Mittwoch, 15. August 2012
Syrien: Der Tag danach
Hintergrund. Die westlichen Staaten und die Golfmonarchien zerstören Syrien, weil das Land sich nicht unterwirft. Für die Zeit nach Assad werden in Berlin bereits eifrig Konzepte entworfen
Von Karin Leukefeld, Damaskus
Quelle: jungeWelt vom 8.08.2012
Auf Kommunisten-online am 9. August 2012 – Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat eine »ressortübergreifende ›Task Force Syrien‹« eingerichtet, um die Koordinierung aller Maßnahmen in der Bundesregierung sicherzustellen. Ein »Arbeitsstab Syrien« wurde geschaffen, verstärkt u.a. durch Personal der früheren deutschen Botschaft in Damaskus, die seit Januar 2012 geschlossen ist. Die Lage spitze sich zu, so Westerwelle. »Das Assad-Regime hat die Kontrolle über Teile des Landes verloren.« In einem erklärenden Zusatztext heißt es weiter: »Wir können annehmen, daß das Regime die volle Kontrolle über das Land nicht wiedererlangen wird. Es ist auch anzunehmen, daß Oppositionselemente dauerhaft die Kontrolle in Teilen des Landes übernehmen könnten.« Daraus ergäben »sich neue und dringende Anforderungen, auf die wir national sowie im EU- und UN-Rahmen reagieren müssen«. Den Vorsitz der Einsatztruppe wird Botschafter Boris Ruge übernehmen, der im Auswärtigen Amt Regionalbeauftragter für den Nahen und Mittleren Osten sowie den Maghreb ist.
»Mit unseren Partnern« werden nun Planungen für den Tag nach einem Übergang vorangetrieben, so das Auswärtige Amt. Gemeint sind »Maßnahmen im Bereich der humanitären und Wiederaufbauhilfe«. Die »Stabilisierung von Syrien nach Ende des Konflikts« stelle »eine große Herausforderung dar« und erfordere »von seiten der internationalen Gemeinschaft erhebliche Ressourcen«. Kurzfristig müßten nun »Kontakte mit der syrischen Opposition im Inland« hergestellt werden. Startzeichen für die Bekanntgabe dieser vermutlich seit langem vorbereiteten »Task Force Syrien« sei der »Rücktritt von Kofi Annan« gewesen, sagte Westerwelle. Die »Bemühungen um den Einstieg in einen politischen Prozeß« in Syrien müßten weitergehen. Während der Annan-Mission war von derartigen Bemühungen indes in der deutschen Außenpolitik wenig zu sehen gewesen. Statt dessen trug die Bundesregierung erheblich zur Verschärfung der Lage in Syrien bei.
Verschärfte Sanktionen
Mit nicht enden wollenden Sanktionen wird Wirtschaft und Gesellschaft des Entwicklungslandes seit Sommer 2011 schwerer Schaden zugefügt. Im Widerspruch zum Völkerrecht, das Sanktionen gegen ein Entwicklungsland nur auf Basis einer UN-Sicherheitsratsresolution zuläßt, wurden allein von der Europäischen Union mehr als 60mal Sanktionen gegen Syrien verschärft. Die Strafmaßnahmen werden teilweise von der Arabischen Liga, der Türkei, der Schweiz, Japan, Kanada und Australien unterstützt. Seitens der US-Administration steht Syrien seit Jahrzehnten ohnehin unter Sanktionen. Europa darf kein Rohöl aus Syrien mehr importieren oder Ölprodukte wie Heizöl, Diesel oder Kochgas an Syrien zurückliefern. Medien wurden sanktioniert, die syrische Fluglinie darf europäische Flughäfen nicht mehr anfliegen. Westliche und die meisten arabischen Airlines haben ihren Service in das Land eingestellt. Firmen und Banken dürfen mit syrischen Partnern nicht mehr kooperieren. Unternehmen im Bereich Computer- und Telekommunikationszubehör sowie aus dem Elektrosektor mußten ihren Handel mit Syrien einstellen.
