um Vorbereitungen für die Zeit nach dem Sturz des Regimes zu treffen (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Zum selben Zweck hat die Bundesregierung in Berlin ein Büro eingerichtet, das die Wirtschaftsordnung des Post-Assad-Syriens gestalten soll. Es wird von einem Deutschen geleitet (german-foreign-policy.com berichtete [4]).
Task Force Syrien
An die genannten Aktivitäten knüpft nun die neu installierte Berliner „Task Force Syrien“ an. Man könne „annehmen, dass das Regime die volle Kontrolle über das Land nicht wiedererlangen wird“, schreibt das Auswärtige Amt.[5] Hintergrund ist die arbeitsteilige Unterstützung des bewaffneten Aufstands in Syrien durch die westlichen Staaten sowie die mit ihnen verbündeten Golfdiktaturen, die finanzielle und logistische Hilfen bis hin zu militärischer Aufrüstung umfasst. Berlin erklärt, in Aufrüstungsmaßnahmen nicht involviert zu sein; doch gelten die Küstengewässer des Libanon, in denen die deutsche Marine zur Verhinderung von Waffenschmuggel eingesetzt ist, als bedeutende Transportroute für den Nachschub an Kriegsgerät und an auswärtigen Milizionären - von deutschen Schiffen wurde jedenfalls noch nichts davon gestoppt.[6] Ergänzend kündigt Berlin nun an, eine „personell verstärkte Stabsstelle“ zur Koordination aller Aktivitäten zu installieren („Task Force Syrien“) und mit ihrer Hilfe konkrete „Planungen für den Tag nach einem Übergang voranzutreiben“.[7] Dazu müssten auch Kontakte zur „syrischen Opposition im Inland“ hergestellt werden, erklärt das Auswärtige Amt.
Die Herrschaft der Aufständischen
Diejenigen Gebiete Syriens, die mittlerweile von Aufständischen kontrolliert werden, bieten nun erste Möglichkeiten zu systematischer westlicher Einflussnahme im Land selbst. Dabei scheinen sich die Befürchtungen, Syrien könne aus dem bisherigen Zustand harter Repression in neue, nicht weniger blutige Gewaltverhältnisse abgleiten, zu bestätigen. Erste Berichte aus Gebieten, in denen Rebellen die Macht übernommen haben, beschreiben Willkürherrschaft, illegale Massenexekutionen und eine starke Stellung auch militant islamistischer Organisationen. In Azaz unweit Aleppo etwa hätten Aufständische gefangene Regierungssoldaten schlicht „gefesselt und erschossen“, heißt es; der Rebellenkommandeur habe eine große Nähe zum militanten Islamismus und nutze Symbole, die denjenigen von Al Qaida ähnelten. Die Macht liege insgesamt bei zum Teil brutal operierenden Milizionären.[8]
Freunde aus der Industrie
Der Leiter der neuen Berliner „Task Force Syrien“, Boris Ruge, verfügt schon lange über Beziehungen nach Syrien. Exemplarisch zeigt dies ein Ereignis vom November 2010. In den Jahren zuvor hatte das Assad-Regime begonnen, seine Politik stärker auf die Interessen von Industriellen auszurichten, und dabei die verarmende Landbevölkerung sowie große Teile der weithin perspektivlosen Jugend erheblich vernachlässigt. Die Deregulierungspolitik führte zu wachsender Verelendung und im Frühjahr 2011 dann in den Aufstand. Berlin interessierte sich bis 2011 - Assad herrschte gänzlich unumstritten - nicht für die wachsende Verelendung der Bevölkerung; deutsche Industrielle gründeten im Februar 2010 in Abstimmung mit dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Damaszener Regime einen „Syrian German Business Council“. Am 29. November 2010 erklärte Boris Ruge auf einer Veranstaltung des Wirtschaftsverbandes, er sei überzeugt, dieser könne die deutsch-syrischen Beziehungen auch künftig „positiv entwickeln“. Zu den Mitgliedern des „Business Council“ gehörten hochrangige Industrielle, die noch Anfang 2011 von Berlin hofiert wurden, wenig später aber sich oder ihre Unternehmen auf einer EU-Sanktionsliste wiederfanden - Grund: „Unterstützt das syrische Regime in wirtschaftlicher Hinsicht.“[9] Dazwischen war die Entscheidung gefallen, gemeinsam mit der syrischen Exil-Opposition einen Elitenwechsel in Syrien anzustreben. Seitdem wird in der westlichen Öffentlichkeit gelegentlich auf die zuvor ignorierte Verelendung von Teilen der syrischen Bevölkerung unter Assad hingewiesen.