Die Bundesregierung gehörte dabei stets zu den ersten, die eine weitere Verschärfung der Sanktionen forderte. Angeblich, um »das Regime zu schwächen und zum Einlenken« zu bewegen, tatsächlich aber zahlt jede einzelne syrische Familie den Preis. Im vergangenen Winter fehlte es an Heizöl. Stromlieferungen sind seit Monaten durch Anschläge bewaffneter Gruppen immer wieder unterbrochen. Die Europäische Investitionsbank (EIB) stellte ihre Vereinbarung mit Syrien über den Ausbau des Elektrizitätssektors im November 2011 einseitig ein. Seit 1978 hatte Syrien von der EIB finanzielle Hilfen im Wert von 1,6 Milliarden Euro erhalten.
Infolge der Strafmaßnahmen gegen den Ölsektor wurde Kochgas knapp. Das wiederum forcierte den Schwarzmarkthandel, der Preis für einen Gaszylinder vervierfachte sich. Angeblich habe die EU einigen Firmen erlaubt, Kochgas nach Syrien zu liefern, erfuhr der Schriftsteller Louay Hussein von der oppositionellen Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen« im Gespräch mit EU-Vertretern. Tatsache ist jedoch, daß jede Firma, die Handel mit Syrien treibt, von europäischen und US-amerikanischen Regierungen mit Sanktionen bedroht wird. Das gilt für Firmen, die Öl- oder andere Produktlieferungen versichern, ebenso wie für Banken, die den Zahlungsweg regeln. Die Knappheit an Diesel schränkt den innersyrischen Güterverkehr ein, der ohnehin unter den militärischen Auseinandersetzungen zu leiden hat. Viele Firmen und Familienbetriebe mußten ihre Arbeit wegen Treibstoffknappheit reduzieren oder einstellen. Die Folgen sind Arbeitslosigkeit und Geldmangel für Zehntausende Menschen, die jeweils Familien ernährten. Das Verbot, Güter zu importieren und/oder zu exportieren, erhöht die Lebensmittelpreise vor Ort. Nur was vom Staat weiterhin subventioniert wird, können die Menschen sich problemlos leisten.
Gewollte Eskalation
Nach Beginn der Unruhen in Deraa (Südsyrien) stellte die Bundesregierung alle bilateralen Projekte zwischen Deutschland und Syrien ein. Mitarbeiter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (heute Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ) und anderer staatlicher oder halbstaatlicher Entwicklungsorganisationen hatten den Syrern das Gefühl gegeben, Europa suche und fördere die Zusammenarbeit. In Schulen und Universitäten, im Wassersektor, im Medienbereich, in der Stadtentwicklung waren deutsche Experten gern gesehene Kollegen. Nun wurden sie quasi über Nacht von der Bundesregierung aufgefordert, Syrien zu verlassen. Die Sicherheitslage im Land wurde vom Außenministerium bereits im Frühsommer 2011 als gefährlicher als im Irak und in Afghanistan eingestuft – mit entsprechenden Gefährdungszulagen. Die deutsche Botschaft reduzierte ihre Tätigkeit, das Goethe-Institut wurde geschlossen. Damit wurden wichtige bilaterale Kontakte gekappt, sowohl die Regierung in Damaskus als auch die innersyrische Opposition verloren Ansprechpartner.
Statt die guten diplomatischen Beziehungen zu Syrien für eine Deeskalation zu nutzen, nahm die BRD eine führende Position unter den »Freunden Syriens« ein, einem Kreis von Staaten, die sich um die USA, Großbritannien, Frankreich und die Ölmonarchien im Golfkooperationsrat scharten.
Die »Freunde Syriens« entwickelten – wie schon zuvor im Falle des Jemen und Libyens – ihre eigene Politik. Sie agierten am UN-Sicherheitsrat und an Sondervermittler Kofi Annan vorbei, was die komplizierte Lage zusätzlich verschärfte. Die »Freunde Syriens« folgten den Ansagen Katars und Saudi-Arabiens, »keine Verhandlungen mit dem Regime Assad« zu führen, sondern stattdessen den Rücktritt von Präsident Baschar Al-Assad zu fordern. Das erfolgte unisono mit der im Ausland agierenden Opposition und gegen ausdrücklichen Rat und Vorschläge der innersyrischen Opposition.
Die Bundesregierung gesellte sich dem Lager zu, das für Syrien nicht nur keinen politischen Übergang wollte, sondern den »Sturz des Regimes« propagierte und dafür eigene Söldnertruppen in Richtung Syrien in Bewegung setzte. Berlins Freunde in Saudi-Arabien und Katar teilten im April öffentlich mit, daß sie Kämpfer bewaffnen, bezahlen und nach Syrien schicken. Der NATO-Partner Türkei läßt die Kämpfer mit Waffen und begleitenden Kriegsreportern unbehelligt über die Grenze ziehen. Der Führung der »Freien Syrischen Armee« (FSA) wird ebenso wie dem Syrischen Nationalrat von Ankara Kost und Logis gewährt. Die US-Regierung, auch eine »Freundin Syriens«, gab bekannt, daß sie die Kämpfer und ihre »nicht-tödliche Ausrüstung« mit 25 Millionen US-Dollar finanziert. Saudi-Arabien und Katar bezahlen einen Stützpunkt bei Adana, wo der US-Geheimdienst CIA – vermutlich in Kooperation mit anderen Geheimdiensten – Geld und Waffen verteilt, Kämpfer ausbildet und nach Syrien in den Krieg schickt.
Als 1986 die Iran-Contra-Affäre aufflog, bei der die Reagan-Regierung mit Einnahmen aus geheimen Waffenverkäufen an den Iran die Contras finanzierte, die in Nicaragua die sandinistische Regierung bekämpften, war es ein großer Skandal. 25 Jahre später – im November 2011 wurden im Archiv für Nationale Sicherheit (Washington) die Dokumente zur Einsicht frei gegeben – zeigen die »Freunde Syriens« stolz ihren auf vielen Ebenen durchgeführten Angriff auf Syrien vor den Augen der ganzen Welt. Vielleicht sind sie über die massive Präsenz von Al-Quaida, Dschihadisten aus Libyen, Tschetschenien, sogar aus China und vielen europäischen Staaten beunruhigt, die offensichtlich immer mehr Einfluß in den Reihen der »Freien Syrischen Armee« bekommen. Dennoch wird der Krieg niedriger Intensität fortgesetzt.
»Day After«
Wenn also Al-Qaida, Dschihadisten, Salafisten und die »Freie Syrische Armee« Syrien »befreit« haben werden, wenn der Syrische Nationalrat vom »befreiten« Aleppo aus die Hauptstadt Damaskus erobert haben und Präsident Baschar Al-Assad gestürzt, ermordet oder vertrieben sein wird, wenn die Regierung abgesetzt sein wird, alle Widersacher beseitigt sein werden – dann sollen die Pläne wahr werden, die syrische Oppositionelle seit Monaten in Berlin geschmiedet haben.