Abschiebepolitik
Gleiches gilt für die Repression des Assad-Regimes. Berlin hat nicht nur jahrelang eine recht enge Geheimdienstkooperation mit Syrien unterhalten, Folterkooperationen inklusive (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Ein Abschiebeabkommen, das Anfang 2009 in Kraft getreten ist, hat darüber hinaus die Überstellung zahlreicher Flüchtlinge aus Deutschland an das syrische Regime möglich gemacht. Trotz eines Hungerstreiks syrischer Exil-Oppositioneller hielt die Bundesregierung an ihm fest.[11] Wie sie noch im Oktober 2010 bestätigte, wurde gut ein Fünftel der nach Syrien abgeschobenen Flüchtlinge unmittelbar nach ihrer Ankunft in Haft genommen; einige von ihnen blieben bis zu dreieinhalb Monate interniert.[12] Noch im März 2012 musste Amnesty International die Bundesregierung auffordern, einen offiziellen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Syrien zu erlassen. Erst nach massivem öffentlichem Druck waren die Bundesländer im April 2012 bereit, formell auf die Überstellung von Flüchtlingen nach Syrien zu verzichten - allerdings zeitlich beschränkt auf sechs Monate.
Fehl am Platze
Während die Bundesregierung sich weiterhin um Einfluss bei der syrischen Opposition bemüht, teilte der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, am Montag mit, es sei „einfach völlig fehl am Platze“, die Aufnahme syrischer Kriegsflüchtlinge in der Bundesrepublik in Betracht zu ziehen; diese sollten im Nahen Osten bleiben.[13] Ergänzend hat der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, in Aussicht gestellt, christliche Flüchtlinge, die religiös motivierten Aufständischen entkommen konnten, bevorzugt zu behandeln: „Wir prüfen derzeit“, teilt Kauder mit, „wie wir zumindest den Christen, die in die Nachbarländer geflüchtet sind, helfen können“.[14]
[1] s. dazu Marktwirtschaft für Syrien
[2] „Im Ramadan ist jeder Tag ein Freitag“; www.taz.de 28.07.2011
[3] s. dazu The Day After
[4] s. dazu Marktwirtschaft für Syrien
[5] Auswärtiges Amt richtet ressortübergreifende „Task Force Syrien“ ein; www.auswaertiges-amt.de
[6] s. dazu Schmuggelkontrolleure
[7] Auswärtiges Amt richtet ressortübergreifende „Task Force Syrien“ ein; www.auswaertiges-amt.de
[8] Assads blutendes Antlitz; Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.08.2012
[9] Verordnung (EU) Nr. 878/2011 des Rates vom 2. September 2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 442/2011 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien
[10] s. dazu Der gemeinsame Nenner Repression (I) und Der gemeinsame Nenner Repression (II)
[11] s. dazu Im Hungerstreik
[12] s. dazu Der gemeinsame Nenner Repression (I)
[13] Löning: „Keine Syrien-Flüchtlinge nach Deutschland - Menschen brauchen Hilfe unabhängig von Religion“; www.swr.de 06.08.2012
[14] Wer schützt die Christen in Syrien? www.bild.de 05.08.2012
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58394
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