Die Wochenzeitung Die Zeit berichtete kürzlich über das »geheime Projekt«, das den Namen »Day After« (»Tag danach«) trägt. Seit Anfang des Jahres 2012 wird das Projekt unter dem Schirm der von der Bundesregierung – mit Steuergeldern – finanzierten Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) und dem United States Institute für Peace (USIP), einem von der US-Regierung gesponserten Institut, entwickelt. Die auserwählten, der Öffentlichkeit unbekannten Personen syrischer Herkunft werden vom Bundesaußenministerium in Berlin und dem US-Außenministerium »mit Geld, Visa und Logistik« unterstützt. Mit der »Arbeitshypothese«, daß die syrische Regierung zusammenbricht, werden Exgeneräle, Wirtschafts- und Justizexperten sowie Vertreter von Religions- und Volksgruppen aus der ganzen Welt nach Berlin eingeflogen. Dort beraten sie geheim darüber, wie die »Assad-Diktatur in eine Demokratie« umgewandelt werden soll. »Unbeobachtet und ohne Druck« sei eine »Diskurscommunity« geschaffen worden, sagt SWP-Leiter Volker Perthes. »Im August soll ein Dokument veröffentlicht werden, das den Konsens der Opposition darüber darstellt, wie die neue Verfassung aussehen muß«, heißt es in der Zeit. »Wie Armee, Justiz und Sicherheitsapparate reformiert werden können, wie die Konfessionen künftig friedlich zusammenleben können und die Wirtschaft umgebaut werden muß.«
Politische und Menschenrechtsaktivisten in Syrien, in und außerhalb der organisierten Opposition, reagieren ungläubig auf den Berliner Plan für die angebliche Rettung ihrer Heimat.
Louay Hussein, Mitbegründer und Vorsitzender der oppositionellen Bewegung »Den syrischen Staat aufbauen«, sucht lange nach Worten, bevor er antwortet. Verschiedene Staaten versuchten offenbar, solche Pläne zu entwickeln, sagt er. Ihm sei die Absicht nicht klar, doch hilfreich für die Menschen sei es ganz bestimmt nicht. Ursprünglich habe die innersyrische Opposition auf einen solchen »Tag danach« hingearbeitet, weil man kein politisches Vakuum wollte, sollte das Regime zusammenbrechen. »Wir hatten große Angst vor dem Chaos, das dann ausbrechen könnte. Heute haben wir das Chaos.« Das Gerede von dem »Tag danach« oder dem »Tag nach Assad« sei reine »Demagogie«, sagt Louay Hussein. »Damit vermitteln sie den jungen Leuten den Eindruck, als würde das Regime bald stürzen. Sie treiben sie dazu, Waffen zu nehmen, weil sie denken, es sei ohnehin bald alles vorbei.«
Die Konzentration des westlichen Auslands auf den Präsidenten und darauf, ob er bleibe oder gehe, sei das größte Problem, meint Hussein, der als Mitglied einer verbotenen kommunistischen Partei acht Jahre im Gefängnis saß. »Unsere größte Herausforderung ist, ob das Land im Bürgerkrieg zerbricht, nicht »der Tag danach«. Zum aktuellen Chaos im Land hätten alle beigetragen: das Ausland, europäische Politiker, die Opposition. Alle redeten nur über Assad, niemand spreche mehr von Demokratie. Wenn man heute fordert, Assad solle gehen oder bleiben, müsse man dies im Zusammenhang mit der Frage tun, was einen Bürgerkrieg verhindere. »Als wir uns am 18. März letzten Jahres an den Protesten beteiligten, hofften wir, der 19. März würde besser sein, als der 17. März. Diese Hoffnung ist vorbei.«
Als »akademische Übung« bezeichnet der Vorsitzende der syrischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, George Jabbour, die Bemühungen von Berlin und Washington, unter großem finanziellen Aufwand Pläne für das zukünftige Syrien erschaffen zu lassen. Es sei bekannt, daß Institute Intellektuelle und Akademiker finanzierten, um von deren Ideen zu profitieren, im übrigen könne auch er mal eine Verfassung für Deutschland schreiben, »mal sehen, was man in Deutschland dann sagen wird«.
»Für unsere eigene Zukunft«
Der Rechtsanwalt Anas Joudeh nahm Ende Juli an einem von der Friedensgemeinde Sant’Egidio in Rom organisierten Treffen teil, bei dem Vertreter von zehn oppositionellen Gruppen aus Syrien nach intensiven Diskussionen ein gemeinsames Grundsatzpapier beschlossen, die elf Punkte umfassende »Erklärung von Rom«. Weil »Waffen keine Lösung sind«, haben die Gruppen sich verpflichtet, den friedlichen Protest und eine Dialoglösung zu unterstützen. Weitere Treffen und Konferenzen in Syrien sind geplant. Von der Geheimdebatte in Berlin hat Joudeh nicht gehört, allerdings gebe es ja viele Gruppen im Ausland, die über den »Tag danach«, die »Stunde Null« oder einen Übergangsprozeß in Syrien diskutierten. »Vielleicht ist ihre theoretische Arbeit gar nicht so schlecht«, sagt Joudeh diplomatisch. Doch »das Problem, das wir mit allen diesen Projekten haben, ist, daß wir jetzt ein Problem haben, das wir lösen müssen.« Es sei leicht, über den »Tag danach« zu reden, doch »wie lösen wir das Problem, das wir heute bis dahin, bis zum ›Tag danach‹ haben?« Wer täglich mit der Realität in Syrien konfrontiert sei, könne »den Kopf nicht in den Sand stecken« und über den »Tag danach oder den Tag nach dem Tag danach reden«, meint Joudeh.
Man habe es mit einem Regime zu tun, daß überzeugt sei, daß die Lösung mit Waffen und Panzern gefunden werde, und man habe es mit den Gruppen der Opposition zu tun, die meinten, »die einzige Lösung sind ihre Pistolen und Bomben«. Daß im Ausland so eine Debatte von Leuten geführt werde, die möglicherweise lange Zeit ihres Lebens gar nicht mehr in Syrien gelebt hätten, mache es umso notwendiger, die Stimme Syriens laut ertönen zu lassen, sagt Anas Joudeh. Ein Modell wie im Irak, wo alle Strukturen im Ausland entschieden wurden, werde man in Syrien nicht akzeptieren. »Wir Syrer müssen zusammenarbeiten, um unsere eigene Lösung, unsere eigenen Pläne für unsere eigene syrische Zukunft zu finden.«
Ein Freundeskreis junger Leute sitzt an einem Nachmittag in Damaskus zusammen. »Haben die denn überhaupt Einfluß hier in Syrien«, will Jihad, der Journalistik studiert wissen, als er von dem Projekt »The Day After« erfährt. Er glaube nicht, daß das funktionieren könne. Das habe doch mit einem demokratischen Prozeß nichts zu tun. Sein Freund Salim meint: »Wer weiß, was die vorhaben. Sind die überhaupt in der Lage, die Realität hier in Syrien richtig einzuschätzen?« Zu sagen, die Opposition in Syrien, im Land, könne eine solche Diskussion nicht führen, bringt Jihad auf. »Die haben kein Recht! Sollen sie sich doch mal ansehen, was für Opfer die Menschen hier bringen! Hier sterben die Menschen, und die sitzen in Europa in ihren Hotels oder sonst wo und reden nur. Unakzeptabel.« Wer immer mit so einer Idee in Syrien auftauche, werde umgehend Gegenwind von der Bevölkerung bekommen, zeigt sich Julia, eine Kommilitonin, überzeugt. »Das funktioniert nicht.«
Abdulaziz Al-Khair vom Vorstand des Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel (NCB) meint, das Projekt zeige eine gewisse »Naivität«. Man gehe von einem baldigen Sturz des syrischen Regimes aus und versuche dem Land »das libysche oder das irakische Modell« aufzupflanzen. »Das wird in Syrien nicht funktionieren«, ist er überzeugt, so schnell werde das Regime nicht stürzen. »Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens.«
Einfluß der Gotteskrieger
Das Gespräch mit einem ausländischen Politik- und Wirtschaftsexperten, der seit Jahren in Syrien lebt und dessen Namen nicht genannt werden soll, erlaubt einen Blick hinter die Kulissen der Macht. Systematisch hätten die USA und Europa mit ihren Partnern in den Golfstaaten den Fall von Syrien vorbereitet, sagt er. Gespräche mit westlichen Botschaftern im Herbst 2011 hätten erschreckend deutlich gezeigt, daß sie nicht an einer politischen Übergangslösung interessiert waren, sondern einen anderen Plan verfolgten. »Wir sind Augenzeugen der beabsichtigten, angekündigten und offen von westlichen Staaten unterstützten Zerstörung des letzten säkularen Staates in der arabischen Welt«, erklärt der Mann.
Dafür bedienten sich die westlichen Staaten islamistischer Söldnertruppen, die von den Golfmonarchien bezahlt und bewaffnet würden. Rußland stehe hinter Syrien »nicht wegen einem Hafen am Mittelmeer oder wegen seiner Waffengeschäfte, sondern weil diese Gotteskrieger nach einer Zerstörung Syriens gen Moskau marschieren« würden. Dschihadisten, die Ende der 1990er Jahre in und von Tschetschenien aus – getarnt als nationale Freiheitskämpfer – Terroraktionen starteten, seien von den Golfmonarchien finanziert worden. Einer ihrer Anführer lebte in Doha/Katar. Saudi-Arabien habe jetzt offenbar dem Westen angeboten, alle Kosten des Krieges gegen Syrien zu tragen, selbst einen NATO-Einsatz wolle Riad bezahlen. Saudi-Arabien bediene sich der Religion, sunnitische und schiitische Muslime würden von Predigern in Fernsehprogrammen gegeneinander aufgehetzt. »Das sunnitische Blut ist eins«, so der Slogan eines solchen Senders. Dem Westen sei der wachsende Einfluß der Gotteskrieger nicht verborgen geblieben, doch sei der kaum noch zu stoppen. »Die Söldnermafia – deren Hintermänner sich als Hilfsorganisationen tarnen – schleust die Kämpfer quer durch die Region«, sagt der Gesprächspartner. »Die Saudis bezahlen alles.« Syrien, eine der ältesten Zivilisationen der Welt, solle zerstört werden, »weil es sich den westlichen Interessen nicht beugen will, weil es eigene nationale Interessen verfolgt, weil es die 1978 geknüpfte Allianz mit dem Iran nicht aufgibt«. Die USA und Europa seien entschlossen, die Regierung von Präsident Assad zu vernichten, dafür nähmen sie – wie schon im Irak – die Zerstörung von Land und Gesellschaft billigend in Kauf.
Dabei verfolgten die »Freunde Syriens« verschiedene Ziele, erklärt der Gesprächspartner. Saudi-Arabien wolle Syrien schwächen, um den Einfluß des Iran und der libanesischen Hisbollah in der arabischen Welt zu stoppen. Die USA wollten Syrien brechen, um Israel einen Gefallen zu tun und es daran zu hindern, Iran anzugreifen. Die übrigen westlichen Staaten seien dabei, weil sie Israel und den USA einen Gefallen tun wollten und wirtschaftlich auf das Geld aus den Golfstaaten angewiesen seien. Mit einer Öl- und Gaspipeline aus den Golfstaaten nach Europa wolle man sich von den Gaslieferungen Rußlands unabhängig machen. Die Türkei verfolge eigene regionale Großmachtideen mit der Muslimbruderschaft.
Das »kreative Chaos«, mit dem die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice einen »Neuen Mittleren Osten« begründen wollte, nimmt seinen Lauf. Ob Syrien am »Tag danach« von den Muslimbrüdern, Salafisten oder Al-Qaida geführt oder ein »neues Somalia« wird, wie Louay Hussein befürchtet, der Westen wird dafür die Verantwortung tragen. Die innersyrische Opposition sieht wohl am deutlichsten die Gefahren, die auf ihre Heimat zukommen. Eine demokratische, selbstbestimmte Zukunft Syriens hängt am seidenen Faden.
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